Träume schlafen nicht – SANDMAN: ALPTRAUMLAND

Enttäuscht bin ich … nur davon, dass dieser Band nicht abgeschlossen ist. Es ist (mal wieder) bloß der Auftakt einer neuen SANDMAN-Spin-off-Serie unter dem Label ALPTRAUMLAND. Protagonist derselben ist eine der interessantesten Figuren aus dem SANDMAN-Kosmos: der Korinther.

Dieser fleischgewordene Alptraum mit den Zahnaugen hatte seinen Ursprung 1989  in den klassischen Comicheften und auch einen prominenten Auftritt in der Realverfilmung als Serie, in der er sogar mehr Raum einnehmen durfte.

Des Korinthers Gesicht aus drei Mündern ist dermaßen prägnant, dass niemand diese Erscheinung je wieder vergisst. Einen solchen Marktwert darf man nicht verfallen lassen! Darum nun ein Relaunch:

Original-Autor Neil Gaiman porträtierte seinen Korinther als vom Traumherrscher Dream erschaffenen Alptraum, der aus dem Traumreich in unsere Realität entfliehen konnte und dort sein Unwesen als Serienkiller trieb (der übrigens Menschen dazu anstiftete, auch Serienmörder werden zu wollen).

Nachdem der Korinther (in Comic und Serie) von Dream aufgespürt und vernichtet werden konnte, gönnt DC Black Label ihm eine zweite Chance im Leben – als neuer, zweiter Korinther. Schön, dass mit der Figur weitergearbeitet wird. Schön auch, dass sie jetzt gegen den Strich gebürstet wird.
Denn der neue Korinther ist eine reumütige Wesenheit, die um seine Vergangenheit weiß und kein Leid mehr anrichten möchte. Unheimlich ist er nach wie vor, doch tritt er nun der Malerin Madison Flynn helfend zur Seite, die von Visionen eines Dämonen mit Mundaugen geplagt wird.

Diese Erscheinung taufen beide den lächelnden Mann. Nur Madison kann ihn sehen, doch im Gefolge dieses Buddha-artigen Typen agieren zwei übernatürliche Killer namens „Mr. Ecstasy“ und „Mr. Agony“. Beide hinterlassen eine Blutspur quer durch New York, die die Aufmerksamkeit nicht nur des Korinther erregt.
Denn Robbie Greene, ein Freund von Madison, ist mit dem milliardenschweren Kunstsammler Bill Teague im Verbund. Der hat Interesse an Madison, weil er davon träumt, mit überirdischen Mächten zu kommunizieren und daraus Gewinn und Macht zu ziehen.

Teague ist gewissermaßen die modernisierte Fassung des Okkultisten Roderick Burgess aus dem alten Comic. Und Madison Flynn scheint die magischen Fähigkeiten einer Rose Walker zu besitzen, sie ist die Kontaktperson zwischen den Welten.

Also: Fassen wir zusammen, ohne etwas zu verspoilern.
Madison, die Malerin, wird gejagt von Mr. Ecstasy und Mr. Agony, offenbar im Auftrag des lächelnden Mannes. Ist dieser ein Wiedergänger des alten Korinthers? Das fragt sich unser neuer Korinther, der Madison vor dem Untergang zu bewahren versucht. Wer aber steckt hinter dem lächelnden Mann? Das Finale deutet an, dass weitere altbekannte Ewige ihre Finger im Spiel haben …

Kein Wunder, dass ALPTRAUMLAND nur der Auftakt ist, denn im Lauf der sechs Hefte baut Autor James Tynion IV ein attraktives Geflecht auf, das viel Potenzial zur dramatischen Entwicklung zeigt.

Tynion übrigens ist der heißeste Autor des letzten Jahres (in Nachfolge von Jeff Lemire) und hat gerade einen Lauf mit DEPARTMENT OF TRUTH, NICE HOUSE ON THE LAKE und SOMETHING IS KILLING THE CHILDREN.
Mir sind solche „Vielschreiber“ mindestens so unheimlich wie der Korinther und ich schaue mit Misstrauen auf ihren gehypten Output. Von seinen erwähnten Werken habe ich tatsächlich auch jeweils die ersten Bände gelesen, aber bei keinem weitergemacht. Die sind alle nicht schlecht, sehr solide sogar, aber für mich keine zwingende Lektüre.

(SOMETHING IS KILLING THE CHILDREN Volume 1 beispielsweise legt einen guten Start hin, bietet jedoch nicht mehr als eine Exposition, die sich erst entwickeln muss. Kann gut werden, kann in beliebigem Horror verläppern. Da hab ich schon keine Geduld mehr.)

Ausnahme für Tynion gewähre ich also mit SANDMAN: ALPTRAUMLAND, wo ich als Sandman-Fan einen Bezug zu habe. Und was ich bislang sehe, stellt die Figur des Korinthers organisch neu auf und lässt sie wirkungsvoll agieren, ohne zu dominant zu sein.
Madison als menschliche Identifikationsfigur ist clever erdacht, ihre Gegenspieler sind der skrupellose Milliardär und die dämonischen Mordgestalten.

Und das sind die Bösen: Mr. Ecstasy und Mr. Agony begeben sich nach einem Mord an Bord einer Yacht, wo der lächelnde Mann bereits auf sie wartet.

Nach fünf von sechs Heften macht Tynion einen Break und wir verlassen die bisherige Handlung um Madison und den Korinther, um eine weitere Figur zu etablieren. Wer das ist und wer noch mit Gastauftritten glänzt, das verrate ich nicht. Dies wohlige Wiedersehen gönne ich Ihnen komplett selbst.

Die Parallelhandlung gestaltet grafisch eine andere Kraft, nämlich Shootingstar Maria Llovet, die mit ihrem kratzig-knalligen Artwork schon in FAITHLESS reüssierte. Ansonsten illustriert Lisandro Estherren auf taugliche Weise, gefiel mir aber besser im One-Shot STRANGE SKIES OVER EAST BERLIN.

Nun gut, er muss Strecke liefern und wird dabei pro Ausgabe unterstützt von Gastkünstlern, die auf jeweils vier Seiten die Backstory des Korinthers bebildern.

SANDMAN: ALPTRAUMLAND ist ein vielversprechendes Gesamtpaket, attraktiv auch für neu hinzugekommene Serienfans. Wer damals schon den Comic mochte, findet sich aufgehoben in der Wiederbegegnung mit Gaimans interessanten Figuren – inhaltlich und grafisch modernisiert.

Schneller Blätterblick gefällig? Bitte Augen auf oder den Mund (je nachdem):