Jetzt im Kino:  BIRDS OF PREY

Ohne jedes Vorwissen rein. Das heißt, ich wusste: Die BIRDS OF PREY sind irgendwelche Superheldinnen aus dem DC-Universum. Sonst nix. Ohne Erwartungen ins Kino zu gehen, zahlt sich meiner Erfahrung nach immer positiv aus. Nun, heute erleben wir eine Ausnahme von dieser Regel …
Erwartungen hatte ich insofern schon, weil ich WONDER WOMAN mochte und CAPTAIN MARVEL richtig toll fand. Ich war frohen Mutes. Heldinnen? Bring it on!

Und was sehe ich dann? Es ist ein Harley-Quinn-Film!
(Die BIRDS OF PREY trudeln nur nach und nach ein und formieren sich erst zum Schluss, also eine Art Origin-Movie.) Auch gut, dachte ich.
Harley Quinn ist cool und war der Lichtblick in SUICIDE SQUAD. Darstellerin Margot Robbie ist eine Bank – wer mag, rufe meine Kritik zu I, TONYA auf.

Tillmann schaut: I, TONYA

Der Film läuft also an und nach einer hübschen Trickfilmsequenz (die Harleys bisheriges Leben und ihre Beziehung mit dem Joker zusammenfasst) steigen wir damit ein, dass Harley endgültig vom Joker verlassen wurde und sich nun ein neues Leben aufbauen muss.

Doch Harley läuft Amok: Wirft Drogen ein, säuft im Akkord, ist gewalttätig, benimmt sich völlig irre und gleichgültig gegenüber ihrer Umwelt und sprengt den Chemiekomplex in die Luft, in dem damals ihre Liebe zum Joker begann.
Damit fühlt sie sich zwar befreit („Now I have closure“), doch diese Filmminuten haben die Figur desavouiert. Ruiniert, kaputt gemacht.

Harley Quinn ist eine unsympathische, nervige, verrückte Frau. Da kann sich Margot Robbie im Folgenden den Wolf spielen (und über die Beziehung zum Straßenmädchen Cassandra auch wieder Menschlichkeit erlangen) – aber der gewohnte Harley-Humor zündet nicht!

Bonding der Generationen auf dem Sofa – oder nur momentaner Nichtangriffspakt? Auf das Mädchen Cassandra ist ein Kopfgeld ausgesetzt, weil sie im Besitz eines wertvollen Edelsteins ist (an den auch Harley ran will).

 

Eine Schlüsselszene vom Beginn: Harley will sich zum Ausgleich ein Haustier zulegen, wählt in der Zoohandlung eine Tüpfelhyäne aus. Der schmierige Händler betatscht sie und verlangt eine „Zahlung in Naturalien“. Schnitt.
Harley fläzt auf dem heimischen Sofa, zu ihren Füßen kauert die Hyäne und nagt am abgetrennten Bein des Mannes.

Ist das lustig?! Bisschen krass, oder?

Auch finden die Filmautoren es offenbar komisch, die nun vogelfreie Harley (untersteht nicht mehr dem Schutz des Jokers) das Opfer mehrerer Attentate werden zu lassen. Doch keine Bange: Diese Mordversuche sind witzig inszeniert (Grafiken blenden bunte Steckbriefe der Übeltäter ein) und scheitern sämtlich.
Das Muster erschöpft sich jedoch schon beim zweiten Mal, sorgt nicht für Spannung, sondern bloß hysterischen Aktionismus.

Überhaupt ist die Action in BIRDS OF PREY im Grunde immer nur purer Aktionismus. Der Film plätschert als buntes Feuerwerk an mir vorbei. Ich fühlte mich eher belästigt als unterhalten (und das ist mit das Schlimmste, was man über einen Film sagen kann).

DC vergreift sich im Humor

 

Da hamwers mal wieder: Das DC-Trauma ist zurück. Die Balance stimmt nicht.
BIRDS OF PREY soll ein komödiantischer Action-Frauenfilm sein und überdreht alle drei Stellschrauben auf das Grausamste:
Das Komödiantische ist so schwarz, dass es ins Übelkeitserregende gehen kann.

Beispiel: Bösewicht Roman Sionis (gespielt von Ewan McGregor) hat eine Familie kopfüber aufgehängt: Vater, Mutter, Tochter. Sein Henchman Victor Zsasz schneidet erst dem Vater das Gesicht runter, dann überlegt Sionis, die Tochter zu verschonen. Als er jedoch einen Nasenrotz im Gesicht des heulenden Mädchens erblickt, dreht er sich angewidert weg und entscheidet sich anders: „Schneid das doch raus, Victor“.

Chris Messina als Killer Victor Zsasz und Ewan McGregor als Bösewicht Roman Sionis.

 

Stellenweise ist BIRDS OF PREY so fies gewalttätig, dass selbst der hartgesottene Kollege Cordemann grummelte: „Gesichter wegschneiden? Der sollte eigentlich erst ab 18 sein.“
BIRDS OF PREY kommt ab 16 Jahren in die Kinos; ich frage mich, für WEN zum Teufel DC seine Filme macht? Dazu später noch mal.

(Das Thema Gewalt betrachte auch ich inzwischen als sensibel. Ich bin einer der wenigen Menschen, die den JOKER-Film nicht mochten, unter anderem seiner Gewaltverherrlichung wegen.)

JOKER kommt ins Kino

Ich wollte zurück auf die drei Stellschrauben: BIRDS OF PREY soll ein komödiantischer Action-Frauenfilm sein.
Damit sind wir nochmals bei der Action, Schraube zwei. Von der es reichlich gibt, und zwar von der hypertrophen Sorte. Die ich nicht mag, weil sie unrealistisch ist. Es kommt zu langen, groß angelegten Action-Choreographien, schick inszeniert (darunter eine Knastschlägerei im Sprinkler-Regen, ein Endkampf in den skurrilen Kulissen eines Rummelbetriebs) – aber absolut seelenlos, vorhersehbar, im Grunde uninteressant.

Niemand kommt zu Schaden, der nicht zu Schaden kommen soll (das scheint mir eine üble, neue Form von „Aktionsrassismus“ zu sein). Solche Action ist nichts als Budenzauber, operettenhaftes Kasperletheater und vorauseilender Verbeugungsgehorsam vor einem (zu definierenden) Zielpublikum.

Ham Sie‘s noch im Hinterkopf: Für WEN zum Teufel macht DC seine Filme?

Stellschraube drei: BIRDS OF PREY soll ein komödiantischer Action-Frauenfilm sein. Die Darstellerinnen sind leider ein wenig blass und konnten mich nicht für sich einnehmen.

Nichts gegen Margot Robbie, der hat man einfach die Figur versaubeutelt.

Immerhin trägt sie ein paar zauberhaft punkige Outfits: Harley Quinn in der Imbissbude.

 

Rosie Perez war in ihren fast 30 Jahren im Showgeschäft immer cool (von WEISSE JUNGS BRINGENS NICHT über PERDITA DURANGO und HUMAN NATURE bis zu THE DEAD DON’T DIE), aber als Detective Renee Montoya ist sie unglaubwürdig und kommt mir fehlbesetzt vor.

Nicht überzeugt hat mich auch Jurnee Smolett-Bell als Black Canary. Die muss sich äußerst sexualisiert in Szene setzen lassen, entwickelt kein Charisma und kommt zum Schluss (völlig aus dem Blauen) noch mit einer Superkraft daher?
(Und ich nehme dramaturgische Schlampereien krummer als … äh … Schlampereien.)

Mary Elizabeth Winstead ist eigentlich fabelhaft (FINAL DESTINATION, SCOTT PILGRIM, STIRB LANGSAM 4), als Armbrustschützin Huntress jedoch steht sie manchmal wie ein Fremdkörper im Bild und entwickelt keine Chemie mit den anderen Charakteren.

Bleibt die Jugendliche Ella Jay Basco, die als Diebin Cassandra Cain das Juwel verschluckt hat, hinter dem (im zweiten Teil des Films) alle her sind. Tja, die wirkt, als hätte sie sowieso keine Lust auf das ganze Theater – und ist somit die Identifikationsfigur für uns Zuschauerinnen und Zuschauer. Harhar.

Charaktere in Kulissen: Renee Montoya, Huntress, Cassandra, Harley, Black Canary.

Was haben wir an Positivem zu vermelden?

 

Die Trickfilmsequenz zu Beginn war wie erwähnt hübsch.
Der Abspann ist dann auch wieder erholsam cartoonesk.

Ewan McGregor hat mir gefallen. Er kann der ausgelutschten Rolle des Psychopathen noch eine eigene Farbe verleihen. Ich hab ihn gerne mal als richtigen „bad guy“ gesehen.

Die Verfolgungsjagd auf Rollschuhen: Harley verfolgt und stoppt den Wagen mit Sionis und Cassandra. Wie sie auf Rollschuhen am Wagen hängt, um den Wagen rum und auf ihn drauf turnt und kreiselt, das wäre eine große Szene gewesen, wenn wir nicht vorher schon traktiert worden wären mit so viel anderer austauschbarer Action (und wenn die Filmmacher diese Szene etwas länger und liebevoller gestaltet hätten und damit auch Fallhöhe kreiert hätten zum Rest eines nicht so überdrehten Films, Herrgottnocheins!).

Und damit ende ich mit der besten Szene von BIRDS OF PREY. Die ist ganz klein, ganz ruhig. Kaum eine Minute, verpassen Sie sie nicht: Harley erklärt Cassandra in zehn geplapperten Sätzen, wie sie zu dem wurde, was sie heute ist.
Die Kamera verweilt auf Robbies Gesicht, die rekurriert, wie sie erst von Nonnen malträtiert wurde, dann Psychologie studierte, nach Arkham geriet, dort sich in den Joker verliebte, in ein Fass mit Säure fiel, mit dem Joker ein Leben des Verbrechens einschlug, von ihm verlassen wurde, wieder mit ihm zusammen kam, wieder verlassen wurde …
Cassandra macht dazu bloß ein Gesicht.

Das ist Harley Quinn! Da braucht es keinen Vorschlaghammer und keinen Baseballschläger und keine Gewaltorgien im Lagerhaus mit zehn Toten. In dieser einen Szene ist BIRDS OF PREY lebendig geworden – und das macht die ganze Tragik von DC-Verfilmungen greifbar.

Es ist alles da. Weshalb flüchten sich diese Kreativen in einen inkonsistenten Genremix, der nicht funktionieren kann? Für WEN zum Teufel macht DC seine Filme?

Für Actionfans? Denen fehlen die Autos und Flugzeuge, die militärischen Missionen.
Für Komödienfans? Denen fehlt ein Plot jenseits von Körperwitzen und Gewaltslapstick.
Für Superheldenfans? Denen fehlt der Einsatz von Superkräften.
Für Frauen? Denen fehlt die Seele, die einem intelligenten Film innewohnt.
Für Jugendliche? Denen fehlt die Freigabe ab 12 Jahren. Und das ist auch gut so.

Jurnee Smolett-Bell als Black Canary trägt eine Zigarette. Margot Robbie als Harley Quinn trägt den Film mit dem Mut der Verzweiflung.

 

(Vielleicht glauben die Macher, auf der DEADPOOL-Masche aufsetzen zu können: ironisierte Gewalt, Voice-over-Kommentare, Meta-Spielchen mit der Erzählstruktur und Publikumsansprache. Doch wenn Frauen so auf die Kacke hauen, ist es was anderes als wenn es ein versehrter Söldner tut. Die Rezeptur kippt ins Zynische und schmeckt nicht mehr.)

So: BIRDS OF PREY.
Schlag ins Wasser. Griff ins Klo. Schuss in’n Ofen.

Ein Film, der mich mit leisem Kopfschmerz entlässt. Lästiger Soundteppich, krawallige Kamera und überbordende Effekte fordern ihren Tribut.
Schade, schade, schade.

Ich freue mich trotzdem auf WONDER WOMAN 1984, den nächsten DC-Film im Sommer.

Der offizielle englische Trailer gibt die Inhaltslosigkeit von BIRDS OF PREY übrigens perfekt wider. Schauen Sie das mal und versuchen zu erahnen, worum es geht.
„Harley Quinn, die rumflippt?“ – Korrekt!