Barbarella, Meisterwerk der Erotik?

Es muss an den Brüsten gelegen haben. BARBARELLA war der erste europäische Comic, der bloße Frauenbrüste zu Papier brachte: ein runder Kreis, ein Punkt darin, das ist kein halbes Mondgesicht, sondern ein vollwertiger Nippelbusen!

Skandal! Damals. Was einem heute völlig lächerlich vorkommt, erregte 1962 den Unmut der Behörden: Als der Science Fiction-Comic BARBARELLA 1964 in Frankreich als Album erscheint, wird der Band vorübergehend verboten.

Für eine Neuauflage 1966 muss Zeichner (und Autor) Jean-Claude Forest Retuschen vornehmen: Das Dekollete schließt sich wieder, eine schützende Hand hebt sich plötzlich vor den Busen oder Nippel lösen sich in Luft auf.

Ich zeige zum Vergleich die unzensierte Carlsen-Neufassung von 1991 (in vierfarbiger Kolorierung, das Original war monochrom) und eine retuschierte deutsche Ausgabe von ca. 1967 (nicht der Schünemann-Erstdruck, sondern eine Lizenz für  Bertelsmanns „Europäischen Buch- und Phonoklub“).

Spontanes Haarwachstum in der Zensurfassung (unten). Ich zeige das auch, weil die Kriegerfigur im Hintergrund deutlich den Einfluss auf den anderen Jean-Claude, nämlich Mézières, und seine Serie VALERIAN UND VERONIQUE, erschaffen fünf Jahre später, dokumentiert. Aber das nur am Rande.

Wie schaut’s denn künstlerisch so aus?

Ich bin zu jung, um das Artwork von Jean-Claude Forest kompetent bespötteln zu können, finde es jedoch wenig attraktiv und bestenfalls dienlich. Das Comicvolk der „Frankobelgier“ (in der Neunten Kunst veranlagen wir Frankreich und Belgien künstlerisch zusammen) war gesegnet mit Künstlern im Bereich Funny und Semifunny.
Forest will für sein Sujet offensichtlich in Richtung Realismus gehen, verharrt jedoch in einer hölzernen Illustrationsweise, die nur selten memorable Bilder kreiert.

Diese Sequenz um den halbzerfressenen Mann, der sich nun von den „Lufthaien“ noch ganz aufessen lässt, ist für mich die spannendste im gesamten Comic. Die Kameraführung ist gelungen, auch wenn am Ende nicht klar ist, wohin der Mann verschwunden ist; man (oder zumindest Jean-Claude Forest) scheute damals wohl die Darstellung einer Leiche.

 

Randbemerkung:
Eigentlich wollte ich eine großangelegte Studie zu Erotikcomics unternehmen, die ich „Episodische Erotik“ nennen wollte, angefangen bei BARBARELLA. Meinem Ansatz nach hätte „Episodische Erotik“ fortgesetzte Serien mit einer namentlich in den Mittelpunkt gestellten weiblichen Hauptfigur untersucht.
(Ich weiß, dass das schwammig ist, aber ich versuche eine Linie einzuziehen und aufzuzeigen.)
In Frage kommen hier Comics wie EPOXY, SCARLETT DREAM und JODELLE bis hin zu den Werken von Georges Pichard (namentlich PAULETTE).
Zugleich wollte ich auch die US-amerikanische Linie in den Blick nehmen, die zeitgleich wie BARBARELLA mit LITTLE ANNIE FANNY (1962-1988, in „Playboy“) beginnt und Weiterführungen und Variationen erfährt in PHOEBE ZEIT-GEIST, PUSSYCAT und OH, WICKED WANDA.
Ich nahm Abstand von dieser Megastudie, weil mir klar wurde, dass 1. elend viel Stoff zu sichten sein würde (und keiner, der besonders Spaß macht, das Meiste ist ziemlicher Schrott) und 2. EIN Stellvertreterwerk die Mechanismen des Sexismus genauso gut offenlegt.

Darum BARBARELLA, zugleich die Initialzündung für den europäischen Erotikcomic.

BARBARELLA  erscheint 1962 im französischen „V Magazine“; die Figur erlebt Fortsetzungen unregelmäßig bis 1982. Ich beschränke mich hier des Weiteren lediglich auf das erste überlange Album (68 Seiten) von BARBARELLA.
Den zweiten Lauf („Die neuen Abenteuer von Barbarella“, Album von 1969) habe ich zwar noch gelesen, finde ihn allerdings deutlich schwächer als den Auftakt und in keinster Weise mehr interessant.

Was ist das Beste an BARBARELLA?

Das ikonische Panel aus BARBARELLA ist natürlich das postkoitale Erwachen mit dem  Roboter Viktor:

Dieses eine Bild ist nicht nur originell und frech und anzüglich, es ist auch hochkomisch. Zunächst darf man sich wundern, wie solch ein Mensch-Maschine-Akt vonstattengehen soll, darüber hinaus ist es ein sarkastischer Kommentar auf die human-männliche Sexualperformance an sich.

Dieses eine Panel ist zugleich das beste Panel aus BARBARELLA. Was schade ist, denn hier werden Erwartungen geweckt, die Schöpfer Forest nirgendwo sonst einlösen kann.

Das an sich schon brav-illustrative Artwork wird von keinem pfiffigen Plot überboten. Wobei Band 1 mit seiner sprunghaften Dramaturgie zwar unschön collagiert wirkt, aber immerhin meist unterhaltsame Aktion präsentiert.

Barbarella, eine junge (schöne, schlanke, blonde, wohlgeformte, weiße) Frau, flüchtet vor einer gescheiterten Liebesaffäre mit einem Erdenmann auf den Planeten Lythion, wo sie bruchlandet.
Im Folgenden erlebt sie episodenhafte Abenteuer, in denen es (recht redundant) um das Neuarrangement von Machtstrukturen geht:
Die Aboniden erwehren sich der Orhomren, die aber eigentlich (moderne Öko-Parabel!) Recht auf Teilhabe geltend machen können; eine mysteriöse Gorgone terrorisiert die Meere; ein wilder Jäger unterdrückt die Olopiaden; die teuflischen Zwillingsschwestern Glossina und Stomoxis entführen und foltern für ihr aristokratisches Leben gern; die pirateske und einäugige Schurkin Schlup hält ihre Bevölkerung in einem tödlichen Labyrinth gefangen.

Barbarella gerät mit schöner Regelmäßigkeit zwischen die Fronten – oder mischt sich aktiv ein! Das muss man der Figur lassen: Sie ist als Botschafterin des Friedens unterwegs, manchmal mit der Laserpistole, manchmal mit den „Waffen einer Frau“.

Die Frau als Heldin

Schönster Beleg: Die Szene mit Schlup, als Barbarella zur Auskundschaftung in die Stadt Sogo unterwegs ist. (Bitte vergrößern Sie sich mit einem Klick das erste Panel.)

Das sagt Barbarella zwar, doch umsetzen tut sie es auch ansonsten mitnichten.
Sie schläft recht spontan mit den Personen, die gerade zur Hand sind – und das sind meist die unteren Ränge (den Roboter mal mitgezählt).
Ich verteile durch diesen Post sämtliche erotischen Szenen aus dem Ursprungs- BARBARELLA, ich zähle solcher 13 Stück. Natürlich versehen mit meinen ironischen Kommentaren.

Steigen wir mal ein mit der Szene nach dem Sturz in den überdimensionalen Rosenbusch (s.o.): Dianthus zieht Barbarella dort hinaus – die möchte sich spontan erkenntlich zeigen. Doch wer im Glashaus knutscht, sollte auf Steinwürfe achten.

Dieses Rendezvous wird rüde unterbrochen; Barbarella begibt sich daraufhin zu den Orhomren und deren Anführer Ahan, um über einen Friedensschluss zu verhandeln. Bei einem Angriff der Orhomren verliert Barbarella erneut ihre Oberbekleidung, erneut fliegen Steine!
Ich bin mir im Unklaren, ob Jean-Claude Forest hier auf die Praxis der Steinigung (gerade gegenüber freidenkenden Frauen) anspielt.

Jedenfalls „beamt“ Ahan die Frau in seine Höhle. Fast reflexartig erledigt Barbarella ihr Beischlafbedürfnis.

Der Text spricht jedoch elegant von „der Neugier auf die Zärtlichkeiten eines Orhomren“.
Gebumst hamse! Bumsen! Aber nur in Ihrer und in meiner Fantasie.
Das letzte Bild zeigt uns den „Nachher“-Zustand. Da ist nichts passiert, außer in Ihrer und in meiner Fantasie.

Comictheoretiker bringen hier die Induktion ins Spiel, das subjektive Verfassen von Schlussfolgerungen. Was ist zwischen Bild 1 und Bild 2 geschehen?
Scott McCloud widmet ein Kapitel aus seinem Standardwerk „Comics richtig lesen“ von 1993 diesem Phänomen, was essenziell für die Kunst der Comics ist!

Nochmal: Was ist zwischen Bild 1 und Bild 2 geschehen?

Was geht vor sich in diesem schmalen weißen Streifen zwischen den Panels?
Auf Englisch redet man vom „gutter“, was „Rinnstein“ bedeutet (und auch so bei McCloud verwendet wird). Ich finde diesen Begriff hässlich und rede lieber vom Panelzwischenraum.

Genau dieser Panelzwischenraum ist, was den Comic vom Einbildcartoon und vom Film unterscheidet. Deshalb heißen Comics (nach dem zweiten großen Theoretiker, Will Eisner) auch „sequential art“.
Diese beiden Bilder gestalten eine Sequenz, einen Ablauf, den zu erschließen (induzieren) UNSERE Aufgabe bei der Lektüre ist.
(Und meiner Lebenserfahrung nach hamse gebumst!)
Natürlich versorgt uns der Text mit Anhaltspunkten, die diese These befeuern: Alkohol, Zärtlichkeiten, Leidenschaft.

Also rein in den Rinnstein, in die Gosse, tauchen wir ein in den Schmutz und Schund der neunten Kunst, heheheh. Wie steht es denn mit Ihren Induktionen in der nächsten Sequenz?
Barbarella ist zurück zu Dianthus und seiner Schwester Knautia. Ein feindlich gesinnter Soldat will sie am Betreten ihres Raumschiffs hindern. Barbarella und Knautia überwältigen den Mann …. aber womit eigentlich?

Offenbar wiederum mit … Zärtlichkeiten.
Ich gestehe jedoch, hier auf Glatteis in der Gosse zu stoßen. Ich induziere, was das Zeug hält, es bleibt mir schleierhaft, wie die beiden Frauen den Mann in jenen bedauernswerten Zustand in Bild 5 versetzen.
Obwohl: bedauernswert? Wer weiß das schon? Er schlummert womöglich nur friedlich, mit Rosen bedacht, gib auf dich acht, schlupf unter die Deck, die Bumser sind weg.

Mit meiner Lebenserfahrung komme ich hier nicht weiter. Es ist ja Science Fiction, vielleicht liegt da die Lösung. :- )

Auslegungssensibel ist auch die nächste Szene: Barbarella und Dianthus zerstören die Schallwaffen-Orgel der herrschenden Aboniden, somit kann Frieden hergestellt werden. Was geht Barbarella durch den Kopf?
Sie möchte den Sieg in jemandes Armen feiern, bemerkt jedoch, dass die beiden ihr bekannten Männer schon vergeben sind. Zum Glück landet gerade ein Handelsschiff:

Wir dürfen annehmen, dass die Begegnung mit dem Kommandanten, der übrigens später als „Captain Dildano“ (sic!) vorgestellt wird, eine sexuelle sein wird. Das bleibt wieder unserer Fantasie überlassen, denn die Folgeseite zeigt einen Zeitsprung, wir befinden uns in der zweiten Episode von Barbarellas Abenteuern.

Angemerkt sei noch, dass die eben geäußerte Absicht, Sex haben zu wollen, weil ein gefährliches Unternehmen glücklich überstanden wurde, mir noch die plausibelste im ganzen Comic zu sein scheint. (Es wird wirrer, es wird irrer.)

Klare Sache ist die nächste Szene: Barbarella ist auf ihrer nächsten Reise ins Reich der Medusen festgesetzt worden und wird für die schädliche Atmosphäre immunisiert. Zeit für einen willkommenen Striptease!

Ihr Ausspruch „Nicht das erste Mal, dass mich ein Außerirdischer nackt sähe“, zwinker, signalisiert sexuelle Bereitschaft. Im Folgenden genießt Barbarella nicht nur die Dusche, sondern auch das Beobachtetwerden durch fremde Augen. Der kleine Alien ist sichtlich beeindruckt von ihren körperlichen Attributen.
(Diese Figur spannt stellvertretend für uns mit.)

Die folgende Begegnung mit der Medusenkönigin hat lesbische Untertöne, es kommt jedoch zu keinen Handlungen. Barbarella und ihr Begleiter, ebenjener Captain Dildano, fliehen durch unwirtliches Territorium und gelangen ins Gebiet der Olopiaden. Die erweisen sich als friedlich, bewahren Barbarella und den Captain vor einem Flugsaurier. Dann fällt ein irritierender Satz aus dem Nichts (in der Sprechblase ganz rechts):

Wie bitte?! Mein Körper für ein Erfrischungsgetränk?
Ein Angebot, das nicht ernst gemeint sein kann! Meine Vermutung: Autor Forest wollte nach über zehn Seiten sexfreier „Durststrecke“ (haha!) sich und uns daran erinnern, dass seine Hauptfigur libertinös ist. Libidinös? Likörsüchtig? Liebedienerisch? Liebestoll, um liebestrunken zu werden? Mit der Lizenz, Liquide aufzunehmen?
Anyway: Barbarella hat Bock.

Auf der nächsten Seite trinkt sie in großen Schlucken aus einem Trinkbeutel, mit lautem „AAAH!“ und sich dabei das Dekolleté beschlabbernd – macht aber ihr Versprechen von vorhin nicht wahr! O, weibliche Wankelmut!

Die Frau als Ding

Es dauert volle elf Seiten bis zur nächsten Schlüpfrigkeit. Nach einem Intermezzo mit dem wilden Jäger, den sie verhaften will, und dem Tod Dildanos (von einem Untier zertrampelt, das auch den Jäger zur Strecke bringt) gelangt Barbarella in die Region Antan und trifft auf die bösen Zwillingsprinzessinnen. Die werfen sie aus einem Luftschiff, woraufhin sie erneut mit einem stattlichen Mann in einer Höhle landet.
Wie schon mit Dianthus im Glashaus (s.o.) will sich Barbarella „erkenntlich“ zeigen (kommt das eigentlich vom sogenannten „biblischen Erkennen“?) – doch diesmal platzt ein Tier störend auf die Szene.

Die Echse losgelassen haben die bösen Schwestern Glossina und Stomoxis, die sogleich auftauchen und Barbarella in eine Art S&M-Keller verschleppen, wo sie angekettet und von Blechspielzeug gefressen werden soll.
Dochdoch, ich erzähle Ihnen kein Blech, so ist es – doch Prinz Topal, der Herr von vorhin, erscheint und befreit die Schöne von dem Blechbiest.

Nun ist die Rede erstaunlicherweise nicht von „Erkenntlichkeiten“ für diese Rettung. Forest hat nämlich nur noch sechs Bilder, um diese Episode abzuschließen. Er verwendet sie für ein nochmaliges Auftreten der bösen Zwillinge, worauf Barbarella schlicht die Flucht ergreift!
Schräges Handlungsmuster, aber verständliche Reaktion der Hauptfigur.

Nun gelangen wir nach Sogo und zu den oben erwähnten Lufthaien. Barbarella macht Bekanntschaft mit dem alten Duran (ja, der Namensgeber der britischen Popgruppe Duran Duran) und dem blinden Engel Pygar, der wohl markantesten Figur aus der Verfilmung von 1968 (immerhin dargestellt von John Phillip Law).

Mit dem hat Barbarella ein erotisches Stelldichein. Aber auch das lässt sich NUR aus dem Textkästchen „Später…“ schließen. Schauen Sie mal:

Sie reden, sie küssen sich, dann stehen sie da in der Landschaft. Muss nix passiert sein!
Allein das „Später…“ insinuiert, dass der Kuss Folgen hatte. Auch das ist dermaßen harmlos, dass man in diese Szene Erotik hineinlesen muss.

Kurz darauf serviert uns Forest eine neue Spielart der Erotik: Sex und Gewalt!

Hatten wir oben schon gesehen. Aber „Girls with guns!“ sind in den USA garantiert ein Fetisch.

 

Zur Ablenkung dreier Gegner hat Barbarella erst gestrippt und dann geschossen.
(„Strip first, ask questions later“, wie die Amerikaner sagen. Tschuldigung.)
Seltsam kaltblütige Szene, die nicht zum Rest des Albums passt. Barbarella als Söldnerin? Die Figur ist so nicht angelegt, mich beschleicht der Verdacht, dass Forest diese Inszenierung wählt, um eben eine weitere Farbe zu zeigen.
Es sieht einfach cool aus.

Die erwähnte Ladehemmung hat allerdings keine fatalen Folgen: Der riesenhafte Pygar schreitet ein und zerdrückt den letzten Angreifer. Im Anschluss macht sich Barbarella in die Stadt Sogo auf und begegnet der wilden Schlup:

Die hat womöglich zwei Angreifer ausgeschaltet und macht Barbarella nun lesbische Avancen. Auch hier mein Verdacht: Das wirft Forest einfach so in den Ring, um mal wieder „Erotikalarm“ zu schüren. Auch diese Szene wird abgebrochen und führt zu nichts.

Schlup berichtet, dass Sogo von einer Königin statt eines Königs regiert wird – worauf Barbarella frustriert reagiert: „Nun, da es keinen König zu verführen gibt, was mache ich jetzt?“ (das hatten wir zu Beginn dieses Posts schon erwähnt).

Die nächsten sechs Seiten stromert Barbarella durch Sogo, gerät ins Lebensgefahr, als sie von einem Vogelschwarm angegriffen wird (Hitchcocks „Die Vögel“ lassen grüßen; der Film ist von 1963, beruft sich aber gewiss nicht auf Barbarella, eher könnte es sein, dass Forest eine Verbeugung an Hitchcock einbaut, denn wir sind auf den letzten Seiten des Comics, die im selben Jahr wie der Film gezeichnet wurden.)

Nebenher bringt Barbarella in Erfahrung, dass Schlup die grausame Königin von Sogo ist. Sie entkommt einem Mordanschlag auf einem Raumgleiter, gesteuert von Viktor. Noch auf der Flucht erkundigt sich die Schöne bei ihrem Roboter-Retter:
Sagt, Viktor … habt ihr noch andere Qualitäten?
Die Antwort, mein Freund, verwirbelt im Fahrtwind. Doch die nächste Szene spricht für sich, da sind wir wieder:

Die im Bett aufsitzende Barbarella erinnert mich sehr an eine Barbie-Puppe!
Ich habe keinen Beleg dafür gefunden, kann mir jedoch gut vorstellen, dass das 1959 vorgestellte Spielzeug Patin für den Namen „Barbie-rella“ gestanden hat.

Wir nähern uns nun zügig der letzten und wahrscheinlich absonderlichsten und krassesten Bildfolge im BARBARELLA-Universum.
Barbarella nimmt Abschied von Viktor, wird in der Stadt überfallen und betäubt.
Man bringt sie zu einem „Schlüsselmeister“, der die junge Frau (angeblich zu ihrer Rettung) in eine Maschine einspannt.

Was diese Maschine bewirkt? Das verraten uns die nächsten drei Panels:

Wir wissen nicht, was der freundliche Schlüsselmeister empfiehlt. Die Maschine jedenfalls hat Barbarella wiederbelebt (offenbar mit der gesunden Kraft des Sexus), könnte sie jedoch auch einem Lust-Overkill aussetzen.
Ist klar geworden, was die Maschine macht? Bild 3 symbolisiert uns das mit phallusartigen Türmen und Barbarellas Lustschreien.

(Ich weiß nicht, wie ich es taktvoll ausdrücken soll. Es gibt einen Markt für … Apparaturen, die mit … beweglichen mechanischen Teilen einer Frau … Lust bereiten sollen. Meingott, es sind Bumsmaschinen!)

Gibt es wirklich. Jetzt stelle ich mir tatsächlich die Frage, ob BARBARELLA die Inspiration und Initialzündung für diese Heimwerkerindustrie gewesen ist.

Dazu forscht mal wieder niemand!

Ist der Schlüsselmeister das Sinnbild für eine pervertierte Priesterschaft?
Oder für lustferne Wissenschaftler, die dennoch Kontrolle über Frauen ausüben möchten?
Ist es die Fantasie impotenter Männer, die solcherart ihre Erektion outsourcen?
(Wie faul kann man(n) sein?)
Haben wir es schlicht mit sadistischer Folter zu tun?

Ich jedenfalls finde diese Szene verstörend – und selbst die Hauptfigur läuft schamrot an!

Barbarella entkommt der misslichen Lage, indem sie ihren Peiniger bequatscht, sie freizulassen. Wenn der Schlüsselmeister sie in die Gemächer von Schlup schleusen kann, wagt Barbarella ein Attentat auf die verhasste Tyrannin von Sogo.
So kommt es, doch Schlup unterwirft sich der schönen Barbarella. Gemeinsam fliehen sie aus Sogo, denn Schlups Untertanen rebellieren und fluten die Stadt mit einer giftigen Überschwemmung.

Schlussbild: Der blinde Engel Pygar trägt Barbarella und die entmachtete Herrscherin Schlup in Sicherheit.

In der herrlich frechen BARBARALICE-Parodie von Gotlib hat Barbarella beim Flug durch die Lüfte sogar einen Sitzplatz. Worauf, überlasse ich wiederum Ihrer erotischen Fantasie!
(Und Pygar fuchtelt beim Flug mit einem Blindenstock durch die Luft. Das ist heute kein korrekter Humor mehr, aber so war Gotlib.)

Ein Blick zum Scoreboard:

Der Skandalcomic BARBARELLA zeigt uns nur zwei (!) belegbare Kopulationen (Ahan, Viktor), drei weitere mutmaßliche (Soldat, Dildano, Pygar), die Sache mit der Maschine, dazu eine Handvoll Auftritte im Evaskostüm, wie man so schön sagt.

Die meiste Sexualaktion geschieht auf den ersten zehn Seiten, dramaturgisch richtig gemacht: Mit voller Power aus der Box, das macht bleibenden Eindruck.

BARBARELLA lebt mehr von dem Ruf, ein erotischer Comic zu sein, als dass er wirklich mit Sex um die Ecke käme. Immer wieder setzt Jean-Claude Forest „erotische Marker“, um den Eindruck einer verrufenen Geschichte zu erwecken.
1962 konnte der Künstler auch nicht anders. Wir befinden uns gute sechs Jahre vor dem sexuell explizit ausgerichteten US-Underground, drei Jahre vor FRITZ THE CAT, in der Erotik noch mit anthropomorphen Tieren verklausuliert wird.

Der „Skandal“ in Frankreich erscheint mir inszeniert und hat mit dem Comic nur sekundär zu tun. BARBARELLA ist mehr als Symptom des Ausbruchs aus der repressiven Vor-Achtundsechziger-Gesellschaft zu bewerten.

Intellektuelle Köpfe Deutschlands lobten die Abenteuer von Barbarella bei ihrem Erscheinen als „Pioniertat“, „ein Traum von der sexuellen Freiheit“,  „Stilsalat aus Astronautik, Strip-tease, Jugendstil und Trivial-Surrealismus“, sogar als „Persiflage auf die Reizwirkung sexueller Waren-Fetische“.

Die „Münchner Abendzeitung“ urteilte:
Der französische Comic strip für Erwachsene, bekannt und geschätzt von Intellektuellen jeder Couleur, ist im Zeitalter des Pop, Op und Happening-Life die geeignete Form des After-dinner-Vergnügens.“
Womit Autor Wolfgang Christlieb in keinster Weise auf den Comic eingeht, sondern auf dessen bloßes Renommee.

Diesen Comic muss man nicht mehr gelesen haben; es reicht, darüber zu reden.
Mir rätselhaft, woran die „Süddeutsche Zeitung“ seinerzeit festmacht:
„Mit Barbarella ist das Genre der Comicstrips intellektualisiert und um eine neue wesentliche Variante bereichert worden.“
Variante ja, intellektualisiert nicht die Bohne.

Mir scheint, dass der Film „Barbarella“ (von 1968) sehr schnell den Comic überlagert hat. Jane Fonda erwies sich als Besetzungs-Coup, der seither Forests Strichfigur überstrahlt (und eigentlich vergessen macht).

Wer mag, ruft den Original-Trailer hier auf:

Ich habe den Film nur einmal gesehen (und er kam mir erbärmlich, kläglich und läppisch vor), dennoch wäre es interessant, Comic und Film auf sexistische bzw. emanzipatorische Unterschiede abzuklopfen.

Kann man zum Beispiel sagen, dass die Figur der Barbarella in der Filmversion mächtiger als im Comic ist? Denn gefangen in der Maschine sprengt sie dieselbe!
Oder erleben wir bloß ein Breiter-Treten desselben Quarks?

Die Frau als Heldin(g)

Ich erinnere aus meiner Jugend in den 1970er-Jahren, dass Frauen gerne und oft mit dem  Adjektiv „nymphoman“ belegt wurden.

Der Begriff nymphoman ist mir seit 30 Jahren nicht mehr über den Weg gelaufen. Ich rede jetzt nicht von Pornosubkulturen (da mag er noch kursieren), sondern von Alltagskommunikation. Die „nymphomane Frau“ war der Stempel, mit dem Machos und Chauvis ihre Übergriffe legitimierten: Diese Weiber wollen es doch auch, brauchen es womöglich dringend und zwar jetzt.

Eine grässliche Projektion, die sich auch in der MeToo-Debatte manifestiert. Männer glaubten noch vor 40 Jahren, sie hätten ein Anrecht auf sexuelle Gewalt (s. auch „Vergewaltigung in der Ehe“, erst seit 1997 strafbar).

Die vermeintliche Nymphomanie scheint mir seit etlichen Jahren durch die – eher männlich konnotierte! – „Sexsucht“ abgelöst worden zu sein. Hier hat sich der Spieß offenbar umgedreht.
Doch zurück zu BARBARELLA und willkommen in der widerlichen Hochphase der Zwangsverfügung weiblicher Lust: Barbarella ist dieser Männertraum von der zierlichen (Kind-)Frau, die die Kerle in die Laken zerrt!

Es wäre zu fragen, wo dieser Typus entspringt und wie er fortgeschrieben wird.
Im Pornofilm sicherlich, im Pornocomic desgleichen. Grafisch schick gestaltet, begegnen uns diese Frauenfiguren bis an den Mainstream heran (teils bis in ihn hinein), zum Beispiel in den Comics von Erich von Götha und Milo Manara.

Eine ganz eigene Abteilung ist der japanische Markt mit seinen Etchi- und Hentai-Angeboten. Da Charaktere in Anime und Mangas prinzipiell juvenil gezeichnet werden, ist das im westlichen Verständnis ungleich problematischer.
In meinen Augen allerdings nicht direkt vergleichbar.

Noch eine biografische Fußnote zu Jean-Claude Forest: Schon Mitte der Sechzigerjahre war es der Autor und Zeichner leid, als „Edelerotomane“ mit dem BARBARELLA-Image zu gelten. Zwei Jahre lang war der Franzose sogar arbeitslos, weil alle dachten, er sei auf Sexcomics abonniert.
Er wurde (laut Wikipedia) Texter für Max Cabanes, Jacques Tardi und Paul Gillon (DIE SCHIFFBRÜCHIGEN DER ZEIT).

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Nachbetrachtung 1: Mehr Barbarella

Schon der Umschlag der deutschen Heyne-Ausgabe von 1971 wirbt weniger mit dem Comic als mit aufdringlicher Bondage-Erotik, ausgestelltem Pop-Art-Look und dem marktschreierischem Hinweis auf den „Klassiker“-Status der Figur.
Hätte es den Begriff „Kult“ schon gegeben, er wäre noch mit aufs Titelblatt gerückt!

Ich habe keine Moral, aber Prinzipien“, lautet Barbarellas Leitmotiv für den zweiten Band, DIE NEUEN ABENTEUER DER BARBARELLA. In Konfrontation mit dem schurkischen Amphibienmenschen Nerval geht die Heroine mit diesem zwar ins Bett, doch durchkreuzt sie dessen Pläne zur Eroberung des Planeten Spectra, auf dem sich die gesamte Handlung abspielt.

Die BARBARELLA-Lektüre macht hier endgültig keinen Spaß: Es ist eine trockene, mühselige Angelegenheit, die mitunter in unfreiwillig dadaistische Passagen eruptiert.

Originaldialog aus dem zweiten Band: „Jedes Mal, wenn die Alten zu schreien anfangen, regnet es.“ – „Das Wetter spielt völlig verrückt. Wie viel Uhr ist es?“ –
Weiß nicht, der Minutenfresser hat alle Uhren aufgeweicht.“
Dass man in der Science Fiction alles darf, wird hier leider zum Freibrief für wirren, inkonsistenten Unfug. Ist es denn wenigstens „sexy“? Achwo!

Das Muster aus dem ersten Album wiederholt sich: Es gibt Dusch- und Badeszenen, mehrere Entkleidungen, eine lesbische Begegnung sowie die bekannten, spontanen Beischlafaktionen in braver Grafik (habe drei gezählt). In der Milchstraße nichts Neues.

Aufgefallen ist mir allerdings diese Stelle, die vom Bild her sexuelle Gewalt impliziert, welche dann jedoch nicht stattfindet.
Stellvertretend zeige ich diese eine Seite, auf der Bild 1 als drohende Vergewaltigung gelesen werden könnte.
Sachverhalt ist aber der, dass Barbarella aus einem sie erstickenden Riesenblatt herausgeschnitten wird. Die folgenden Bilder erklären die Lage; zugleich ist dies auch die Seite mit den eben erwähnten dadaistischen Anflügen.

In dieser ersten Bildreihe bekomme ich Bild und Bedeutung nicht überein. Als ob etwas Anderes dort hätte stehen oder geschehen sollen. Als ob Forest uns bewusst irritieren wollte. Wieder einer seiner „erotischen Marker“?!
Unangenehm ist das. Es demontiert die Figur Barbarella und macht sie zum Objekt nicht (nur) innerhalb der Geschichte, sondern auf der interpretativen Ebene.

Ist klar geworden, dass ich BARBARELLA weder schätze noch mag?
Forest unternimmt in meinen Augen die Fortschreibung/ Zementierung des Bildes von der nymphomanen Frau. „In space!“
(Wofür in den Sechzigerjahren wahrscheinlich kein Bewusstsein vorhanden war.)

Ich habe keine Moral, aber Prinzipien?“
Der US-Underground hätte formuliert: Erst kommt das Ficken, dann die Moral.

Gültig ist jedoch der inhaltliche Surrealismus. DIE NEUEN ABENTEUER DER BARBARELLA präsentieren uns einen Weltraumzirkus, einen Teleporter („Trick-Track-Transfer“), eine erstarrte Eiswelt, sprechende Schädel, eine Liebes-Androidin, Yellow-Kid-Doppelgänger, Wesen mit umwolkten Köpfen sowie bewohnbare Hühner!

Das ist erfrischend und auch innovativ – es ist leider ebenso sperrig erzählt wie bieder illustriert. Die zu Recht populäre „Nachfolgeserie“ VALERIAN UND VERONIQUE macht das in allen Belangen besser.

Wollen wir den Comic BARBARELLA „als Meilenstein“ betrachten, so scheint mir der gesellschaftspolitische Aspekt weitaus relevanter als der erotische.
Forests Werk ist ein Spiegel des Umbruchs, des fantasievollen Aufbegehrens der jungen Generation Frankreichs.
In diesem Zusammenhang zeigenswert finde ich Seite 42 des zweiten Bandes: Hier findet  sich die augenscheinliche Parodie auf einen Straßenkampf, wie er spätestens seit dem Mai 1968 in Paris vorgefallen ist:

Wir begegnen den „Bornen“, der „Plage“ der Stadt Sabure. Die gesichtslose Kriegertruppe mit den Schlagstöcken in Rosenform (eine kuriose Verdrehung des Symbols der Gewaltlosigkeit) wird nicht nur als eitel (sie verharren vor dem Spiegel) und gewalttätig (grinsend stürzen sie sich auf Wehrlose) verspottet, sie wird auch aktiv bekämpft. Die Holzwürfel sind natürlich Pflastersteine – und Barbarella positioniert sich politisch, indem sie sich zwei Bilder lang als Straßenkämpferin betätigt.
(Im folgenden Panel auf der nächsten Seite flüchtet sie in ein Haus, Ende der Szene.)

In dieser Sequenz hat der Comic BARBARELLA seine erotische Agenda hintangestellt und solidarisiert sich mit dem jungen Frankreich. Und das ist bedeutsamer als aller Erotizismus.

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Nachbetrachtung 2: Imitationen

 

 

BARBARELLA-Nachahmungen sind mehrere auf den Plan getreten.

Die drollige Nachsilbe „-ella“ inspirierte einen spanischen Horrorfunny (DRACURELLA), italienische Erotikschwestern wie CASINELLA, MAGHELLA, SORCHELLA und URANELLA – nicht zuletzt die außerirdische Blutsaugerin VAMPIRELLA.

Natürlich ging es auch ohne den Namen: Die unermüdlichen Italiener montierten sich unter Titeln wie RACCONTI STELLARI einfach was zusammen, was nach BARBARELLA aussah.

 

Anmerkung:

BARBARELLA ist Teil 6 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics. Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic.

Teil 5 war FLIRTS.

Tillmann liest:  FLIRTS

 

Und für die Freunde des gehobenen Trashs ganz zum Schluss das Video von Duran Duran zu ihrem Song „Electric Barbarella“!
Hiermit dokumentiert die Band den Einfluss des Comics (oder des Films) – und leider auch eine erschreckende Frauenfeindlichkeit.
Ellen von Unwerth inszenierte diesen Clip 1997 (!) und beweist, dass der Sexismus neue Ausdrucksmöglichkeiten im Musikvideo gefunden hat.
(Übel. Dabei hatte ich den käsigen Song ganz liebgewonnen.)