JOKER kommt ins Kino

Ich bin kein Superhelden-Nerd, der sich über Unstimmigkeiten in irgendwelchen Universen ereifert – aber diesmal bin ich’s mal. Soweit treibt mich dieser Film.

Down and out in Gotham City: Arthur Fleck.

In JOKER heißt der Joker Arthur Fleck und entwickelt sich über eine Laufzeit von zwei Stunden zum  Superschurken. „Joker Begins“ könnte dieser Film auch heißen, denn er schildert uns die ‚origin story‘:
Wie wird aus einem psychisch labilen (und bereits nicht mehr jungen) Mann ein Bösewicht?

Batman
kommt am Rande auch vor, nämlich als junger Bruce Wayne, der später seine Eltern sterben sehen wird.
So viel darf ich spoilern, es tut nämlich nix zur Sache, aber wieso muss man diesen Mord schon wieder zeigen (das geht jedem mit der Materie vertrauten Menschen wirklich auf den Zeiger) und wieso vor allem ist der Joker so viel älter als Batman?!

Da liegen an die 30 Jahre zwischen. Der Joker könnte Batmans Vater sein?
So habe ich diese Figur nie wahrgenommen. Irgendwie befremdlich.

Aber das ist mein persönlicher Pipifax (und ich hänge noch einen dran): JOKER spielt im Jahr 1981. Das ist eine rein willkürliche Wahl.
Die Figur aus den Comics entsteht 1940 und hätte somit Gelegenheit, in irgendeinem Jahr (aus ca. 70 wählbaren) aufzutauchen.

Gerade diese Zeitenwende der ‚Reaganomics‘ und dem Aufkommen der ‚Neocons‘ ist die Folie für eine Erzählung um den Zerfall der Gesellschaft, deren prominentestes (fiktives) Opfer Arthur Fleck alias der Joker sein wird.

Der lebt in ärmlichen Verhältnissen mit seiner Mutter, um die er sich kümmert (wird aber nie gesagt, was die Frau eigentlich hat). Gelähmt ist sie nicht, sie scheint sich bloß selbst gewählt zu isolieren.

Der labile Sohn mit der labilen Mutter. JOKER ist in gewisser Weise auch ein Prequel zu PSYCHO …

Ihr Sohn, der zukünftige Joker, ist auf Medikamente (gegen ebenfalls nicht näher erklärte Angststörungen) angewiesen und von Sozialleistungen abhängig.
Seine Gespräche mit einer afroamerikanischen Sozialbetreuerin offenbaren ihn als Mensch ohne Kräfte und Selbstbewusstsein.
Dieser Arthur Fleck wird herumgeschubst, nicht wahrgenommen und ringt mit inneren Dämonen.

Lachen oder Weinen?

Joaquin Phoenix hat sich für den Film ein Tourette-artiges ‚Lachweinen‘ draufgeschafft, eine gruselige Mischung aus Weinen und Lachen, das in Erstickungsanfälle übergeht. Das begleitet ihn schon seit Jahren und ist eine anerkannte Behinderung (er trägt eine Karte mit sich, auf der seine ‚condition‘ als nervöser Tic beschrieben ist) – eine Lizenz zum Lachen, sozusagen.
Kann er gut brauchen, denn er arbeitet als Clown im Bereich Walk Act: erst als Werber auf der Straße, später sehen wir ihn noch als Krankenhausclown auf der Kinderkrebsstation.

Arthur hat einen seiner Lach-Wein-Krämpfe, und das im Bus. Awkward!

 

(Hier übrigens ereignet sich die beste, weil überraschendste Szene von JOKER:
Aus dem Hosenbein rutscht ihm die Pistole, die er vor kurzem von einem Kollegen zugesteckt bekommen hat. Und mir fällt in der Rückbetrachtung auf, dass ich es genau so meine. Die beste, weil überraschendste Szene eines Films, der ansonsten eher spannungsarm und wenig originell daherkommt.)

Da nutzt es auch nichts, dass unter großen Strecken des Films ein Soundtrack von ominösem Streichergebrumm liegt, mitunter verstärkt durch dramatischen Trommeleinsatz. Jaja, Spannung baut sich auf, es brodelt im Charakter … nervt!

JOKER soll ein Psychogramm eines Psychopathen sein, ich weiß, aber hat Sie irgendwas überrascht an dem Film?! Sagen Sie mir, sobald Sie ihn gesehen haben, wenn Sie noch wollen. Ich mag Filme mit Überraschungen.

JOKER scheint mir mehr aus der Holzhammerschule für Dramaturgie zu stammen. Psychologie mit der Brechstange: Armut, Erfolglosigkeit, Labilität, Erfahrung von Gewalt und Unrecht, dann entblättert sich noch ein Trauma aus der Kindheit – da wirste doch bekloppt!

Wenn das Leben dir Zitronen schenkt, steck den Finger in den Mund.

 

Kollege Bender meint, JOKER sei zwar ein „Feelbad-Movie ohne jedes ‚comic relief‘“, aber man müsse „Hangover“-Regisseur Todd Philipps seine Vision schon zugestehen.
Das wäre dann aber ein langatmiger Film aus dem Jahr 1981, der ausschließlich ein Vehikel für seinen Hauptdarsteller ist.

Joaquin Phoenix macht das großartig, die Kamera ruht jedoch gerne mal, öfter mal, eigentlich andauernd, halbe Minuten lang selbstverliebt auf dessen Gesicht.

An Nebendarstellern (selten war der Begriff treffender) wären Frances Conroy (die Mutter), Zazie Beetz (die Nachbarin) sowie Robert De Niro (der Latenight-Showmaster) zu nennen.

Interessant ist der inszenatorische Ansatz, der JOKER tatsächlich wie einen Film aus dem Jahr 1981 wirken lässt. Das reicht vom Filmproduktionslogo, das original alt ist, über den Verzicht auf jede Computertricktechnik bis hin zum Einsatz bewusst dokumentarisch wirkender Handkamera. Wolle mal Trailer schauen zwischendurch?

Der Joker raucht auch, wie wir das damals alle getan haben. Der Joker tanzt auch, ein eigenartiges Tai-Chi-Ballett, das furchtbar manieriert wirkt. Na, gut. Das ist spinnert. Das darf sich ein Joker erlauben. Aber musst du wirklich so viel rauchen, Junge?

Zu guter Letzt packt mich noch das ‚Star-Wars-Prequel-Syndrom‘: Drei Filme lang habe ich damals gefiebert, den Werdegang von Darth Vader zu erleben. Aber George Lucas servierte uns Filme über einen vorlauten Bubi und einen patzigen Teenager. Bis dann ganz zum Schluss der dunkle Lord sich schnaufend vom OP-Tisch erhebt (by the way nach dem albernsten Actionduell der Filmgeschichte, dem Schwertkampf auf Lavaschollen) – ein Lehrbeispiel für Antiklimax.

Ähnlich fühlt es sich mit JOKER an. Ganz zum Schluss ist er da, aber irgendwie noch nicht richtig. Ich hätte mir ein irres, großformatiges, egomanisches Verbrechen gewünscht, das die Figur ein und für alle Mal definiert.

Es geschieht ein Verbrechen, aber das ist des Jokers eigentlich nicht würdig. Das könnte jeder verüben. Zudem wird er als Täter noch von den randalierenden Massen gefeiert, was für mich auch überhaupt nicht zur Figur des Jokers passt.
Damit sind wir wieder bei der 1981-Prämisse, die ich dem Film nicht abkaufe.
Das Feindbild hier sind Banker und Yuppies (eingangs schon angedeutet), die den sozialen Frieden gefährden (Holzhammer). Die Gier nach Kapital und Rendite führt dazu, dass Sozialprogramme für Bedürftige wie Arthur Fleck eingestellt werden (Brechstange).

Der Joker in Entrückung: „Dancing with myself“.

Ein Clown sieht rot

Hab ich was verpasst oder hat es im New York (Gotham-Vorlage) der 1980er-Jahre tatsächlich Aufstände gegeben? Kann mich nicht erinnern. Bitte melden. Kam mir jedenfalls unrealistisch und an den grünen Haaren herbeigezogen vor.

Und noch ein Punkt, der diskutiert sein will: JOKER könnte man als gefährliches Werk betrachten, das mit der Legitimierung von Gewalt liebäugelt.
Wenn Arthur seine Yuppie-Angreifer in der Hochbahn niederschießt, dann möchte man ihm doch geradezu applaudieren. Die ham’s doch verdient!

Und dass diese Mordtat in der Bevölkerung kein Entsetzen auslöst, sondern zu einer Bürgerbewegung gegen ‚die da oben‘ wird, Demonstrationen von als Clowns verkleideten Menschen nach sich zieht (kulminierend in einer Verfolgungsszene wieder in der Hochbahn), das finde ich plump auf den Effekt hin konstruiert.
Weil es so schräg aussieht, wenn sich ein Clown in einer Menge von Clowns versteckt. L’art pour l’art, verdammich!

Gar nicht zu reden von der Glorifizierung des Bösen (bzw. des bösen Wichts), der am Ende nicht nur im subjektiven Wahn als Volksheld dasteht. Hier beschreitet Regisseur Philipps einen schmalen Grat. Ich bin sehr gespannt, ob das irgendwelche Debatten auslöst – oder gar Batman auf den Plan ruft. Hehehe.
Die USA sind ja ein Volk von Vigilanten, Milizen und Selbstjustizlern.

Hamwer zum Schluss nichts Positives? Wieso fällt mir Rorschachs Witz aus WATCHMEN ein?

“Heard joke once: Man goes to doctor. Says he’s depressed. Says life seems harsh and cruel. Says he feels all alone in a threatening world where what lies ahead is vague and uncertain.
Doctor says, „Treatment is simple. Great clown Pagliacci is in town tonight. Go and see him. That should pick you up.“
Man bursts into tears. Says, „But doctor…I am Pagliacci.”

(Hier auch im englischen Original im Video.)

 

Hahaha! Überhaupt: Wenn Sie einen packenden Film über Gut und Böse und die menschlichen Grautöne dazwischen sehen möchten, schauen Sie sich WATCHMEN (nochmal) an. Das ist intelligente Unterhaltung. Und 1 Rorschach sticht 1 JOKER-Joker aber fünfmal aus.

Tillmann schaut: WATCHMEN

Ich ziehe mal ein jokerböses Fazit:
Dies ist ein hässlicher, deprimierender, ausgewalzter Film, der aus einer Menge fragwürdiger Konventionsfetzen zusammengetackert ist.

Bäm! Äh, Bang!

Wer noch was zur Filmgeschichte der Joker-Figur erfahren möchte, sehe sich dieses nette Video an, das auch erklärt, dass der 2019-JOKER ein Film außerhalb der Reihe sein soll. Joaquin Phoenix wollte wohl nur dieses eine Mal in einem DC-Movie auftreten … interesting.