Heute mal die Besprechung eines Comics, den es nicht gibt!
Ich wünsche mir eine neue Veröffentlichung des Comic-Genies Benito Jacovitti, von dem hierzulande Mitte der Siebzigerjahre fünf Alben der Westernserie COCCOBILL beim Schweizer Gevacur-Verlag erschienen sind, zuvor gab es beim Moewig-Verlag einige versteckte Versuche in der Albumreihe SUPER. Das ist alles, was jemals auf Deutsch vom größten italienischen Funny-Zeichner publiziert ist und entspricht (auf sein Gesamtwerk gesehen) in etwa seinem linken Ohrläppchen.
Dabei hat Jacovitti gefühlt tonnenweise Comics und Illustrationen produziert: Über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahrzehnten (!) entstanden Kindercomics, Literaturadaptionen, Western, Piratenserien, spaßige Erotik, Detektivstories und Science-Fiction-Abenteuer aus Jacovittis Feder.
Obwohl also nur ein lächerlicher Bruchteil seines Schaffens hierzulande veröffentlicht ist, kennen eingefleischte Comicfans den Namen Javovitti und schwärmen in höchsten Tönen. Niemand vergisst diesen schrägen Zeichner. Wieso eigentlich?
Jacovittis klarer Strich, seine verrückten Kompositionen und seine skurrilen Anatomien (die Riesenfüße, die Stummelbeine, die Münder, die Kinnpartien – das alles gekrönt von Frisuren, die kein normaler Mensch trägt!) sind bis heute ein Quell der Freude und ein unverwechselbarer Spaß.
(Jacovittis Strich ist übrigens gar keiner: Der Berliner Kunsthändler Carsten Laqua zeigte mir Originale, die seine Linien als mikroskopische Kringeleien entlarven!)
In Italien weiß man das. Im Vorwort des „Panoramiche“-Bands, den ich per Zufall in einer Buchhandlung am Comer See fand, heißt es: „Jac zeichnete direkt mit der Feder auf Papier, ohne einen Bleistift zu benutzen. Die Linien seiner Objekte bildete er durch das Verweben vieler, hauchdünner Federbewegungen. Schauen Sie sich ein Original an, dann sehen Sie es.“
So zu zeichnen, ist völlig verrückt und kaum fassbar, aber so war unser Benito. Seine Assistenten berichten, „Jac“ habe jemals weder Skizzen noch Vorzeichnungen angelegt. Einfach in einer Ecke angefangen und das Blatt vollgemacht, zack!
(Den Begriff „Comic-Genie“, siehe oben, benutzen wir hier nicht leichtfertig.)
Im Folgenden betrachten Sie bitte zwei staunenswerte Mini-Poster: „Natura Vita“, ein Fest des Lebens; kontrastiert mit „Natura Morta“, dem giftigen Siegeszug des Kapitalismus. Achten Sie auch auf die herrlichen Bordüren, die Bilderrahmen aus sinnfälligen Ornamenten!
Wer ist dieser Vogel?
Jacovittis Eltern sind glühende Verehrer des Faschismus und geben ihrem 1923 geborenen Sohn die unmöglichen Vornamen Benito, Franco und Giuseppe (wie „Josef“ Stalin, ein Hauch Totalitarismus rundet das Trio infernale ab). Als junger Mann ist er groß und dünn, was ihm den Spitznamen „Gräte“ einträgt; Jacovitti wird lange Jahre eine Gräte als Signatur benutzen.
1946 zieht er nach Rom, setzt seine Arbeiten für die Comicwochenzeitschrift „Il Vittorioso“ fort und arbeitet auch für „Il Giorno“, „Il Corriere dei Piccoli“ und „Linus“.
Neben seinem international bekanntesten Werk, dem Western COCCO BILL, schafft er noch einen zweiten Western (ZORRY KID), die Reporter CHICCHIRICHI und TOM FICCANASO, den Zauberer MANDRAGO IL MAGO, die Detektive JAK MANDOLINO und GIONNI GALASSIA sowie seinen Jugendcomic PIPPO.
Mitte bis Ende der Neunzigerjahre erschienen 20 Ausgaben des italienischen „Jacovitti Magazine“ – welcher Zeichner kann das von sich behaupten?! Drei Jahre vor seinem Tod im Dezember 1997 erhält er noch den Ritterschlag für seine Verdienste um die Republik Italien.
Meister des Meta-Humors
Ich plädiere keinesfalls für eine Nachdrucklawine von Jacovittis Comicserien. Das sind viel zu viele, oft fließbandartig produzierte Genrecomics, die uns heute nichts mehr geben können. Nach drei Alben COCCOBILL haben Sie die Nase voll, ich sage es ehrlich.
Auch ist sein Humorverständnis kein modernes, Jacovitti war nicht seiner Zeit voraus. Er ist einem bodenständigen ‚Nachkriegshumor‘ verhaftet, oft so schadenfroh wie skurril, doch ich sehe Parallelen zum frühen Loriot oder auch zu Manfred Schmidts NICK KNATTERTON.
Was mich allerdings heute noch absolut in den Bann schlägt, sind seine grafischen Experimente in der POPJAC-Serie sowie seine grandiosen „Panoramiche“, die Wimmelbild-Panoramen, die wir in Deutschland noch nie zu Gesicht bekommen haben.
Jacovittis Panoramen erinnern an Will Elders vollgemalte Hintergründe aus MAD und auch an Tom Bunks überbordende Massenszenen, ebenfalls in MAD zu finden. Wer da wohl von wem womöglich inspiriert war, ist spekulativ und müßig zu verfolgen, aber auf jeden Fall herrscht eine geistig-motivische Verwandtschaft unter diesen Wimmelbildmalern.
Das zuweilen gehörte Argument, Jacovitti sei nicht übersetzbar, weil es um italienischen Wortwitz ginge, lasse ich nicht gelten. Erstens hätten wir der Logik zufolge niemals ASTERIX zu lesen bekommen, zweitens handelt es sich stets um Wort-Bild-Witze, die nicht ausschließlich über Text funktionieren. Betrachten Sie mal folgende Seite:
Die hier versammelten Aberwitzigkeiten verlangen zur Aufzählung zwar mehr als zwei Hände, lassen sich jedoch prächtig eindeutschen!
Der Mann knüpft seine Frau mittels ihrer Halskette an einen Galgen. Eine ignorante Zeugin des Vorfalls schwärmt: „Welch herrliches Collier! Ein Geschenk Ihres Mannes?“
Zwei Freunde schauen auf ihre Uhren, die eine läuft auf Beinen davon: „Meine Uhr geht vor.“ – „Und meine ist auf dem Weg nach Neapel.“
Beide Darstellungen finden sich in der unteren rechten Ecke. Am linken Rand unten entdecken Sie folgenden Scherz: Ein Hundehalter deutet auf zwei zusammengewachsene Hunde: „Es ist eine Kreuzung!“
Andere Szene, die mir gerade vor Augen kommt: Zwei Boxer stehen sich gegenüber; dem einen rät sein Trainer: „Pass auf, seine Rechte ist gefährlich!“ – Das ist doch … zum Schießen!
Was soll da im Deutschen nicht funktionieren? Natürlich muss man manchmal kreativ was erfinden, aber das ist das täglich Brot von Übersetzern. (Wink mit dem Zaunpfahl: Ich wäre geehrt, als Gagberater einem Jacovitti-Projekt dienen zu dürfen.)
Ich glaube, eine Auswahl seiner Wimmelbilder (von denen er übrigens Dutzende produziert hat!) ließe sich nicht nur ins Deutsche transportieren, sondern wäre auch ein verlockendes Angebot für Leserinnen und Leser fast jeden Alters. Es ist immerhin 48 Jahre her, dass Jacovitti hier gezeigt wurde.
Mag sich denn kein deutscher Verlag erbarmen?!
Und als spezielle Zugabe noch 90 Sekunden spaßige Erotik mit Jacovittis KAMAS-ULTRAS: