LUCKY DEVIL: galoppierender Horror

Fast kommt es mir vor, als wollte dieses Werk beweisen, in welchem Tempo man einen Horrorcomic erzählen kann. So rasant, so komprimiert hab ich das noch nicht erlebt. Stanley Cowen kommt in den Besitz dämonischer Kräfte und gründet damit seine Sekte der Selbstbestimmung jenseits der konventionellen Religionen.

Die Umsetzung eines Skripts von Cullen Bunn funktioniert auf nur 100 Hochgeschwindigkeits-Seiten, aber ich als Leser fühle mich ein wenig gehetzt und muss mir die Exposition erst mal in den Schädel hämmern.

Denn wir erleben auf nur 22 Seiten, wie Stanleys elendes Angestelltendasein zusammenbricht, er die Kräfte der Hölle entfesselt, sich sodann diese Fähigkeiten wieder exorzieren lässt – und seinem persönlichen Dämon begegnet.
Holla, mal langsam bitte!

Stanleys Charakterisierung als Tropf erfolgt in einem konventionellen, dramaturgischen Dreisprung: Seine Freundin betrügt ihn, er wird bei der Frühstücksbesorgung fürs Büro erst von einem vorbeifahrenden Auto nassgespritzt, dann von den Kollegen ausgebeutet:

Im folgenden Panel dreht er bereits durch und spricht mit fremder Stimme.
Dämon Zedirax ist höchst spontan in ihn gefahren (weil er durch seinen Frust „empfänglich [… war …] für die dunklen Mächte“ und verrichtet auf drei Seiten ein irrsinniges Zerstörungswerk:

Mich irritiert dieses abrupte Auftauchen von Zed(irax). Aber Gott, warum nicht?! Ich muss es genauso hinnehmen wie den folgenden Amoklauf, dem die Kollegen im Büro, die Kunden im Coffeeshop sowie seine Freundin zum Opfer fallen.

Dass seine Freundin umkommt, müssen wir uns zusammenreimen, denn wir bekommen nur ein Bild gezeigt, das Stanley an ihrem Bett sitzend zeigt. Neben ihr kuschelt schlafend ihr Liebhaber, hinterm Bett stehen drei bleiche Gestalten in Fetisch-Outfits. Drei Freunde von Zed, offenbar Hilfsdämonen, die das Pärchen killen möchten.

Und dann springen wir schon in diese Sequenz:

Er betritt den Okkultismus-Shop, trifft den Rasta-Exorzisten Edmond, wird an ein Bett gefesselt und ist ruckzuck befreit vom Dämon (wieder nur drei Seiten). Der Clou besteht darin, dass Stanley (auf verbleibenden vier Seiten) feststellen muss, dass er seine dunklen Kräfte noch besitzt: Er veranstaltet ein Massaker in einer Burger-Bude (mit einem Bild desselben eröffnet LUCKY DEVIL übrigens).

Stanley entdeckt, dass sein Dämon noch da ist – allerdings nun außerhalb seines Körpers. Der Exorzismus hat nur halb funktioniert. Dämon draußen, Kräfte noch drinnen. Ist doch eigentlich super, oder?

Bin ich zu schnell gewesen?

Verstanden? Stanley hat jetzt höllische Kräfte, aber auch die Unterwelt am Hacken. Also sucht er sich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe von Besessenen. Ehrlich, die gibt es hier. Auch so ein Plotpoint, der nicht erklärt wird.
Den Menschen in dieser Gruppe erzählt er von seinen Erlebnissen, die wir oben gesehen haben. Was das für Leute sind, wie sie zu dieser Gruppe zusammengefunden haben und wie Stanley auf sie trifft, wird völlig ausgeblendet.

Sie sind einfach da und Stanley erklärt sich zu ihrem Anführer:

Stanleys Truppe mietet ein Landhaus, schmeißt Partys und gründet eine Art satanistische Kirche. Da auch das nicht erklärt wird, nenne ich es eine Sekte der Selbstbestimmung, denn es geht nicht um finstere Rituale, sondern darum, sich auszuleben und kein gehorsamer Diener irgendwelcher Chefs zu sein.

Schnell wird Stanley von der konkurrierenden „Internationale Kirche Luzifers“ kontaktiert, man geht eine Fusion ein und gewinnt mehr Follower, Geld und Aufmerksamkeit. Nur Zedirax, der in Stanleys Nähe bleibt, warnt ihn vor dem Zorn der Hölle.

Was weiter geschieht, will ich nur andeuten. Tatsächlich tauchen drei Höllenwesen auf und wollen Stanley den Garaus machen. Zu Hilfe kommen ihm Zedirax und Exorzist Edmond. Ihr Befund: Stanley muss zur Hölle fahren und mit dem Teufel persönlich einen Pakt eingehen, damit die Dinge nicht aus dem Ruder laufen. Was auch geschieht.

Schön, dass dieser Comic diese Thematik bedient. Ich mag Teufelspakt-Geschichten. Ich mag den Ansatz, dass ein Mensch über dämonische Macht verfügt, aber noch von einem Dämon und einem Exorzisten gecoacht werden muss.

Die Schlusspointe (wie ich sie verstehe) hätte man jedoch besser herausstellen können. Denn Stanley kommt unsanft herunter von seinem Ego-Powertrip. Da hätte ich mir einen deutlicheren Anklang zum Beginn gewünscht. Aber interpretieren Sie bitte selber.

Autor Cullen Bunn ist ein Superheldenschreiber, der aber auch die Genrewerke HARROW COUNTY und THE SIXTH GUN konzipiert hat. Letzteres hab ich mal angelesen, nicht übel, aber es wurde mir zu viel. Diesmal hat er also die kürzestmögliche Story gewählt.

Hut ab vor LUCKY DEVIL. Dichter kann man einen Horrorcomic nicht erzählen. Hundert Seiten Horror-Komprimat. Da hätte aber auch kein Bild fehlen dürfen!

Mir hat dieser Comic Freude gemacht, aber musste es denn so irrsinnig schnell gehen?!

Meet Edmond, Exorzist und Rastaman

Maler des Schreckens

Zeichner Fran Galán ist ein Spanier, der für Marvel gearbeitet hat und letztes Jahr mit einer Graphic Novel über den Maler Goya reüssierte (in Frankreich unter dem Titel GOYA LE TERRIBLE SUBLIME veröffentlicht). Bei diesem Mann scheint Düsternis Programm zu sein.

Galán hat sichtlich Spaß am krassen Sujet und lässt in Sachen Tintenblut tüchtig die Sau raus. Allerdings inszeniert er mir manchmal willkürlich und nicht immer übersichtlich – wie in dieser Szene einer Attacke von Höllenhunden in einem Schnellrestaurant:

Abwechslungsreiches und kreatives Layout ist mir immer willkommen, doch LUCKY DEVIL übertreibt mitunter seine Originalität und führt zu Kompositionen, die zwar schick sind, aber zu viel des grafisch Guten auftischen (wenn Sie wissen, was ich meine).

Dennoch gefällt mir Galáns Artwork – es ist einfallsreich, flüssig und erfreut mit wilder und atmosphärischer Farbgebung. Auch sind seine Character-Designs spitze: Das bebrillte Büro-Opfer Stanley legt seine Brille ab, sowie er in den Besitz der Höllenkräfte kommt.
Dezzy, die punkige Frau aus der Selbsthilfegruppe, wird seine adäquate Lebensgefährtin. Der schäbige Exorzist Edmond ist eine Type, die man nicht mehr vergisst (und vom Zeichner als „Bob Marley auf Jazz“ beschrieben wird).

Dann sind da noch Stanleys Dämon, der struppige Zedirax alias Zed, sowie drei namenlose Kollegen aus der Unterwelt, bizarre Kreaturen, die nicht viel Menschartiges an sich haben.

Kennen wir uns nicht irgendwoher?

Vor nur wenigen Monaten ist bei Splitter ein anderer Comic erschienen, an den mich LUCKY DEVIL erinnert: Die deutsche Produktion EIN VERDAMMTER HANDSCHLAG wartet mit ähnlichem Personal und ähnlich gelagerter Thematik auf!

Ein Versager bekommt es mit einem Dämon zu tun, der ihm teils zu Diensten ist. Eine starke Frau ist auch dabei und es treten weitere Höllenwesen auf die Szene. Selbst der expressive Zeichenstil ist der gleiche – bis hin zum Design von Menschen und Dämonen!

Da beide Stoffe zeitgleich entwickelt wurden, kann es sich nur um einen teuflischen Zufall handeln. Es lässt mich schmunzeln und Ihnen dieses ‚double feature‘ empfehlen.
Schauen Sie beides gerne nach auf der Splitter-Webseite und/oder blättern Sie mit mir für eine Minute durch den Comic: