Gar nicht sooo trashig, wie es auf den ersten Blick aussieht.
Gut, es kommen körperfressende Aliens, Judo-Priester, eine urinfixierte Tantra-Sekte und ein fliegender Jesus-Van vor. Nicht zu vergessen ein wirklich grobes Foul in Richtung katholischer Marienverehrung.
Unsere Hauptfigur, der strenggläubige Edgar Wiggins, bemerkt während seiner Priesterausbildung, dass eine abseits stehende Marienstatue Tränen weint!
Das muss ein Wunder sein, also ruft der übereilige Edgar die Inspektoren des Vatikans herbei, die sehr schnell feststellen, dass diese Tränen nichts weiter als Dünnschiss aus einer undichten Kanalisation oberhalb der Statue sind.
Das darf man durchaus als neue Eskalationsstufe in Sachen Religionslästerung goutieren (die schwarzen Kästen sind die Erzählstimme Edgars):
Ja, das ist fies und derb und widerlich, leider ganz mein Humor.
Bliebe SOUL PLUMBER auf dieser Ebene, würde ich nicht groß drauf eingehen. Aber es geht auch um was, und deshalb stelle ich diese abgeschlossene Miniserie hier vor.
Edgar Wiggins wird verbannt aus dem Priesterseminar und führt ein prekäres Leben als Thekenkraft in einem Tankstellen-Shop. Aber er hat das Herz auf dem rechten Fleck und kümmert sich um seine schräge Kundschaft in Gestalt des verstümmelten Kriegsveteranen Elk und des verrückten Junkies Scuzz.
Hier kommen die beiden gerade zur Tür herein:
Der drogenverstrahlte Scuzz ist nicht mehr von dieser Welt und Elk trägt eine skelettierte Nase als sichtbaren Ausweis seines Kriegsdienstes – und ist zudem Fan einer YouTuberin namens „Fuckmother“, die die Kraft der Orgasmen predigt.
Edgar kann diese (in seinen Augen) konkurrierende Religion tolerieren, wie er überhaupt an Frieden und Vergebung glaubt. Noch ahnt er nicht, dass er bald einen Mord begehen wird!
Denn zuerst fährt an der Tanksäule die Erleuchtung vor: der Bus der „Soul Plumbers“. Edgar fühlt, als habe ihm der Herrgott ein Zeichen gesandt.
Allerdings handelt es sich nur um den ausgefuchsten Schwindler Harvey Positano, der leichtgläubige Strenggläubige finanziell ausnehmen will.
Denn er und weitere „Seelenklempner“ sind auf einer nationalen Tournee, um das Böse auszutreiben!
SOUL PLUMBER präsentiert uns in den nächsten Szenen die überdrehte Parodie auf eine christliche Erweckungs-Show, die auf den Verkauf von Merchandising und ein Soul-Plumbing-Handbuch samt Konstruktionsplänen für einen Exorzismus-Automaten hinausläuft.
Edgar ist vollkommen geflasht von dem Gerät wie auch von der Tätigkeit des Exorzierens, durchschaut er doch nicht die theatralischen Tricks dahinter.
Da er jedoch kein Geld hat und Harvey kein Exemplar des Handbuchs abschnorren kann, stiehlt er kurzerhand eines.
Was dann geschieht, ist völlig verrückt und eröffnet eine weitere Ebene in diesem Comic: Edgar glaubt, den armen Scuzz von seiner Drogensucht heilen zu können. Also steckt er ihn in den selbst konstruierten Apparat und zieht etwas aus seinem Inneren heraus:
Der große Exorzismus-Schwindel
Es ist kein Dämon, den Edgar exorziert (Scuzz übrigens verstirbt bei der Prozedur), sondern ein Wesen aus einer anderen Dimension.
Das dringt zunächst in Edgars Gedanken, liest dort seine Lebensgeschichte, und materialisiert sich dann als putziger Blob namens Blorp.
Und während Elk und Edgar die Leiche von Scuzz entsorgen gehen, nimmt Blorp aus den Einzelteilen mehrerer Menschen einen grotesken Körper an.
Im Vatikan schrillen derweil die Alarmglocken, denn das Oberhaupt der Soul-Plumber-Organisation, der böse Father Vassily, ist nun auf Edgars Fersen.
Die „Seelen-Pömpel“, die Exorzismus-Automaten, sollten erst demnächst (beim spirituellen „Plumberganza“-Event) gemeinsam in Betrieb gehen – um dann ein Portal in die Nachbardimension zu öffnen, durch welches Alien-Dämonen eindringen und die Welt vernichten sollen.
Der vom Vatikan losgeschickte Inquisitor Father Rivera scheitert jedoch an Elk, Edgar und Blorp. Auf der folgenden Seite sehen wir die Tankstelle in Flammen und Edgar in verzweifelter Stimmung.
Nochmal wiederholt, SOUL PLUMBER ist ein komplexer Comic.
Gute und böse Aliens aus einer anderen Dimension ringen um den Zutritt zu unserer Welt. Die schurkischen Seelenklempner unter Father Vassily sind im Verbund mit diesen außerirdischen Teufeln (deren erster Abgesandter sich vor 300 Jahren unter falschen Vorzeichen Vassilys bemächtigte):
Punk’s not dead
An dieser Stelle kurzer Break und eine Würdigung des Artworks von John McCrea und PJ Holden. Ja, ersterer ist der HITMAN-Zeichner, dessen Cartoon-Gewalt ich vermisst habe.
Bei allem Ekel und Splatter, den er hier auffährt, kann ich dennoch schmunzeln.
PJ Holden ist ein Nordire, der wie McCrae aus der krawalligen, auf ewig dem Geist des Punkrock verschriebenen „2000 AD“-Schule kommt. Gemeinsam sind sie ein perfektes Team, um diesem kruden Quatsch einen grafischen Ausdruck zu verleihen.
(Kruder Quatsch, aber straff und in sich logisch konzipiert, mit Mitgefühl für alle Figuren erzählt und einer gültigen Gesamtaussage versehen.)
Und nun Wiederaufnahme des Rezensionsfadens mit dieser witzigen Sequenz: Father Vassily reist in alberner Gewandung mit seinem Aliendämon zur handlungskulminierenden Plumberganza.
Sehr lustig finde ich das „Kopf-im-Glas“-Motiv sowie das Vatikanstadt-Magazin.
Ich erwähnte bereits die „Plumberganza“, das große Event, auf welchem Vassily die Automaten gleichschalten und das Portal für die Aliens öffnen will.
Ein Rennen gegen die Zeit beginnt, und Edgar, Elk und Blorp treten in einem Duell dem bösen Alien-Overlord gegenüber. Edgar erbittet Blorps Hilfe und steuert dessen neue Riesengestalt im Zweikampf um die Erde.
Das saftige Finale ist eine hübsche Hommage an „Ghostbusters“ sowie Monster- und Godzilla-Filme. Dem üblichen Gekloppe folgt jedoch noch Edgars persönliche Glaubensoffenbarung, ausgelöst durch die telepathischen Visionen des bösen Aliens:
SOUL PLUMBER überzeugt mich hier durch seine dramaturgischen Rückbezüge zum Anfang und einen sich anschließenden Epilog, der Edgars Heldenreise zu einem befriedigenden Abschluss bringt.
Dieser Comic zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht. Auch wenn US-amerikanische Superheldenware derzeit zu schwächeln und nichts Neues mehr vorzubringen scheint, gehören US-Comics generell noch lange nicht auf den Sperrmüll rausgestellt.
Unterm Radar entdecke ich nach wie vor originelle Stoffe, auch wenn sie sich uralter christlicher Mythen bedienen. Siehe LUCIFER, PREACHER, SECOND COMING …
Meine Rede ist ja sowieso, dass unsere gesamte Popkultur auf dem Christentum aufbaut – und wir dem auch nicht entkommen können.
Und schauen Sie hier, Edgars wundervoll komprimierte „origin story“, in der das Blut der Geburt mit dem Cape des TV-Serien-Teufel verschmilzt, dessen Niederlage durch den Judo-Priester Edgars Herz erwärmt:
SOUL PLUMBER steht übrigens in einer undergroundigen Tradition von Comicanklagen gegen den militärisch-industriellen-religiösen Komplex der USA und ließe sich bis zu Justin Greens BINKY BROWN MEETS THE HOLY VIRGIN MARY zurückführen.
Ich finde im Werk keinen Hinweis darauf, dass das SOUL PLUMBER-Autorenkollektiv um Marcus Parks, Henry Zebrowski und Ben Kissel diesen Comic von 1972 kennt, aber hier wie dort ist die Hauptfigur ein von religiösem Wahn besessener junger Mann, auf der Suche nach gottgefälligem Verhalten in einer gottlosen Welt.
Sollten Sie wie ich an die Kraft der Bildergeschichten glauben, so sprechen Sie ein „Halleluja“ und klicken Sie auf mein Blättervideo: