Alle Welt lobt die Übersetzerin Gudrun Penndorf für ihre verdienstvolle Arbeit, die ASTERIX-Alben ins Deutsche übertragen zu haben. Sicher zu Recht.
Übrigens hat sie auch den klassischen LUCKY LUKE auf dem Kerbholz und wurde für ihre Kreativität mit dem Lebenswerk-Preis des Comicfestivals München wie auch dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet (s. Link zu Wikipedia).
Was mich in diesem Zusammenhang wundert, ist das Schweigen auf der anderen Seite. Niemand spricht darüber, dass auch die Eindeutschung von TIM UND STRUPPI ganz wundervoll geraten ist. Und niemand weiß hier einen Namen zu nennen.
Da möchte ich Abhilfe schaffen, denn mir sind gewisse Phrasen aus den klassischen Alben lebenslang im Ohr geblieben. Davon will ich Beispiele zeigen und auch comichistorisch nachliefern, wer für diese Leistung verantwortlich ist.
Die deutsche Wikipedia bietet einen umfassenden und kritischen Artikel zur Serie, von der ich übrigens kein allzu großer Fan bin. Album für Album fällt sehr unterschiedlich aus: Im Frühwerk erleben wir meist banale Abenteuerunterhaltung, im Spätwerk erfreuen zwei Werke mit komödiantischen Tönen (dazu später mehr).
Ich habe sämtliche Alben als Jugendlicher gelesen und staune nur, dass ich noch heute Sätze zitieren kann. Das bedeutet, dass da ein Übersetzer elegant gearbeitet hat. Darauf will ich im Folgenden schauen, und zwar im Direktvergleich Deutsch-Französisch.
Steigen wir gleich mit einem Beispiel aus DIE KRABBE MIT DEN GOLDENEN SCHEREN ein:
Mir gefällt das versonnene „Schau dir nur diese Möwen an“ besser als das sachliche „Wie viel Möwen es gibt“, ebenso ist der Vergleich mit dem Fünfmarkstück bildhafter als das originale „wären wir geplättet“:
Zugleich gelingt der Übersetzung der Coup, an das bisherige Thema des Albums DIE KRABBE MIT DEN GOLDENEN SCHEREN anzuschließen: Gefälschte Fünfmarkstücke sind im Umlauf, worauf Tim fünf Seiten zuvor von Schulze und Schultze hingewiesen worden ist.
Mein TIM UND STRUPPI-Lieblingsalbum ist DIE JUWELEN DER SÄNGERIN, das von seiner Anlage nicht auf Aktion angelegt ist, sondern auf Typen- und Situationskomik.
Ich mag den legeren und lakonischen Ton, der hier im Deutschen getroffen wird. Gut, Fridolin Kiesewetter (franz. „Séraphin Lampion“) ist eine dankbare Figur, um Sprachwitz auszupacken – und selbst die Miniaturphrase „Salut, galopin“ heißt nichts anderes als „Hallo, Schlingel“, aber man hätte auch „Tag, Bengel“ nehmen können.
Doch gerade das „Hallo, Schlingel“ in diesem vorvorletzten Band der Serie zeugt von erfrischender Respektlosigkeit dem weltberühmten Reporter Tim gegenüber (und ich freue mich an der musikalischen Lautung mit den vielen „l“, die so schön locker über die Zunge rollen).
Auch das noch öfter vorkommende „Hallooo? Höören Sie?“ des Papageis überträgt in meinen Synapsen mehr Witz als das französische „Hallooo? Ich hööre.“
Ansonsten bleibt das Deutsche hautnah am Duktus des saloppen Kiesewetter/ Lampion-Monologs, inklusive der hübschen Redewendung „dem alten Piraten die Flosse schütteln“. Die Verballhornung des Begriffs „Maharadscha“ zu „Mahacaramba“ klingt allerdings etwas zu hart.
Fluchen wie ein Seefahrer
Im Folgenden präsentiere ich Auszüge aus nur drei Alben, aber die mögen als Stichproben genügen. Beidsprachig vorliegen tut mir noch das Hergé-Schlusswerk TIM UND DIE PICAROS, das viele nicht mögen, mir aber einen positiv Eindruck hinterlassen hat.
So marginal es scheint, aber ich begeistere mich für Kapitän Haddocks Kompliment für den Leibwächter Manolo:
„Das ist aber schön, Manolo“ klingt für mich so sarkastisch wie paternalistisch, genial konterkariert durch Haddocks Denkblase mit dem „Bullenbeißer“. Dieser Begriff gehört unbedingt in den Kanon der Kapitäns-Fluchkanonaden!
Das Französische liefert ein gleichfalls beschwingtes Kompliment, zensiert sich in des Kapitäns Gedanken jedoch selber, indem es eine Beleidigung verweigert: „Gesicht eines Rohlings“? Chance verspielt!
(Beachten Sie überhaupt Manolos gegrunzte Antwort in beiden Ausgaben!)
Und wo wir von Flüchen reden …
DIE KRABBE MIT DEN GOLDENEN SCHEREN präsentiert uns den ersten Auftritt des Kapitäns, der zunächst als larmoyanter Trunkenbold erscheint, sich dann jedoch zum Schimpfer vor dem Herrn aufschwingt.
Hier stürmt er wütend auf angreifende Berber los und feuert seine Verwünschungen ab, die im deutschen Maschinen-Lettering meiner Ausgabe von 1967 allerdings kläglich aussehen:
Manches davon ist inzwischen klar rassistisch, in späteren Ausgaben hat der Verlag die Texte redigiert.
„Kaffern“ ist durch „Schnapphähne“ ersetzt, „Fremdes Pack“ durch „Piraten“, das „Gesindel“ durch „Bahnhofspenner“ und die „Teppichbetrüger“ durch „Anthropophagen“.
Kreativ sind Haddocks Flüche, auch der Eigen-Knockout mit dem Kolben ist ein netter Einfall auf zwei Ebenen (verbal und handlungstechnisch).
Funktioniert genauso im Original:
Schauen wir noch kurz auf die französischen Ausdrücke, die sind nämlich weniger deftig, hier sind der ursprünglichen deutschen Stimme die Pferde durchgegangen (die Franzosen schimpfen auf „Strolche“, „Kartoffelkäfer“, „Angsthasen“ „Parasiten“).
Festzustellen ist, dass Kapitän Haddocks Signaturflüche „Hunderttausend heulende Höllenhunde!“ (frz.: ‚Mille millions de mille sabords!‘) sowie „Hagel und Granaten!“ (frz.: ‚Tonnerre de Brest!‘) noch nicht in diesem Album zu hören sind!
Dafür in DIE JUWELEN DER SÄNGERIN, in Kombination mit dem vermaledeiten Federvieh:
Im Original noch um neue Tausenderpotenzen gesteigert (s.u.). Die flötenartige Redeweise von Bianca Castafiore wird im Deutschen schön getroffen, wenn auch leicht eingekürzt. Wir alle freuen uns schon auf Cocos Sprachlern-Einsatz, der sich auf Seite 57 ereignet.
Doch zurück zum Wesentlichen: Was zum Teufel bedeutet die französische Redewendung? Weiß kein Lexikon und keine Sprach-KI. Ich musste eine die französische Freundin meiner Frau fragen: „Sabords“ (Sandpinne) bezeichne die Schiffs-Schießscharten, durch welche die Kanonen geschoben werden. Es sei ein echter Seemannsfluch, der nicht wirklich zu übersetzen sei.
Sie verlinkt mir eine Quelle, die weiter erklärt: Durch die Sandpinne wurden Kanonenfässer, Ruder oder einfach nur Luft zur Belüftung einer Kabine geleitet. „Sabord“ sei mit „sabotieren“ verwandt, was bedeutet, dass man ein Schiff unterhalb der Wasserlinie durchbohrt, um es zum Sinken zu bringen. „Mille sabords“ sei also der perfekte Fluch, um die Wut eines Seemanns auszudrücken!
Hmmm.
Ich persönlich finde die Horden der Hölle bzw. deren Hunde weitaus gelungener und glaubwürdiger. Wahrscheinlich durften Comicfiguren zu dieser Zeit noch gar nicht fluchen. Haddock öffnet seinen Mund im Jahre 1940!
Selbst in den USA war die Benutzung des Wortes „Hell“ in öffentlichen Medien absolut verpönt. Damit haben erst die Undergroundcomics der Siebziger aufgeräumt.
Worte wie Gold
Kommen wir zu einem weiteren Beispiel aus den JUWELEN DER SÄNGERIN, die im Original LES BIJOUX DE LA CASTAFIORE heißen: „Der Schmuck der Castafiore“.
Auch das nur eine Nuance, aber der deutsche Begriff „Juwelen“ ist ein Volltreffer, vor allem, wenn Sie auf folgende Szene schauen.
Bianca und ihre Zofe Luise sind nachts durch Geräusche aufgewacht – und der Sängerin kommt der Verdacht, ein Dieb könne eingebrochen sein und sich an ihrem wertvollen Schmuck vergriffen haben.
Ihr entfährt der Schrei „Uuh! Meine Juwelen!“, der im übernächsten Panel durch das „Wuu-hu-huu“-Geschrei einer Eule gleichsam als Echo wiederholt wird.
Nichts davon in der französischen Fassung, die mit ihrem „Himmel! Mein Schmuck!“ diesen Kniff nicht anwendet.
Auch klingt das deutsche „Uuh! Meine Juwelen!“ mit den vielen tiefen Vokalen wie eine Miniatur-Arie, in welche die Sängerin ausbrechen möchte!
Summ, summ, summ … Bienlein, summ herum!
Schauen wir als nächstes noch einmal in TIM UND DIE PICAROS und auf Professor Bienlein, dessen Name schon kurios ist! Wie ist man denn auf „Bienlein“ gekommen? Im Original heißt der gute Mann „Tournesol“, also „Sonnenblume“.
Diese Figur befleißigt sich jedenfalls einer blumigen Sprache, die in den deutschen Übertragungen gut getroffen wird.
Ich wähle eine Szene, in der der schwerhörige Bienlein mit seiner charmanten Art die rabaukige Partnerin von General Alcazar (der unter ihrem Pantoffel steht) entwaffnet und eine schöne Fallhöhe generiert:
Peggy bombardiert (selbst zu Haddocks stummem Entsetzen im Hintergrund!) ihren General mit Vorwürfen, bis ihr Bienlein in die Parade fährt – mit purer Höflichkeit und strahlender Freude.
Sein „Danke für diese Worte, gnädige Frau“ ist eigentlich höhnische Ironie, aber der Professor meint es versöhnlich. „Eine schwache Frau“ macht es noch schlimmer, doch Peggy ist sprachlos, schaut ihn nur an und beschließt zu schweigen.
Also beendet Bienlein seine Rede mit dem Eigenkommentar „Das war mir ein Herzensbedürfnis“, woraufhin sich Peggy abwendet.
Die Originalfassung läuft genauso, kann aber mit dem herrlich antiquierten Wort „Herzensbedürfnis“ nicht mithalten und lässt ebenfalls Alcazars „Täubchen“ vermissen, was der Passage auch einen weiteren Hauch von Ironie verleiht.
Das letzte Beispiel soll noch einmal dem Kapitän und der Sängerin gehören, erneut aus TIM UND DIE PICAROS.
Die Castafiore war von Alcazars Gegnern, General Tapioca und Obert Sponsz, verhaftet worden und wird nun von Tim und Haddock befreit. Überschwänglich fällt sie dem Kapitän in die Arme und droht in Gesang auszubrechen (diesmal erst auf Französisch):
Lustig ist die untere Zeile, in der die Sängerin wieder mit ihrem Personal zusammengeführt wird: dem Pianisten Wagner und der Zofe Irma (die im Deutschen manchmal auch Luise heißt).
„Liebe Irma, wie muss ich Ihnen gefehlt haben“ ist schon eine unverschämte Annahme, aber im Deutschen noch einen Tacken schöner, wie ich finde:
Obwohl: Es nimmt sich nicht viel. So oder so schön. Dann aber das letzte Panel:
„Ich muss unbedingt singen!“ (Original)
„Ich muss etwas zum besten geben!“ (Übersetzung)
Die deutsche Fassung scheint mir den Ton der Castafiore besser zu treffen, auch wenn ich ein „Mir ist danach zu singen!“ bevorzugt hätte.
Wer war es denn nun?
Die Grand Comics Database (comics.org) listet als deutsche Übersetzer gleich mehrere Personen (oft von Band zu Band andere): Anke Titz, Jürgen Pauls, Ursula Bahn, Jens Roedler und dann immer wieder Ilse Strasmann.
Offenbar gibt es nicht die eine deutsche Stimme für TIM UND STRUPPI, aber Ilse Strasmann scheint stilprägend.
Ich habe beim Carlsen-Verlag angefragt, wer übersetzt hat und ob es eventuell Neuübersetzungen gegeben hat.
Hierzu ergänzend folgende Information:
Der erste Rutsch von 23 Alben erschien bei Carlsen in den Jahren 1967–1977. Neben nachgedruckten Auflagen sowie einer Teil-Neuauflage 1992 hat es 1997–2004 eine neue Edition (jetzt mit Handlettering und reformierter Rechtschreibung) sowie 2008–2012 eine „Farbfaksimile“-Ausgabe (mit originaler Kolorierung) gegeben.
Da Carlsen mir leider nicht geantwortet hat, habe ich mich selber in die Recherche gekniet: Meine Sechzigerjahre-Ausgaben (die mit dem Maschinenlettering) listen keine Übersetzungs-Credits im Impressum.
Die handgeletterten Neunzigerjahre-Ausgaben (die noch heute in Nachauflagen im Handel zu kaufen sind) enthalten mittlerweile Hinweise auf die Übersetzungsarbeit.
Hierbei handelt es sich um die oben genannten Personen, die offenbar seit Anbeginn TIM UND STRUPPI ins Deutsche übertragen haben.
Ein Stichprobenvergleich von alten und neuen Alben ergibt, dass in den allermeisten Fällen nicht neu übersetzt wurde (hier oder da wurden aus unerfindlichen Gründen einzelne Sprechblasen anders gefüllt).
Interessante Ausnahme: Ilse Strasmann hat DIE KRABBE MIT DEN GOLDEN SCHEREN tatsächlich ein zweites Mal komplett übersetzt – ausgehend vielleicht von der Tilgung der oben erwähnten rassistischen Beschimpfungen.
(Wenn sie einmal dran war, hat sie gleich das Ganze neu machen können, was jedoch bis auf die erwähnten Schmähungen überflüssig ist, denn der neue Text paraphrasiert nur den alten. Außerdem ist das „Fünfmarkstück“, das ich in meiner alten Ausgabe so liebe, einer „Briefmarke“ gewichen.)
((So, jetzt versteige ich mich langsam in Details, denen Sie wahrscheinlich nicht mehr folgen können, machen wir Schluss.))
Es bleibt ein wenig offen
Ich bin geneigt, den Pokal an Ilse Strasmann zu überreichen, aber fordere nun SIE auf: Wenn Sie über sachdienliche Hinweise verfügen oder Ihnen Anekdoten zu Übersetzungen bzw. Neuübersetzungen bekannt sind, schicken Sie mir gerne Elektropost unter info@tillmanncourth.de.
Das wäre doch gelacht, hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde!
Gerne veröffentliche ich auch Ihren Lieblingsspruch aus TIM UND STRUPPI an dieser Stelle.
——– Hier könnte er stehen ——