MARSHAL BASS reitet weiter!

Die meisten Westerncomics öden mich an, weil sie eingefahrene Pfade einschlagen und/ oder konventionelle Muster bedienen – sowohl grafisch wie auch inhaltlich.
Deshalb jubele ich über MARSHAL BASS, weil diese Serie es wagt, aus dem Rahmen zu fallen – ohne dabei das Genre zu sabotieren.

Ich habe vor fünf Jahren an dieser Stelle über den Beginn der Serie geschwärmt und bei der Gelegenheit eine kurze Geschichte der Westerncomics angerissen sowie MARSHAL BASS in den Vergleich zu anderen Titeln gesetzt.

Heute bin ich froh und dankbar, dass der Splitter-Verlag acht folgende Bände aus französischer Lizenz übernommen hat – Westerncomics verkaufen sich offenbar doch relativ gut auf dem deutschen Markt!

Der Link zum Verlag präsentiert Ihnen den Autoren Darko Macan, der bei MARSHAL BASS für die Skripte zuständig ist. In diesem Beitrag möchte ich kurz über den aktuellen neunten Band reden, aber viel mehr über den Zeichner Igor Kordey, der mit Macan bereits zwei andere Serien gestaltet hat – und die sind höchst beachtenswert.

Schwing dich in den Sattel, Alter!

Diese Zwischenüberschrift gilt mir, denn zuerst soll es ja um „Texas Rangers“ gehen, den neunten Band von MARSHAL BASS.

Der beginnt mal wieder großartig, mit einer Doktoren-Visite, bei der sich der Arzt als Todesengel betätigt:

Diese kleine Szene (sowie eine spätere, bei der Doc Moon das schwächliche Kleinkind Hope rettet, indem sie es mitnimmt!), zeigt uns den Western als Kosmos des brutalen Überlebenskampfes.

Zeitgleich erleben wir Marshal Bass bei der Verhaftung von Pappy Segar, einem alten Banditen-Clanchef, der zum Glück so schlecht schießt, dass er keine wirkliche Gefahr darstellt.

Das tun kurz darauf seine „Jungs“, die als dreckiges Dutzend und aus allen Rohren feuernd über Bass herfallen. Er überlebt nur, weil ein Trupp Texas Rangers wie die sprichwörtliche Kavallerie in letzter Minute eingreift und ihn aus dieser misslichen Lage rauspaukt.

Hier sehen wir das Ende der Schießerei und einen desorientierten Pappy, der im Gefecht mit Bass durch einen Rohrkrepierer erblindet war.

Die stolzen Retter jedoch erweisen sich als Trupp von Galgenvögeln, die jeweils einen Gesetzeshüter umgebracht und dessen Identität angenommen haben.
Pappy durchschaut den Schwindel sofort:

Bass ist dankbar für seine Rettung, hält aber Distanz zu den falschen Kollegen. Eigentlich müsste er sie alle verhaften, aber vor der Farm, auf der sie unterkommen, lauert eine Bande echter Banditen, die es auszuschalten gilt.

Zudem haben diese Rangers einem Schwur abgelegt, für ihre Untaten Reue zu tun. Damit sind wir tatsächlich bei der Prämisse des Kriegsfilm-Klassikers „Das dreckige Dutzend“. Ist es rechtens, Verbrecher für eine gute Sache einzuspannen?

Kann Marshal Bass (dem Miller eben sagt, sie seien vom selben „Arbeitgeber“, Colonel Helena, beauftragt) darüber hinwegsehen? Fühlt er sich damit auf eine Stufe gesetzt mit Killern? Greift das seinen Stolz als schwarzer Mann an?

Wie befreit sich unsere Hauptfigur aus diesem moralischen Dilemma? Und diese Zwickmühle ist keine einfache, denn wir dürfen Bass durchaus einen krankhaften Gerechtigkeitssinn unterstellen! Der Mann geht bekanntlich durch die Hölle, um jede Art von Mord zu sühnen (so gesehen in MARSHAL BASS, Band 1-8).

Band 9 unterhält mit wie immer geradliniger Handlung, markanten Typen und natürlich knackigen Dialogen, hier mein Lieblingszitat: „Denken Sie manchmal an Gott, Mister Bass?“ – „Wahrscheinlich genauso oft, wie er an mich denkt.“

Abgesehen von den wenigen parallelmontierten Seiten mit Doc Moon und Hope ist „Texas Rangers“ ein äußerst actionbetonter Band, indem Bass noch ein drittes und viertes Mal in Lebensgefahr gerät.

Das ist mir eigentlich schon zu viel, und so endet das Album mit einer kleinen Enttäuschung, auf einem Cliffhanger nämlich und ist somit der erste MARSHAL BASS-Band, der zwingend eine Fortsetzung erfordert. Die ist auch schon angekündigt und wird „Hell Paso“ heißen.

Wenn es soweit ist, werde ich diesen Beitrag mit Band 10 ergänzen und updaten. Versprochen. Bis dahin gibt mir das Gelegenheit, mal wieder einen Blick nach Frankreich zu werfen …

Mehr Stoff von Macan und Kordey

Parallel zur Westernarbeit hat das kroatische Dreamteam noch das Doppelalbum COLT & PEPPER vorgelegt (2020-21).


Hierbei handelt es sich um eine vergnügliche Fantasy-Fingerübung in feudalem Setting: Salomon Culpepper, genannt Pepper, ist ein Musketier kurz vor dem Ruhestand, ein altgedienter Recke der königlichen Garde.
Dummerweise vermiest ihm sein hitzköpfiger Neffe Coltrayne, genannt Colt, den gemütlichen Lebensabend. Unter dem Einfluss des Nekromagiers Osssus führt er eine Rebellion gegen König Domitian an.

Im Thronsaal kommt es zur Konfrontation und Pepper muss sich zwischen Verwandtschaft und Autorität entscheiden. Er sticht seinen Regenten nieder und verhilft seinem Neffen zur Flucht.
Erst verstecken sich die beiden bei einem alten Piratenfreund und der schönen Diebin Lytha, dann erfahren sie im verzauberten Birkenwäldchen von den Geistern der Verstorbenen, dass Domitian noch lebt und wieder über seine Stadt Paragusa herrscht. Das will Pepper mit eigenen Augen überprüfen.

Bodennebel im Birkenwald: Pepper stapft los zur Lichtung der Verstorbenen.


Zurück im Piratennest aber müssen sie erst einmal feststellen, dass die diebische Konkurrenz Lytha an einen Dämonen verkauft hat. Colt und Pepper befreien sie aus einer unterirdischen Höhle, wobei herauskommt, dass Colt keine Seele mehr besitzt. Denn die hat sich Ossus gegriffen, als er ihn zur Rebellion anstiftete.

Der letzte Akt spielt erneut in Paragusa, wo sich Pepper nach erneuer Konfrontation mit Domitian ergibt: Ossus hat sämtlichen Bewohnern die Seelen entzogen und steuert alle Menschen fremd. Das ist jedoch keine Terrorherrschaft, sondern ein freudloses Funktionieren.
Und während Pepper sich in die Verhältnisse fügt, begehrt Colt (der sich zwischenzeitlich mit dem Magier arrangiert hatte) wieder auf!

COLT & PEPPER ist kein großes Ding, aber ein sympathisch spinnerter Comic, der durch Macans leichten Ton und Kordeys originelles Artwork besticht.

Colt konfrontiert die Löwenwesen und errettet Pepper samt Lytha aus deren Gewalt.


Und ab 2015 (also exakt vor MARSHAL BASS) sind vier Bände des Comics NOUS, LES MORTS erschienen. Hierbei handelt es sich um einen größeren Wurf: Wir beginnen diese Abenteuer irgendwo im Nordamerika des 15. Jahrhunderts.


Die Inkas haben soeben ein weiteres indigenes Volk unterworfen und feiern ihren Sieg mit einer großen Menschenopfer-Orgie.
Der stolze Prinz Manco kehrt siegreich zu seinem Vater zurück und wird sogleich mit der nächsten Aufgabe betraut: Aus dem Osten ist ein Schiff mit Untoten gelandet, die nun von den Inkas studiert werden.

Was den Herrscher fasziniert, ist die Tatsache, dass diese lebenden Toten nicht sterben wie gewöhnliche Menschen. Also vermutet er, dass irgendwo da draußen die Wahrheit liegt – in Form des sagenhaften Jungbrunnens, der Unsterblichkeit verheißt.

Der alte Inkakönig erzählt Sohn Manco, wie die Zombies auf Land getroffen sind.


Doch unser armes Europa ist zwar besiedelt von Unsterblichen, die aber unter einer Zombieseuche leiden und sich von Menschenfleisch ernähren müssen. Diese Vorgänge schildert uns in der Nebenhandlung ein Priester, der eine Chronik über diese tristen Tage führt.

Auf folgender, eindrücklicher Seite sehen wir, wie der gute Mann eine noch nicht infizierte, Schutz suchende Frau bei sich aufnimmt. Doch vor der Kirchentüre sammelt sich die blutgierige Menge. Der Pater erweist der Frau Barmherzigkeit, indem er sie erschlägt:

Am Ende des ersten Bandes trifft Manco per Zeppelin beim Priester ein und verlangt, das Geheimnis der Unsterblichkeit zu erfahren. Und am Himmel zieht in dem Moment offenbar ein japanischer Kamikaze-Pilot vorbei.

Denn wie es in Band 2, 3 und 4 weitergeht – das weiß ich nicht!

Ich klage an: J’accuse!

Meine Comicfreude über die herrlichen Alben von Igor Kordey wird getrübt durch die Tatsache, dass sie nicht erhältlich sind!

Ich habe mit Glück und per Zufall die beiden Bände von COLT & PEPPER ergattert, aber an NOUS, LES MORTS beiße ich mir seit über einem Jahr die Zähne aus.

Man sollte annehmen, ein Mainstream-Produkt vom Großverlag Delcourt sei problemlos zu  bekommen. Doch Pustekuchen! Der Verlag druckt offenbar nur einmal, danach ist Schicht.

Weder Amazon Deutschland noch Amazon France oder irgendeine Ebay-Filiale hat diese Titel überhaupt vorrätig. Band 1 kriegt man (noch), aber dann wird es bitter. Ich habe es online bei französischen Buchhandlungen probiert. Ich war in Lyon und in Brüssel in mehreren Comicläden – brutale Fehlanzeige.

Inkas in Luftschiffen unterwegs nach Europa.


Das ist mir echt ein Rätsel. Ich besitze NOUS, LES MORTS Band 1 (und Band 3, ich gestehe es, der mir aber ohne Band 2 wenig nutzt). Ich jage weiter, habe aber kaum noch Hoffnung.

Inzwischen denke ich, der einfachste Weg wäre es, von Delcourt die deutsche Lizenz für die ganze Serie zu kaufen und den Comic hier auf den Markt zu bringen. Vielleicht mach ich das irgendwann mal.  

Werde zuvor aber noch bei Splitter vorspechen: Hey, wilder Zombiecomic mit untoten Mönchen, blutrünstigen Inka-Kriegern und feurigen Heißluftballon-Schlachten!
Ist das nichts fürs deutsche Publikum?

Noch Platz für ein Tableau?

Markenzeichen von Kordey in allen seinen Werken ist übrigens die Panorama-Doppelseite. In jedem Band darf er eine inszenieren. Autor Macan erlaubt seinem Zeichner diese Schrulle, die ja völlig kontraproduktiv zur Handlung ist. Was soll ich ein Bühnenbild aufbauen, wenn ich damit zwölf Panels verliere, die die Erzählung voranbringen könnten?

Aber nein: Ein Kordey-Comic enthält immer dieses atemberaubende Tableau, was uns innehalten und das Bild studieren lässt. Das ist überflüssig und totaler Quatsch, aber wunderschön.

Die Panorama-Doppelseite aus „Texas Rangers“.

Auch auf diese Weise bremst MARSHAL BASS sein eigenes Genre aus und setzt ein Fragezeichen über das Geschehen: War der Wilde Westen wirklich so, liebe Kinder?

Die Überhöhung der grafischen Mittel und die Überbetonung der Kolorierung sind Werkzeuge der Verfremdung. Die Magie besteht letzten Endes darin, dass diese Bände noch als Western funktionieren. An ein paar Schrauben gedreht – und es wäre Satire!

Das ist für mich der Punkt, weshalb ich Macan-Kordey-Comics so liebe: Sie nehmen sich nicht ernst, sondern wissen mit allen Aspekten der Neunten Kunst zu spielen.

Spiel mit mir!

Im Vergleich der drei Serien bemerken wir auch, wie Macan (der Autor) funktioniert. Das ist kein Mann für elaborierte Drehbücher, der kennt keine verschlungenen Plots und Subplots. Macan wirft im Grunde eine spinnerte Prämisse aus, montiert drumherum kauziges Personal und lässt seine Figuren dann mal draufloslaufen.

COLT & PEPPER: Ein Seelen stehlender Zauberer bringt eine Stadt unter seine Gewalt, gerät aber an einen sturen Gardekapitän und seinen exotischen Neffen.

NOUS, LES MORTS: Kolumbus kommt nie nach Amerika, weil im Mittelalter nicht die Pest, sondern die Zombieseuche umgeht. Also können sich indigene und asiatische Kulturen weiterentwickeln und fallen nun über Europa her.

MARSHAL BASS: Ein schwarzer Sheriff muss im Westerngenre aufräumen. (Und das meine ich so „meta“, wie ich es sage.) Bass begegnet Banditen, Sklaventreiber, Soldaten und der eigenen Familie.

Macan und Kordey schreiben mit MARSHAL BASS eine neue Grammatik des Westerncomics.
So wie Tarantino mit „Django Unchained“ das ausgeblendete Thema der Sklaverei in den Western zwingt und das Genre damit erweitert oder wie die Amazon-Serie „The English“ einen neuen Umgang mit vermeintlich vertrautem Personal wagt und somit Erwartungshaltungen bricht.

Damit wären wir zurück am Anfang: MARSHAL BASS berauscht mich und ich warte auf Band 10. Diesmal kein Blättervideo, ich streike, höhöhö.