Tiere suchen ein Zuhause: PRIMORDIAL

Huch, da hab ich mit der Titelzeile schon die halbe Handlung verspoilert!

Genauer gesagt, passt die Handlung auf die Kurzformel „Frauchen sucht Hund“, aber es ist nicht irgendein Hund, der hier entlaufen ist, sondern es dreht sich um Laika, die sowjetische Raumfahrthündin – und die ist bekanntlich in den Weltraum ausgebüxt!

Was wir jedoch nicht ahnten, ist, dass Laika im Orbit von einer außerirdischen Singularität verschluckt wurde und in dieser am Leben geblieben ist.

Es kommt noch doller: Ebendort trifft Laika auf zwei US-amerikanische Kollegen: den Rhesusaffen Able und die Totenkopfäffin Mrs. Baker. Alle drei sind jetzt die magische Weltraum-WG und können sich untereinander verständigen.

Allerdings driften sie flott von der Erde weg, da ihnen der Funkimpuls zur Heimkehr fehlt. Jaja, das hamwer gerne: Tiere zum Mond schießen, aber die Leine nicht angelegt haben!

Man darf sich wundern, was Autor Jeff Lemire da aus der Weltraumfolklore um Laika zusammenfantasiert.

Zeit der Geschehnisse ist das Jahr 1961, in dem die NASA ihre Weltraummissionen abbricht. Offenbar aufgrund der unheimlichen Vorgänge im Orbit, die nie weiter erklärt werden. Hier verlässt Lemire die historische Realität und reißt ein fettes Handlungsloch.

Das stopft er mit zwei menschlichen Figuren, die sich auf die Suche nach den verschwundenen Tieren machen. Das ist zum einen Yelena Nostrovic, Laikas Frauchen, die die Hündin bis zum Start trainiert hat. Zum anderen der US-Amerikaner Donald Pembrook, Elektrotechniker vom M.I.T., der hofft, das Raumfahrtprogramm zu reaktivieren.

Als er erfährt, dass er bloß die Datenanlagen abbauen und archivieren soll, lässt er sich auf eine Reise nach Ost-Berlin ein, um dort Yelena zu treffen und von der wahren Geschichte hinter der Sputnik-Mission zu erfahren. Beide dringen in ein verlassenes Kontrollzentrum der Sowjets ein, um mit Laika, Able und Mrs. Baker in Kontakt zu treten.

Yelena und Donald sind interessante Figuren, denn beide sind in ihren jeweiligen Systemen „underdogs“ (haha!). Sie als Frau, die nicht ernst genommen wird; er als Afroamerikaner, der für den Putzmann gehalten wird. Lemire stellt sie uns auf, um ihnen dann aber kaum mehr als eine Statistenrolle zu verleihen. Denn der Fokus liegt auf den Viechern, die dank ihres Intelligenzsprungs aber nur Heimweh entwickeln!

Solo für Sorrentino

Der einzige Grund, weshalb ich PRIMORDIAL nicht laut lachend im „Gelesen“-Stapel vergrabe, ist das Artwork von Andrea Sorrentino. Der neapolitanische Comickünstler ist spätestens seit dem Vorgängerprojekt GIDEON FALLS (ebenfalls mit Lemire) ein Begriff in der internationalen Szene.

Ich bin hingerissen von diesem Mann und halte ihn (mit Ian Bertram und Emma Rios) für einen dieser Kreativen, die in der Neunten Kunst neue Impulse setzen. Diese drei Künstler sind Komponisten, die mit Layout und Bildgestaltung experimentieren, wie man es nicht für möglich gehalten hätte.

(Sorrentino variiert in PRIMORDIAL noch dazu seinen Stil und gestaltet manche der Weltraumszenen in anderer Technik, die mich verrückterweise an einen „reduzierten Ian Bertram“ erinnert!)

Sorrentino macht im Alleingang aus „Frauchen sucht Hund“ ein staunenswertes Comicabenteuer, das mit „2001“-inspiriertem Brimborium aufwartet! Sein Weltall ist nicht kalt und leer, sondern glitzert und strahlt als Ort der Wunder – ohne dabei kitschig zu werden.

Diese „space opera“ inszeniert er auf großzügigen Doppelseiten, die ich hier fotografisch wiedergebe. Dass da im All eigentlich nix passiert, ist komplett mumpe. Oft brillieren Comics zwar durch ihren Zeichenzauber, aber nur manchmal genügt allein das.
Ich verlinke HIER noch die Verlagsseite mit einer Leseprobe.

Kurz: PRIMORDIAL ist ein absolutes Muss für alle Fans von Andrea Sorrentino!
Da beißt die Maus keinen Faden ab.

(Mäuse übrigens hat man auch ins All geschossen und angesichts der Weltlage wäre es an der Zeit, diese schöne Tradition mal wieder mit bestimmten Menschen fortzusetzen. Ihnen stehen sofort einige Namen vor Augen. Es muss ja gar nicht bis zum Mond oder Mars gehen – der Weg sei das Ziel, kicher.)

Alle, die jedoch noch am Boden bleiben, sind aufgerufen, sich ein hübsches Blättervideo anzuschauen.