Schön, dass sich junge Menschen noch mit Klassikerliteratur beschäftigen. Das hab ich seinerzeit als Student der Germanistik auch getan, den „Faust“ von Goethe sogar freiwillig, ohne zugehöriges Seminar. Der Stoff ist prall und griffig, hat wilde Szenen, krankt im Ganzen aber an einer schlechten dramaturgischen Balance – behaupte ich frech.
(Ich habe den Text damals um die Hälfte eingekürzt und mir selber ein „Best of ‚Faust‘“ zusammengetippt. Aber egal!)
Worauf ich hinauswill: Ich freue mich über respektlose Adaptionen großer Werke, und eine solche haben wir hier vor uns.
Roya Soraya interpretiert den über 200 Jahre alten Text auf ihre Weise neu. Ihr Faust ist ein reicher Unternehmer mit Burn-out, der sein Leben irgendwie aufpeppen und es „mal mit Esoterik“ probieren möchte.
Er beschwört einen Erdgeist, der allerdings vom größenwahnsinnigen Menschlein nichts wissen möchte. Die Erscheinung verabschiedet sich als Wolke aus dem Fenster.
Faust folgt ihm hinaus und will schon vom Dach springen, da hält ihn zurück … ein Song aus dem Schlagerradio: „Sing Hallelujah“ von Dr. Alban. Lustiger ist noch kein Selbstmord verhindert worden (und ich kann Faust verstehen, tanken auch Sie Lebensfreude HIER.)
Auf einer protzigen Riverboat-Tour mit Unternehmerkollegen erleidet Faust eine nächste Sinnkrise. Als ihm ein Hund zuläuft, ist er kurz aufgemuntert, dann erstaunt, denn „aus des Pudels Kern“ schält sich Mephisto.
Der bietet seine Lifestyle-Coach-Dienste an, weil er zu Beginn des Comics mit dem genderfluiden Gott* folgende Wette abgeschlossen hat: Wer von beiden kann den sinnsuchenden Faust auf seine Seite ziehen?
Im Folgenden macht sich Soraya einen Spaß draus, ihren Mephisto in immer neuen Masken auftreten zu lassen und dabei zeitkritische Kommentare einfließen zu lassen. Als Frau wird sie prompt von Faust angemacht, worauf ihr entfährt: „Ich sollte echt aufhören, als weiblich gelesen in Erscheinung zu treten.“
Ich empfehle, sich per Wikipedia schnell einen Überblick über Charaktere und Handlung zu verschaffen.
Die brachiale Zecherei in „Auerbachs Keller“ lässt Soraya leider aus, aber das ist so ein Exkurs von Goethe, der nichts zur Handlung beiträgt, sondern nur der zeitgenössischen Ausschmückung dient.
FAUST, der Comic, präsentiert uns dafür eine Disconacht und die „Hexenküche“ (in der Faust magisch verjüngt wird) als Schönheitsklinik.
Mephisto arrangiert für Faust ein Date mit der jungen Margarete (dem Goetheschen „Gretchen“), die in einer Single-Bude lebt, dekoriert mit einem „Hambi bleibt!“-Poster. Dank seines frischen Instagram-Accounts kann Faust nun mit Margarete kommunizieren und sie zum Kirmesbummel einladen.
Ab da geht es bei Soraya auch flott in den Endspurt: Das Paar beginnt seine On-/Off-Beziehung und diskutiert über einer Schale Pommes die „Gretchenfrage“. Dann wird sie ungewollt schwanger, er nimmt Reißaus und verlustiert sich in der „Walpurgisnacht“ – was die Künstlerin für einen köstlichen Exkurs ihrerseits nutzt:
Moderne Themen und allgemeine Gesellschaftskritik fließen immer wieder ein, auch in der Randfigur des Valentin, des gern vergessenen Bruders von Margarete, der bei Soraya als überzeugter Bundeswehrsoldat auftritt.
Dessen Ermordung durch Faust und Mephisto inszeniert sie als Kreuzestod vor einer Deutschlandflagge und man ahnt, dass Soraya ein Hühnchen mit dem neuen deutschen Militarismus zu rupfen hat.
:- )
Das Finale gestaltet die Zeichnerin als Rededuell zwischen der psychisch zerstörten Margarete und ihrem drängelnden Lover. Hier bleibt Soraya überraschend nah am Original, erlaubt uns aber ein emotional bewegendes Ende.
Ein Vergleich sei noch eingeworfen: Der Comickünstler Flix nahm sich seinen FAUST – DER TRAGÖDIE ERSTER TEIL vor zwölf Jahren zur Brust und entließ die Figuren in ein Happy End, wenn auch nicht im Diesseits.
Beide Werke sind ein tolles Double Feature: Der comicstriphafte Flix-FAUST verwandelt Goethe in eine ausgekochte Berliner Großstadt-Comedy.
Die aquarellige Soraya-Novel spiegelt den Stoff in einer Gegenwart, der alle moralischen Werte abhanden gekommen zu sein scheinen.
Aber genau das kann man wunderbar an allen drei FAUSTs diskutieren! So wird Klassikerliteratur zum Vergnügen.
————————————————————————
Ich möchte nun noch ein kluges Mini-Interview mit den Zwerchfell-Verlegern anhängen, von mir noch angereichert mit Illustrationen der Künstlerin.
WIE SIEHT HEUTZUTAGE EIGENTLICH EIN TEUFEL AUS?
Ein Interview mit Roya Soraya
Liebe Roya, mein Vater sagte unlängst zu mir, mach doch mal was, was alle lesen wollen, zum Beispiel, den Faust als Comic adaptieren. Ich sagte, gibt’s schon und wenn, dann muss man da mit neuen Impulsen rangehen. Ich bin froh, dass du mir diese Arbeit abgenommen hast und offensichtlich die richtigen Impulse hattest. Erklär doch bitte, wie es dazu kam?
Goethes Faust musste ich natürlich in der Schule lesen. Da fand ich die Geschichte schon vielschichtig und gut geschrieben. Als ich ein paar Jahre später einen Comic als Bachelorarbeit machen wollte, fiel mir Faust wieder ein, mit all den Themen und Fragen, die jetzt so hochaktuell sind, wenn man genau hinschaut. Während des Studiums habe ich eine queerfeministische Perspektive entwickelt, von der aus ich auf die Welt schaue.
Einiges am Faust fand ich lustig, anderes machte mich wütend. Das waren gute Punkte, an denen ich für meine eigene Adaption ansetzen konnte. Ich fragte mich, wie sich die Geschichte wohl 2020 abspielen würde. Was würde Faust beruflich machen? Wie wäre die Beziehung zu Margarete einzuordnen? Und wie sieht heutzutage eigentlich ein Teufel aus? Am Ende war ein großer und wichtiger Impuls auch immer die Lust am Spektakel und an der Parodie. Mit einem Werk, das jede*r kennt, kann man viel Interessantes anstellen.
Bei einer Neu-Interpretation von Standard-Werken ist es ein schmaler Grat zwischen respektvoller Huldigung und Dekonstruktion. In welche Richtung bist du eher ausgepegelt bei der Arbeit?
Ich habe großen Respekt vor Goethes Dichtkunst und der tieferen Sinnhaftigkeit hinter der Geschichte. Gleichzeitig macht es aber auch großen Spaß, einen Klassiker zu parodieren und den alten, weißen Mann von seinem Thron zu holen. An manchen Stellen konnte ich beim Lesen kaum fassen, was da stand, vor allem bei den Szenen, die Goethe später doch wieder rausgenommen hat.
Die verrücktesten Comic-Szenen hat er selbst geschrieben! Gehuldigt haben wir dem Faust-Klassiker schon genug, aber ich hoffe, eine respektvolle Dekonstruktion geschafft zu haben.
Wir leben in einer Zeit, in der das Private politischer denn je ist. Aber wie viel von dir steckt in der Umdeutung des Dramas und dessen Personalien?
Im sogenannten “Vorspiel”, einer Art Making-of, das Goethe der eigentlichen Geschichte vorangestellt hat, sieht man mich am deutlichsten als Figur, wie ich mich durch sein Werk und mein Comic kämpfe. Viel mehr Persönliches steckt allerdings durch die subjektive Haltung, mit der ich Faust neu erzählt habe, in der ganzen Geschichte:
Meine Vorstellung von Gott, der/die sicherlich kein alter, weißer Mann mit Bart ist. Meine Wut über das Patriarchat, über die Art und Weise, wie Faust mit Margarete umgeht und wie cis Männer 200 Jahre später immer noch mit FLINTA umgehen.
Mein Respekt vor Margarete, der starken, mutigen jungen Frau, die sich selbst so gut reflektiert und doch in vielen Adaptionen immer wieder auf das kleine “Gretchen” reduziert wird. Im Comic ist die Geschichte Fausts nicht mehr von meinem persönlichen Welterleben zu trennen.
Mehr Infos, mehr Leseproben auf der Homepage des Zwerchfell-Verlags einzusehen.
Ich rede wie üblich über einige Aspekte des Werks in einem kurzen Vorstellvideo: