Beim Cover haben sie Mist gebaut: Auf dem roten Titelbild prangt eine goldorangene Schmuckschrift, die nur zur Geltung kommt, wenn man das Buch im richtigen Winkel ins Licht dreht.
Ansonsten sieht der Comic prächtig aus, handelt es sich doch um meinen Zeichner-Liebling Jakub Rebelka (s. JUDAS), der mit „Der letzte Tag des Howard Phillips Lovecraft“ in Frankreich sein jüngstes Werk veröffentlichen durfte.
Das Skript stammt vom französischen Schriftsteller Romuald Giulivo, der mit LE DERNIER JOUR DE HOWARD PHILLIPS LOVECRAFT seinen ersten Ausflug in die Welt der „bandes dessinées“ (BD) unternimmt.
Die Handlung: Lovecraft stirbt!
Verarmt, einsam, mangelernährt, zerfressen von Darmkrebs verbringt der zeitlebens verkannte Autor die letzten Stunden im Krankenbett.
In seiner Fantasie zieht eine Revue von Figuren und Persönlichkeiten vorüber, die Aspekte seines Lebens und Schaffens aufarbeiten.
Bewegend (auch grafisch) die imaginierte Wiederbegegnung mit seiner Frau Sonia, die ihn verlassen hat und ihm nun klarzumachen versucht, dass eine Beziehung nicht aus Briefen, nicht nur aus Korrespondenz bestehen kann.
Tumultuös stürzt dazu das Meer aus dem gerahmten Bild eines Leuchtturms (das über dem Krankenbett hängt) und symbolisiert die See der Leidenschaft, auf die sich der schüchterne Schriftsteller nie hinausgewagt hat.
In einem nächsten Delirium empfängt ihn der Zauberkünstler Harry Houdini, für den er mal Texte konzipiert hat. Houdini entführt ihn nach New York – die Stadt, die Lovecraft gehasst hat und in der er zu ersticken drohte.
Der Schreiber erweist sich als Kleingeist, überfordert vom bunten Moloch Großstadt. Lieber flüchtete er sich nach Neuengland, lebte im Haus seiner Tanten und verlor sich in seinen grotesken Geschichten.
Der Houdini-Geist fordert ihn auf, über sich hinauszuwachsen und der Schriftsteller zu werden, der er zu sein verdient.
Doch Lovecraft bleibt passiv und taumelt von Vision zu Vision.
Er sieht sich in Gesellschaft seiner frühen Figur Randolph Carter, er begegnet seiner feindlichen Gottheit Nyarlathotep, er wandelt in den Fußspuren Edgar Allan Poes.
Lovecraft und kein Ende?
LE DERNIER JOUR DE HOWARD PHILLIPS LOVECRAFT ist illustratorisch ein Rausch (so liebe ich meinen Rebelka, aber nicht alle mögen Rebelka).
Ich behaupte, in dieser Arbeit packt Rebelka erstmals sein komisches Talent aus, denn seine Interpretationen realer Personen geraten zu genüsslichen Karikaturen.
Auch erlaubt er sich kleine Bildscherze zur Popkultur oder mal einen schmelzenden Eisbecher am Südpol.
Hier sein bereits gespenstisch verzerrter Lovecraft-Schatten im Gespräch mit dem argentinischen Meisterliteraten Jorge Luis Borges:
Was gibt uns das Ding inhaltlich? Nun, hier dürften wir den ersten Comic vor uns haben, der sich ernstlich mit dem Menschen Lovecraft beschäftigt.
Ich wusste nicht, dass er zum Beispiel Zehntausende Briefe geschrieben hat, dass er rassistische Tendenzen hatte, dass er einige Zeit lang mit der ukrainischen Jüdin Sonia Greene verheiratet und dass er Ghostwriter für Harry Houdini war.
Das alles präsentiert Autor Giulivo kompakt und kreativ.
Uns Popkultur-Nerds dürfte die Passage mit den „Lovecraft-Jüngern“ am meisten interessieren.
Nach einer Begegnung mit Cthulhu-Fans tritt Lovecraft vor eine Art Tribunal. Auf monolithischen Stühlen hocken drei würdevolle Gestalten, die wir unschwer als Stephen King, Neil Gaiman und Alan Moore identifizieren.
Sie versichern dem verdutzten Pulpschreiber, dass sie die Besten in ihrem Gewerbe seien und sich um seine Werke kümmern werden. Er könne ihnen voll und ganz vertrauen, sie würden was machen aus seinem Werk.
Lovecraft reagiert fassungs- und verständnislos. Er wolle überhaupt nichts aus sich gemacht haben, sondern nur in Ruhe sterben und vergessen werden wollen.
Und wir alle wissen, dass er diesen frommen und bescheidenen Wunsch in der Pfeife rauchen kann.
Denn nach seinem Tod begann die halbe Kunstwelt, Figuren und Motive zu übernehmen, zu adaptieren und weiterzuentwickeln – von Jorge Luis Borges und Erich von Däniken über H. R. Giger und Wolfgang Hohlbein bis zu Clive Barker und Mike Mignola (HELLBOY).
Dieser Comic bekräftigt mit Nachdruck, dass Lovecraft eine arme Wurst gewesen ist. Aber selbst armen Würsten kann man schöne Denkmäler setzen.
Ich biete noch ein wurstiges Geblätter durch den Band an: