Die Höllenfahrt des Johann Hölzel: FALCO

Ich mochte meinen Augen kaum trauen, als ich in die Leseprobe dieses Comics beim Knesebeck-Verlag hineinschaute: Da zeichnet jemand wie Caza selig – ein Stil, wie ich ihn seit fast 40 Jahren nicht mehr gesehen habe!

Aber erstens weilt Phillippe Cazaumayou noch unter den Lebenden (siehe diesen Link zu einer Leseprobe beim Splitter-Verlag) und zweitens entdecke ich darüber hinaus noch Einflüsse von Victor Moscoso und Harvey Kurtzman.

Aber das sind die speziellen Spintisirereien eines alten Comiclesers. Wie dem auch sei, der Mann, der FALCO zeichnet, heißt Arnulf Rödler und ist Illustrator mit Hang zu Gothic-Motiven. Wirklich „weirden“ Gothic-Motiven.
Der legt ihnen auch einen Moebius hin, wenn Sie danach fragen. :- )

Falco halluziniert im Koksrausch ein Zwiegespräch mit seinem vormaligen Bandleader Stefan Weber, der sich in eine halbmenschliche Raubkatze verwandelt.


Ich sage: Wow. Da fahr ich voll drauf ab. (Letzeres ein Begriff aus der Jugendsprache der 1980er-Jahre, um die es im Comic auch geht.)
Beziehungsweise um nur einen Tag im Jahre 1998, genauer den 6. Februar, Todestag von Johann Hölzel, besser bekannt unter dem Pseudonym Falco – und der war internationaler Megastar der Achtziger.

Es beginnt mit einem Drogentrip auf der Toilette einer schäbigen Diskothek in der Dominikanischen Republik, wo Falco seinerzeit lebte. Und dann geht es nur durch Falcos Gehirn, denn dieser Comic präsentiert Halluzinationen und Flashbacks aus der erstaunlichen Karriere des Johann Hölzel, eines Wiener Musikers, der so größenwahnsinnig war, sich zum Weltstar „Falco“ auszurufen – und dafür einen furchtbaren Preis gezahlt hat.

Another one bites the dust

Ruhm, Geld, Stress, Tourleben, Drogen, Erfolgsdruck machen jeden Menschen fertig, und Falco ist da keine Ausnahme. Das Werk ist in vier Kapitel eingeteilt, die „Titanic“, „Rom“, „Amadeus“ und „Vienna“ heißen. Wobei „eingeteilt“ schon falsch ist, diese vier Abschnitte fließen jeweils ineinander, was das halluzinatorische Konzept von FALCO noch betont.

Die Titel beziehen sich auf Lieder und zugleich auf Hölzels Lebensphasen, aber auch das nicht in letzter Konsequenz. Das Schlusskapitel „Vienna“ zum Beispiel spielt auf Falcos Hit „Vienna Calling“ an, der jedoch schon ein Spätwerk war. Rödler illustriert dazu allerdings die frühen Tage des Musikers, der noch als Bassist für andere Bands spielt. Hölzel läuft durch seine verschneite Heimatstadt Wien und diskutiert lebhaft mit dem Rocktheater-Anarchisten Stefan Weber.


Dass es sich hier um Weber handelt, muss man sich aus Falco-Recherche erschließen. Rödler erklärt in seinem Werk gar nichts. Das mag radikal sein, gehört aber zur Machart dieses Comics.

Weber springt übrigens zu Beginn schon als diabolischer Rasputin aus der erwähnten Kneipentoilette, in der sich Falco soeben eine Nase Kokain genommen hat. „Ich muss mich mit der Dosis verschätzt haben“, reflektiert der Musiker und das Weber-Phantom macht ihn lang mit Vorwürfen: „Seit 72 Stunden feierst du den eingebildetes Comeback-Album. Fast nichts davon hast du selber komponiert.“

Falcos Geltungssucht ist der rote Faden, den Rödler uns spannt. Das beginnt mit peinlichen Protzereien in der menschenleeren Disco frühmorgens gegenüber der minderjährigen Bedienung, die sich schließlich in die Songfigur Jeanny verwandelt.

Man darf sich fragen, ob die junge Kellnerin tatsächlich Jeanny heißt (oder ist), wahrscheinlich ist auch sie nur ein Kokaingespinst in Hölzels Hirn. Denn die Szene geht über in ein Gefängnis, in dem sich Falco hinter Gittern wiederfindet.

Ich vermute, dass Rödler in seine Bilder etliche Verweise und „easter eggs“ auf Falcos Wirken, Musik und die Ikonografie seiner Videos verwoben hat. Mir fehlt das Fanwissen, um sie alle zu entdecken. Wer mag, schaut sich den Clip zu „Jeanny“ an und darf spekulieren, welche Bildmotive (und Farben!) der Zeichner daraus entlehnt hat:  

Falcos Ende in der Zwangsjacke jedenfalls wird prominent aufgegriffen. In der Nachtfinsternis der Verwahranstalt begegnet Hölzel im Comic seinem Kollegen Mozart und erfährt durch diesen eine hypnotische Behandlung.

Dieser sogenannte Mesmerismus katapultiert Hölzel in den nächsten Höllentrip, seine Falco-Persönlichkeit löst sich auf und er landet wieder als Bassist in Wien, wo er seinen Bandmitgliedern erklärt, er sei fortan die Bühnenfigur „Falco“. Gefangen in der Ego-Schleife durchlebt Hölzel sein verkokstes Leben wieder und wieder!

Auf Chronologie wird also gepfiffen, was ich sehr erfrischend finde. FALCO ist keine Biografie, sondern eine fantastische Tour de Force durchs Gehirn des Johann Hölzel. Ein Fiebertraum der unbequemen Sorte, aber für uns großartig anzuschauen.  
Ich bin gespannt, wie Falco-Fans diese Annäherung an ihr Idol aufnehmen … gut möglich, dass sie sie vehement ablehnen! Wobei „Annäherung“ schon wieder falsch ist, denn Rödler rückt nicht an Hölzel heran und beobachtet, sondern er schindet seine Figur rücksichtslos.

Er infiltriert und seziert den Menschen und lässt ihm kaum eine Chance, Künstler zu sein. „Leben und Sterben des Hans Hölzel“ lautet der Untertitel dieses Comics und deutet an, dass hier kein Star aufs Podest gehoben wird. Es geht um Rausch, Wahn und Verzweiflung eines Musikers aus Wien, der seiner Arroganz freien Lauf lässt. Ein Werk über die Schattenseiten des Showbusiness.
So ruppig ist noch keine Biografie mit ihrem Subjekt umgesprungen!

Hier sehen wir links Hölzels Mutter, in der Mitte den jungen Johann mit einem Rennwagenmodell (Jochen Rindt war Formel-Eins-Fahrer), rechts ein „Negativ-Gesicht“ und ein stürzendes Auto, was auf Falcos Ende überleitet (Autounfall).

Gefangen im Raster

Ich finde es mehr als beeindruckend und möchte zum Schluss noch auf Rödlers Seitengestaltung eingehen. Ausnahmslos jede der knapp 90 Seiten ist in ein zwölf-Bild-Raster im Querformat eingeteilt.
Das ist ungewöhnlich, man legt ein Zwölfer-Raster eher im Hochformat an. Dieses „Grundgerüst“ hat die Anmutung einer Bildschirmwand, was der Geschichte einen gewissen MTV-Look verleiht. Diese zwölf Schirme pro Seite arrangiert Rödler ganz unterschiedlich und höchst kreativ.

Eher selten ergeben zwölf Bilder ein großes Panorama-Panel. Viel öfter bespielt der Zeichner diese Bildwaben mit Filmschnipseln, die ganz eigene Kompositionen erlauben: Mal sind es zwölf schnelle, zerhackte Minibilder; mal sortieren sich Elemente zu halben oder drittel Seiten; mal zerfließen diese Clips auch diagonal übers Raster und überlagern sich mit Einspielungen im Hintergrund!

Hier sehen wir auf der linken Hälfte einen „elektrisierten Falco“, der prahlerisch aus dem Sessel hüpft; auf der rechten Bildhälfte andersfarbige Hintermalungen und eine zweite Falco-Pose; die vier Quadrate unten rechts fügen sich dabei nicht organisch in die restlichen ein.


Resultat ist ein psychedelisches Gesamtarrangement, das nicht immer leicht zu lesen ist und Konventionen über den Haufen wirft. Wie gesagt, FALCO ist keine Bestätigungskost für seine Fans. Es ist Rödlers persönliche Vision, seine „Abrechnung“ mit einem Musikerkollegen und Wiener Nachbarn. Ich bin mir nicht sicher, inwieweit der Zeichner seinen Protagonisten verurteilt. Sein Buch scheint mir mehr Vorwurf als Hommage zu sein.

Auf jeden Fall möchte ich mehr von Arnulf Rödler sehen! Sehen Sie mehr davon, indem Sie diesen kurzen Clip aufrufen: