Bon Appétit: IN DER KÜCHE MIT ALAIN PASSARD

Ein Comic über einen Pariser Koch? Willkommene Gelegenheit, meine Verachtung über die französische Küche mal auszukübeln!
Ich hasse die französische Küche. In den Zehner-Jahren war ich des Öfteren in Paris und sehr entsetzt darüber, dass „der Franzose an sich“ fast nur Fleisch auf der Speisekarte hat – und dann auch noch rohes! Ekelhaft. Widerlich. Abstoßend.

Aber: Dieser Comic widmet sich dem Sternekoch Alain Passard, der sich vom Fleisch abgewendet hat und heute als „internationaler Star der Gemüseküche“ gilt.
Auf dieser halben Seite erleben wir Passards Liebe zum Gemüse.

Vegetarische Franzosen? Das will ich sehen!

 

Hereinspaziert also ins Restaurant „Arpège“, wo minimale Cuisine mit vegetarischen Zutaten zelebriert wird. Und die Gerichte klingen ziemlich wahnsinnig: Eine Handvoll Erbsen, gedünstet mit Schalotten und Knoblauch, serviert mit Minzblättern und einem Pampelmusenschnitz … das soll eine vollwertige Speise sein?!

Das muss man zu Hause ausprobieren. Ich sage es vorab ganz deutlich: IN DER KÜCHE MIT ALAIN PASSARD ist sowohl Kochbuch als auch Comic. Finger weg, wenn Sie keine Neugier verspüren, etwas daraus nachkochen zu wollen.

Dieser Band zerfällt in abgedruckte Rezepte mit illustrierter Anleitung sowie kleine Episoden um Chef Alain und sein Personal. Mit von der Partie ist auch Zeichner Christophe Blain, der in der Küche steht und sich Skizzen macht. Der Zeichner fungiert als Dokumentarist, der nach getaner Arbeit auch in den Genuss der beschriebenen Speisen kommt.

Blain gelingt das Kunststück, uns in seinen illustrierten Rezepten den Gemüsezauberer vorzustellen. Passard kocht mit Passion und offenbart uns all seine kleinen Ticks: Sein Mantra, keine Zutat heiß zu braten. Seine Faszination mit Farbe und Konsistenz seiner Kreationen. Seine Freude daran, selbst den aufsteigenden Dampf aus der Pfanne zu bejubeln.

Ganz klar, der Mann hat einen an der Waffel (Rezept nicht mitgeliefert), aber wenn man als Koch eine Marke sein will, dann braucht man seine Manierismen!

Wir dürfen annehmen, dass ab und zu auch tüchtig übertrieben wird, oder?

Wer weiß!?

Und natürlich machen die Franzosen wieder ein Riesengeschiss um  ihr Essen. Das Kapitel „Rosenstrauss“ präsentiert Passard in geheimer Mission. Er hat sich eine neue Zubereitung für Apfelkuchen ausgedacht und weiht Blain in seine Künste ein.

Sympathisch aber gerät Blains Inszenierung, weil sie das Mysterium in den Vordergrund stellt: der umstrahlte Küchenchef, das „Zensurschildchen“ vor dem Zubereitungstisch, die Aufgeregtheit der Situation.
Heraus kommt tatsächlich ein neues Arrangement in Wrap-Form mit Blätterteig:

Mir gefällt, dass Blain sein Subjekt (Alain Passard) mit ironischer Distanz illustriert. Siehe die „Schwurbel-Wölkchen“ über seiner Stirn, die glasigen Augen, die in die Hüfte gestemmten Hände. Das deutet einerseits Manie, andererseits träumerische Entrücktheit an.

Und dabei geht es bloß um Apfelkuchen, herrje!
(Aber genau so transportiert man die französische Besessenheit mit simpler Nahrungsaufnahme.)

Christophe Blain, das sei betont, ist von Natur aus ein satirischer Zeichner. Ich lade Sie herzlich zur Betrachtung meiner Analyse seiner Westerncomics ein.

Die Western des Christophe Blain

Allein das Titelbild zu IN DER KÜCHE MIT ALAIN PASSARD ist Ausweis seiner Weltsicht. Der in die Betrachtung von Kochzutaten versunkene Chef ist völlig auf seine Inspiration konzentriert. Seine Körperhaltung spricht Bände. Passard steht in weitem Schritt, als sei er sprungbereit. Seine Hände ruhen nach hinten abgewinkelt auf der Hüfte, eine unnatürliche Positur, die jedoch Anspannung und Aktionsbereitschaft signalisiert.

Noch dazu ist er bekleidet mit langen Schürzen, aufgekrempeltem Hemd und Einmalhandschuhen. Ein solcher Mensch wirkt wie ein Wissenschaftler, ein Stratege, ein Erfinder. Vor ihm liegen allerdings keine Baupläne, medizinischen Rätsel oder Maschinenteile, sondern eine Limette, eine Ananas, ein Honigtopf und eine Saucenflasche!

Genau darum aber geht es. Der Koch als Visionär. Das vermittelt Blain mit gekonntem Strich. Um zu demonstrieren, wie minimal Passards Küche ist, hier „Das einfachste Dessert der Welt“:

Sie sehen, es werden lediglich Erdbeeren halbiert und mit Zuckerstückchen gespickt. Die erwähnten Berlingots aus Carpentras sind diese fiesen, zahnbrechenden Zuckerbonbons, die mir als „Kamelle“ im Rheinland fünf Amalgam-Plomben im Kindermund beschert haben.
Ich würde das Gericht als Erdbeeren mit Baiser-Krümeln variieren oder (wenn es ein Kindergeburtstag ist) mit Smarties. Harhar.

Der Praxistest: Erbsen!

 

Ich hatte gesagt, dass man aus diesem Buch etwas nachkochen muss. Ich wähle das absolut billigste Essen, die oben bereits erwähnten Erbsen (gedünstet).

Bereits in Schwitzen geriet ich, weil das schonende Zerlassen der Salzbutter auf einem Elektroherd 20 Minuten dauert. Da will sich kein aufsteigender Dampf einstellen. Also doch einmal rauf auf volle Pulle, dann wieder runter auf halbe Kraft.
Erbsen, Schalotten und frischen Knoblauch konnte ich besorgen, allerdings lässt sich frischer Knoblauch nicht pressen. Das Zeug hat die Konsistenz von Porree und ließe sich besser in feine Stückchen schneiden. Ich habe einen Klacks gepresst bekommen, musste viel Unzerdrückbares wegwerfen und hatte noch Angst, das Gericht nähme einen penetranten Knoblauchgeschmack an (was beim Pressen oft geschieht).

Auch das Spiel mit dem Abdecken des Gerichts in der Pfanne mittels Backpapier habe ich mitgespielt. Auch hier brauche ich fünf Minuten, um das vermaledeite Papier in die richtige Kreisform zu bringen.
Dann habe ich wie verlangt fünf Minuten gedünstet, mich dabei jedoch gefragt, weshalb man statt des Backpapiers nicht einfach einen Pfannendeckel benutzen könnte.
Dann raus aus der Pfanne und begierig probiert: Überraschenderweise schmecke ich weder Zwiebeln noch Knoblauch, sondern vor allem buttrig-gaumenschmeichelnde Erbsen. Der Buttergeschmack steht derart im Vordergrund, dass ich vermute, zu viel Butter genommen zu haben.

Leider war ich zu dumm, frische Minze zu besorgen, was sicherlich ein Versäumnis war. Dem Gericht fehlte einfach der Pfiff, bis meine Frau sich erbarmte, noch Pampelmusenscheiben dazu zu servieren (wie nach Rezeptur vorgeschrieben). Ich kann die bittere Natur der Pampelmusen (alias Grapefruit) nicht ausstehen, muss aber zugeben, dass der Kontrast mit den Buttererbsen tatsächlich Charakter hat.

Für einen zweiten Versuch entscheide ich mich für das Gemüse-Sushi, welches bei Passard wie folgt aussieht: Karotte, Rotkohl, Rettich und Fenchel werden (roh zerteilt) in Reismehlblätter gerollt und mit Senf, Olivenöl und Sojasauce verfeinert sowie mit bunten Rübchen-Scheiben dekoriert.
Da variiere ich vom Start weg. Karotte, Kohl, Paprika, Radieschen sind meine Gemüse, den Senf lasse ich weg.

Das ist in der Tat leicht gemacht und auch schmackhaft (wenn Sie ein asketischer Vegetarier sein können), aber braucht es dazu ein Kochbuch?! Braucht es dazu ein Küchengenie?!

Mir scheint, gerade bei der französischen Cuisine ist Brimborium die halbe Miete. Da kann ja jeder die Kochkunst revolutionieren!
Vielleicht ist aber das auch die Absicht dieser Obsession mit Lebensmitteln. Lassen wir uns von banal wirkenden Gerichten und von verrückten Chefs inspirieren.

Sie müssen ja nicht so draufkommen wie Alain Passard, der total in seiner Welt aufgeht und in dieser Sequenz referiert, wie er auf seinen Landgütern in der Sarthe (ein Departement im Südwesten von Paris, rund um Le Mans), der Eure (noch näher westlich an Paris) und am Ärmelkanal mit der Rübenzucht auf verschiedenen Böden experimentiert.

Hmm. Wahrscheinlich muss man eine solche Show abliefern, wenn man als Chef eine Marke sein will. Ist ja irgendwie auch sympathisch. Es gibt Schlimmeres.

IN DER KÜCHE MIT ALAIN PASSARD ist ein charmanter Mix aus Porträt, Reportage, Kochbuch und selbst Gartenbauratgeber (ein großes Kapitel gehört einer Betriebsführung mit Passards Gärtner Sylvain, der uns haarklein erläutert, mit welchen Methoden er möglichst naturbelassen Obst und Gemüse zieht).

Am Ende schlendern der Zeichner und der Küchenchef durch eine Straßenschlucht in einen imaginierten Sonnenuntergang. Dabei entlockt Blain seinem Arbeitsobjekt noch eine letzte, interessante Information.

Blains Strich ist dabei so unbehandelt und eigenständig wie Passards Küchenzutaten. Das ist sicherlich Geschmackssache. Es könnte opulenter daherkommen, mir schmeckt es trotzdem.

Zum Dessert serviere ich mein Blättervideo: