Darauf habe ich mich tatsächlich gefreut: Band 2 ist da, was leider ein volles Jahr gedauert hat. Damals nämlich habe ich mich ausführlich über den Start der deutschen Integral-Veröffentlichung ausgelassen.
Ich mag die Serie, weil sie für ihre Zeit enorm frech ist und immer wieder mit unkonventionellen Einfällen überrascht.
Ich werde mich mit keinen Vorreden aufhalten (aller Kontext ist im Link zu finden), sondern direkt die vier Alben des zweiten Bandes besprechen:
Nummer 5: „Der allerhöchste Alchemist“
Während Axle in seinem Translator wieder mal von seiner unerreichbaren Geliebten Shimere träumt, erkundet Musky die Umgebung des zum Auftanken gelandeten Raumschiffs „Silberdelphin“ – und tritt beinahe in … Hundescheiße!
So begegnen unsere Raumreisenden dem Dobbermann Freeday, der sich als Begleiter des Eremiten Robson Kruz-Hoey entpuppt.
Rasch erkennen wir eine Parodie auf Robinson Crusoe und Freitag.
Die beiden Raumschiffbrüchigen haben sich im Exil eingerichtet, denn sie sind wie Axle und Musky auf der Flucht vor der Purpurgarde.
Und während das Quartett in Robsons Wohnhöhle einen Meteoritenschauer aussitzt, berichtet Axle von seiner jüngsten Idee, wie er seine Shimere finden könnte: Gott, der allerhöchste Alchemist, müsste in der Lage sein, die beiden Liebenden zu vereinen!
Robson und Freeday wissen, wo man suchen muss: Auf dem Planeten Bussbbhyr bewacht eine Rotte Dobbermänner den Schöpfer des Universums, der dort heimlich gefangen gehalten wird.
Diese Suche nach Gott gestaltet sich durchaus ungewöhnlich. Denn Bussbbhyr ist ein Bordellplanet, auf dem zahlreiche Lüste bedient werden. Was hier zur Aufführung kommt, reiht sich nahtlos ein in die spinnerten Ideen von BARBARELLA bis zum INCAL.
Tentakelwesen, deren Arme „in wollüstigen Mündern“ enden; Sirenengesänge, die zum Orgasmus führen; Frauen mit der Vulva im Gesicht oder ein Bad im Ekstase-Aquarium:
Franzosen!
Wie es der Zufall will, wird Musky von einer Dobbermann-Garde entführt, um dem allerhöchsten Alchemisten als Liebschaft zugeführt zu werden! Axle braucht den Kidnappern nur zu folgen und landet in Gottes unterirdischem Luxusgefängnis.
Überraschung Nummer eins:
Gott ist ein verfressener, abgetakelter Hurenbock – und noch dazu pädophil.
Überraschung Nummer zwei:
Axles Sidekick Musky ist nicht, was wir bislang angenommen hatten:
Offenbar ist die Figur genderfluid. Das ist doch topmodern. Und Blasphemie wird auch nicht alt. Der Rest des Albums ist der makabren Erschöpfung Shimeres gewidmet.
Der verkaterte Gott, der an die Wand pinkelt und über die Mauer kotzt, lässt sich doch noch beim Ehrgeiz packen. Erst zeigt Axle ihm ein Bild von ihr:
Dann fordert er Gott auf, Shimere für ihn zu erschaffen!
Der allerhöchste Alchemist macht sich ans Werk, formt Knochen und Zaubererde zu einer menschlichen Figur, die er hernach grauslich begattet. Heraus kommt ein groteskes Monstrum, das über Axle herfällt.
Dieser Fehlschlag kann Axle jedoch nicht entmutigen, der sich erneut im Weltall auf die Suche macht.
„Der allerhöchste Alchemist“ ist ein kruder Mix aus Klassiker-Verbrämung, fragwürdiger Sexualität, komischer Tierwelt und vor allem deftiger Gotteslästerung. Ich wundere mich, dass so etwas erscheinen konnte (Original in PILOTE 1978, deutsches Einzelalbum 1987).
Das nächste Album nämlich ist zensiert worden und kam in Deutschland auf den Index, weil darin Hitler, Hakenkreuze und Konzentrationslager vorkommen!
Nummer 6: „Welche Realität, Papa?“
Hier legt Texter Christian Godard noch eine Schippe Wahnsinn drauf!
Ich zeige die Eröffnungsseite, die eine Abrechnung mit DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT präsentiert:
Im irdischen Hollywood hat der Filmproduzent Stuart ein Drehbuch namens „Der Vagabund der Unähnlichkeit“ geschrieben und weist seine Darstellerin in die Rolle der Shimere ein!
Der Comic macht sich in dieser Sequenz über sich selber lustig: Eine Frau, die im Weltraum nach ihrem Ritter schmachtet, das ist doch bescheuert.
Schnitt auf den Ritter (unsere Hauptfigur Axle), der mit Sidekick Musky die „Weltraum-Schlepperin“ Miss Irma aufsucht, ein Orakel, das womöglich weiß, wo Shimere zu finden ist.
Die sieht die Buchstaben „Hollywood“ vor sich und schenkt Axle eine magische Raupe, deren Kraft darin besteht, die Realität umzuformen.
Davon aber ahnen unsere Reisenden noch nichts:
Das Raumschiff Silberdelphin landet in den Hügeln vor Los Angeles und in Hollywood bricht der Wahnsinn aus: Schauspieler werden eins mit ihren Rollen und bringen als Soldaten oder Gangster Menschen um!
Da zurzeit auch Historienfilme gedreht werden, kommt es zu gefährlichen Konstellationen. Ritterduelle, Indianerkriege und der Zweite Weltkrieg laufen im Kleinformat ab:
Der Charakterdarsteller Delbert fantasiert sich als Adolf Hitler und kritisiert die mickrige Ausstattung des Films (der für ihn kein Film ist). Produzent Stuart wird verhaftet und auch die Shimere-Schauspielerin wird von der Gestapo abgeholt und deportiert.
Die parodierte Historie, geschaffen von der magischen Raupe, verschiebt die geschichtlichen Ereignisse hin zur Diskriminierung von „Sarazenen“.
Und während Axle und Musky fassungslos durch diese irre gewordene Miniaturwelt laufen und nach Shimere (bzw. deren Schauspielerin) suchen, begegnen wir haarigen Paarungen der Weltgeschichte.
Napoleon belagert das Filmstudio; der Faschismus wird von Karl dem Großen angeführt; Leonardo da Vinci entwickelt Wunderwaffen (und lässt sich nebenbei von Musky zur „Mona Lisa“ inspirieren).
Schließlich entdeckt man Shimere in einem Konzentrationslager, das zugleich als Bühne der Inquisition dient. Tatsächlich sinken sich Axle und Shimere in die Arme, doch wie steht Musky dazu und was ist mit der Magie der Raupe?!
„Welche Realität, Papa?“ wagt ein mutiges Spiel.
Der Plot hinterfragt das Konzept der Serie, um es am Ende frech zu bestätigen!
Dieser Band macht klar, dass hier alles erlaubt ist. Hauptsache, man weiß zu unterhalten.
DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT setzt hiermit ein fettes Ausrufezeichen: Dieser Comic ist verrückt, und zwar mit Ansage!
Mir gefällt das außerordentlich gut, aber man muss natürlich einen prinzipiellen Sinn für Ironie mitbringen sowie ein Faible für Meta-Spielereien.
Nummer 7: „Der Krieg der Bonken“
Wieder einmal finden wir Axle und Musky auf dem Planeten Amnyoth, auf der Suche nach dem Eingang zu einer magischen Unterwelt, wo Wünsche wahr werden (also sich womöglich Shimere materialisieren kann).
Den Tipp dazu erhielt Axle auf dem Glücksspielplaneten „Last Vega“, wo er den „Erzähler Orlog“ in einer komplizierten Partie Weltraumschach besiegt hatte (das jedoch ruckzuck und problemlos).
Auf Amnyoth werden Axle und Musky von Rebellen gefangen und verhört, da man sie für Spione der Regierung hält. In einer Art Familienaufstellung channelt der Schamane der Rebellen mit seinen Söhnen die Gedanken unserer Hauptfiguren.
Die titelgebenden „Bonken“ sind keine Lebewesen, sondern Finanzinstitute. Dieser Teil des Albums ist eine Parodie auf das globale Bankenwesen.
Die verschiedenen Banken kämpfen gegeneinander um ihre Kundschaft und ringen um die Finanzmacht auf Amnyoht. Ihre Kunden bekommen regelmäßige Injektionen von „Lebenssaft“ verabreicht, ohne die sie sterben würden.
Diese Darreichungen kommen aus Geräten, die wie Geldautomaten aussehen und sind natürlich eine Metapher auf das liebe Bargeld, das die Welt sich drehen lässt.
Axle und Musky werden von Regierungstruppen befreit und treffen auf den „Großen Verschalter“ Halbert Hubert von der „Konföderation der Volksbonken“, die bereits den halben Planeten versorgt.
Man hat Interesse am mächtigen Raumschiff „Silberdelphin“, das sich auf eine Seite dieses Kalten Kapitalkriegs schlagen könnte.
Es folgt ein Angriff durch die „Union der imperialen Bonken“, der in einem Bürgerkrieg gipfelt. Der Herrscher jedoch entpuppt sich als Computersystem, das sämtliche Fäden in der Hand hält und den Planeten in einen Dauerzustand des Kriegs gestürzt hat. Nur so lässt sich ein Geschäft machen, denn „die Menschheit konnte noch nie ohne Krieg auskommen“.
Nach dieser Message (wieso eigentlich „Menschheit“, wir befinden uns auf Amnyoth, kicher) flüchten unsere Helden in den Silberdelphin und dringen einfach so in die magische Unterwelt vor.
Dort entdecken sie kannibalistische Kinderchen und ahnen, dass die Träume dieser Welt ihren grausamen Preis haben.
(Das Auftauchen der Kinder ist übrigens eine direkte Hommage an den VALERIAN-UND-VERONIQUE-Band „Die Insel der Kinder“ aus dem Vorjahr.)
Axle und Musky dringen in ein Höhlensystem vor und Axle ist erneut berauscht, betäubt und verblendet von der Idee, seiner Shimere zu begegnen.
Musky obliegt es, die Wahnvorstellung zu durchschauen und die Illusion platzen zu lassen.
Dieses siebte Album ist der bisherige Tiefpunkt der Reihe: „Der Krieg der Bonken“ ist aus Versatzstücken montiert und damit nicht aus einem Guss. Zudem verströmt der Band ein Gefühl von „Hab ich schon mal gesehen“.
Der skurrile Glücksspielplanet, der Tippgeber für den Aufenthaltsort von Shimere, die Begegnung mit der zunächst feindlich gesinnten Rebellentruppe, die Audienz beim Machthaber des Planeten, die Erkundung des wahren Kerns und eine weitere falsche Shimere?!
In sich alles nicht übel, aber nichts Neues. Am unterhaltsamsten ist noch die Kapitalismuskritik mit den austauschbaren Banken, die alles mit ihrem „Lebenssaft“, dem Kapital, am Laufen halten – und ihr ewiges Wachstum nur mit Krieg garantieren können.
Das aber kann kein Album tragen. Schauen wir, wie es mit dem letzten Beitrag in diesem zweiten Integralband steht …
Nummer 8: „Für drei Körnchen Ewigkeit“
Das Album beginnt mit einem Schockmoment: Musky findet den sterbenden Axle neben seinem Translator – er hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und Teile seines Traumweltgeräts zerstört!
Geistesgegenwärtig nimmt Musky den Androiden Professor Matt Gamon in Betrieb und speist ihm mit medizinischem Wissen. Ich hatte die Figur vergessen, doch in Band 1 hat der „Silberdelphin“ eine Besatzung aus humanoiden Robotern. Darauf greift man nun zurück und somit kann Axle in letzter Minute gerettet werden:
Musky und Matt schauen sich derweil die Traumaufzeichnungen an und verstehen Axles Verzweiflung: Ein maskierter Fremder ist in die Welt von Shimere eingedrungen und hat die Frau entführt und schikaniert. Das alles vor Axles Augen.
Als Axle wieder erwacht, ist sein Kampfgeist zurückgekehrt. Er schickt eine Aufforderung zum Duell ins Weltall – und erhält als Treffpunkt eine Versteigerung im Auktionshaus „Sasebies“ auf dem Piratenplaneten Schildkröte genannt.
DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT nutzt die Gelegenheit, um sich über unsere irdischen Gepflogenheiten lustig zu machen.
Bei uns versteigert „Sotheby‘s“ Kunst, hier geht es um Skurrilitäten, die der vorwitzige Musky natürlich unter die Lupe nehmen muss.
Die ausgestellte Frau ist nicht Shimere, aber eine Replikation, die als Köder dient. Als es bei der Versteigerung zu Geboten kommen soll, erhebt Axle Einspruch und reklamiert die Büste als sein Eigentum, das man aus seinen Träumen entwendet habe.
Ein spontan einberufenes Auktionsgericht gibt Axle recht, er muss allerdings gegen den Anbieter ein tödliches Duell führen: Wer gewinnt, bekommt Shimere!
Axles Gegner ist jedoch niemand anderes als der Komprintz, Regent der Schildkröte und unbesiegter Kämpfer in sämtlichen Duellen.
Tiefe gewinnt dieses Album durch eine selbstlose Handlung Muskys: Der Komprintz fordert als Preis für die Freigabe Shimeres drei „Unsterblichkeits-Samen“, die Musky unter der Haut trägt. Als Eternautin verfügt sie über die Gabe, dank der magischen Körner eine Wiedergeburt einzuleiten. Darauf ist sie zu verzichten bereit!
Schlecht weg kommt im Ganzen wieder mal die schikanierte Shimere, die erneut nur die „damsel in distress“ geben darf. Ob die blonde Schönheit jemals aus dieser Rolle herauskommt, das ist eine spannende Wette, die vorerst offen bleibt.
„Für drei Körnchen Ewigkeit“ schließt wie immer mit einem Aufbruch zu den Sternen, neu ist hingegen, dass der Band uns zwei neue Figuren beschert: den Androiden Matt und als „Superschurken“ (den man jagen könnte) den geheimnisvollen Komprintz.
Jetzt hoffe ich nur eines: Dass Band 3 etwas flotter aus dem Druck kommt, denn wenn es wieder ein volles Jahr dauert, dann wird es 2031, bis wir die Serie komplett vorliegen haben (acht Bände sind geplant, s. Artikel zu Band 1 oben).
Hoffentlich kann mein Flugtaxi mich dann bequem vorm Comicladen absetzen!
Keine Zukunftsmusik ist, dass Sie mit nur einem Mausklick ins untenstehende Fenster einen Blätterblick in den Comic werfen können!