Die Renaissance des Semifunnys heißt PLASTOK

Das ist eigentlich ein Kindercomic, aber selten hatte ich so viel Freude an einem modernen Semifunny-Comic. Mir war, als sei ich wieder 14 und hielte das neue LUCKY-LUKE-Album in Händen (um mal mein Gefühl in Worte zu fassen).

PLASTOK hat mich auf jeder Seite mit einem Detail begeistert: sei es eine Kameraperspektive, ein Gesichtsausdruck, ein Kostüm, ein Soundwort, der Look einer Figur.

Auch wenn ich noch nicht ganz verstehe, worum es geht und wie diese Welt funktioniert, so ist der dargestellte Insekten-Kosmos derart wundervoll inszeniert, dass ich einfach nur staune und mich der Magie dieses Comics hingebe.
In der Tat ist PLASTOK auf drei Bände angelegt und wird uns im nächsten Album viel erklären müssen. Bis dahin freuen wir uns an folgender Exposition:

Im Inselreich Hexapoda teilen sich die überlebenden Insekten einer ökologischen Apokalypse das Territorium: Ameisen, Bienen und Käfer regieren, wohingegen sogenannte „Schädlinge“ wie Läuse als Sklaven und Dienstkräfte unterjocht werden.

Begründung für dieses Kastenwesen: Die von der Erde verschwundenen Menschen, die „Riesengötter“, haben diese Schädlinge in einer „giftigen Sintflut“ zu vernichten versucht und sich dabei selbst umgebracht.

Sagt uns der Text, sagt uns die Staatsreligion der Insekten. Die Bilder dazu lassen uns vermuten, dass der Mensch an seinem Plastikmüll erstickt ist!
Jener Plastikmüll, den die Insekten nun als Artefakte der Riesengötter verehren.
Hier sehen wir zum Beispiel eine Kinderpuppe mit einer Fliegenklatsche, die als Altar im Tempel der Hauptstadt „Schatten“ Dienst tut:

Tut aber eigentlich nichts zur Sache, denn es geht um Bug, die Blattlaus. Sie ist unsere Hauptfigur und Dienerin der gütigen Marienkäfer-Hohepriesterin.
Als diese ihren Novizinnen erklärt, ihr Amt bald aufgeben zu wollen und eine Nachfolgerin zu bestimmen, drängelt sich die streberhafte Hermione vor.

Doch die Hohepriesterin erteilt ihr eine Abfuhr und allen Anwesenden eine Lektion:

Als die Hohepriesterin kurz darauf einem Giftmord zum Opfer fällt, wirft man Bug als Verdächtige in den Kerker und schickt Ameisen-Generalin Regula los zum Verhör.

Die konfrontiert Bug mit dem  Fund eines Fläschchens Spinnengifts unter Bugs Matratze und Bug schwant, dass man sie zum Sündenbock gestempelt hat.

Schauen Sie in den folgenden vier Bildern auf die lebendige Kameraführung, den kompakten Dialog und auch die humorige Inszenierung des Kerkers (der erstaunlich freundlich aussieht, dennoch Ketten für alle sechs Extremitäten bereithält). 

Niemand glaubt der kleinen Blattlaus, also landet sie im tiefsten Verlies, wo sie eine Gruselnacht überstehen muss. Denn ihre Zellengefährtin ist der Schrecken der Insekten, der tödlichste aller Schädlinge – die Gottesanbeterin!

Unsere heißt Sagawa, hat viel Sinn für Humor und steckt in einem Abenteuerinnen-Outfit, das uns bekannt vorkommt: Lara Croft ist zurück und sie ist furchtlos wie eh und je!

Inzwischen hat die intrigante Hermione die Macht an sich gerissen und besucht Bug im Kerker. Sie möchte Bug überreden, ihr die letzten Worte der Hohepriesterin zu verraten. Im Sterben hatte diese Bug ein Geheimnis anvertraut (das aber auch wir nicht kennen, wird offenbar in späteren Bänden offenbart).
Bug behauptet, nichts zu wissen, also schickt man sie in die Arena zu den wilden Tieren!

PLASTOK gelingt das Kunststück, auf der Klaviatur verschiedener Genres und Themen zu spielen, die uns allesamt bekannt sind – doch erfreut uns der Comic mit dem Transfer derselben in diese Insektenwelt, die entwaffnend lustig ist:

Ich will jetzt nicht mehr viel verraten, aber die taffe Sagawa paukt Bug natürlich aus allen Gefahren heraus und verhilft ihr auf der gemeinsamen Flucht zu absolut putzigen Abenteuern.

Darunter ein verschwörerisches Treffen in einer schummrigen Glühwürmchen-Kaschemme, der halsbrecherische „Menschenschmuggel“ in den Dungkugeln von Mistkäfern, das Einschiffen auf einer Dschunke voller Schmetterlingspiraten sowie eine „Motorradverfolgungsjagd“ auf Libellen:

Und während Bug fürs Erste in Sicherheit scheint, plant die böse Hermione eine großangelegte Jagd auf sie und andere Schädlinge … Ende Teil 1.

Kribbelt es bei Ihnen auch schon?

Ich kann es kaum erwarten, mehr Krabbelviecher vorgestellt zu bekommen!

Wir haben schon Blattläuse, Ameisen, Libellen, Motten sowie Marien- und Mistkäfer erlebt, aber man darf gespannt sein, wie Zeichner Nicolas Signarbieux noch Fliegen, Wespen und Bienen ausgestalten wird.

Die römischen Ameisen sind schon grandios, aber auf einer Seite sieht man im Hintergrund schicke Samurai-Bienen, die mich bereits elektrisieren.

Signarbieux übrigens scheint hier sein Debüt (!) abzuliefern, was ich an gewissen flachen Stellen zwischendurch auch wahrnehme, doch im Gesamteindruck überzeugt er durch clevere Kompositionen und sympathische Figurenregie.

Das Szenario stammt von der Jugendbuchautorin Maud Michel, die knapp zehn Jahre zuvor mit einem Werwolf-Rollenspielcomic in Erscheinung getreten sein soll (angeblich ein Erfolg und in mehrere Sprachen übersetzt, finde dazu aber keine Spuren im Netz).

PLASTOK ist eine klassische Underdog-Erzählung und entwickelt sich womöglich noch zur Heldenreise:

Kleine Laus kommt groß raus!

Darauf hoffe ich jedenfalls. Dieser Comic ist witzig, sympathisch und für alle Altersgruppen geeignet.
Link zum Online-Auftritt bei Splitter, dort auch mehr Leseprobe einsehbar!
Und ich wäre ein feiner Läuserich, wenn ich Ihnen nicht noch einen Blick ins Album hinein gewährte: