Eine irre Fahrt: Mahlers ULYSSES

Nein, das ist nicht Leopold Bloom, die Hauptfigur aus dem James-Joyce-Roman „Ulysses“.
Der Protagonist bei Nicolas Mahler heißt Leopold Wurmb, ist zwar auch Anzeigenakquisiteur bei einer Tageszeitung, jedoch nicht in Dublin, sondern in Wien. Den Tag der Handlung belassen beide allerdings beim 16. Juni 1904.

Nicolas Mahler, der Meister der frechen Comicadaptionen weltberühmter Literaturklassiker, nimmt sich wieder einmal sämtliche Freiheiten, den ULYSSES von Joyce brutal einzudampfen auf ein Konzentrat, das es in sich hat. Dazu gleich mehr.

Erst mal zeige ich Ihnen den Herrn Wurmb, von Mahler präsentiert als vorm Postamt wartender Mensch mit einer riesenhaften Wurst unterm Arm:

Im Prosatextoriginal ist die Szene nicht so skurril (keine Wurst).
Ausgabe des Anaconda-Verlags, 2014, aus dem Englischen von Georg Goyert.

Ich habe nur durch den Joyce geblättert, gewinne dabei den Eindruck, Mahler hat sich aus dem monströs-pompösen Werk (befrachtet mit endlosen Assoziationen) einzelne Sätze rausgepickt, sodann mit eigenen Assoziationen die Figuren des Werks in seinem Sinne verknüpft.

Als da sind: Wurmb und seine Frau Molly (die uns nur im Bette liegend begegnet), eine Frau Blümel, der oben erwähnte Svitak, ein Wirt, als nie auftretendes Phantom der Künstleragent Berlyak (der im Verdacht steht, Wurmb mit dessen Frau zu betrügen) – plus eine Reihe von Comicfiguren?

Wie bitte, Comicfiguren? Ganz recht.
Hier präsentiert Wurmb bei einem Thekengespräch dem Spinatmatrosen Popeye ein Foto seiner Frau. Popeye wird auch noch frech

In den letzten beiden Panels erleben wir, wie Mahler die Gedanken von Wurmb das Bild überlagern lässt. Ein Stilmittel, mit dem er konventionelle Comictraditionen bricht. Damit setzt Mahler grafisch um, wie Joyce literarisch die Konventionen des Romans torpediert. Durch wirre Gedankensprünge, unsemantisch konstruierte Sätze, Exkurse über alles Mögliche.

Die im Roman höchst wirre Verhaftungsszene, in der Bloom dem Richter vorgeführt wird, setzt Mahler mit weiteren Comicfiguren um. Das ist seine Methode, die historischen Anklänge bei Joyce mit Gestalten aus der Comicgeschichte umzusetzen:


Sie sahen Officer Pup aus KRAZY KAT und Olive Oil aus dem Popeye-Kosmos.

Was sagt der Künstler dazu?

 

In meiner Begegnung mit Nicolas Mahler befragte ich ihn ausführlich (im Video ab Minute 13) zu seiner 280-Seiten-Adaption des ULYSSES.

Verblüffend, wie viel Arbeit sich Mahler macht: den Text neu für sich übersetzen, Passagen exzerpieren und abtippen, dabei das Skript von Fassung zu Fassung immer weiter komprimieren – bis sich das Mahlersche Kondensat verfestigt.

Dieses wird dann noch begleitet von ausgiebigen Recherchen in der Wiener Nationalbibliothek, wo sich der Künstler aus Zeitungen vom „Blooms Day“ (dem 16. Juni 1904) Werbeanzeigen herauskopiert und in den Comic hineincollagiert.

Hier sehen wir Wurmbs Gang zum Mittagessen, dabei ist er in Gedanken an Frauen an sich (und seine Molly im Speziellen) versunken, dargestellt in einem Meta-Rahmen aus Zeitungsausrissen, mit komischer Wirkung von Mahler arrangiert.

Die obige Seite illustriert Wurmbs Fantasie, der Konzertagent Berlyak besuche Frau Wurmb daheim auf einen Seitensprung. Wahrscheinlich nichts weiter als ein dummer Verdacht, denn im Roman wie auch im Comic erleben wir Gattin Molly als rein passiv.

Beim zweiten Lesen dieser Graphic Novel berührte mich Mahlers Sinn für Melancholie und zartes Drama, denn er lässt seinen ULYSSES mit einem ehelichen Dialog enden. Der ist zwar spärlich, aber immerhin ein Beginn von Kommunikation.

Nach den Irrfahrten dieses Tages kriecht unser Held Wurmb wie ein Wurm zu seiner Frau ans Bett und scheint froh und dankbar zu sein, ein Zuhause zu haben. Odysseus ist wieder daheim, wenn auch seine Gattin nicht direkt begeistert ist.
Frau Wurmb nämlich haben wir auf den vorausgehenden Seiten beim inneren Monolog beobachten können. Sie ist erschöpft vom Leben, der stagnierenden Karriere, dem Verlust des Sohnes (der starb noch im Kindbett), den viehischen Männern.

Dennoch gipfelt diese Grübelei in einen Moment der Zärtlichkeit.

Ende gut, alles gut? Könnte sein, wahrscheinlicher ist jedoch, dass der nächste Tag ein weiterer Blooms Day mit weiteren Wirrungen wird.

Im frechen Gegensatz zum Joyce-Original endet Mahler jedoch auf einer völlig anderen Note. Aus einem „Ja“ wird ein programmatisches „Nein“ – welches Mahler mit der pointierten Handhabung eines Männer-Frauen-Klischees verbindet. Selber entdecken! :- )

In einem Video stelle ich den Joyce-ULYSSES neben den Mahler-ULYSSES: