Jetzt im Kino: FURIOSA, A MAD MAX SAGA

Dieser Film ist ein Schock. Ich befinde mich im Schockzustand, denn FURIOSA ist nicht wie die anderen Mad-Max-Filme. Überhaupt hat jeder der fünf Filme eine „eigene Farbe“, wie ich finde, doch wer dachte, FURIOSA sei das knackige Prequel zu FURY ROAD, der hat sich schwer geschnitten.

FURY ROAD, übrigens schon neun Jahre alt, war Karnevals-Action mit gigantischen Motto-Wagen, fetziger Rockmusik und schrägen Vögeln in skurrilen Kostümen.
FURIOSA ist in der Tat das Prequel, doch es geht weitaus weniger um Autorasereien, die Rockmusik ist einem unheilvollen Trommelgedröhne gewichen und die schrägen Vögel in den skurrilen Kostümen sind alle wieder mit dabei – und diesmal entwickeln sie unangenehme Authentizität und Tiefe.

Der folgende englischsprachige Original-Trailer gibt einen Eindruck, der immerhin nicht falsch ist. Schauen Sie nicht die deutschsprachigen Trailer, die gehen zu sehr auf die Action.

FURIOSA ist kein Actionfilm, seine erste halbe Stunde (von zweieinhalb) verfolgt ein ruhiges Western-Motiv: Banditen wollen eine Siedlung überfallen, werden vertrieben, aber verschleppen ein Kind.
Gut, es sind Biker-Banditen und es ist nicht das Monument Valley, sondern das apokalyptische Wasteland der Mad-Max-Filme.

Doch die Handlung bleibt lange, sehr lange auf dem Kind und seiner Gefangenschaft im Klan von Dementus. Die erwachsene Furiosa (Anya Taylor-Joy) bekommen wir erst ab der Hälfte des Films zu sehen.

Dementus (ein chargenhafter Chris Hemsworth) will die Macht über das Wasteland, er will Öl und Wasser und greift die Zitadelle von Immortan Joe und seinen Söhnen an (bekannt aus FURY ROAD).
Auch die bleichen, totenkopfgesichtigen Warboys sind als Krieger der Zitadelle wieder mit dabei und turnen in bewährter Manier über die rollenden Festungen der Tanklastzüge.

Einige Actionszenen dürfen nicht fehlen, sie sind kreativ gemacht und atemberaubend unterhaltsam. Am meisten imponiert hat mir die kleiner dimensionierte Verfolgungsjagd mit dem Monstertruck, die noch mal ein neues Fass aufmacht.

FURIOSA ist ein Film, den Sie erleben und auf sich wirken lassen müssen. Ich sage kein Wort zur Handlung mehr, vom Genre her haben wir es mit einem Revenge-Thriller zu tun. Fast möchte ich Sie einladen, mit der Erwartung eines Horrorfilms ins Kino zu gehen.

Doch Horror ohne übernatürliche Elemente ist Terror. FURIOSA ist ein Terrorfilm, der an die Nieren geht. Es werden viele grausame Tode gestorben (auch von Figuren, die wir gern hatten).

FURIOSA ist der radikalste Endzeitfilm, der mir bis jetzt unter die Augen kam. Wir betrachten, wie irre Männer in zu großen Autos mit zu großen Egos die Menschheit in den Abgrund führen (allegorische Vergleiche auf unsere Gegenwart jederzeit willkommen).

Und wenn „du lange in einen Abgrund blickst“, formte Nietzsche seinen Aphorismus, dann „blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
Offen gesagt, habe ich diesen Spruch immer für Mumpitz gehalten, doch seit FURIOSA hat sich mir diese Sentenz mit Sinn gefüllt.

Hier ist nichts mehr ironisch, hier ist jede Hoffnung verloren, hier herrscht und regiert die kalte Vergeblichkeit allen Seins. Hier kommt auch nicht eine Filmsekunde die Liebe ins Spiel. Nur Gewalt, Dreck, sinnloses Sterben.

Sie sind gewarnt.

Und jetzt sag ich Ihnen, weshalb FURIOSA in meinen Augen ein erschütterndes Meisterwerk ist. (Das werden nicht alle teilen, ich habe während der Pressevorführung Leute gehen sehen.)

Das liegt an Autor, Produzent und Regisseur George Miller, der hier Dinge tut, die sie noch nie gesehen haben.

Ich kann es kaum in Worte fassen, aber jede Szene, jede Bildsequenz ist eine erlesene Komposition.
Wie Miller seine Darsteller gruppiert, wie er sie mit der Kamera charakterisiert, in welche Kulissen er sie stellt.

Ein Beispiel: Über den Wüstenhighway donnert der Kriegstankwagen, drunter, drüber und daneben peitschen Kugeln, krachen Explosionen. Aus einer Luke schaut ein kleinwüchsiger Warboy und zieht sich sofort erschrocken wieder ins Innere des Lasters zurück – und ruht auf einem Haufen saftig grüner Melonen und Kürbisse!

Diese Fallhöhe, dieses Kontrastbild ist augenblicklich ikonisch. Es irritiert uns, denn wir erinnern dadurch eine Normalität unseres Alltags, der in FURIOSA, der Welt ohne Hoffnung, nur noch deplatziert wirkt.

Damit komme ich zu meinem Hauptargument für den Film: die Räume.
Falls Sie ins Kino gehen, achten Sie darauf, was Miller mit dem Raum macht.

Keine Einstellung ist nur ein Bild, jede Einstellung ist ein Tableau. FURIOSA bewegt sich nicht von Szene zu Szene, FURIOSA bewegt sich von Raum zu Raum.

Von der Wüste in die Zitadelle, von der Werkstatt in Furiosas Kemenate, vom Tresorraum in den Harem. Alles fließend inszeniert. Miller schiebt uns,  scheucht uns, treibt uns von einer sprachlos machenden Kulisse in die nächste, ohne Pause.

Die Räume sind natürlich auch die Landschaften, von denen man sich fragt, wie solche existieren können. Urtümlich, archaisch, endlos und ewig. Der Mensch ist darin ein Insekt, quasi nur temporär geduldet.

Miller hat übrigens auch gefühlige Filme wie LORENZOS ÖL und Animations-Hits wie HAPPY FEET und EIN SCHWEINCHEN NAMENS BABE gemacht!

Und dass FURIOSA tatsächlich in Australien gedreht wurde, macht Miller endgültig zum Nationalheiligen, denn die Landschaften sehen umwerfend aus.

Ich sage, FURIOSA, A MAD MAX SAGA hat mich schockiert.
Ich weiß nicht, ob ich dieses Werk nochmal sehen möchte, aber dieses eine Mal hat sich tief eingebrannt – in seiner Kunstfertigkeit, in seiner Radikalität, auch in seinem Mut, uns so etwas vorzusetzen.

Ich frage mich allerdings, wie es sich anfühlen mag, nach FURIOSA nochmals FURY ROAD zu schauen. FURIOSA endet (auch das ist kurios und habe ich so noch nie gesehen) mit Szenenschnipseln aus FURY ROAD, die zwischen den Nachspann geschnitten werden.

Noch einmal: FURIOSA ist das Prequel zu FURY ROAD bzw. FURY ROAD das Sequel zu FURIOSA – aber ob und wie die beiden Filme im Double Feature zusammenpassen, scheint mir fraglich.

Nochmal Chris Hemsworth als Dementus mit seiner Rockertruppe; achten Sie auf jenseitige Details wie den Stoffteddybären, den er mit sich führt.

Ein letzter Punkt: Miller nennt sein Werk FURIOSA, A MAD MAX SAGA um den Stoff zeitlich und örtlich in den Mad-Max-Kosmos einzubetten, doch dies ist der Maxe ohne den Maxe.

Mad Max kommt nicht vor bzw. auf fünf Sekunden schon. Als Furiosa sich schwer verletzt und einsam durch die Wüste schleppt, wird sie von einem Felsen aus beobachtet – von einem Mann in Lederkluft, der neben seinem Wagen steht.

Dann Schnitt … und Mann samt Wagen sind verschwunden, Furiosa jedoch erwacht in der Höhle einer Schamanin, die ihre Wunden mit Maden zu heilen versucht. Auch dies wieder so ein Übergang von Raum zu Raum, der Ihnen unvergesslich bleiben wird.

Ich habe dazu meine Theorie, was zwischen den Bildern geschieht (dass nämlich Max die halbtote Furiosa zur Schamanin bringt und somit einen relevanten Beitrag zu diesem Teil des Franchises leistet) – aber schon Kollege Cordemann meint, das passe nicht zum Auftritt von Max in FURY ROAD.

Nun gut, was bleibt zu sagen?

Ich habe den Film rhetorisch sehr hoch gehängt und halte jetzt meine Klappe. Kinobesucher sollten nach der Betrachtung zur Aufheiterung vielleicht folgendes Spiel spielen: Welchen Mad-Max-Namen würde ich tragen?

Tillcourtus? Tix Mannix? Labermanes Longus? The Maniac Critic?

Und der Vollständigkeit halber linke ich noch meine sieben Jahre alten Gedanken zum Serienauftakt.