Hereinspaziert in KOHLHOFFS GARTEN

Erst mal: kein Comic! Zweitens: trotzdem schön.
Der avant-Verlag leistet sich hin und wieder solche Werke, weil sie der Redaktion am Herzen liegen.

Was verbirgt sich in KOHLHOFFS GARTEN? Nun, wir wissen es nicht!

Denn dieser Bildband führt uns mitnichten hinein in diese Welt der Wunder, sondern versammelt lediglich Fotografien und Postkarten, das heißt manipulierte Momentaufnahmen eines Ortes, der teils Vergnügungspark und teils botanischer Garten zu sein scheint.

Im Grunde stehen wir, das lesende Publikum, ebenso vor verschlossenen Türen wie die beiden Passanten auf der zweiten Seite des Buchs. Vielleicht waren sie dorthin gekommen, der Verheißung von der ersten Seite des Buchs folgend, die verspricht: „There must be a better place: Kohlhoff’s Garden.“

Hier spielt jemand sein Spiel mit uns und unseren Erwartungen. Was verbirgt sich in diesem legendären Garten? Die Assoziation darf dem Garten Eden gelten, denn „einen besseren Ort“ als unsere Gegenwart findest du nicht überall, aber anscheinend bei … Kohlhoff. Oder nicht?

Denn die nächste Doppelseite verkündet links (wie auf einer Stummfilm-Texttafel) „Hurra Angst!“ und streckt uns im Bild rechts eine gewaltige Zunge raus!
Das sei aber bitteschön nur die erste Attraktion, die große Looping-Rutsche nämlich, auf die zwei Jungs begeistert zulaufen.

Und dann geht es Schlag auf Schlag so weiter in KOHLHOFFS GARTEN: Attraktionen, Sensationen, Skurrilitäten für die ganze Familie.

Ob ein in der Bewegung eingefrorenes Meer, über das die Kinder rennen dürfen; ob Mini-Zeppeline zum Transport der Besucher; ob Riesenschweine zum Reiten für die Kleinen („Ein Taxi aus Fleisch!“); ob ein Frühstückssaal voller Schmetterlinge, ob ein Park voller Reiterstatuen; ob ein geometrisches Dada-Ballett im Konzertsaal oder einfach ein Karussell für die Mutigeren – in KOHLHOFFS GARTEN ist definitiv was geboten.

Das Runzel-, Schmunzel-, Auflachbuch

Mir hat dieser herrliche Schwindel große Freude bereitet. Mal runzle ich die Stirn, mal schmunzle ich, mal muss ich direktheraus lachen. Dieses Konzept eines parallelweltlichen Lunaparks ist schön aus der Zeit gefallen und kommt gerade deshalb genau richtig.

Man darf eintauchen in diese Impressionen der Zerstreuung und des Staunens. Und dass wir eigentlich aus dem Paradies verbannt sind, fühlt sich gar nicht mehr so schlimm an.

Denn in KOHLHOFFS GARTEN erleben wir Dinge, die möglich sein könnten … sollten … müssten?  Ich für meine Person bin voll überzeugt vom Kraftmensch mit magnetischem Bizeps.
Kann der Slogan „Do you taste the iron sweat?!“ lügen?!

Die dargestellten Wunder (ich fürchte, sie sind nur ausgedacht) werden uns in vier Sprachen erklärt. Keinem festen Muster folgend, sind die Beschriftungen und begleitenden Slogans mal auf Deutsch, Englisch, Französisch oder einmal auch auf Italienisch.

Der Sinn dahinter kann nur mutmaßt werden. Wollen die Betreiber von Kohlhoffs Garten solcherart globale Bedeutung suggerieren? Vergessen Sie niemals: Wir sind nicht in Kohlhoffs Garten, wir studieren lediglich einen Prospekt namens KOHLHOFFS GARTEN.

Hier wird uns wahrscheinlich das Blaue vom Himmel heruntergelogen. Wo gibt es denn bitteschön ein farbloses Feuerwerk? Maulwurfstänzer? Wurm-Makramee? Panzer-Fontänen? Botschaften in Popcorn-Form? Wo kann man in die Wolken horchen? Wo singt die perlenbehangene Sirene?
Wo sonst treffen sich Catcher– als historische Gebäude kostümiert zum Wrestling?

Wie dürfen wir diesen exquisiten Wahnsinn bewerten? Ist KOHLHOFFS GARTEN ein „Panic Room“ fürs 21. Jahrhundert? Buchdeckel auf, Kopf rein, schon ist man sicher vor der Gegenwart? Absolut.

In seiner Bleistifttechnik mit zarten Verwischungen evoziert das Werk natürlich die Schwarzweiß-Fotografie und damit den dokumentarischen Anspruch einer Rückschau in die Vergangenheit. Zugleich zwingt diese Machart dem Werk auch eine Zurückhaltung auf. Hier ist nichts knallig oder marktschreierisch.
Der Humor (den Sie hoffentlich entdeckt haben) liegt im gebremsten Charme der Arrangements.

Korrektur-Nachtrag: Es handelt sich nicht um Bleistifte, sondern um Kohlezeichnungen! Wer einmal wissen möchte, wie das konkret geht, dem empfehle ich dieses YouTube-Video.

Macher des Ganzen ist ein gewisser Olrik Kohlhoff, der mit seinen Gartenstudien sein erstes grafisches Werk vorlegt, wie es beim Verlag heißt. Das erstaunt, denn wer im schon reiferen Alter (Kohlhoff ist Anfang 50 und heißt mit Vornamen übrigens so wie der Erzbösewicht aus den BLAKE & MORTIMER-Comics) derart in Erscheinung tritt, hatte es doch garantiert schon früher faustdick hinter den Schurken-Ohren.

Egal. Mich erinnern die Fantasien seines fiktiven Lunaparks an die kauzigen Reklame-Verfremdungen eines Kriki, das ist das Berliner Urgestein Christian Groß.
Zugleich hat Kohlhoffs Kosmos die abgeklärte Aura des Fürsten des cartoonesken Stilllebens, Michael Sowa, obwohl der üppiger illustriert bzw. filigran malt.

Zur Verwandtschaft könnte man auch Ernst Kahl und Rudi Hurzlmeier zählen, doch sind diese beiden oft krawalliger und aggressiver in ihren Bildbotschaften. In KOHLHOFFS GARTEN waltet jedoch stets kontemplative Noblesse, ein distanzierter Blick auf die stillen Wunder einer alternativen Moderne.

Allerdings wird auch der merkantile Aspekt nicht außer Acht gelassen. Diese Kohlhoff-Leute wissen, wie man Kohle macht:

Schreiben Sie bitte alle den avant-Verlag an (z. Hd. Kohlhoff) und ordern Sie noch heute eine Handvoll Insekten! Oder falls Ihnen das doch zu unorthodox ist, kramen Sie 24 Mücken aus der Tasche und bestellen sich dieses fabelhafte Buch.

Ich freue mir jedenfalls ein Loch in den Bauch, dass die Hall of Fame der deutschsprachigen Karikatur um einen neuen Namen erweitert werden darf: Olrik Kohlhoff.

Hereinspaziert bitte auch in ein schnelles Blätter-Reel: