Schwelgerisch breitet dieser Comic sein Thema vor uns aus: Ein Mann, alleine unterwegs durch das einsame „Monument Valley“ der USA – Arizona, Utah, Colorado. Der Mann ist jedoch kein Cowboy, denn er reist in einem Wohnmobil und wir schreiben das Jahr 1970.
Ein einsamer Wolf ist er allerdings, denn er reist mit falscher Identität und auf der Flucht vor seiner Vergangenheit. Giuseppe Barella war Mafiaboss im Raum New York, bekam Ärger mit seinen Kollegen und ist zum Kronzeugen der Staatsanwaltschaft gegen seine ehemaligen Kumpels geworden.
Unter dem Namen Joe Becker ist er im Zeugenschutzprogramm gelandet und darf sich frei bewegen. Unter der Auflage, sich alle paar Wochen bei seinem Betreuer, US-Marshal Crews zu melden.
Als die Mafia einen weiteren Kronzeugen ermorden lässt, wird es brenzlig für Giu/Joe. Crews und die Behörden verlangen sein Erscheinen vor Gericht, zudem heftet sich ein Killerpärchen an seine Fersen. Es beginnt ein gefährlicher Roadtrip, ein Wettlauf gegen die Zeit!
Auf den Hund gekommen
Anspielpartner für unsere einsame Hauptfigur ist ein verletzter Hund, den Giu/Joe unterwegs aufliest. Den nimmt er mit und packt ihn auf den Beifahrersitz, wo er ihm erzählen kann, was gerade los ist.
Das ist natürlich ein uralter Dramaturgie-Trick, funktioniert aber immer, klebt nicht und ist sogar noch putzig und goldig: ein Hündchen! Cute.
Noch dazu bietet die Töle sogenannten „comic relief“, denn im Selbstgespräch mit dem Tier probiert Giu/Joe andauernd neue Namen für seinen Begleiter aus – von „Crash“ über „Elvis“ bis „Clint“.
Nächster Gag: Der zugelaufene vermeintliche Hund entpuppt sich als junger Kojote und wird so zum Titelpartner des Comics!
Die Schlange hingegen ist unser Hauptdarsteller, der sich als ausgekochtes Schlitzohr erweist. Giu/Joe ist selber ein eiskalter Killer, der nichts von seinem Handwerk verlernt hat. Schließlich hat er lange genug mit jeder Art von Menschen zu tun gehabt und ein untrügliches Gespür dafür, wo und wann Gefahr droht und wem er trauen kann und wem nicht.
(Auf dem Highway wäre garantiert die Hölle los, hätte sein fahrbarer Untersetz mehr PS unter der Haube …)
In geschickt eingewobenen Schwarzweiß-Rückblenden erfahren wir die Lebensgeschichte von Giu/Joe und seinen Jugendfreunden Louie und Smuggle, die nach dem Krieg ihr Drogenimperium aufgezogen haben.
Auch ins Spiel kommt Georgia Jones, „eine toughe Frau“, wie Sie eben gesehen haben. Da frage ich mich als Hobbyhistoriker, ob das akkurat sein kann. Eine schwarze Frau? Um 1970 herum? Soll eine Gangsterchefin gewesen sein?
Die hatte doch nichts zu melden, pardon, auch wenn uns Pamela-Grier-Filme wie „Foxy Brown“ und „Coffy die Raubkatze“ was anderes erzählen wollen. Waren übrigens nur Revenge-Movies, aber man muss diese Figur wohl als rein popkulturelle Referenz begreifen.
Als solche macht Georgia durchaus Freude, auch wenn sie dem Klischee von der schwarzen, unbeugsamen Afro-Frau (mit der unser Macker noch Sex hat) in diesem Comic nicht entkommt.
DIE SCHLANGE UND DER KOJOTE wäre ohne Georgia zu wüst gewesen – „wüst“ im Sinne von karger Landschaft, Weite, Sand und Sonne. Denn davon glühen die Seiten weiterhin.
Handlungsschlenker ist die Begegnung Joes mit seiner entfremdeten Tochter Monica, die Veterinärin ist und eine Tierhandlung betreibt. Praktisch, denn sie kann das Hündchen „Flash“ als Kojotenmischling identifizieren und gleich mal durchimpfen.
Gleichzeitig werden dort die beiden Killer vorstellig, die Giu/Joe eine Falle gestellt haben. Obwohl er darauf gefasst war, kommt es zu einer wilden Action-Szene in der Tierhandlung, die mich befremdet hat.
Giu/Joe ficht einen seitenlangen Kampf gegen seine beiden Kontrahenten aus. Eigentlich ein schönes Setting, doch Zeichner Philippe Xavier „verblödelt“ die raubeinige Rauferei durch grafische Spielereien.
Es platzen Aquarien und Fische werden kurzfristig zu fliegenden Fischen, eine Schlange verbeißt sich in die Nase des einen Bösewichts, eine Papageienschar fliegt auf – und eine Schildkröte segelt durchs Bild?!
Und die wundert sich dabei auch noch?! Da sind Xavier aber die Pferde durchgegangen! Diese unnötig komödiantischen Elemente desavouieren die Sequenz und den Ernst der Lage. Das passiert jedoch nur hier. Wäre es ein Stilmittel der ganzen Geschichte, hätten wir einen völlig anderen Comic in der Hand.
Doch DIE SCHLANGE UND DER KOJOTE will ein straighter und lakonischer Thriller sein. Das ist er ansonsten auch, umso mehr irritiert dieser Ausrutscher. Gut, meine pedantische Sichtweise auf dramaturgische Konsistenz. Stört Sie vielleicht überhaupt nicht.
Nach einer wahren Geschichte?
Dieser Comic wäre ziemlich vernachlässigenswert, hätte er nicht einen historischen Kern. Tatsächlich handelt es sich bei DIE SCHLANGE UND DER KOJOTE um die fiktionalisierte Geschichte von der ersten Anwendung des US-amerikanischen Zeugenschutzprogramms, installiert durch das FBI.
Das „Witness Security Program“ (WITSEC) wurde wie im Comic 1970 geschaffen, um einen Kronzeugen zur Aussage gegen seine ehemaligen Kollegen zu gewinnen – auch, um ihn vor Racheakten derselben zu beschützen.
Das Bangen der Behörden, ob unsere Hauptfigur Giu/Joe wirklich zum Prozess erscheinen wird, ist handlungstreibendes Element – neben dessen konkretem Kampf ums Überleben bis dahin. Denn Giu/Joe ist ein mit allen Wassern gewaschener Sturkopf, der sich nichts vom betreuuenden US-Marshal Crews sagen lässt.
Hier das Zusammentreffen der beiden:
DIE SCHLANGE UND DER KOJOTE ist solide durch und durch. 140 Seiten, durch die man genießerisch fliegen kann. Nicht die Neuerfindung des Crime-Genres, aber ein cleveres Konstrukt, das nebenbei ein Aha-Erlebnis in Sachen Strafverfolgungstaktik beschert.
Autor Matz (DER KILLER) kann Stoffe am Fließband produzieren und fertigt aus der Witsec-Prämisse einen tauglichen Thriller über einen Mann auf der Flucht, der von seiner Vergangenheit geplagt wird.
Zeichner Philippe Xavier verfolgt einen gefälligen Realismus, der extrem filmisch und mit viel Sinn für Räume und Landschaften inszeniert ist. Der Mann ist auch bei uns kein Unbekannter, sondern bei Splitter mit zahlreichen Serien wie CONQUISTADOR, KREUZZUG und TANGO veröffentlicht.
Hier erinnert er mich (es mag am Ambiente der Siebzigerjahre liegen) an das Artwork des seligen William Vance.
Kennen Sie diesen weißhaarigen Mann?
Ich konnte das ganze Album hindurch das Gefühl nicht abschütteln, ich hätte in der Person des Giuseppe Barella einen gealterten Andy Morgan vor mir! Die Figur, die Statur, die Frisur.
„Schließ einfach die Augen und stell dir vor, ich wäre Heinz Kluncker“ – halt, das war ein Buch von Max Goldt.
Aber ich schlage diesen Comic zu und stell mir vor, es wäre ein Andy-Morgan-Abenteuer.
Schiffsjunge Ali hat abgeheuert, Seebär Barney ist einer Leberzirrhose erlegen und Andy kann kein Wasser mehr sehen.
Jetzt gondelt er als einsamer Wolf durch Amerika, immer auf der Flucht vor den Leuten, denen er zu „Cormoran“-Zeiten auf die Füße getreten ist.
Für mich funktioniert das! :- )