Baz Luhrmann setzt ein Denkmal: ELVIS

Irgendwie ist es ruhig geworden um Elvis. Kommt mir so vor.

Noch vor einigen Jahren gab es an jeder Ecke der Popkultur Elvis-Doubles und Elvis-Imitatoren, eingearbeitet in Comics, Filme, Serien – und sei es nur als Hintergrunderscheinung. Mir scheint, ich habe lange keinen mehr gesehen.

Elvis ist (wahrscheinlich nicht nur in meiner Wahrnehmung) ein tragikomischer Clown der Rockmusik, wild gestartet als rebellisches Sexsymbol und als fettes Drogenwrack in Las Vegas geendet. Und das nur 20 Jahre später.
Elvis stirbt schon mit 42 Jahren! Ich hätte ihn für 60 gehalten, er sah jedenfalls so aus.

Also: Der „King“ fast vergessen, da klatscht uns Baz Luhrmann seine filmische Elvis-Biografie um die Ohren – und die hat es in sich!
Es gibt mehrere deutsche Trailer im Netz, aber richtig geil ist der englische von Warner Bros.:

Im Sommer 2022 kam dieser Film (ein zweieinhalb-Stunden-Monster) in die Kinos, wo ich ihn verpasst habe. Jetzt auf DVD nachgeholt, schmerzt es mich, ihn nicht auf der großen Leinwand gesehen zu haben.
Denn Regisseur Luhrmann ist für mich einer der letzten Kinomagier, die noch für echten Zauber sorgen (s. „Romeo und Julia“, „Moulin Rouge“). Auch um den war es ruhig geworden!

Nach einer „Great Gatsby“-Verfilmung von 2013 hatte er vor fünf Jahren noch eine Fernsehserie namens „The Get Down“ gestaltet, nie von gehört.
Und dann kommt er aus dem Nichts mit ELVIS und legt ein Comeback hin, das sich gewaschen hat.

Nichts weniger als das ganze Leben von der Wiege bis zur Bahre breitet der Regisseur vor uns aus, sogar stur chronologisch (was ich meistens hasse), doch ELVIS profitiert von Tempo und Collage. Meint: Dieser Film ist flott und schneidet Ereignisse ineinander, die in solcher Kontrastierung einen Mehrwert erzeugen. Dazu später mehr.

Luhrmann verzichtet auf ein Staraufgebot und besetzt (ausgenommen Tom Hanks als Manager Colonel Parker natürlich) sämtliche Rollen mit unbekannten Darstellern.
Richard Roxburgh (Vater von Elvis) war schon in „Moulin Rouge“ mit von der Partie und David Wenham (der Faramir aus „Herr der Ringe“) gibt den herrlich spröden Countrysänger Hank Snow.
Aber sonst? Austin Butler spielt den Elvis und sieht ihm nicht allzu ähnlich. Was nicht stört, Regie und Inszenierung verleihen ihm Wirkung. Die Australierin Olivia DeJonge stellt Priscilla dar, unaufdringlich und in stiller Würde.

Alle anderen bleiben sehr am Rande und sind kaum zuzuordnen (Tourbegleiter, Techniker, Assistenten). ELVIS beschränkt sich auf sein Kernensemble und die Dynamik, die aus diesen Konstellationen entsteht.

Luhrmann inszeniert nicht nur mit viel Symbolik, sondern auch mit Humor.
Beispiel hierfür sei Elvis‘ Versuch, sich mit dem TV-Special 1968 wieder Geltung zu verschaffen (was ihm gelingt).
Erst trifft sich der Sänger konspirativ mit jungen Produzenten am „Hollywood“-Sign in den Hügeln über Los Angeles (das zu dem Zeitpunkt völlig kaputt aussieht), dann leimt er seinen Agenten, indem er Parkers Werbe-Weihnachtsspecial komplett unterläuft und nirgendwo weihnachtlich wird.
Während Parker in Merchandising-Weihnachtspullis herumwatschelt und die geprellten Sponsoren vertrösten muss!

Der Leder-Elvis, wie er im Weihnachts-Special auftritt.

Hier beweist Luhrmann, wie wunderbar er Handlungen zusammenführen und verdichten kann. Die erste halbe Stunde des Films ist überhaupt mal wieder so ein Luhrmann-Rausch, wie ich ihn seit „Moulin Rouge“ vermisst habe.

In atemlosem Tempo und in gewagten Montagen erleben wir einen Schnitt durch die Jugend von Elvis und seine ersten Erfahrungen mit Musik – übrigens der Blues und Gospel der schwarzen Bevölkerung.
In seinem Geburtsort Tupelo, Mississippi, hört und sieht Elvis, wie man sich der Musik hingeben kann, welche Kraft, Macht und Herrlichkeit (plus Sinnlichkeit) diese entfachen kann.

Das bringt Luhrmann in einer knalligen Szene rüber, indem das Kind Elvis erst dem Sologesang eines Bluessängers lauscht (und durch einen Spalt in einer Bretterwand beobachtet, wie sich eine Frau zu den Klängen lasziv bewegt), dann taucht der Knabe in ein Gospelzelt ein, wo er mit der Gemeinde ekstatisch zu zucken beginnt.

Allegorien auf orgiastische Erfahrungen natürlich, die Elvis wenige Jahre später seinem weiblichen Publikum beschert.
Ins Bild gesetzt, als er einen drögen Country-Abend mit dem Schwung seiner Hüfte sprengt! Schnell wird er zur Galionsfigur eines unerhörten, ja unheiligen „Spirits“: Kirchen und Konservative laufen Sturm gegen seine satanische und obszöne Rockmusik (1955 wohlgemerkt) – am Ende muss Elvis in den Militärdienst nach Deutschland abtauchen, um nicht wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses in den Knast zu wandern.

Dass Elvis einen derartigen „Impact“ auf die US-amerikanische Gesellschaft hatte, ist die eine Erkenntnis aus der ersten Filmhälfte. Die andere ist die, dass er seine Kindheit und Jugend unter schwarzen Freunden und Musikern verbracht hat, deren Stile er für sich adaptieren und damit reüssieren wird.

Ein Niederländer stapelt hoch

Jetzt müssen wir aber endlich auf Colonel Tom Parker zu sprechen kommen, die graue Eminenz im Leben von Elvis.

Dieser Mensch hieß eigentlich Andreas van Kuijk, kam aus Breda, wanderte mit 20 illegal in die USA ein, diente ein paar Jahre in der Army,  um dann Wahlkämpfe und Musikshows zu managen.
Dort fiel ihm ein junger Sänger auf, der sein Publikum mit seinem Act zu begeistern wusste. Also legte sich Parker auf die Lauer, erkundigte sich über das Umfeld des Künstlers und machte ihm dann ein Angebot, das Elvis nicht ablehnen konnte.

Und wie clever und verträumt und metaphorisch zugleich Luhrmann das inszeniert (s. Bild oben): Während einer Riesenradfahrt auf einem Rummelplatz hocken sich die beiden gegenüber und schweben mal aufwärts, mal abwärts.
Parabel auf das Showbusiness schlechthin.

Bravurös spielt Parker, dieser Schlawiner, auf der Klaviatur der Gefühle und Versprechungen. So weiß Parker den frühen Tod der nervösen Mutter von Elvis auszunutzen und sich als familiärer Onkel ins Licht zu setzen.

Man kann diesem fürsorglichen Mann nichts abschlagen – auch wenn er Elvis für diese fiesen Hollywood-Fließbandfilme verpflichtet und später an ein dauerhaftes Engagement in Las Vegas fesselt. Auch wenn sein Schützling das nicht will. Auch wenn der lieber um die Welt touren würde.
Aber Parker ist spielsüchtig und braucht unbegrenzte Ressourcen im Kasino. Parker ist außerdem nicht reisefähig, er kann die USA nicht verlassen. Er ist ein Schwindler mit ungeklärter Staatsbürgerschaft, der Elvis nicht von der Leine lassen will.

Das Kräftespiel der beiden Akteure ist der Motor für Luhrmanns Inszenierung. Elvis will sich weiterentwickeln, aber Parker lockt seinen Goldesel immer wieder zurück auf die Weide.
Der „King“ resigniert schließlich, kapituliert vor dem Moloch Las Vegas, stürzt in Depressionen sowie eine Fress- und Drogensucht.

„Unterschreiben Sie hier, bitte!“ – Colonel Parker hat Elvis und dessen Eltern fest im Griff.

„Amadeus“ lässt grüßen

Ich sehe deutliche Parallelen zu MilošFormans AMADEUS, dem berühmten Mozart-Film von 1984. Dort ist der Aufhänger folgender, dass Mozarts Konkurrent Salieri am Ende seines Lebens behauptet, er habe das Musikgenie umgebracht.

Auch ELVIS eröffnet mit der Figur an der Seite des Musikers. Parker liegt im Sterben, wird mit Vorwürfen konfrontiert, beteuert jedoch: „Ich habe ihn nicht umgebracht. Ich habe Elvis Presley erschaffen.

„KinoCheck“ spendiert auf YouTube die ersten neun Minuten des Films, Sie können nachschauen:

Da hat Luhrmann sich einen dramaturgischen Kniff bei Forman geklaut, aber es ist ja stimmig. Sowohl Salieri wie auch Parker bewundern ihre Konterparts rückhaltlos, dennoch treiben sie die Genies durch Überarbeitung in den Ruin.
ELVIS serviert diesen Tatbestand alles andere als plump. Denn Presley erobert sich Phasen der Selbstbehauptung zurück.

Am Ende jedoch (die Schlüsselszene in der Tiefgarage des Kasinos) kann Parker Elvis wieder umstimmen. Das spielt Hanks so mephistophelisch-leger, dass es uns Cineasten mit Freude erfüllt. Wären auch wir nicht reingefallen auf diesen Scharlatan?!

Luhrmann hat Elvis Presley ein gewaltiges Denkmal gesetzt. Ein Denkmal im Wortsinne. Nach Betrachtung des Films hat bei mir eine Umwertung der Person Elvis begonnen.

Gottverdammich: Der Kerl war ein Genie, ein Freund der schwarzen Musik und ein Katalysator der Moderne – und Colonel Parker hat ihn umgebracht!