DIE TOCHTER DES ZYKLOTROP – eine ideale Fortsetzung

Das ist einfach mal charmant. Zeichner und Autor José-Luis Munuera ist ein wundervoller Spin-off zum SPIROU-Kosmos gelungen: Der noch aus Franquin-Zeiten bekannte Superschurke Zyklotrop (s. ausführliche Hommage auf meinem Blog) bekommt sein eigenes Album – und darf darin sogar Vater sein!

Was zunächst wie ein Bruch der Figur wirkt, erweist sich als Geniestreich, um diesen schrägen Charakter in neuen Facetten auszuloten und weiterzuentwickeln.

Der klassische Zyklotrop war ein Clown. Ein Möchtegern-Genie, das an der eigenen Verblendung scheitert. Ein großspuriger, arroganter, eitler Fatzke, der aber auch eine liebenswerte Schraube locker hatte und deswegen im Gedächtnis haften blieb.

Munueras neuer Zyklotrop ist immer noch ein Clown, aber einer, der um seine Unzulänglichkeiten weiß und sich eine gefühlige Seite erlaubt. Denn wir erleben ihn als Helikoptervater seiner Tochter Zandra, für deren Schutz er alles tut.

Diese und alles sonstigen Abbildungen © José-Louis Munuera/ Carlsen Verlag GmbH, Hamburg 2019

Als die 16-Jährige ein Date mit ihrem Freund André hat, überwacht er den Abend Minute für Minute und entführt seine Tochter, als die Lage kritisch wird (und sich ein Kuss anbahnt).

Zandra ist verständlicherweise sauer auf ihren überbehutsamen Vater und auf ihr abgeschiedenes Leben auf der Superschurkeninsel. Doch lange kann sie nicht schmollen, denn ein skrupelloser General besucht Zyklotrop und verlangt die Herausgabe einer neuen Superwaffe.

Zyklotrop nämlich verdingt sich als Waffenhändler (auch das ein Streitpunkt mit Zandra), er ist damit nicht glücklich, aber muss ja auch eine Tochter durchfüttern. Der Besuch des Generals wandelt sich in einen Überfall, in deren Verlauf Vater, Tochter und auch Freund André um ihr Leben kämpfen müssen. (Das alles aber unblutig und im Stil von knalliger, aber harmloser Semifunny-Gewalt.)

Zandra schießt einen Zyklobot ab, der die beiden Jugendlichen bei ihrem Rendezvous verfolgt. André und einige Passanten landen dabei an einer Mauer:

Die Kunst der Comic-Hommage

Munuera konstruiert also einen Komödienplot (die pubertäre Dreiecksbeziehung), der durch eine reale Bedrohung (Angriff einer Militäreinheit) ausgehebelt und konterkariert wird. In unpassendsten Momenten können die Figuren nicht so handeln, wie sie wollen.
Hier schleichen sich die Truppen des Generals ans Haus, was André zwar beobachtet, aber Zandra nicht warnen kann, weil er vom Zyklostrahl ihres Vaters gelähmt ist. Der Robot-Butler Fredorg betont das Dilemma noch:

Der Einsatz des Zyklostrahls hat beim nichtsahnenden André zwar verfangen, gegen den bösen General jedoch gerät er zum Desaster, weil Zyklotrop ein Detail vergessen hat …

(Diese Sequenz übrigens eine Referenz an das Finale von IM BANNE DES Z, ebenfalls nachzulesen in meiner Hymne auf die Zyklotrop-Auftritte bei Greg und Franquin.)

Keine Angst, tief fällt er nicht. Die gummiartig dehnbaren Körper im Semifunny verstauchen sich höchstens mal was. Am meisten Schaden nimmt Zyklotrops Ego in dieser Szene. Dem „großen Zyklotrop“ war entfallen, dass er seinem Gegner eine Schutzvorrichtung verkauft hatte.

Dieser Comicband macht alles richtig: Er stellt dem vermeintlichen Superschurken einen schlimmeren gegenüber (den General nämlich). Dessen Soldaten sind übrigens keine Marionetten oder blinden Befehlsempfänger, sondern wissen sich im richtigen Moment auch von ihrem Kommandanten zu distanzieren.

Fein getakteter Humor mit intelligenten Rückbezügen kennzeichnet die wundervollen 64 Seiten der TOCHTER DES ZYKLOTROP. So müssen sich Zyklotrop und André zusammentun und Zandra entdeckt völlig neue Seiten an sich.

Die verwegene Story-Mixtur funktioniert ausgezeichnet, auch weil Munuera nicht nur brillantes Artwork aufs Papier bannt, sondern über exzellentes Timing verfügt und seine Figuren zudem lebendig werden lässt. Ein Feelgood-Comic, wie er herzerfrischender nicht sein könnte.

Mich hat jede Seite begeistert. Denn Munuera fängt Zyklotrops Persona raffiniert ein – und weiß sie sogar zu inszenieren: Hier wirft sich unser Held in Schale, um auf dem Rollfeld den eintreffenden General zu begrüßen.

Schöner kann man Zyklotrop nicht charakterisieren!

Coming-of-Cyber-Age-Story

DIE TOCHTER DES ZYKLOTROP eröffnet eine neue Dimension im SPIROU-Kosmos. Der Stoff ist modern, bedient die Mechanismen eines Action-Comics und hat einen emotionalen Kern.
Der neue Zyklotrop steht gleichberechtigt neben seiner Tochter Zandra (bzw. umgekehrt) – dieses Team mit den Satelliten Fredorg und André präsentiert im Auftaktabenteuer einen Schwung, der Munuera hoffentlich noch weit trägt.

Tatsächlich gibt es bei Carlsen Comics noch weitere Zyklotrop-Bände; überzeugen Sie sich davon unter diesem Link.
Hier sind womöglich echte Semifunny-Perlen zu entdecken. Ich jedenfalls bin heiß auf mehr Zyklotrop. Aber von José-Luis Munuera muss es schon sein!

Mehr zu Handlung und zum Look des ersten Bandes offenbare ich in meinem Instagram-Video: