Im Western nichts Neues: GO WEST, YOUNG MAN

Ein Autor und 16 Zeichner gestalten dieses Album. Zu gendern brauche ich hier nicht, es handelt sich um rein männliche Beiträge.

Darunter große Namen und alte Bekannte wie UNDERTAKER-Zeichner Ralph Meyer, Hugues Labiano (STERN DER WÜSTE), der sonst auch bei Splitter verlegte Westernfachmann Patrick Prugne, SAUVAGE-Illustrator Félix Meynet oder Dominique Bertail (der mir in MONDO REVERSO allerdings besser gefällt).
Francois Boucq ist mit von der Partie (leider nur vier flüchtige Seiten), ebenso der von etlichen westernaffinen Serien bekannte Christian Rossi. JONATHAN-CARTLAND-Veteran Michel Blanc-Dumont steuert nur eine (!) Seite bei, auch nicht fehlen darf der COMANCHE-Erbe Michel Rouge.

Was mir beim ersten Durchblättern aufstößt, ist der oft allzu typische Westernlook – geschult seit Jahrzehnten an Jean Giraud und Hermann Huppen. Nichts gegen diese Giganten, natürlich, aber müssen Western immer so gleich aussehen?!

Deshalb feiere ich ja grafisch wie inhaltlich abwegige und originelle Versuche und Neuerfindungen wie MARSHAL BASS oder das erwähnte MONDO REVERSO.

Generische Geschichten mit Herz

 

Dann beginne ich zu lesen und bin fürs erste doch versöhnt. Die im Durchschnitt fünf Seiten langen Episoden verfolgen chronologisch den Verbleib einer Taschenuhr, die von Besitzer zu Besitzer wandert, von 1763 bis 1938.

Dabei klappert Autor Tiburce Oger sämtliche Klischees ab, die das Westerngenre zu bieten hat: Britische Invasoren, Trapper, Waggontrecks, Pony-Express, Bürgerkrieg, Büffeljäger, Desperados, Cowboys, Saloonleben, Geronimo und Pancho Villa.

Aber es gelingen ihm in den ersten Episoden halbwegs interessante Charaktere, die gottlob nicht so eindimensional agieren wie ich befürchtete. Das ist jetzt kein Dostojewski, aber die dargestellten Schicksale berühren doch mit menschlicher Wärme und überraschenden Pointen.

Der grimme Trapper erwischt einen Franzosen beim Stelldichein mit seiner Indianerfrau. Wie wird diese Affäre enden?!

 

Packend auch die Geschichte des verzweifelten Jungen, der sich beweisen möchte. Gefolgt vom Todeskampf eines schwerverwundeten Südstaatlers, der seine Erinnerungen an die Geliebte nicht loslassen kann.

Dann wird es finster in GO WEST, YOUNG MAN und die Wärme weicht der Kälte des Noir-Western. Tarantino-eske Grausamkeiten zwischen Kerlen bestimmen das weitere Bild.
Sei es eine verdrehte Variante des Westernklassikers „Der schwarze Falke“, in dem zwei Rächer entführte Frauen aus einem Indianercamp befreien.
Sei es der psychologisch in die Länge gezogene Shootout zwischen einem Marshall und seiner Kopfgeldbeute.

I See a Darkness

 

Im Anschluss erleben wir eine brutale Cowboy-Selbstjustiz, gesteigert durch den in meinen Augen schlimmsten Beitrag: Die Jagd auf einen Ölbaron, die mit fieser Gewalt gegen Frauen eröffnet. Was soll das denn? Das ist so unangenehm, dass es mir das Konzept von GO WEST, YOUNG MAN verdirbt.

Die letzten drei Episoden können meine Stimmung nicht mehr auffangen, es geht nun auch um sehr austauschbare Stoffe, die keinen eigenen „Spirit“ mehr haben – den ich zu Beginn des Albums noch zugestanden habe.

Was kratzt uns jetzt, ob in den „Indianerkriegen“ ein Offizier von Apachen bis zum Hals im Sand vergraben wird und auf Rettung hoffen muss?

Es folgen vier weitere nutzlose Seiten, aus denen man eine spannende Erzählung hätte machen können. Doch „Cattle Kate“ ist schon vorüber, ehe man die Hauptfigur kennengelernt hat! Das liest sich wie der Pitch zu einem eigenen Album, taugt als Fragment aber nicht zur Bereicherung dieses Episoden-Reigens.

Ein Abstecher nach Mexiko soll das Album mit Tortilla-Flair beschließen, verliert sich leider in einer Doppelagenten-Konstruktion, die ich nicht recht begriffen habe. Außerdem stört mich massiv, dass zwei Jungen im Zentrum dieser Episoden stehen.
Die jugendliche Erzählperspektive war sehr viel origineller bereits in der Pony-Express-Geschichte implementiert.

Dafür präsentiert man uns zum Finale noch tüchtig Action-Rabatz:

Ruhig, Grauer!

 

Mir gehen bei Western leicht die Pferde durch. Entschuldigung. Ich bin da überkritisch und bekomme einen verbalen Ausschlag, wenn ich nichts Innovatives entdecke. Schlage ich also lieber ein paar versöhnliche Töne an, denn es ist nicht alles schlecht an diesem hochwertig produzierten Album in gewohnter Splitter-Qualität.

Das ist volle Pulle solide. Das Artwork der 16 Zeichner ist beeindruckend und stellenweise auch berauschend. Mein Liebling ist die erwähnte Pony-Express-Episode, gestaltet von Ralph Meyer. Gerne stifte ich eine Seite daraus im Scan:

Auch wenn GO WEST, YOUNG MAN meinen Snob-Ansprüchen nicht vollends genügt, muss Sie das aber nicht abhalten, sich diesem Album hinzugeben.
Schauensedochmal das Video an, vielleicht sind Sie ja hingerissen: