Enttäuschend: MADAME CHOI UND DIE MONSTER

Es gab mal einen deutschen Zeichner, der beschwerte sich (über Dritte) bei mir, dass ich ihn unfair kritisiert habe. Ich hatte geschrieben, dass ich sein Werk zwar respektierte und in den Ansätzen auch clever fände, es mich im Ganzen aber nicht erreiche und mir grafisch „fast ins Läppische“ reduziert erscheine.

Die Beschwerde nun lautete, meine Wertungen seien zu subjektiv; der Zeichner wünschte sich „eine objektive Kritik“. Ich ließ dem Mann (über Dritte) ausrichten, die objektive Formulierung müsste „Dein Comic ist Käse“ lauten, daher hätte ich lieber ein subjektives Urteil gefällt: Dein Comic erreicht mich nicht, Betonung auf „mich“.
Das war natürlich polemisch – und auch pädagogisch gemeint. Es ist meine feste Überzeugung, dass jegliche Kritik immer subjektiv ist, geprägt von Vorwissen und Vorlieben der betreffenden Person.

(Übrigens war das Werk des Zeichners ansonsten mit Applaus und Beifall aufgenommen worden, da sollte man doch im rein sportlichen Sinne eine Gegenstimme hinnehmen können.)   

Ich beginne diesen Beitrag auf diese Weise, weil ich mal wieder die Gegenstimme bin. Es handelt sich erneut um ein hochgelobtes, preisgekröntes Werk (Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung 2022): MADAME CHOI UND DIE MONSTER.

Lassen Sie mich also der Meckerfritze sein, der diesem Comic persönlich nichts abgewinnen kann. Ich mache es kurz und schmerzlos und sage, dieses Werk hat mich sowohl von den Zeichnungen als auch vom Text her enttäuscht.

Beginnen wir beim Artwork von Sheree Domingo, einer Künstlerin, die ich sehr schätze. Ihre drei Jahre alte Graphic Novel FERNGESPRÄCH ist eine feinfühlige und intelligente Generationengeschichte, aufgehängt an Arbeitsverhältnissen in einem Seniorenheim. Domingos zarte Buntstiftechnik lässt diese Erzählung schweben und strahlen.

Mit MADAME CHOI UND DIE MONSTER aber hat sie einen Illustrationsauftrag über 170 Seiten angenommen und muss regelrecht grob zu Werke gehen. Dicke Tusche ohne Details dominiert die Seiten. Das finde ich nicht schön, könnte es aber in Kauf nehmen, würde diese Grafik die Handlung ohne Irritationen transportieren. Leider bleibe ich immer wieder an den Zeichnungen hängen und störe mich an der klobigen Ausführung.

Es gibt auch gelungene Passagen, das sei ausdrücklich hervorgehoben. Sheree Domingo kann ja was! Zum Beispiel diese wuselige Pressekonferenz im Blitzlichtgewitter:

Aber dann gibt es einige Aktionssequenzen, deren Inszenierung offensichtlich nicht die Stärke der Künstlerin ist.
Wenn das Monster die Festung der königlichen Garde angreift, wackelt erst die Erde, dann fällt ein Schatten auf zitternde Soldaten, ein Fuß des Monsters ist zu sehen, dann seine Fratze über dem Wehrgang, es fliegen Pfeile, eine Riesenfaust kracht ins Gemäuer, dann huschen acht Landbewohner mit Fackeln durch eine Bresche – das war’s.

Selbst solche flüchtigen Umsetzungen wären womöglich zu verkraften, wenn das Skript mitreißen würde. Hier möchte ich ausdrücklich Autor Patrick Spät mit in die Haftung nehmen, denn sein Drehbuch lässt in meinen Augen jede Finesse vermissen.

Die Haupthandlung beruht auf wahren Begebenheiten: Die südkoreanische Schauspielerin Choi Eun-hee (alias Madame Choi) und ihr Regisseur und Partner Shin Sang-ok werden 1978 in Hongkong gekidnappt und vom nordkoreanischen Regime verschleppt. Diktator Kim Jong-il ist ein Cineast und zwingt beide zur Produktion nordkoreanischer Filme.
1986 können Choi und Shin über Wien fliehen und leben fortan unter Obhut der CIA in einem Zeugenschutzprogramm in Virginia. Erst 1999 kehrt das Paar nach dem Tod von Kim nach Südkorea zurück.

Tolle Chose, das! Die auf drei Seiten abgedruckte Chronologie der Ereignisse im Buchanhang ist jedoch mindestens so unterhaltsam wie die grafische Umsetzung im vorderen Teil. Meint: Spät pickt brav die Highlights bis zur Flucht heraus und lässt Domingo diese bebildern. Das ist illustrierte Wikipedia – finde ich langweilig.

Ich hätte (um nochmal radikal subjektiv zu sprechen) den Stoff behutsam fiktionalisiert und als Handlungsrahmen das verhasste Exil in den USA gewählt. Choi und Shin hocken sinnlos auf dem Land, draußen lungern CIA-Beamte, die sie nicht verstehen, drinnen gehen ihnen ihre Adoptivkinder, die sie jahrelang nicht gesehen haben, auf den Wecker und verlangen Auskünfte über das Leben der Eltern. Das versuchen sie in Rückblenden aufzufächern, doch ihre kommunistische Gehirnwäsche führt immer wieder zu Missverständnissen und Streitereien.
Das kommt mir frisch und elegant vor und erlaubt auch jeden wilden Exkurs, auch ins Filmschaffen hinein.

Was macht Spät? Hakt Stationen ab, unterfüttert mit mehr oder weniger lesenswerten Dialogen – und kreiert einen Film als Zwischenhandlung.

MADAME CHOI UND DIE MONSTER ist nämlich unterschnitten mit der Nacherzählung von „Pulgasari“, einem Godzilla-Klon aus nordkoreanischer Produktion (der MONSTER-Part dieser Graphic Novel).

Man munkelt, dieses Werk sei eine subtile Metapher auf den Größenwahn von Diktatoren und ein Aufruf an das Volk, sich zu erheben. Ich war entsetzt, wie bockblöd, strohdumm und naiv „Pulgasari“ daherkommt.
Auch das liegt nicht an Domingos Zeichnungen, sondern am schwachmatischen Plot: Eine Puppe wächst ins Riesenhafte, wird erstens zum eisenverschlingenden Monstrum Pulgasari, zweitens zur Waffe gegen den bösen König, drittens zur Bedrohung der Welt, weil sie immer größer wird – und muss schließlich vernichtet werden?!

Wat, wat, wat???

Gut, ich hab es nicht mit asiatischen Erzählformaten, aber was soll denn das? Mir kommt dieser Pulgasari-Einschub nicht als organische Ergänzung des realen Dramas vor, sondern als Störfaktor ohne Mehrwert.

(Ich verstehe diese Filmhandlung teilweise auch nicht. Wer oder was zum Teufel ist dieses Reiswein trinkende Strichmännchen an der Seite der jungen Frau? Wird nie erklärt, ehrlich nicht.)

In meiner Analyse haben wir hier einen braven Sachcomic vor uns, planlos vermischt mit einem dämlichen Monstermärchen – Sie ahnen, weshalb mich dieser Comic nicht erreicht. Ich verbuche die Angelegenheit für mich als halbgare biografische Aufarbeitung. Das kann passieren.

Alle mögen MADAME CHOI UND DIE MONSTER. Lassen Sie mich die Ausnahme sein. Ich wollte meine Meinung dazu kundtun. Ich habe zu schweigen überlegt, aber dann bin ich der festen Überzeugung, dass ich auch wieder bessere Arbeiten von Sheree Domingo und Patrick Spät zu sehen bekommen werde.

(Schließlich mochte ich seinen Biografie-Comic DER KÖNIG DER VAGABUNDEN.)

Um noch einen Eindruck zu geben, blättere ich in das Werk hinein: