Deutschlands vergessenster Comiczeichner: Chlodwig Poth

Es gibt einiges an Poth auszusetzen: Sein Strich wirkt kratzig und krakelig, seine Figuren sind zauselig und hässlich, seine funktionalen Szenerien laden nicht unbedingt zum Betrachten ein. Chlodwig Poths Comicwerk ist regelrecht sperrig.

Auf diese Comics, ihre oft prall gefüllten Sprechblasen, muss man sich konzentrieren (und zuvor überhaupt erst mal einlassen). Die Bilder allein funktionieren bei Poth nicht. Diese Comics wollen gewissermaßen studiert werden. Doch was auf den ersten Blick altbacken und spaßbefreit wirkt, offenbart sich beim genauen Lesen als Fundgrube eines bitteren Humors.

Bitter? Wirklich? Womöglich ein Missverständnis.
Ich lade dazu ein, hinter der krampfigen Fassade der Pothschen Protagonisten eine anarchische Albernheit zu entdecken.

Poth war immer der Künstler, der seinen Figuren in die Seele schaut und dort nach einer Diskrepanz sucht, die er als Fallhöhe für seine kleinen Dramolette ausbeuten kann.

Der penible Deutschlehrer, der eine gute Fee trifft, aber seine drei Wünsche nicht korrekt formuliert bekommt.
Der Freundesstammtisch in der Kneipe, der zerbricht, weil sich zwei Teilnehmer des gegenseitigen Regelbruchs bezüglich des Aufenthaltes dort bezichtigen.
Das Urlauberpaar, das bei der Wanderung durch die prächtige Landschaft der Algarve über Hotelstandards und Mitreisende lästert.

Poth kontrastiert die gehässige Rede seiner Figuren mit der stummen Herrlichkeit der Landschaft. Ganz bewusst gestaltet er diese mit feinen Details aus, was sonst selten seine Vorgehensweise ist.

 

Und, ja, es ist deutsch, deutsch, deutsch bei Poth. Das war noch nie sexy.
Aber kommt es darauf an?

Ich gestehe, Poth seinerzeit auch bloß überlesen bzw. überflogen zu haben. Seine Beiträge waren meist nur in Schwarzweiß gehalten, hatten oft ein altmodisches Layout und waren vom Gehalt her weder jung noch hip.
Wo zeitgleich WERNER mit saloppem Nonsens brillierte, Ralf König mit deutschem Underground verblüffte und Walter Moers auf ungeahnte Weise frech wurde, da hatte Poth keine Schnitte. Da sah der Wahl-Frankfurter alt aus. In der Tat stand er auch eine Generation über diesen jungen Wilden.

In manchen seiner Beiträge dringt eine Pothsche Pädagogik nach außen: Wenn ein Angestellter des Pentagon bei der Frau daheim die Krise kriegt, wie die Kollegen ihn im Büro beurteilen (je nach Ansetzung eines Schätzwerts für Kollateral-Tote eines Atomschlags), dann schwingt der Zeichner zugleich mit seinem Pinsel auch den moralischen Zeigefinger. Das sind Momente, die mir Poth ein wenig verleiden

Dennoch: Er selber hatte sicherlich mehr Bart als seine Comics, für die ich eine Lanze brechen möchte. Dabei konzentriere ich mich auf sein Comicschaffen der Achtzigerjahre – fernab von seinen früheren Erfolgen mit Mein progressiver Alltag, in denen Poth die Hippiebewegung der Siebziger dokumentiert.
(Auch seine lakonischen Spätwerk-Cartoons wie Last Exit Sossenheim seien hier ausgeklammert.)

Das folgende Wohnzimmerdrama hat zum Auftakt Anflüge von Loriot, entwickelt jedoch rasch Schwung und Schärfe, wie sie Poth auszeichnen:

 

Poth ist vergessen? Weshalb?

 

Vielleicht weil er in Satiremagazinen veröffentlichte, die nicht primär für ihre Comics bekannt waren. Die Titanic war natürlich das große Blatt für Cartoons und Text-Foto-Satire, hatte aber etliche Comics im Angebot: Volker Reiche, Bernd Pfarr, Hilke Raddatz, Jens Jeddeloh und Brösel lieferten regelmäßig.
Dazu gesellten sich Hausproduktionen wie Gensch-Man und Die roten Strolche, die wir als astreine Politcomics werten dürfen. Zudem ließen sich noch Hans Traxlers legendäre Birne-Bildergeschichten sowie gelegentliche Strips von Robert Gernhardt und F. K. Waechter als Comics vereinnahmen

 

Poth war Pazifist, der dem Homo Sapiens als Gattung misstraute und einzig in der Kunst Hoffnung schöpfte: „Alle Höchstleistungen des Menschen sind gefährlich geworden. Sein Entdeckertrieb, sein Forschertrieb, selbst seine Philosophie, wenn wir an Karl Marx denken – auch die ist in die Hose gegangen. Es gibt allerdings kein Beispiel, wo man sagen könnte, die Kunst ist irgendwo gefährlich geworden. Einzig die Kunst konnte nie zu üblen Zwecken missbraucht werden; wurde es versucht, dann war’s keine Kunst mehr.“

Vielleicht eine simplifizierende Sichtweise, dennoch ein gültiges künstlerisches Credo. Und die beste Erklärung für  seine Protokolle des Scheiterns. Der Mensch denkt, doch Gott lenkt. Was Poths Figuren krachend auf die Schnauze fallen lässt:

Der Schüler, dessen Superheldenfantasien ihn zum Gespött der Klasse machen.
Der Fernsehmoderator, dem ein Exhibitionist die Schau stiehlt.
Der Büroangestellte, der sich in homoerotische Tagträumereien flüchtet.

All diese Szenen eines Elends könnten so in der Realität stattfinden, das macht sie oberflächlich bitter. Doch Poth schildert uns die extremen Momente, in denen menschlicher Ernst und Anspruch ins Peinliche und Lachhafte kippen.

Poth scheut auch nicht den Einsatz überirdischer Instanzen: Ein Erzengel mit Flammenschwert erscheint geplagten Mietern, die an ihrer finanziellen Lage verzweifeln (allerdings kommt der himmlische Bote nur zum Feilschen, nicht zum Erlassen der anstehenden Mieterhöhung).

Die Trilogie „Herrgott und Satan in …“ widmet sich gar der Theodizee: Angesichts Berliner Verwahrlosung, südhessischer Bausünden (Offenbach!) und Atomwaffenstationierung in der Eifel bedrängt der Teufel unseren Schöpfergott, wie er solche Auswüchse, solches Elend zulassen könne. Schließlich erteilt ihm Gott die schlüssigste aller Antworten:
Sie beide existierten gar nicht, sondern seien Produkte der menschlichen Fantasie und vor allem bloß eine Zeichnung dieses Herrn Poth.
Und so gewinnt der Mensch die Deutungshoheit über sein Leben – eleganter und meta-cleverer kann mal diesen theologischen Disput nicht lösen!

Nachsatz:

Chlodwig Poth hat enorme Verdienste: Hat Pardon mitgegründet, hat Titanic mitgegründet, schrieb Satiren, zeichnete Karikaturen und Cartoons – und wäre dieses Jahr 90 geworden.
Leider verstarb dieser unterschätzte Pionier der deutschen Nachkriegs-Satire bereits im Jahr 2004 im Alter von 74 Jahren.

Und hier noch ein Bonusbildchen: Poth-Cartoon aus TITANIC zum Jahreswechsel 1983/84. Damit nahm uns der Künstler seinerzeit ein bisschen die Angst vor dem heraufziehenden Überwachungsstaat. Good ol’ times.