MACBETH – da staunt der Barde

Isses denn zu fassen? Der „große Barde“ in Sprechblasen? Aber nicht zu knapp!
Ich  hätte Ihnen außer dem hier vorgestellten auf die Schnelle keinen nennen können, doch Shakespeare-Comics gibt es jede Menge!

Angefangen bei den ILLUSTRIERTEN KLASSIKERN über bebilderte Schullektüre bis hin zu Disney-Bearbeitungen mit Micky und Donald,  Manga-Adaptionen und moderne Graphic-Novel-Fassungen aus der französischen Schule – hier sogar ein „Schwesterprodukt“ vom Splitter-Verlag: MACBETH, KÖNIG VON SCHOTTLAND.

„Mein“ MACBETH allerdings trägt den Untertitel A TALE OF HORROR, stammt von zwei Italienern, ist letzten Winter bei Dark Horse erschienen und nicht auf Deutsch erhältlich.

Die Credits teilen sich Stefano Ascari und Simone D’Armini, die dem Barden tüchtig den Bart stutzen, indem sie sich Freiheiten erlauben und das Werk auf schlanken 80 Seiten präsentieren!

Ich habe tatsächlich als Schüler und Student einige Shakespeare-Werke gelesen (auch im englischen Original) – der pralle „Macbeth“ war immer mein Lieblingsdrama. Nicht der quälerische „King Lear“, nicht der vergrübelte „Hamlet“ und auch nicht das tragische „Romeo und Julia“.

Kein Wunder: „Macbeth“ ist nah am Horrorgenre platziert, man denke nur an die drei Hexen, den Geist von Banquo oder die unheimliche Schlacht gegen den wandelnden Wald von Birnam.

Zwei feine Italiener

Auf den Horroraspekt stürzen sich Ascaro und D’Armini und gestalten ihren Comic äußerst brutal, blutig und bestialisch. Stünde nicht MACBETH drauf, man würde ihn nicht als Shakespeare erkennen!

Das beginnt schon mit einer zweiseitigen Eröffnungssequenz, die uns die Geburt Macduffs schildert. Der Junge wird von einer dämonischen Hebamme geholt, und zwar per Kaiserschnitt (er ist „der Mann, der von keiner Frau geboren wurde“), wie es die Hexen dem verblüfften Macbeth prophezeien.

Die drei Hexen treten erst danach auf, nicht wie bei Shakespeare zuerst. Außerdem versorgt uns das Artwork noch mit Szenen vom Schlachtfeld gegen die Norweger, auf dem Macbeth dem letzten Gegner rasch den Kopf abtrennt (s. erste Abbildung oben).

Macbeth geht bekanntlich als Sieger aus dem Kampf hervor. Mit seinem Freund und Mitstreiter Banquo macht er sich auf dem Heimweg, um seinem König Duncan vom Sieg zu berichten.

Beide spekulieren, welche Belohnungen sie erwarten, da lauern ihnen die Hexen auf und fachen ihre Fantasie weiter an: Von „König Macbeth“ wird da geraunt und dass Banquo „Vater von Königen“ sein werde.

Schauen Sie, wie ungewöhnlich D’Armini uns das Trio präsentiert: Die Hexen sind nicht wie meist drei Aspekte der Weiblichkeit (so als „virgin, mother and crone“ im SANDMAN), sondern ein geblendetes Kind, das einen Ziegenbock führt, eine Harpyie im Federkostüm sowie eine hagere Knochengestalt mit Gasmaske, letztere mehr apokalyptischer Reiter des Krieges als Hexe.

Diese Figur bekommt auch einen Auftritt als Sensenmann im iranischen Fallujah im Jahr 2004. Autor Ascaro erlaubt sich ansonsten jedoch keine Anachronismen, dafür sprachliche Modernisierung des Shakespeare-Englischs.

Auf dieser Seite fällt er sogar extrem in Gegenwartssprache. Es handelt sich um den Königsmord, der hier kein schnelles Meucheln im Schlaf ist, sondern eine wilde Kampfszene!

Dieser Schandtat folgt Macbeths Ernennung zum neuen König und seine Paranoia, dass Kumpel Banquo ihm gefährlich werden könnte.

Wie es der Zufall will, treten die drei Hexen in Gestalt schwarzer Ritter in den Thronsaal und bieten ihm an, die Sache als Attentäter aus der Welt zu schaffen.
Gesagt, getan: Banquo wird massakriert, doch sein Sohn Fleance kann entkommen (wie auch die Söhne von König Duncan das Land verlassen haben).

Macbeth jedoch wird als Herrscher nicht glücklich, denn Halluzinationen (bzw. sein schlechtes Gewissen, of course) plagen ihn bei Tag und bei Nacht. Hier die berühmte Szene, in der Banquos Geist ein Galadiner im Schloss heimsucht.
Dessen von Schwertern durchbohrter Leib residiert mit toten Augen am Kopfende des Tisches, vor ihm auf dem Teller die eigenen Eingeweide!

Die Illustration verdichtet und übersteigert die Situation bis zum Platzen: Ein dreifacher Macbeth klagt, flucht und tobt direkt unterhalb der Leiche. Durch einen Bildkasten distanziert versucht Lady Macbeth, die verwunderten Gäste zu beschwichtigen:

Jetzt müssen wir natürlich Lady Macbeth ins Spiel bringen, die in dieser Comicfassung etwas zu kurz kommt, wie ich finde. Wallehaar und irrer Blick, gekauft, aber ihr Abstieg in den Wahnsinn geht sehr flott vonstatten.

Auch muss sie ihren Gatten nicht lange zu seinen Missetaten überreden – und was komplett  fehlt, ist die zentrale Szene im Ersten Akt: die Monstrosität der Tat („Macbeth has murdered sleep“) und das verfluchte Blut, das nicht mehr von den Händen zu waschen ist.

MACBETH – A TALE OF HORROR verlagert diese Schuldmetapher nach hinten in den Fünften Akt und nutzt ihn als Auftakt zu ihrem Suizid:

Der Selbstmord seiner schwangeren Frau lässt Macbeth komplett ausrasten, er verhängt ein Todesurteil über alle seine Feinde.

Die allerdings haben sich bereits um Duncans Söhne sowie Banqos Sohn Fleance zum Widerstand geschart und treten unter Führung des abtrünnigen Macduff zur Schlacht an.

Merkwürdig, dass der Comic offenbar beim „Herrn der Ringe“ Anleihen macht (die Ents) und auch Wald- und Naturgeister gegen Macbeth schickt. Das hab ich aus dem Text so nicht in Erinnerung.

Diese fotografierte Doppelseite zeigt das Aufeinandertreffen der Gegner: Rechts die düsteren Truppen von Macbeth, dämonisch verstärkt vor der Gruselschloss-Kulisse – links die Aufständischen unter Macduff (oben im Bild) an der Seite der grün gefärbten Elementarwesen.

Ascaro und D’Armini überhöhen ihren MACBETH zum Horror- und Splatter-Spektakel. Hier wirken viel mehr metaphysische Kräfte als in Shakespeares Original, hier sind die Menschen mehr Spielball rivalisierender Jenseitswelten als es der Barde erlaubt hätte.

So auch mit dem Erscheinen der „Oberhexe“ Hecate, die sogar ein Schlusswort sprechen und „ihren“ Macbeth (den sie die ganze Zeit manipuliert hat) in die Hölle eskortieren darf.

Wikipedia erklärt mir, dass „in der ersten Druckfassung der Folio-Ausgabe von 1623 Hecate, Göttin der Hexerei, die Schwestern in ihrem Vorgehen bestärkt und sie zusätzlich antreibt.
In der gegenwärtigen Shakespeare-Forschung ist es allerdings umstritten, inwieweit die Rolle Hecates und die ihr zugeschriebenen Textpassagen in der ersten Folio-Edition tatsächlich auf Shakespeare zurückgehen oder aber nachträgliche Ergänzungen der ursprünglichen Werkfassung durch andere Autoren darstellen
.“

Das tun hier auch Ascaro und D’Armini. Das ist wild und das ist verfälschend, keine Frage.
Dennoch funktioniert es für mich als märchenhafter Blutrausch größenwahnsinniger Potentaten.

MACBETH – A TALE OF HORROR ist weniger als Shakespeare-Adaption zu lesen als … tja, als was? Als trashige Hommage? Als Parabel auf diktatorische Gelüste? Als Zeitvertreib für den Corona-Lockdown?

(Noch immer erreichen uns Comicprodukte, so auch dieses, die ohne die Corona-Maßnahmen nie realisiert worden wären.)

Und das ist Hecate, die ihre untergebenen Hexen für ihre Eigeninitiative maßregelt.

Darf’s ein bisschen mehr Shakespeare sein?

Simone D’Armini übrigens hat vor zwei Jahren bereits den Fantasystoff THE SPIDER KING illustriert, auf Deutsch verlegt bei Crosscult.

Was Zeichner D’Armini hier mit einem Klassiker treibt, trifft sicher nicht jeden Geschmack. „Wüst“ ist der Begriff, der mir in den Sinn kommt. Wüst in seinen Kompositionen, wüst in seinem Regime der Kolorierung, wüst in seiner Detailfreude an Gewaltdarstellungen.

Sein eigentlich realistischer Stil ist immer wieder gebrochen durch mimische Verzerrungen, durch sprunghaft dynamische Perspektiven, durch chaotische Bildverschmelzungen.

Schauen Sie, wie Macduff den mörderischen Macbeth zum Finale ums Leben bringt, besser gesagt: ihn zerbricht, zersticht, zerlegt.

Das ist vollkommen „over the top“. Ist das noch Shakespeare?!

Vielleicht hatten Ascaro und D’Armini Lust darauf, diesem Stück die Beine zu brechen und sich bloß auf die fiesen Stellen zu kaprizieren.

Vielleicht möchten sie daran erinnern, dass das elisabethanische Theater eine handgreifliche Angelegenheit mit dramatischen Schauwerten war.
Eine Spielweise, die sich mit dem „Grand Guignol“ in Paris noch radikalisierte.

Vielleicht dürfen wir auch den Vincent-Price-Film „Theater des Grauens“ assoziieren, in dem ein verschmähter Shakespeare-Mime seine Kritiker auf brutale Weise entleibt.  

Eine Fußnote möchte ich anhängen:

Noch radikaler übrigens ist Shakespeare in den Piktogramm-Comics von Frank Flöthmann durch den Wolf gedreht worden.
Siehe Link (bitte runterscrollen zum dritten Beitrag: SHAKESPEARE OHNE WORTE), dort auch Leseprobe einsehbar. Sehr lustig!

Und ich stifte wie gewöhnlich noch eine Blätterprobe durch das Werk.

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