Katharina Greve: Die dicke Prinzessin Petronia

Schon dieser eine, nebenstehende „Kleiner Prinz“-Cartoon begeistert mich.
Er ist übrigens nicht (!) im vorliegenden Band zu finden (jammerschade), sondern ist ein aktueller Eintrag auf Greves Blog.

Breitbeinig posiert der kleine Prinz auf dem (Todes-)Stern, offensichtlich ist eine Verwandlung mit ihm vonstattengegangen.
Er möchte noch immer ein Schaf gezeichnet bekommen, aber irgendwie ist es nicht mehr dasselbe
Dank einer simplen Verdrehung (und einer popkulturellen Anleihe) kreiert Greve einen Prinzen, der sehr gut im „Spiegeluniversum“ des STAR-TREK-Kosmos auftreten könnte.
Die dunkle Seite nicht nur der Macht, sondern auch der Prominenz.

Zugleich ein komischer Befreiungsschlag für eine Figur, die seit Jahrzehnten für eine kitschige Harmonie steht.

Ihre DIE DICKE PRINZESSIN PETRONIA darf man als Greves Gegengift zu Antoine de Saint-Exupérys Jugendbuchklassiker betrachten. Aus dem modernen Kunstmärchen klaubt sich Greve Versatzstücke, bastelt daraus eine Spin-off-Erzählung um die fiktive Prinzessin Petronia (Cousine des Prinzen und Erste in der Erbfolge!), gibt kreative Gags und Anspielungen auf Science Fiction-Klassiker hinzu, schüttelt und rüttelt tüchtig durch – und lässt es in diesem, ihren Universum so richtig krachen!

Ein urkomischer Urknall

Greve platziert ihre Prinzessin (dass sie eine ist, verrät uns nur ihre Krone, die sie übrigens andauernd trägt) auf einem Miniaturplaneten und schafft in der ersten Folge grafische Referenz zum Original.

Petronia ist eine Forscherin, die trotz ihres trostlosen Exils nicht untätig bleibt. Der kleine Prinz des Originals ist hingegen nur ein Bub, der in der Wüste herumlungert und notgelandete Piloten belästigt („Zeichne mir ein Schaf!“).
(Übrigens gibt es direktere Parodien auf den kleinen Prinzen, gerade auch französische; ich erinnere da eine Kurzgeschichte von Marcel Gotlieb, in der der Pilot am Ende handgreiflich wird.)

Der Prinz bekommt statt des Schafs eine Kiste gezeichnet (in der sich das Schaf befindet); Petronia bekommt eine Kiste geschenkt (in der sie sich keine Schafe wünscht, sondern ein aufregendes Schrödinger-Experiment).

Wie der Prinz dem Piloten von seinen Reisen erzählt, so schickt Greve ihre Petronia live durchs Weltall (mit Hilfe des Wurms Mirco, der Wurmlöcher öffnen kann!).

Mit spärlichem, klarem Strich skizziert Greve nur das Nötigste, um ihre Figuren zu charakterisieren und in einen komischen Zusammenhang zu stellen.
(Wer HOW TO READ NANCY gelesen hat, weiß um die Kunst der Abstraktion, Verknappung und Auslassung …)

Ehe ich im Folgenden konkrete Beispiele zeige und daran Greves Kunstfertigkeit demonstriere, sie mir erlaubt, auf ihr letztes Werk hinzuweisen: Greve erregte vor drei Jahren schon Aufsehen mit ihrem Webcomic „DAS HOCHHAUS (102 Etagen Leben)“, wo sie wöchentlich eine Strip-Etage aufbaute und so einen gestapelten Comicstrip nach festen Vorgaben erschuf.

Den kompletten Bau können Sie im Netz studieren, der avant-Verlag hat ihn aber auch im Druck als Buch veröffentlicht (und ein Spezialverlag sogar als 7 Meter lange Rolle!).

DAS HOCHHAUS ist der womöglich cleverste Webstrip aller Zeiten, weil er mit einer Meta-Ebene operiert und Querverweise durchs ganze Haus hindurch zulässt. Eine Spitzenleistung, die mich persönlich ein wenig kalt gelassen hat. Ich mag verrücktere Sujets, die die Alltagswirklichkeit hinter sich lassen.

Mir gefällt Greve sehr viel besser, wenn sie sich auf ein Thema fokussiert, ein Genre ins Auge fasst: Die subtilen Spielarten ihrer Pointenkunst entfalten sich präziser, wenn Greve ihren Kosmos (hier wortwörtlich) komprimiert: Die Prinzessin Petronia ist uns wesentlich näher als der verblasene Prinz, sie ringt mit echten Problemen.

Man fragt sich, weshalb Greve ihre Protagonistin als „dick“ attribuiert, das hätte es eigentlich nicht gebraucht; ich vermute schlichte Fallhöhe dahinter: Der zierliche Prinz ist der größtmögliche Kontrast zu seiner schweren Cousine. Da der Prinz immer als (gedachter) Gegenspieler mit von der Partie ist, folgt Greve einem klassischen Comedy-Muster: The Odd Couple, groß und klein, Dick und Doof.

Natürlich liegt Greve goldrichtig damit; mit einer fragilen Feen-Frau hätte ihr Comic nicht so gezündet. Zudem ist Petronia meistens misslaunig, was ihre Gestalt mit dem Archetyp des „Trauerkloßes“ auflädt. Einen Hauch von Schadenfreude dürfen wir verspüren, zumal die „laute, dicke Frau“ eine bekannte Theaterchiffre ist:
Trude Herr, Hella von Sinnen, Cindy aus Marzahn, Daphne de Luxe und … wieso eigentlich nicht: Angela Merkel. (Ich bin mir fast sicher, dass Greve eine Spur von Merkel mitgedacht hat.)

Petronia ist uns aber auch sympathisch. Wir verstehen ihre miese Laune, denn man hat sie im Weltall ausgesetzt. Die hartherzigen und entfernten Eltern wollen sie wahrscheinlich ins kalte Wasser stoßen, damit sie bald ihren Heimatplaneten erben und beherrschen kann. Einzige Elterngabe ist der erwähnte Wurmlochwurm Mirco, mit dem Petronia Reisen unternehmen kann. Doch der Weltraum ist weit, leer und öde – was die Laune der Prinzessin keinen Deut verbessert.

Fragen wir uns an dieser Stelle, wie viel Feminismus in DIE DICKE PRINZESSIN PETRONIA steckt. Greve projiziert das Schicksal der modernen Frau in ihre tragikomische Hauptfigur. Petronia ist Allegorie für „die Frau, die man nicht lässt“. Sie ist wissenschaftlich interessiert und begabt, sie möchte Regierungsverantwortung übernehmen, fühlt sich jedoch übergangen und blockiert durch den nichtsnutzigen Glamour-Prinzen, dem jedoch alle Herzen zufliegen.

Wie auf der Erde, so in der Galaxis: Rollendilemma von Mädchen.

Dieser Prinz kann nichts!

Bestenfalls Phrasen für das Poesiealbum dreschen: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Kontert Petronia: „Mit der Lupe sieht man besser als mit dem Herzen.“
Der Prinz zementiert den Status Quo, Petronia ist die Schöpferin wirklich tiefgehender Aphorismen (auch das eine komische Volte von Greve, die ihre Protagonistin – fernab der Klischees – als rationalen Charakter zeichnet).

Schon auf der reinen Textebene haut Greve geniale Sprüche raus, die Sie bitte nicht hastig überlesen. Kleine Auswahl meiner Lieblinge:

„Vorm Urknall war die Welt noch in Ordnung.“

„Können auch Radfahrer eine Autobiografie schreiben?“

„Immerhin bin ich noch jung genug, um jung zu sterben.“

Schmetterlinge im Bauch – welchen Nährwert haben die eigentlich?“

„Allein als Alleinherrscherin – da bleibt mir nur die Selbstbeherrschung.“

Das ist der lakonischste Slapstick, der mir je begegnet ist. Ein Slapstick-Gag ohne seine visuelle Ausführung! Durch bloße Referenz erzielt Greve bei mir einen Lacher.
Und reingelegt: Natürlich hat der Gag eine visuelle Komponente. Der grübelnd-prüfende Blick zum Boden, auf dem kaum Platz für eine Bananenschale wäre!

PETRONIA hat den sarkastischen Tonfall beleidigter Figuren aus ASTERIX („Komm zur Armee, hieß es, da erlebst du was, hieß es.“) – „Jetzt hast du deinen EIGENEN Planeten, meint Mutti …“, so beginnt Greves Weltraum-Robinsonade, die uns frische Aspekte der Science Fiction entdecken lässt.

Zum Schluss noch zwei Beispielseiten, die ich sehr liebe, weil Greve hier überaus pfiffig Hommagen und Anleihen aus Literatur und Film unterbringt. „Pfifig“ klingt schlimm, aber ich mein’s als Kompliment und stehe dazu …

Klar, SATURN wird zu JUPITER: Das „galaktisch günstig“ hätte eigentlich „galaktisch geizig“ sein müssen, aber sonst ist es wunderbar. Ein schwarzes Loch als Staubsauger, die Handtücher aus „Per Anhalter durch die Galaxis“, praktische Laserschwerter und das „intelligenzfördernde Dekorationsobjekt“ für „2001 Sterntaler“ haben mich sehr lachen lassen.

 

Beim Ausflug auf den „Fleischplaneten“ ist der kleine Prinz in seinem Element und Greve kann mit Wortspielen auftrumpfen.

 

Ich verneige mich vor der majestätischen Cartoonkunst von Katharina Greve!
Dieses Buch ist ein Meilenstein des deutschen Humorcomics und gehört in eine Liga mit Walter Moers, Fil, Ralf König, Flix, Mawil und Nicolas Mahler. Vergessen wir die komischen Damen nicht! Franziska Becker, Sarah Burrini, Naomi Fearn und nun auf jeden Fall Katharina Greve.

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DIE DICKE PRINZESSIN PETRONIA erschien ab 2015 jeden Monat in der Zeitschrift „Das Magazin“ sowie dieses Jahr wöchentlich nochmal in der „taz“. Der avant-Verlag hat Greves gesammelte Royalty-Reportagen im Frühjahr als Buch aufgelegt.

http://www.avant-verlag.de/comic/die_dicke_prinzessin_petronia

Eine Zweitauflage ist bereits in der Mache. Als Bonusbildchen nochmal Greve philosophisch: