Auf der Suche nach Artwork von Max Cabanes orderte ich das 1996er-Album FLIRTS der Ehapa Comic Collection. Da ich sein Artwork darin nicht erkannte (er zeichnet hier anders als in den Achtzigerjahren), schrieb ich die Zeichnungen der ebenfalls genannten Sylvie Brasquet zu.
Die ist jedoch die Autorin dieser acht erotischen Episoden um die Schülerin Pascale, das Artwork stammt doch von Max Cabanes (wie mir Kollege Sebstian Otten Bescheid gab, Brasquet sei zudem noch Lebenspartnerin von Cabanes). Ich hatte das alles zwar auf BD-Theque gecheckt, aber dennoch nicht verstanden (aarggghh).
Wie dem auch sei: Auch wenn ich in einer früheren Fassung die Rollen der beteiligten Kreativen vertauscht hatte, lassen sich anhand von FLIRTS dennoch wieder Aspekte des Sexismus verhandeln. Willkommen zu Folge 5 in unserem „Schweinepriester-Quartett“ (mehr dazu weiter unten).
Schon der Titel FLIRTS ist eine Frechheit. Ich habe nichts in diesem Album entdeckt, was ich als „Flirt“ bezeichnen würde. Man schildert uns vielmehr Anekdoten aus dem Leben der Schülerin Pascale. Die stammt aus einem erzkonservativen Elternhaus, wo sie von Vater wie Mutter gezüchtigt wird und geht in einer von Nonnen geleiteten Schule zum Unterricht.
(Hui, Nonnen an sich garantieren seit Anno Schnarch eine tolle Fallhöhe zum Thema Sexualität. Frigide Weiber in burka-artigen Trachten kontrastieren so schön zu knackigen Mädchen in Sommerkleidchen! Besser kann man Frauen auf ihre sexuelle Verwertbarkeit hin nicht abstempeln.) Das nur mal für den Hinterkopf.
Die ersten beiden Episoden in FLIRTS (jeweils 5 bis 9 Seiten lang) habe ich zuerst gar nicht verstanden. Ich fragte mich, wer ist hier mit wem zusammen? Hä, wasislos?
Ich benötigte ein Einlesen, um zu schnallen, dass es um äußerst wahllos gewürfelte ‚Begegnungen‘ geht.
Damit will ich nicht höflich Geschlechtsakte umschreiben, FLIRTS beginnt mit Pascales Annäherungen an Männer (und umgekehrt), viel Sex geschieht im ganzen Album nicht!
Dennoch transportiert das Werk eine nicht erotische, sondern unerquickliche Unterströmung: Welcher Schülerin stoßen so disparate Ereignisse zu wie von einem übergriffigen Gasteltern-Vater betatscht zu werden, von einem Lehrer zum Rendezvous eingeladen werden, vom Werber einer Sekte verführt zu werden, von Händlern auf dem Flohmarkt angemacht zu werden, beim Trampen von einem Autofahrer angegriffen zu werden oder selber in den Sommerferien einen jungen Familienvater zu verführen?
Will sagen: Da hat Autorin Brasquet in ihrer Fantasiestube ausgerümpelt und alles auf einen Haufen geworfen. Wird schon ein Album werden, egal ob’s zusammenpasst! Mir kommt das höchst willkürlich und wenig innovativ vor.
Wir haben es bei FLIRTS mit französischer Softcore-Pornografie in der EMMANUELLE-Tradition zu tun, abzüglich jeglicher Exotik!
Mitten in der Lektüre fragte ich mich unbehaglich, wie alt denn Pascale eigentlich sein muss. Hoffen wir mal, sie ist 17. Volljährig scheint sie mir nicht zu sein.
Ah, langsam ergründet sich mir der Titel FLIRTS – wahrscheinlich handelt es sich um Flirts mit der Frauenfeindlichkeit! Harhar.
Man könnte ja glauben, eine weibliche Autorin – das könnte spannend sein! Welche erotischen Fantasien wird sie uns präsentieren? Doch Sylvie Brasquet schrammt hart an abgeschmackten Klischees entlang. Noch dazu nimmt sie keinen künstlerischen Einfluss auf ihren zeichnenden Partner Cabanes, der auf erschreckende Weise den ‚männlichen Blick‘ bedient. Da ist null, nichts, nada, was mir nahelegt, wir hätten es mit unkonventionellen Sichtweisen zu tun.
Spendieren Sie Ihren Sehnerven eine Testosteron-Tour durch FLIRTS:
Selbst eine vermeintlich unbedeutende Vignette wie dieses Einzelpanel auf Seite 10 lässt mich die Stirn runzeln. Welche Frau sitzt so auf einer Parkbank?
Und wer sich entscheidet, drei Läuferinnen auf diese Weise zu porträtieren, will uns nicht wirklich was vom Laufen erzählen.
Diskutieren wir noch zwei Einzelfolgen.
In der ersten geht es um die Berührung mit einer Sekte: Didier ist bei Scientology und wirbt Mitglieder an. Pascale findet ihn süß, geht mit ihm, schläft mit ihm. Didier versucht, über sie an ihre Familie ranzukommen, beißt sich an den ultrakonservativen Katholiken jedoch die Zähne aus. Die Eltern reagieren empört, der Vater züchtigt Pascale mit Gürtelschlägen auf die nackten Beine und verbietet ihr den Umgang. Didier tröstet sich mit dem nächsten Mädel und Pascale bekommt in der Schule noch von der Schwester Oberin den Kopf gewaschen.
Diese „Scientology-Episode“ ließe sich interpretieren als Meditation über strukturelle Gewalt. Familie – Kirche – Scientology: verschiedene Institutionen des sanktionierten Missbrauchs. Als junge Frau kann Pascale (noch ohne Funktion in diesen Strukturen) nur das Opfer sein, das von allen bestraft wird.
Die Schlussnote allerdings relativiert das Geschehene und konzentriert sich auf den sexuellen Aspekt. Zeichner Cabanes zeigt uns Didier beim Akt sowie Pascale bei einer masturbatorischen Reminiszenz, die auch noch beweist, dass das dumme Gör eben nüscht gelernt hat!
Damit verkommt Gesellschaftskritik zur Folie für schwitzige Männerfantasien.
Die Sommerferien-Episode strotzt vor direkter Gewalt. Erst muss sich Pascale den Avancen ihres ehemaligen Spielkameraden Jeannot erwehren, der ihr bloß zu unreif zu sein scheint. Dafür wirft sie sofort ein Auge auf dessen größeren Bruder Daniel, den sie anmacht und sich den Rest der Ferien von ihm vögeln lässt. Das zeigt man uns nicht, dafür auf zwei Seiten die Gewalt, die diese Affäre nach sich zieht.
Die Familie von Daniel bewirft und vertreibt Pascale mit Steinen, der gestrenge Vater (der von der Sache schon unterrichtet wurde) schlägt seine Tochter zusammen. Man beachte die gewaltvoyeuristische Darstellung der Szene (hochgerutschtes Kleid, Opferpose).
Zu allem Überfluss schließt das Kapitel mit einem Nachtrag von Pascale, die reuelos und sarkastisch berichtet, Daniel sei bald darauf von seiner Frau Bettie verlassen worden, für einen anderen (ausgerechnet der Briefträger).
Welchen Wert hat dieser Nachsatz?
War die Affäre gerechtfertigt, weil die Ehe sowieso später in die Brüche ging? Ist das Leben ein langer ruhiger Fluss, in dem wir von Leidenschaft zu Leidenschaft gespült werden? Ist Wasser das, wo Fische drin ficken? Ist Frankreich das, wo Menschen drin ficken?
Die schockierende Prügelszene wird durch dieses Schlussbild verharmlost und in gewisser Weise auch entschuldigt. Pascale ist drüber weggekommen, war nicht so schlimm, sie lacht heute sogar drüber!
1996 kam so was wie FLIRTS auf den Markt und galt als Comickunst. Ehapa hat die Lizenz gekauft, ein hochwertiges Hardcover draus gemacht, von den Koryphäen Paul Derouet und Hartmut Becker übersetzen und von Björn Liebchen aufwendig handlettern lassen. Ein bisschen traurig, wenn man drüber nachdenkt.
Der deutsche Markt heute ist anders aufgestellt und sicherlich gendersensibler. Auch wenn Projekte neuaufgelegt werden wie DIE ÜBERLEBENDE (siehe HIER unseren Auftakt der „Schweinepriester“-Serie)
oder Sachen ausgegraben werden wie ANIBAL 5, an das ich mich übrigens nicht rantraue. Weniger, weil ich 30 Euro dafür hinlegen müsste; mehr, weil ich beim letzten Reinblättern so vom Artwork abgetörnt war. So plump und dumm und glatt.
Kollege Penkert-Hennig urteilt ganzheitlich in einer Rezension auf Comic.de
Was ich hier bespreche, soll zumindest grafisch eine Klasse für sich sein.
Max Cabanes entwickelt in seinen späteren Arbeiten einen leichten, luftigen und lockeren Stil, den wir heute in der Graphic-Novel-Ecke verorten würden.
Anmerkung:
FLIRTS ist Teil 5 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics. Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic.
Teil 4 war DRUUNA.