DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT, Band 3

Ich bin erklärter Fan dieser Serie und Befürworter dieser Neu- und Gesamtauflage, wie ich in zwei vorausgehenden Artikeln ausführlich kundgetan habe.

Übrigens sind die hier enthaltenen Geschichten Nummer 10, 11 und 12 noch nie zuvor auf Deutsch erschienen; ein starkes Argument für eine Veröffentlichung.

Deshalb werde ich mich erneut mit keinen Vorreden aufhalten, sondern direkt die vier Alben des dritten Bandes besprechen:

Nummer 9: „Das jungfräuliche Labyrinth“

Tankstopp für den Silberdelphin auf dem Planeten Mandala. Während Axle und Musky auf der Oberfläche Treibstoff sammeln, schneidet ihnen ein Kommando der Purpurgarde den Rückweg zum Schiff ab.

Also flüchten sich unsere beiden Hauptfiguren ins Innere des Planeten, das aus labyrinthischen Gängen und Höhlen besteht. Dort begegnen ihnen allerlei Hirngespinste und Fata Morganas, Musky fühlt sich sogar paranoid verfolgt.

Axle hingegen glaubt, sein Vater Korian (der ihm den Weg nach Mandala verraten hatte) legt ihm Prüfungen auf, die er nun bestehen müsse.

Das Album ergeht sich in abstrusen und fantastischen Settings und Auftritten und kann so auf eine Handlung verzichten.

Ein toter amerikanischer Soldat aus Pearl Harbor wird den beiden zum Fremdenführer; ein Maschinisten-Gnom lotst sie durch eine gewaltige Maschine, die nichts weiter tut, als riesige Kolbenstangen auf sie abzuschießen; eine Klongarde aus lebendigen Zinnsoldaten liefert ihnen ein Gefecht auf einer Brücke im Nebel:

„Das jungfräuliche Labyrinth“ fühlt sich leider wie ein Füller an, das am Ende noch das obligatorische „romantische Thema“ abhandelt:
Axles Sehnsuchtsfrau Shimere kommt zwar nicht vor, dafür aber eine geheimnisvolle Schönheit, die Axle zum Geschlechtsverkehr auffordert.

Sie sei das letzte Hindernis auf dem Weg in die Freiheit und zurück zum Silberdelphin. Außerdem sei sie sechzehn Jahre alt, noch Jungfrau und „unersättlich“. Es folgen symbolhafte Darstellungen eines Sexualakts, die gegengeschnitten werden mit einem zeternden Musky, der mal wieder außen vor bleibt.

(Seinerzeit – und wir befinden uns im Jahr 1982 – war das gewagt, heute wirkt es krude und peinlich.)

Am beeindruckendsten in diesem Abenteuer Nummer 9 ist die Szene mit dem „geometrischen Monster“, einem Tyrannosaurus Rex aus Formeln, die sich in einem Schützengraben des Ersten Weltkriegs abspielt.

Nervtötend leider das Hickhack-Geschwafel zwischen Axle und Musky, das hier nur reiner Selbstzweck ist und vom deutschen Übersetzer Klaus Jöken mit heftigen Ausdrücken wie „Pimmelhergott“, „Spermaloch“, „Tittenarsch“ und dem schon bekannten „Hurensteiß“ untermalt wird.

(Jöken übrigens macht seine Sache gut und deutscht lediglich französische Neologismen dieser obszönen Couleur ein, dennoch klingeln einem heutzutage die Ohren.)

„Das jungfräuliche Labyrinth“ kann zwar mit einigen Schauwerten punkten, lässt im Ganzen aber Eleganz vermissen und fühlt sich nach erotisierter Science Fantasy von der Stange an.
Das muss wieder besser werden!

Nummer 10: „Die Endzeitbestie“

Im großen Ratssaal des Universums herrscht Alarm: Der „Alte Mittler“ verkündet, dass ein seltsames schwarzes Loch alle Galaxien zu verschlingen drohe.
Aber ehe wir diese Hiobsbotschaft zu hören bekommen, malt uns dieser Comic ein humoriges Bild von dieser Institution und seinen Gesandten:

Ich mag solche Details, die uns signalisieren, dass diese Serie nicht bierernst genommen werden soll – und es scheinen mir immer auch Seitenhiebe auf das große Vorbild VALERIAN UND VERONIQUE zu sein, das eine respektvollere Philosophie verfolgt.

Denn die folgende Szene zeigt unseren Helden Axle, wie er sich gehen lässt und mit der Droge Glutajuana berauscht, die ihm Visionen seiner Sehnsuchtsfrau Shimere ermöglicht.

Diesmal imaginiert er sich, Shimere und Musky seien ein und dieselbe Person. Daraufhin fällt er halb von Sinnen über Musky her, die längst heimlich in ihn verliebt ist.
Die rüde Szene wird unterbrochen durch einen Boten des galaktischen Rats, der Axle den Auftrag überbringt, das sternenfressende Phänomen zu untersuchen.

Axle willigt ein, weil man ihm zusichert, straflos die Welt der Träume besuchen zu dürfen (in welcher er Shimere begegnen kann). Das war bislang verboten und Grund seines Zerwürfnisses mit jedweder Autorität.

Nun werden erst einmal ein paar Seiten geschunden, einen (allerdings plakativen) Umweg auf einen Vulkanplaneten zu nehmen, wo Axle und Musky einen Hinweis auf die Natur des „Todessterns“ erhalten: Es handle sich um einen lebenden Planeten, der in einem Spannungsverhältnis aus Liebe und Hass existiere.

Als unsere Reisenden dort ankommen, müssen sie mit einer skurrilen Technokultur interagieren. Dienstroboter mit künstlicher Intelligenz empfangen Axle und Musky und nehmen sofort die erotische Spannung zwischen den beiden wahr:

Das ist derb, könnte man aber auch als ironische Referenz an BARBARELLA interpretieren, wo es auch um „Befriedigungsautomaten“ geht.

Die ulkigen Maschinen sind mit Liebe programmiert, weil sie dem Hirn des großen Vajra entstammen, einem Philosophen, der das Universum mit Liebe füllen wollte.

Nun vergehen erstaunlich viele Seiten, auf denen Axle und Musky auf der Transportplattform „Petunie 3242“ verbringen. Diese Sequenzen sind jedoch amüsant und dürfen als augenzwinkernde Hommage an die bekannten Droiden aus „Star Wars“ verstanden werden.

Schließlich dringt man zur mumifizierten Leiche von Vajra vor und stellt fest, dass dessen Gehirn von den rührigen Robotern in eine monströse Maschine implantiert wurde, welche Amok läuft und das Universum bedroht.

Jetzt will ich nicht zu viel verraten, möchte aber noch den Monolog des Zentralcomputers „Bilbergia“ zeigen, der uns den Lebenslauf und die Absichten Vajras erläutert.
Der ist nämlich witzig, auch wenn er grafisch spröde daherkommt und von Musky kritisch kommentiert wird (das wiederum kann als Metakommentar auf die Illustration gelesen werden, die Bilbergia als Halle voller Schubladen darstellt, aus denen hier und da kuriose Skulpturen springen und die Rede fortsetzen).

„Die Endzeitbestie“ endet natürlich mit der Rettung des Universums und einem Twist in Sachen Musky, den ich Ihnen zu entdecken überlasse.

Dieses Album ist freche Parodie auf klassische Science Fiction, aufgehängt an der universellen Frage, wie Liebe und Hass unser Dasein bestimmen – und durchexerziert an technoiden Allmachtsfantasien und dem Verhältnis zwischen Axle und Musky.

Nummer 11: „Die Maske des Kohm“

Axle schiebt wieder schweren Schmacht nach seiner Shimere. Erneut wehrt er die Avancen Muskys, die sich ihm hingeben will, ab und beauftragt stattdessen seinen Androiden Matt, einen „Subtemporaltunnel“ zu konstruieren.

Durch diesen will er zu seiner Geliebten reisen, die er „von der Gilde in einem verborgenen Winkel der Zeit versteckt“ glaubt.

Da Matt die Aufgabe nicht gestemmt bekommt, nimmt Axle einen neuen Auftrag der Gilde an:

Das ist nicht die originellste Handlungsidee, im Gegenteil: Die Serie wiederholt das immergleiche Muster. Für die Aussicht, mit Shimere in Kontakt zu kommen, tut dieser Held einfach alles!

Diesmal geht es darum, den geheimnisumwitterten Planeten Kohm zu infiltrieren, welchen außer den dort lebenden „Kohmedianten“ niemand betreten darf.
Die Bewohner sind eine symbiontische Spezies, die sich mit quallenartigen Wesen – genannt „Masken“ – paart.

Um nach Kohm zu gelangen, bräuchte Axle eine Maske zur Tarnung. Sein Androide Matt durchforstet die Archive und findet einen Hinweis auf einen legendären Schmuggler, der Masken jagt, tötet und im leblosen Zustand an Personen verkauft, die sich ins Reich Kohma begeben wollen.

Musky und Axle entdecken eine „Raum-Hernie“, einen Bruch in der vierten Dimension, der ihnen Eintritt ins Versteck des Schmugglers erlaubt.
Sobs-der-Unterirdische empfängt unsere Gefährten und erzählt ihnen eine verrückte Geschichte: Axles tot geglaubter Vater Korian sei nur verschwunden und womöglich noch am Leben.

Doch ehe Sobs Axle mit einer Maske ausstatten kann, greift ein Kommando von Kohm-Kriegern an, welches den lang gesuchten Gauner endlich zur Strecke bringt.

Axle und Musky können durch eine weitere Raum-Hernie flüchten und geraten durch diese direkt in die unterirdischen Höhlen von Kohm.

Dort wartet nicht nur eine weibliche Helferin (die wahrscheinlich eine Geliebte Korians war) auf die beiden, sondern auch eine Zombiehorde nackter Kohmedianten, die aufgrund fehlender Masken in  diese Unterwelt verbannt worden sind.
Leider halten die De-Maskierten („die Gelöschten“) die Eindringlinge für Feinde …

Der Autor der Serie, Christian Godard, hat sich für diese Storyline offenbar vom vier Jahre zuvor erschienenen Filmklassiker „Alien“ inspirieren lassen. Denn die Masken, die eine symbiotische Beziehung mit ihren Trägern eingehen, sind nichts anderes als die „Facehugger“, die sich auf den Gesichtern ihrer Opfer festfressen.

DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT präsentiert eine interessante Variante dieser Idee. Verschiedene Masken verleihen verschiedenen Trägern jeweils spezielle Fähigkeiten und bestimmen den Status der betreffenden Person.

Das Thema wird im vorliegenden Album jedoch noch nicht ausdekliniert, dafür springen wir in den nächsten Band: Nummer 11 endet mit dem Cliffhanger, dass Axle und Musky sich auf dem Planeten Kohm in die Höhle des Löwen begeben!

Nummer 12: „Die Wölfe von Kohm“

Nach einer atmosphärischen Tour durch die 77 Ebenen der Unterwelt von Kohm finden wir unsere Protagonisten auf einem Fesselballon wieder, auf welchem sie weich gelandet sind.

Dort begrüßt sie ein weiterer Schmuggler und wird Axle und Musky zum Fremdenführer durch ein Space-Inferno aus einem Meer lebendiger Zungen und adernhafter Tentakeln.

Die beiden Gefährten gelangen schließlich in den Thronsaal von Lykanthos, des Fürsten der „Wölfe von Kohm“.
Der hockt auf einem Knochenthron auf einem Inselchen inmitten eines Piranha-Beckens (unten im Bildabseits links), schlürft Wein und protzt mit einem Harem bleicher Frauen.

Lykanthos labert jetzt eine Menge, weist sich als Anführer aller Unterwelt-Assassinen (die Wölfe) aus und benötigt Axles Hilfe, um die Maske des „Großen Khom“ zu beschaffen.
Diese garantiert den Herrschaftsanspruch über den gesamten Planeten, war aber bislang selbst seinen besten Männern nicht zugänglich.

Und während Lykanthos auf Axles Fähigkeiten hofft, bricht eine „Palastrevolte“ in der Unterwelt los. Sein Untergebener Lupus ist selber auf die Maske aus, befördert Lykanthos ins Piranha-Becken und entkommt mit Axle und Musky in die Oberwelt.

Lupus überlässt die beiden der Obhut seiner Geliebten Ruth und geht ab, um den Umsturz des „Großen Kohm“ vorzubereiten. Ruth verbringt prompt eine Liebesnacht mit Axle, derweil Musky erneut in die Röhre schaut.

Immerhin erfahren wir dabei das Verhältnis der Wölfe zum kohmediantischen Regierungsapparat.

Oje, das ist nicht besonders elegant – oder gerade doch?

Eine neue Figur (Lupus) aufstellen, die einfach nur Lykanthos ersetzt; diese dann wieder verschwinden lassen, um etwas vorzubereiten, das man nicht bräuchte (Systemwechsel); noch eine neue Figur einbringen (Ruth), die auf sechs Seiten etwas erläutert, was schon Lykanthos hätte machen können.

Wahrscheinlich musste eine Sexszene her, denn DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT ist immer auch diesem Hauch von Erotik verpflichtet, so bedauernswert das sein mag.

Es folgen abschließende 20 Seiten, die mich wenig begeistert haben: Axle und Musky bekommen durch Lupus und seine Leute den Weg frei gemacht zum Thron des „Großen Kohm“ (eine Szene, die Parallelen zur vorherigen aufzeigt).

Ich will nicht verraten, was passiert, doch wird Axle mit einer Entscheidung konfrontiert, die ihn dramatisch erschüttert.

Das ist vom Skript her nicht übel und kann (wie üblich) ein paar originelle Punkte machen, aber entwickelt keinen „organischen Flow“. Dieses zwölfte Album ist vom narrativen Aspekt her nicht gut balanciert.

Die Zeichenkunst von Julio Ribera hingegen hält ihr hohes Niveau, obwohl er hin und wieder eine uninspirierte Kamera führt und in einigen Passagen sparsamer illustriert und auf Hintergründe verzichtet.

Gegen Ende muss er das Album auch strecken, indem Ribera ganze acht Seiten ohne Worte überbrücken muss. Dieser Häuserkampf von Axle gegen die maskieren Bewohner (die ihn für einen Killer halten) mündet in der Ankunft im Thronsaal des „Großen Kohm“.

Meiner Ansicht nach zitiert Ribera hier „Die luftdichte Garage“ von Moebius, in der es eine ähnliche Seite gibt:

Ich komme nach diesem dritten Sammelband zur Erkenntnis, dass Godard und Ribera mit ihrer Serie eine eklektizistische Collage aus zeitgeistigen Motiven abliefern.
Das ist nur aus dieser Zeit heraus zu verstehen und dürfte einem modernen Publikum Fragezeichen über den Kopf zaubern.

DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT bleibt lesenswert, wie ich finde – aber definitiv muss man ein gewisses Verständnis für 40 Jahre alte Flausen mitbringen.

So endet der Band mit einem cringigen Cliffhanger: Musky strippt vor Axle und möchte ihn erneut verführen. Der lässt sich passiv in den Rasen sinken, kann ihr nicht mehr widerstehen und sagt: „Tu, was du willst.
Musky hockt sich neben ihn, legt ihre Hand auf seine Oberschenkel und „zögerte“.
Ende.

So was geht heute gar nicht mehr, ist jedoch seiner Zeit geschuldet und kann darüber hinaus noch als Verweis auf die Comics von Milo Manara gedeutet werden, der in diesen Jahren mit seinen softpornografischen Nymphen zu reüssieren beginnt.

(Übrigens kursierte damals der inzwischen verbannte, aber äußerst verräterische Begriff „Kindfrau“ für solche Fantasien. Ich bete dafür, dass die Serie nicht in diesen Schmuddel abrutscht. In Sammelband 4 werden wir es wissen.)

Ich zeige noch eine Bildreihe nicht aus der erwähnten Sequenz, sondern vom Anfang des Albums. Musky stellt Axle sozusagen die Frage nach dem „Sinn der Serie“:

Ungewollt interessante Offenbarung. DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT hängt an einem seidenen Erzählfaden, genauso wie unsere Helden an den Tentakel-Lianen!

Ich sehe das als Bestätigung oder Bestärkung meiner „Collage-Theorie“. Autor und Zeichner erlauben sich jeden wilden Blödsinn, solange ihnen noch welcher einfällt.
Andererseits gibt es kein stärkeres Motiv als die Suche nach Erfüllung – hier in die banalen WorteMeine Hormone spielen verrücktgekleidet.

Zum Schluss verlinke ich auf die Verlagsseite bei Kult Comics, poste ein Instagram-Reel zum Hineinschauen in den Band und muss noch die traurige Nachricht übermitteln, dass der Autor der Serie, Christian Godard, vor einigen Wochen verstorben ist (allerding im beinah biblischen Alter von 92 Jahren).

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