Jetzt im Kino: Der Goldene Handschuh

Ich weiß beim besten Willen nicht, wem man diesen Film empfehlen wollte. Heinz-Strunk-Fans? Also den Lesern seines gleichnamigen Buchs über den Serienmörder Fritz Honka, der im  Hamburg der 1970er-Jahre vier Frauen umbrachte?

Wer den Ekel im Buch liebte, der wird auch den Ekel im Film lieben?!

 

Zweifelhaft, denn Fatih Akins DER GOLDENE HANDSCHUH ist eine Zumutung.
Es gibt etliche Szenen entsetzlichster Entmenschlichung, die schwer anzuschauen sind.

Schon zum Auftakt präsentiert der Film einen panischen Honka, der verschwitzt an die Aufräumarbeiten seines ersten Mordes geht. Das ist schon schrecklich widerlich und es wird im Verlauf der nächsten zwei Stunden nicht ‚besser‘.

Seinen Darsteller Jonas Dassler rückt der Regisseur hier so grotesk ins Bild wie ein Frankenstein-Monster im Kleinformat: irr schielend, sabbernd, ungelenk, bucklig und durch die Nacht humpelnd, Leichenteile transportierend.
Man darf sich fragen, ob hier schwärzester Humor intendiert ist (oder hineininterpretiert werden darf). Es nutzt aber nichts.

DER GOLDENE HANDSCHUH stößt uns mit der Nase ins Erbrochene, in die Schnapslachen, in den Kot. Honkas Stammkneipe muss ein Kreis der Hölle sein, reserviert für die Kaputten und die Habenichtse. Rauchgeschwängert und schlagerdurchflutet ist „Der Goldene Handschuh“ mit „Absturzkneipe“ nur unzureichend beschrieben.

„Fiete“ vor seinem Stammlokal und Jagdgrund.

 

Kurioseste Szene hier der Auftritt der engelsgeduldigen Missionarin von der Heilsarmee, die tatsächlich noch eine Frau vor Honka retten kann. Bewahren wir uns diesen Hoffnungsschimmer im Herzen, denn Minuten später wird einer anderen armen Frau das Gesicht mit einer Schere zerstochen (auch das so ein Moment bösen Humors, denn Akin setzt hier einen Filmschnitt zum Aufbrechen eines gekochten Schafskopfes).
DER GOLDENE HANDSCHUH führt uns Dinge vor, die wir hoffentlich wieder werden vergessen können.

Was hat mich dennoch im Kino gehalten?

 

Ist das Artauds „Theater der Grausamkeit“? Das uns mit Schockeffekten bei der Stange hält? Ist das der vielbeschworene Verkehrsunfall-Effekt? Zum Teil, sicherlich.

Andererseits ist es die morbide Faszination am menschlichen Elend, die in einer Geballtheit um die Ecke kommt, wie es noch nie zuvor zu sehen war. Die Gewalt ist zum Wegsehen und ekelhaft. Aber das Milieu, das diese Gewalt befördert, kitzelt unsere Schaulust enorm.
Die kranken Typen, die im „Goldenen Handschuh“ hocken, wie sie Unmengen von billigstem Fusel besinnungslos in sich hineinkippen.
Diese Geisterbahn der Gesellschaft, diese Resterampe der menschlichen Rasse, zieht uns in ihren Bann: „Soldaten-Norbert“ mit der lauernden SS-Vergangenheit; „Tampon-Günther“ mit dem Hygieneartikel-Fetisch und „Doornkaat-Max“ auf seiner Spirituosen-Diät (Hark Bohm übrigens, tolle Altersrolle!).

Ich zumindest war auch in Bann geschlagen von Honkas Mörder-Mansarde, seiner kleinen Dachbude mit dem Messie-Einschlag. Liebevollst rekonstruiert hat das Filmteam hier diese zwei Schmuddelzimmer mit der Miniküche und dem Flurklo.
Man möchte schon schreiend davonlaufen, wenn man dieser Tristesse nur ansichtig wird!

Doppelkorn in der Dachwohnung. Foto: Boris Laewen

 

In diesem Ambiente dann Szenen der Entgrenzung und der Gewalt mitzuerleben, dreht einem fast den Magen um (jetzt klinge ich schon wie der Kritiker von „Schöner Wohnen“.) Dieser Film offenbart die Abgründe der Psyche wie auch die der Inneneinrichtung …

(Ein Film auch der ausgestellten Hässlichkeit. Es findet sich kaum ein ‚schönes‘, ein ‚sauberes‘ Bild in diesem Werk. Im Mittelteil wird Honka für einige Zeit ‚vernünftig‘, er hört auf zu saufen, ist trocken und geht mit Fleiß einem regulären Job nach. Akin schafft es, diese Passagen in ihrer Sterilität bizarrer als dem Sumpf der Reeperbahn wirken zu lassen.)

Archivbild von 1976: Fritz Honka.

Die erschütterndste Szene ist der Mord am vorletzten Opfer. Honka hat zwei betrunkene Frauen in seine Wohnung bugsiert, wirft die eine auf den Boden und beginnt sie zu misshandeln. Er begehrt perverse Praktiken, die Frau kann unter dem Vorwand, auf Toilette zu müssen, entkommen.
Die andere Frau jedoch sitzt als stumme Zeugin daneben, unternimmt nichts, ist absolut reglos, hilft nicht, flieht nicht. Als sich Honka ihr zuwendet, schaut sie nur schicksalsergeben in stummem Einverständnis. Das macht einen fertig.

Wenn man aus diesem Film ins Tageslicht taumelt, möchte man sich schütteln. Und inständig beten, dass es solche Menschen heute nicht mehr geben möge.
Alle von denen, es ist zu trostlos.

Noch erschreckender als der Film ist jedoch der reale Medienrummel, der 1975 um Fritz Honka entbrannte (nachzulesen unter dem Wikipedia-Link oben). Die BILD überschlug sich vor blutrünstiger Berichterstattung, Abendblatt und MoPo stiegen mit ein.

Der Film übrigens verzichtet komplett auf Außensicht, ist immer bei Honka und endet mit dessen Verhaftung. DER GOLDENE HANDSCHUH ist das Psychogramm einer armen Wurst, die für seine Opfer jedoch zum Satan wird.

Unter dem Pseudonym Harry Horror sang der HörZu-Redakteur Karl-Heinz Blumenberg 1975 den rockig-schmissigen ClubhitGern hab ich die Frau’n gesägt“.

„Bumm, bumm, bumm – mit dem Hammer auf den Kopf!“
Das sind die wahren Abgründe an Frauenfeindlichkeit. Insofern ist dieser Film noch relevant.