Der Auftakt ist elektrisierend: Goscinnys Tochter Anne sucht neun Jahre nach dem Tod ihres Vaters den Arzt auf, in dessen Praxis Goscinny verstarb. Wir erinnern uns: René Goscinny, Vater von ASTERIX, fiel bei einem Belastungstest tot vom Ergometer des Kardiologen.
(Ich erinnere mich wirklich daran, dass die Nachricht Eingang in die „Tagesschau“ vom 5. November 1977 gefunden hat; Goscinnys vorzeitiger Tod im Alter von nur 51 Jahren war eine europäische Katastrophe.)
DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS macht also auf mit einer makabren Szene: Anne fragt (mit Blick auf einen Fahrrad-Ergometer), ob das noch das Gerät sei, mit dem „Sie meinen Vater getötet haben“. Der Arzt ahnt, wer vor ihm steht (angemeldet mit falschem Namen) und will beschwichtigen, doch Anne ventiliert ihre Wut und bedroht ihr Gegenüber mit einer angeblich im Mantel versteckten Waffe.
Wie diese Konfrontation weitergeht, verrät uns diese Graphic Novel leider erst 300 Seiten später. Dazwischen packt Künstlerin Catel Muller nicht nur das Leben von René Goscinny (von der Geburt bis zur Gründung der Comiczeitschrift „Pilote“ 1959), sondern auch Gespräche mit seiner Tochter Anne.
Also Catels Gespräche mit Anne Goscinny, die in der Gegenwart stattfinden.
Denn diese Graphic Novel heißt DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS, Plural, da ist es nur legitim, wenn auch Anne sich ihren Platz sichert.
Andreas Platthaus war in seiner Besprechung darüber nicht glücklich, was mich nicht gestört hat (die Anne-Catel-Kapitel sind halt der Puffer zwischen Goscinnys biografischen Stationen, was die Materie auflockert und ihr einen persönlichen Anstrich verleiht) – doch auf den allerletzten Seiten (311 ff.) kann ich ihn verstehen.
Dass plötzlich die Kinder und Ehemänner der beiden Frauen ins Bild treten und uns ein Tableau überbordender Freundschaft und töften Familienglücks präsentieren, pusht Vater Renés Schicksal ein wenig ins Abseits. Das wirkt aufdringlich.
Doch das ist nur ein bisschen Contra in einer Menge Pro.
DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS ist unterhaltsam gestaltet, liest sich flüssig und verständlich, Catels Artwork ist sauber und dem Sujet angemessen.
(Für mich entwickelt es keinen Zauber aus sich heraus, weshalb ich solche Illustrationen als „dienlich“ bezeichne.)
War das (noch) ein Contra? Soll nicht so klingen.
Eine amüsante „Spitze“ in DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS ist die unverhohlene Schilderung Goscinnys als „Muttersöhnchen“, der jahrelang ein Junggesellenleben an der Seite seiner Mutter Anna führt.
Diese Graphic Novel ist gelungen, sie vermittelt mir perfekt aufbereitetes Hintergrundwissen zu Goscinny – und sogar die Erkenntnis, dass dieses Szenaristengenie wahrscheinlich keines war (ein Genie nämlich), sondern sich in jahrelangem, mühsamen Ackern sein Handwerk draufgeschafft hat, mit dem er schlussendlich brillieren konnte.
Ich war überrascht, dass dieser Band so viele Skizzen und Zeichnungen von René Goscinny selbst enthält. Die Hälfte hätte mir gereicht, um zu erkennen, dass Meister Goscinny kein guter Zeichner (der er werden wollte!) war.
Peng! War ich schon wieder frech.
Sorry, aber in meinen Augen hatte der Zeichner Goscinny kein Gespür für Körper, Raum oder Bewegungen.
Deshalb freue ich mich über diesen Gag am Rande, wenn Jean-Michel Charlier nach kurzer Begutachtung der Zeichnungen Goscinnys urteilt: „Talent hat er ja, aber er ist ein besserer Szenarist als Zeichner“.
Ich möchte nun gar nicht weiter über die Biografie, die Auslandsaufenthalte oder die Karrierestufen Goscinnys reden, das lesen Sie bitte selber nach (wenn es Sie denn interessiert).
Mich interessiert die Schöpfung der Figur ASTERIX – aus speziellen Gründen, die Sie weiter unten erfahren. Die offizielle Version, die sich auch in DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS findet, ist folgende:
Der geniale Goscinny und der kongeniale Uderzo ersinnen das gallische Dorf mit seinem Personal und seinen typischen Kostümen.
War es so? Wirklich?
Aber wie erklären wir uns diese Comicseite aus dem Jahr 1942, ganze 17 Jahre vor ASTERIX?
Ist Asterix eine Erfindung von Stan Lee?
Sehr gerne biete ich Ihnen diese Verschwörungstheorie an, um Sie von anderen Verschwörungstheorien abzulenken. Ich nenne sie „Asterix in New York“.
Hierbei handelt es sich um eine comichistorische Entdeckung, die ich 2015 auf Martin Frenzels COMICOSKOP veröffentlicht habe.
Und dorthin verweise ich Sie auch (bitte klicken Sie auf das orangene „dorthin“).
Dieser dortige Artikel gehört in eine Reihe mit zwei anderen, die sich ebenfalls mit Einflüssen auf das Werk René Goscinnys auseinandersetzen. Das aber deutet auch DIE GESCHICHTE DER GOSCINNYS an, die sehr deutlich macht, dass Goscinny von früh auf wie ein Schwamm Ideen aufsog und abspeicherte (auch schon während seiner Zeit im Comicland Argentinien).
Und wer mich noch blättern sehen will, schaue wie üblich auf Instagram: