Tatsächlich, Staffel 6 ist nicht mehr gut. Ist aber nur eine 13-Folgen-Kurzstaffel. Die sie ohne Geld fürs Internet realisiert haben (Yahoo). Kann man verschmerzen, denn die fünf Staffeln davor sind anbetungswürdig. Für Spezialisten!
Denn diese Sitcom macht etwas, was ich noch nie zuvor gesehen habe: Sie bietet High-Concept-Inhalte auf einer Low-Concept-Basis. Okay, das muss ich erklären. Kurzer Ausritt in die Plot-Theorie. Low-Concept ist der Alltag, High-Concept die Extravaganz.
An Sitcom-Beispielen: FRIENDS handelt von Freunden, die sich durchs Leben schlagen (Low-Concept mit Low-Concept-Inhalten), ALF hingegen beschreibt den Alltag eines Aliens in einer Erdenfamilie (High-Concept mit ebenfalls Low-Concept-Inhalten).
High-Concept-Inhalte sind generell schwer zu finden, weil sie spinnert sind, weil sie „meta“ sind. Das findet wenig Publikum, das erfordert Mut. Die Engländer sind führend in so was. FATHER TED, THE IT CROWD, alles von Armando Ianucci …
Denken Sie einfach an MONTY PHYTHON’S FLYING CIRCUS. „And now for something completely different“. Diese „Sitcom“ sprengt jeden Rahmen, wird selbstreferentiell und persifliert alles, was Sie sich nur denken können.
Genau das wagt auch COMMUNITY, eine US-Sitcom in sechs Staffeln (insgesamt 110 Folgen), gelaufen von 2009–2015. Die Lerngruppe eines Abendgymnasiums (das Greendale College) erlebt hier Abenteuer, die mit Lernen meist nur am Rande zu tun haben.
Sieben Personen sitzen um den Tisch im Studierzimmer, lernen sich kennen, gehen diverse Allianzen ein, schmieden Pläne, suchen Vorteile, bekriegen sich auch schon mal, aber am Ende findet man sich stet zum „group hug“ zusammen.
Die Sieben sind:
Playboy Jeff, ein Hochstapler, der als Anwalt praktiziert hat.
Aktivistin Britta, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegt.
Supernerd Abed, der alles in Meta-Kategorien denkt.
Streberin Annie, das Küken der Gruppe, die zur Seele von COMMUNITY wird.
Sportskanone Troy, der leicht debile, aber herzensgute Kumpel von Abed.
Katholikin Shirley, die zwei Kinder alleinerzieht und auf den allgemeinen Anstand achtgibt.
Senior Pierce, ein verkrachter Unternehmer und Fossil des 20. Jahrhunderts.
Um die Gruppe rotieren der irre Ben, der als falscher Spanischlehrer „Senor Chang“ vorgestellt wird, später loses Mitglied der Clique ist, dann die Schule als Diktator beherrscht, eine Totalamnesie erleidet und immer unberechenbar ist (mit der Figur haben die Autoren so ihre Probleme, Ben ist einfach das chaotische Element, was oft gezwungen rüberkommt).
Zu nennen ist weiter noch der Dekan der Schule, Dean Pelton (der auch einen Vornamen hat, nämlich Craig, aber alle rufen ihn „Dean“). Dieser multisexuelle, oft in absurden Kostümen hereinspringende, hektisch agierende Schulleiter ist eine der exzentrischsten Sitcomfiguren aller Zeiten.
Dieser Cast funktioniert ganz herrlich miteinander. Alison Brie, die süße Annie, startet gerade groß mit GLOW durch, war zuvor schon in MAD MEN zu sehen. Jim Rash, der verrückte Dekan, war bei RENO 911 dabei, einer durchgeknallten und ebenfalls entdeckenswerten Polizei-Sitcom. Donald Glover, der Troy, verlässt die Serie leider nach Staffel 4, weil er der neue Lando Calrissian im STAR WAR-Universum sein wird.
Und der mit der modernen Zeit ringende Pierce ist niemand anders als Comedy-Altmeister Chevy Chase, der nicht verlernt hat, wie man blöd spielt.
Wie in jeder Sitcom prallen also absichtlich Welten aufeinander, wobei das Wunder darin besteht, dass sich die Autoren kaum um ihre Charaktere kümmern. Vielmehr geht es vom Start weg bei COMMUNITY um Parodien, Persiflagen und Zitate auf jede Art von Popkultur. Was ich als High-Concept-Inhalt beschrieben habe.
Abed liebt Filme und wäre gerne selber Filmemacher (schon der Subplot von Folge 3). Britta unterstützt ihn und Abed dreht seinen ersten Dokumentarfilm, das Thema sind seine Kommilitonen (die Serie kommt später mehrfach auf dieses Film-im-Film zurück).
Schon mit der ersten Halloween-Folge liefern sie eine Parodie auf Zombiefilme ab. COMMUNITY benutzt dabei auch den Look und die Kameraführung eines Spielfilms, weicht also von der statischen Regie einer Sitcom ab!
Und das machen sie so oft, dass man sich fragt, wie das Team die Zeit gefunden hat, das immer wieder so genial hinzubiegen. Ich erwähne noch die Indoor-Mad-Max-Folge, die Detective-Mystery-Story und die Musical-Episode. Wenn am Geld gespart werden muss, drehen sie klaustrophobische Psychostorys, die das Studienzimmer nicht verlassen (sog. Bottle-Episodes, auch so von Abed ausgerufen).
Ein Highlight ist die Bürgerkriegs-Doppelfolge aus Staffel 3, die perfekt die Anmutung einer seriösen Historiendoku nachahmt: Abed und Troy führen einen Bruderkrieg um die Vorherrschaft in der Kissenburg (zu der die beiden die Schule ausgebaut haben).
Dann wiederum veranstalten sie ein krankes Action-Zeug wie die legendären Paintball-Folgen (es gibt drei oder vier), Farbschlachten in der Schule, zum Teil in krawalligem Italowestern-Stil abgedreht.
Weiter fallen mir ein die Spielefolgen mit Dungeons & Dragons, sowie gleich mehrere computeranimierte Episoden (darunter Zeichentrick, Puppentrick, Videospiel). COMMUNITY scheut keine Kosten und Mühen, auf Teufel komm raus originell zu sein.
Ganz groß auch die erste Weihnachtsfolge, die politisch korrekt ablaufen muss. Keiner der versammelten Religionen (Christen, Juden, Muslime, Atheisten, afrik. Kwanzaa) darf vorteilhaft behandelt werden, also läuft es auf eine allgemein-humanistische Feier hinaus, die dennoch Stimmung entfaltet (schwer zu beschreiben, anschauen). Und Abed baut sich ein Holodeck! Ach, es ist zu viel Wahnsinn, um ihn überhaupt annähernd vermitteln zu können.
Und noch ein Beispiel, wie tief COMMUNITY sich reinwurschtelt in moderne Fernsehlegenden: Immer wieder spielen Abed und Troy Szenen der imaginären TV-Serie „Inspector SpaceTime“ nach; sie besuchen sogar eine haarsträubend nerdige Inspector SpaceTime Convention, kurz InspectiCon. Bös durch den Kakao gezogen wird hier der englische Kult um DR. WHO.
Getoppt wird das noch, als Marketingforscher Greendale besuchen, um eine Befragung zum Appeal von „Inspector SpaceTime“ durchzuführen. Geplant ist eine amerikanische Adaption. Dummerweise interviewen die Marktforscher nicht die Fans Troy und Abed, sondern den ignoranten Pierce, der das alles nicht versteht – und den Forschern eine völlig dummbatzige Vision aufschwatzt, die mehr in Richtung BAYWATCH als DR. WHO geht. Die wird dann realisiert, und wir erleben die Clique beim entsetzen Schauen der ersten US-Folge!
Noch einmal „meta“ packe ich jetzt drauf: Jede Folge endet mit einem zweiminütigen Nachklapp, einer Bonusszene, die Aspekte der vorherigen zwanzig Minuten aufgreift.Der Burner ist hier ein Fake-Werbeclip für COMMUNITY, das Brettspiel (HIER zu sehen). Drunter liegen noch ellenlange hektisch gesprochene Warnhinweise. („… Some episodes too conceptual to be funny …“).
Es fällt mir schwer, nach dem Schauen von 110 Folgen noch dezidiert Handlungen wiederzugeben. Ich weiß nur, dass ich mir diese ersten fünf Staffeln sehr bald noch mal antun werde. Und dann noch mal und noch mal. Ich bin ein Mensch, der eine gute Serie auch fünfmal schaut, ohne in der Begeisterung nachzulassen (haben bis jetzt aber nur WEST WING, FATHER TED, BOSTON LEGAL, FUTURAMA, MONTY PYTHON und 30 ROCK geschafft).
Meine Lieblingsfolge ist übrigens Episode 4 aus Staffel 2: „Basic Rocket Science“.
Da bin ich vom Stuhl gefallen. Eine derart hinreißend verdichtete Hommage auf Astronautenfilme (und gleichzeitig kongenial verspottende Comedy) hätte ich nicht für möglich gehalten.
Eine Aufnahme von einen Flur entlang rennenden Füßen eröffnet die Folge, atemlos ruft der Bote die schreckliche Nachricht: „City College has a space simulator!“
Die Konkurrenzschule will Studenten anziehen mit einem Weltraum-Flugsimulator. „Pretty soon they will have an astonaut … on their brochure!“
Im Folgenden geht es um die Absurdität, welches der beiden Institute schneller einen Space-Simulator an den Start bringt. Ein irrwitziges Rennen um einen vorgetäuschten Mondflug beginnt!
Dean Pelton gibt herrisch die Parole aus: „We will be the first college to pretend to put a man into space!“
Das Ganze ist so liebevoll, detailliert und brillant inszeniert, dass man weinen möchte. Im Verlauf der Folge geht es um eine außer Kontrolle geratene Rakete, die heldenhaften Helfer im Kontrollzentrum, und um eine triumphale Rückkehr im richtigen Moment – ein 21-minütiger Ensemblefilm, besser als jeder neue Hollywood-Blockbuster!
(Die Folge ist im Netz zu sehen, versuchen Sie Ihr Glück mal HIER bei YouTube.)
Angereichert wird der irre COMMUNITY-Kosmos noch durch skurrile Kleinrollen: der alte Sack Leonard, der zwielichtige Starburns (so genannt wegen seiner sternförmig ausrasierten Koteletten, „I’d rather be called Alex!“), der hysterisch kreischende Garrett, der traurige „Fat Neil“ und der rastazopfige Magnitude. Den sie alle nur als „Ein-Mann-Party“ bezeichnen.
Magnitude äußert meist nur eine Phrase, ein albernes „Pop! Pop!“, woraufhin jedoch immer alle in Lachen ausbrechen. Dieser Magnitude, einfach zu lustig, er hat die Lizenz zum Partymachen gepachtet!
Hier finden Sie eine YouTube-Zusammenschnitt von Magnitudes Auftritten (es sind nur zwei Minuten, aber effektiver ist noch keiner Figur Text in den Mund gelegt worden!).
(Hier fehlt leider nur die Szene, wie er auf seine „catchphrase“ kommt, irgendwo in einer späteren Staffel nämlich platzen zwei Ballons – und Magnitude verbalisiert das als „Pop! Pop!“, ein typisches Beispiel, wie ineinander verschlungen und versessen auf „callbacks“ die Dramaturgie von COMMUNITY sein kann.)
Dazu kommen noch köstliche Gastauftritte von Stars, die COMMUNITY noch um einen Promifaktor bereichern: Gina Gershon, Zach Braff, Owen Wilson, Tricia Helfer, Sophie B. Hawkins, Billy Zane, James Brolin, Luis Guzmán, Stephen Tobolowsky, George Takei, Jack Black, Nathan Fillion, Malcolm McDowell, Betty White, Brie Larson, John Goodman, Paget Brewster, Jonathan Banks und LeVar Burton.
Und wenn Sie daheim an den Geräten jetzt ein bisschen neugierig sind, dann huschen Sie noch mal zu YouTube: Ein Viertelstunden-Feature zeigt Auszüge aus den „Top 10 Episodes“.
COMMUNITY endet in der 110. Folge mit einer großen Idee: Jede der noch verbleibenden Charaktere fantasiert sich seine persönliche Staffel 7 (die es nicht mehr geben wird). Mehr High-Concept geht nicht!
Das kreative Meisterhirn hinter dieser Serie heißt Dan Harmon, der zuvor Headwriter bei Sarah Silverman war. Er hat was Neues am Laufen, eine Trickfilmserie namens RICK & MORTY, die aussieht wie ein Crossover zwischen FAMILY GUY und FUTURAMA. Naja. Bin ja FUTURAMA-Fan (auch das ist so’n Doppel-High-Concept, übrigens).
Zum Schluss noch ein Gag aus meiner Lieblingsfolge (na, wer hat’s geschaut):
„Can we stop walking in slow-mo now?“ – „What? You’re walking in slow-mo?“