Comics gehören nicht ins Museum!

Ein Denkanstoß für eine andere Art der Würdigung

 

Es wird doch meistens gemosert über Comicausstellungen: Sie zeigen zu wenig, sie blenden zu viel aus, sie präsentieren von allem nur ein Häppchen.

Momentan schlägt sich die Bundeskunsthalle Bonn mit diesem Vorwurf herum, die derzeit mit „Comics! Mangas! Graphic Novels!“ die größte deutsche Comicschau stemmt, die es je gab. Kuratiert von ausgewiesenen Fachleuten wie Alexander Braun und Andreas C. Knigge und ausgestattet mit einem Begleitprogramm aus Führungen, Workshops und Events, hofft man auf ausreichend Publikum.
(Der Name der Ausstellung zeigt, dass man kein Risiko eingeht und versucht, die „neunte Kunst“ abzudecken und jeden daran Interessierten einzufangen.)

Der Eingangsvorwurf ist die Crux, denn es gibt definitiv zu wenig Exponate für jeden Bereich. Dennoch bekommt man so viel zu sehen, dass einen irgendwann der Bilder-Overkill erwischt (mich zum Glück erst im letzten Raum). Die Schau ist dennoch sehenswert. Für Comic-Laien, weil es das ganze Spektrum präsentiert. Für Comic-Experten, weil man doch noch was entdeckt, was einen aufs Neue begeistert.

Ich finde jedoch prinzipiell, einzelne Comicseiten an der Wand hängen zu sehen („original art“, schön und gut), das hat schon was, aber das sind keine Comics!
So vermittelt sich nicht das Wesen der „neunten Kunst“.
Ein Comic ist zum Blättern. Es ist „sequential art“. Eine Einzelseite ist eine erstarrte, verfremdete Momentaufnahme, sie gibt unter Umständen einen falschen Eindruck von Künstler oder Werk wieder.

(Das Beitragsbild zu diesem Artikel übrigens ist eine beliebige Seite „original art“ aus Lou Camerons „Jekyll-and-Hyde“-Adaption. Die hatte ich gerade zur Hand …)

Museen sind für Gemälde und Skulpturen da. Die sind singulär, hier passiert keine Abfolge. Um einem Comic gerecht zu werden, müssten wir alle Seiten der Geschichte aufhängen (das gäbe schnell Platzprobleme) oder wir müssten zur jeder Originalseite das betreffende Druckwerk auf einem Tisch darunter platzieren (passiert zum Teil und ist eine willkommene Ergänzung, so auch in Bonn). Dennoch gehe ich lieber in einen beliebigen Comicladen und stöbere durch die Regale, das lädt mich mehr mit dieser speziellen Kunst auf als das sterile, überdimensionierte Museum.

Comics im Museum sind eine undankbare Sache.
Fragen wir uns lieber mal, ob sie überhaupt dorthin gehören.

 

Ich denke, Befriedigung stellt sich am ehesten ein, wenn die Schau thematisch eingegrenzt ist, zum Beispiel Alexander Brauns „Little Nemo“ oder die frankobelgische „Révolution bande dessinée“ mit den Werken aus Metal Hurlant und (A suivre).
Oder auch die liebevollen, kleinen Amateur-Ausstellungen im Cöln Comic Haus, derzeit „Wonder Woman“. Die haben ihren Zauber. Aber: Solche Schauen locken eben kein Publikum, sondern nur Spezialisten. Rentiert sich nicht.

Und ums Geld muss es gehen, auch wenn dauerhaft ein deutsches Comicmuseum installiert werden soll, wie einige sich erhoffen. Ich halte das für einen Denkfehler. Ein fester Bau wird dieser Kunst nicht gerecht.

Mein Vorschlag: Machen wir’s im Cyberspace! Wieso kein virtuelles Comicmuseum?

Kein Trouble mit Immobilien, Personal, Sicherheit, Öffnungszeiten, Kinderhänden.
Wir gehen online zum Kulturbummel.

Was ist die Vision? Wir betreten ein  virtuelles Museum (durchaus auch grafisch so umgesetzt) und dort Räume und Galerien unserer Wahl. Hinweisschilder erlauben uns eine Auswahl: Möchten wir Epochen besuchen, in Genres eintauchen, eine Region bereisen oder gezielt eine/n Künstler/in anschauen?

Im Epochen-Saal entscheiden wir uns für ein Jahrzehnt oder eine Ära wie Golden Age/Silver Age. Im Genres-Flügel gibt es Räume für Superhelden, Science Fiction, Zeitungsstrips, Horrorcomics oder Underground. Auf der Comiclandkarte besuchen wir die USA, Japan, Italien, Spanien, das Fantasiereich „Frankobelgien“.

Damit wir uns nicht zu tief verästeln, gibt es nur eine vorbestimmte Auswahl an „Schauen“, mehr Freiheit bietet für die Spezialisten dann der Flügel mit den KünstlerInnen. Neben einer gesetzten Galerie von Klassikern finden Interessenten eine Tafel/Liste mit allen ZeichnerInnen, von denen wir (bis dato) Scans einstellen durften. Die steuert man dann direkt an und versinkt in Werksbeispielen.

Als Vorbild hier dient die „Lambiek Comiclopedia“, eine englisch abgefasste, aber niederländisch betriebene Online-Personendatenbank, nur dass wir mit weit mehr abrufbaren Bilderbeispielen operieren würden. Lambiek arbeitet schon an so was (steuern Sie mal „Virtual Exhibition Joost Swarte“ an, dort auf das Foto klicken und mit Cursortasten weiterblättern).

Natürlich ist das virtuelle Comicmuseum im Grunde nur eine Webseite, auf der man von Menüpunkt zu Menüpunkt klickt. Ich führe erneut Lambiek an, dort ist schon die Comicgeschichte der Niederlande einsehbar: Sie klicken dort auf Epochen und erhalten einen Text samt Bildbeispielen (was mir hier zum virtuellen Museum fehlt, ist ein Eintauchen in die jeweiligen Panelabfolgen, es bräuchte mehr davon!).

Kurz: Ein virtuelles Comicmuseum besteht in einer Bündelung von Dutzenden von Comicausstellungen!

Was bräuchte man? Scans, Abertausende von gescannten Heften, Alben, Geschichten. Größtes Problem hierbei ist die Frage des Copyrights: Kann man Werke in guter Qualität zeigen, ohne sie gleichzeitig download- oder abspeicherbar zu machen?

Oder würde es genügen, nur Teile und Auszügen zu präsentieren? Ein halbes Heft, ein Viertelalbum? Damit umschifft man das Problem der kostenlosen Verbreitung ganzer Werke, kann aber mehr vorweisen als die in realen Museen zur Schau gestellten Einzelseiten.
Übrigens lassen sich diese Original-Art-Exponate als Bonus an die Druckfassung andocken!

Das Handling der gewaltigen Datenmengen ist zu bewältigen (das beweisen Vintage-Portale wie „Comic Book Plus“, die freien Zugriff auf Comichefte, Radioshows, Groschenhefte erlauben).

Die Präsentation kompletter Geschichten funktioniert mit Scrollen oder Weiterklicken hervorragend (wie zahlreiche Blogs beweisen, die hier sogar Kommentare oder weiterführende Links einstreuen) – Ich verweise frech auf mein eigenes FIFTIES HORROR.

Das Einbetten von Videos ist problemlos realisierbar; hier könnten uns Experten in kurzen Clips auf Besonderheiten hinweisen, historischen Kontext erklären oder allgemein als  „Tourguides“ fungieren.

Das Aufsetzen des virtuellen Comicmuseums kostet natürlich eine Stange Geld (Design, Grafik, Erstellen kuratierter Bereiche, d.h. der Einzelabteilungen). Zur weiteren Finanzierung fielen allerdings hauptsächlich Server- und Einpflegekosten an. Das virtuelle Comicmuseum könnte jedoch auch Einkünfte generieren, indem man Verlage für ihre Neuerscheinungen werben lässt. Denkbar ist des Weiteren die Anbindung eines „Museumsshops“, in dem Comics online bestellt werden können.

Viele Menschen konsumieren Comics heute schon digital und verzichten in manchen Fällen auf ein Printangebot. Die Akzeptanz für ein virtuelles Comicmuseum dürfte also wachsen.

Nachtrag für Nerds zur Ausstellung in Bonn (noch bis 10. September 2017):

Meine Lieblingsstücke bei „Comics! Mangas! Graphic Novels!“ waren zwei mir unbekannte Zeitungscomics („Monsieur Zoo“ und „Monkey Shines“), Al Feldsteins Cover für SHOCK Nr. 9, zwei Stücke von Corbens „Arabian Nights“, totlustige Isaac-Newton-Variationen von Gotlib, japanische Holzstichbücher als Manga-Vorläufer, die großartige Actionseite aus „Endstation Brooklyn“ (VALERIAN & VERONIQUE), zwei Seiten Breccia und die postergroße „Jimmy Corrigan“-Komposition von Chris Ware.

Empfehlenswert ist übrigens der recht günstige Katalog zu 32 Euro: sechs Themenhefte im Schuber, die alle Exponate abdrucken und mit Fachartikeln von Alexander Braun, Jacqueline Berndt, Rein Wolfs und Andreas C. Knigge aufwarten.