The Dark Horse Book of Horror

Ein äußerst hochwertiger Sammelband ist dem Verleger Dark Horse gelungen:
Die vier Einzelbände „The Dark Horse Book of Hauntings“, „… of Witchcraft“, … „of Monsters“ und „… of the Dead“ liegen als 370 Seiten starker Hardcoverband vor. Farbenfroher Hochglanzdruck auf dickem, weißem Papier sind diese 20 Dollar auf jeden Fall wert.
35 thematische Kurzgeschichten, verfasst und illustriert von Szenegrößen, dargereicht in handlichem Bibelformat von 16 x 23 Zentimetern. Jede Erzählung hat einen völlig anderen Look und einen völlig anderen Ton als die benachbarten Geschichten. Allein dieses Spektrum zeitgenössischen Horrors zu durchblättern ist faszinierend.

Vier der Beiträge sind übrigens Textgeschichten, liebevoll und spärlich illustriert von Gary Gianni (der hat in den Nullerjahren übrigens mal Prinz Eisenherz gezeichnet, wie ich per Zufall letzte Woche herausfand). Der Abdruck von Textgeschichten beweist, wie sehr Dark Horse auf Qualität achtet. Meine Nichtlektüre derselben beweist, wie sehr mich Horror nur in Comicform interessiert …

Gary Giannis hinreißendes Cover zum zweiten Band.

Kommen wir konkret zu einigen Künstlern, die nur einmal vertreten sind. P. Craig Russell steuert eine sehr unaufgeregte Spukhausgeschichte bei, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sich nur VOR dem Spukhaus abspielt.
Der Deutsche Uli Oesterle erscheint mit einer netten Tattoo-Horrorstory im Halbmignola-Stil.  Paul Chadwick hingegen konnte mich mit seiner Erzählung um einen toten Schüler nicht
überzeugen. Jim und Ruth Keegan reanimieren in „The Gris-Gris“ alten Bayou-Voodoo, kommen aber grafisch nicht an die Klassiker der 50er- oder 70er-Jahre heran.
Sean Philipps variiert seinen CRIMINAL-Stil und präsentiert lichtdurchflutete Südstaatenbilder um den Zauber der Blues-Musik.

Verspielt experimentell sind die Panels, die Scott Morse für eine Salem-Witchhunt-Geschichte gestaltet. So was ist mir immer ein Vergnügen, allerdings reichen mir dann auch zehn Seiten. Comics sollten ohne allzu große Anstrengung lesbar sein, einen Flow entwickeln und ihre Handlung auf sinnfällige Weise bebildern. Wo das zu selten gelingt, kann Kunst sich selber sabotieren.

Nicht fehlen darf Kelley Jones, der einen kurzen, aber ruppigen Twist auf alte Trapper-Horrorgeschichten präsentiert. Die komische Story kommt von Bob Fingerman und Roger Langridge: „Death Boy“ begegnet dem Tod in Person und erbt von diesem die tödliche Berührung. Nichts, womit der junge Mann glücklich wird. Wir zeigen die spaßige Auftaktseite:

Nur wenige Beiträge haben mich enttäuscht: Geschichten wie „The Stain“, „To Weave a Lover“  und „The Horror Beneath“ sehen zwar gut aus („Lover“ übrigens in halber Computergrafik), schweben dafür ein wenig im Ungefähren bzw. wiederholen bekannte Muster, wie ich finde.
Berückend hingegen „Queen of Darkness“, ein Adventure-Horror von Pat McEown und „Kago No Tori“, die von Guy Davis illustrierte Samurai-Sause. Hab ich mich drin verschossen. Davis hat die schräge, ein wenig missglückte, französische Horrorkomödie ALS DIE ZOMBIES DIE WELT AUFFRASSEN bebildert, sein Artwork ist mir irgendwie im Hinterstübchen hängen geblieben. Hier kriegt Davis ganz wundervoll die Kurve zwischen Reduktion und Übertreibung. Das ist die Magie der Comics!

„I Witnessed the End of the World!“ ist gelungene Hommage an Frühsechziger-Marvel-Monstermystery und schildert aus der Verliererperspektive, wie die Abenteurer und Recken des 20. Jahrhunderts von den neuen Superhelden verdrängt werden! Hat man so noch nicht betrachtet …

Stammkünstler in allen vier Abteilungen sind Paul Lee und Brian Horton (geskriptet von Scott Allie). Deren Geschichten fallen sehr unterschiedlich aus, mal mysteriös, mal ironisch. Am meisten mochte ich ihre Meditation über einen Magier, der seinen Vater aus dem Grab erweckt („The Magicians“). Der war ebenfalls ein Zauberer, muss aber seinem Sohnemann keine Tricks verraten, sondern endlich Rede und Antwort stehen über seine Kälte und Abwesenheit als Vater! Ein memorabler und berührender Dreh!

Zugpferd der Reihe ist sicherlich der unerschöpfliche Mike Mignola. Viermal mit von der Partie und immer ein Hingucker. Und das fasst die Kunst des Mike Mignola recht gut zusammen: schick und beeindruckend, aber die Geschichten dahinter (hier stets der Künstler selber) gern versponnen und oft ein bisschen unbefriedigend.


Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich bewundere Mignolas Artwork, es haut mir die Socken von den Füßen, wie die Amerikaner sagen. Es ist nahezu unglaublich, wie Mignola illustriert: Fast denkt man, er tuscht keine weiße Fläche, sondern holt Licht aus dem Dunkel hervor. Mignola ist der Meister der flächigen Schatten. Seine Plots aber ziehen Schleifen um Behauptungen, gefallen sich in Andeutungen und evozieren mystische Backstorys, die jedoch nie straight auserzählt werden. Der Meister der Schatten ist auch der Meister der skripttechnischen Nebelwände. Mignola ist ein wenig artsy-fartsy, aber ich kann ihm nicht böse sein, er hypnotisiert mich mit seinen Entwürfen.

Und damit kommen wir zum Schluss und zum Highlight des „Dark Horse Book of Horror“: Das sind die vier „Beasts of Burden“-Episoden von Evan Dorkin (Text) und Jill Thompson (Zeichnungen). Autor Dorkin hat in den Neunzigern den bizarren Funny MILK & CHEESE („verdorbene Molkereiprodukte“) produziert. Jill Thompson ist mit ihren 50 Jahren schon eine Veteranin im Geschäft: Die Kerben auf ihrem Pinsel zeugen von Arbeiten für Wonder Woman, mehrere SANDMAN-Episoden, Bart Simpsons Tree-House of Horror. So viel hat sie gar nicht veröffentlicht, doch ihr Meisterstück sind die „Beasts of Burden“-Tiercomics.

Jawohl, Tiercomics. So was schreckt mich prinzipiell ab, doch diese Viecher gewinnen augenblicklich unser Herz. In einer amerikanischen Vorstadt verfolgen wir die Abenteuer von Ace, Rex, Pugs, Jack und dem „Wise Dog“, einem Bobtail. Nicht zu vergessen die naseweise Katze Orphan, die oft als Katalysator der Storys herhält (oder herhalten muss).
Dorkin stülpt seine Geschichten um Geisterhunde, Hexenkatzen, Zombiehunde und einen Werwolf so selbstverständlich und souverän auf seine tierischen Protagonisten, dass man die Legitimation dessen keine Minute anzweifelt.

Natürlich hilft Thompsons kongeniales Artwork ungemein. Ja, kongenial ist ein viel bemühter Begriff in der Kunstkritik, aber ich komme nicht drum herum. Thompson zeichnet kaum, sie malt meist mit Aquarellen in ‚couleur directe‘-Methode. Viele Panels verfügen nicht über ‚outlines‘, d.h. Bleistift- oder Tusche-Umrandungen. Auch das schreckt mich prinzipiell ab, da ich ein Hardcore-Fan von Pencils and Inks bin.

Couleur directe muss man wirklich beherrschen, damit es nicht wischiwaschi oder zum Gähnen aussieht. Der große Hermann Huppen malt seit Jahren auf solche Weise seine Western- und Endzeitcomics. Der kann das, aber in Jill Thompson hat er seine Meisterin gefunden. So schön habe ich couleur directe noch nie erlebt!
Was aber daran liegt, dass Thompson eben nicht nur kunstselig aquarelliert, sondern beinhartes Storytelling und grafische Komposition leistet und liefert. Ihre Seiten bedienen sich kreativer Kamera und sequenziellem Erzählverständnis der alten Schule. Ich bin hin und weg, absolut wundervoll.

Schockierende Entdeckung: Der Wolfsjunge hat auf dem Nachbargrundstück die Kaninchen gerissen.

 

Es existiert ein Tradepaperback („Animal Rites“), dass diese vier plus vier weitere „Beasts of Burden“-Kurzgeschichten versammelt. Allerdings hat Thompson noch weitere vier in den letzten Jahren gezeichnet. Ich hab es im Urin (passt gut zu den Hunden), dass man geduldig auf der Lauer liegen sollte, bestimmt kommt demnächst eine Gesamtausgabe …

Und Humor hat es auch noch! Die Katze Orphan wird schwarz eingefärbt, um ‚undercover‘ gehen zu können…

Also, des Englischen mächtige Gruselfreunde: Dieses stabile Buch ist ein Schmuckstück im Regal und lädt zu einigen Entdeckungen ein.

Achso, Querverweis für alle, die es noch nicht wissen: Ich betreibe seit über sechs Jahren eine Webseite über die Horrorcomics der 1950er-Jahre (FIFTIES HORROR). Dort finden sich nicht nur generelle Betrachtungen zum Genre, sondern auch einige vertiefende Essays über bestimmte Aspekte der Comicgeschichte (z.B. über den Comics Code der Mittfünfzigerjahre) sowie jede Woche eine komplette Beispielgeschichte, die noch kommentiert und diskutiert wird.