Erquicklicher Krimi: KARMELA KRIMM

Zu wenig hört man aus Marseille, der zweitgrößten Stadt Frankreichs und übrigens einem Sumpf des Verbrechens. Umso schöner, dass hier Comicsuperstar Lewis Trondheim mit frischer Krimikost zuschlägt!

Karmela Krimm heißt seine Privatdetektivin, die (ganz Klischee) ihren Unterhalt mit der Überwachung und Überführung untreuer Männer verdient. Die Ex-Polizistin pflegt gute Kontakte zur Marseiller Polizeibehörde und ist eine taffe Singlefrau, die sich zu behaupten weiß (weitere Klischees).

Damit aber hat es sich zum Glück mit bekannten Krimiformeln, denn Autor Trondheim mischt sein Material (wie ich es nicht anders von ihm erwarte) mit kreativen Ideen auf:
Das Teenagermädchen Manon hängt Karmela am Rockzipfel und möchte unbedingt ihre Assistentin sein. Manons Mutter ist ausgerechnet Karmelas ehemalige Kollegin Alice, die weiter bei der Polizei arbeitet und rechtem Gedankengut anzuhängen scheint.
Damit zieht Karmela sie regelmäßig auf, wobei sich jede Menge Gelegenheiten ergeben, denn Marseille hat Probleme mit seiner nordafrikanisch geprägten Unterwelt.

Im vorliegenden Kriminalfall (der erste Band, übrigens abgeschlossen, trägt den Titel „Ramadan Blues“) soll Karmela den Mord am Unterweltboss René Perrini untersuchen. Dazu stellt man ihr den Leibwächter Tadj an die Seite – ein muslimischer Franzose, der gerade den Ramadan einhält.

Karmela selbst hat algerisch-griechische Wurzeln und frotzelt sich mit ihrem ungewollten Partner durch zwei aufregende Tage. Zudem hält jeder Tadj für ihren Liebhaber, woraus Karmela wieder Funken schlägt in der Kommunikation mit Alice.

Das ungleiche Ermittlerpärchen kommt schnell auf die Spur einiger Kleinkrimineller, die ihre große Chance wittern und auf einen Aufstieg in der Unterwelt hoffen. Dabei fliegen nicht nur die Fäuste, sondern Trondheim schreibt uns köstliche Charakterstudien wie den dauerfluchenden Dealer, den Tadj auf Geheiß Karmelas vermöbeln darf.

Solche „kleinen Scheißer von der Straße“ (Zitat eines Gangsteranwalts) sorgen für Unruhe in KARMELA KRIMM, was die Sache gefährlich unberechenbar macht. Bald sprechen auch Waffen und nicht nur Karmela und Tadj, sondern auch das Mädchen Manon geraten in die Schusslinie. Doch das Ermittler-Team behält mit Grips und Chuzpe die Oberhand.

Der Spaß an diesem Marseille-Krimi liegt in Trondheims lässiger und charmanter Figurenführung. Mehr Analyse kann und brauche ich hier gar nicht leisten; auch der Plot funktioniert – Trondheim kann es einfach.

KARMELA KRIMM kennt zwar Gewalt und zeigt sie auch, doch ist der Ton niemals grimmig, diese Welt nicht rettungslos verloren.

Ein klarer Fall von coolem Comic

 

Die Idee zu KARMELA KRIMM soll von Zeichner Franck Biancarelli stammen, wie Alex Jakubowsky in einem Post seines Blogs „Comic-Denkblaseenthüllt.

Der Marseiller Künstler hat sich von seiner Umgebung inspirieren lassen und weiß seine Heimatstadt auch großartig in Szene zu setzen. Kompetent, sauber und flüssig führen uns seine Zeichnungen durch die Aufdeckung dieses Mordkomplotts, das von Karmela und Tadj entwirrt werden will.

Auftakt zum Finale: Tadj und Karmela konfrontieren Halbweltboss Chevrier; es ist Abend, Tadj hat Hunger und möchte sein Tagesfasten brechen.

 

Ich frage mich, ob KARMELA KRIMM durch sein unauffällig gefälliges Artwork und sein kalkuliert serientaugliches Drehbuch auf Mainstream-Erfolg aus ist.

Der Vergleich mit einem anderen weibliche-Ermittlerin-Szenario von Trondheim ist angebracht: MAGGY GARRISSON präsentierte 2014 (auf Deutsch ebenfalls bei schreiber&leser erschienen) in drei Bänden eine herrlich halbkriminelle Hobbydetektivin.

Frau mit Fassung:  MAGGY GARRISSON

Dieser Stoff ist mir lieber, weil er noch einen Hauch ironischer inszeniert ist und erst gar keinen Fuß auf die Pfade des Gewöhnlichen setzt.

Auch ist die grafische Umsetzung durch Stéphane Oiry in dieser Serie in ihrem statischen, unaufgeregten Look distanzierter als der spannungsbetontere Stil von Franck Biancarelli im neuen Projekt.

KARMELA KRIMM ist ein gefundenes Lektürefresse für alle Liebhaber*innen origineller und moderner Krimistoffe, bricht jedoch nicht mit den Konventionen des Genres.

Das verrät uns übrigens schon die Namensgebung dieses ersten Bandes: „Ramadan Blues“ ist ein schrecklich abgeschmackter Titel, heiße Luft mit exotischer Duftnote.

Bei MAGGY GARRISSON hieß der Auftakt ganz unterspannt-lakonisch „Lach doch mal, Maggy!“. Das sagt eigentlich schon alles.

Und ich zeige eigentlich schon viel, nicht alles, auf meinem Instagram-Blättervideo: