Zu entdecken: Lukas Kummer

Hier wieder einsteigen ins Comic-Karussell: Fahrgeschäftsbetreiber Kummer spendiert uns erst eine Vorwärtsfahrt, dann eine Rückwärtsfahrt!
Beste Unterhaltung, dass einem schwindelig vor Staunen wird!

Sausen wir gemeinsam einmal Richtung Zukunft, mit dem „High-Fantasy“-Projekt PRINZ GIGAHERTZ, dann einmal ab in die Vergangenheit mit dem „historischen Drama“ DIE VERWERFUNG.

Beginnen wir mit der Neuerscheinung (beide bei Zwerchfell): PRINZ GIGAHERTZ.

Ein bonbonbuntes Ritterspektakel mit Robotern, Zeitreisen und einer Atombombe. Ein Hauch von „Terminator“ mit Excalibur“-Feeling.

Der ritterliche Held, nennen wir ihn Prinz Gigahertz, marschiert durch eine apokalyptische, wüstenartige Landschaft.

Tatü-Tatooine! Wenn das keine Referenz an den „Krieg der Sterne“ ist! Blonder Bursch in weißem Hemd vor Doppelmond in Wüstenlandschaft? Nice!

 

Eine nukleare Katastrophe hat vor 30 Jahren stattgefunden und die meisten Menschen monströs mutieren lassen. Der Prinz trifft den alten Kampfgefährten Brancelot wieder, auch er schrecklich entstellt.
In ersten Rückblenden erfahren wir, dass der Prinz vor 30 Jahren seine geliebte Prinzessin in Sicherheit beamen konnte, ehe die Explosion ihn in den Burggraben schleuderte, wo er offenbar im Koma überlebt hat.

Brancelot händigt ihm seine alte Ausrüstung aus, darunter ein Fernglas, ein Walkie-Talkie, Rauchbomben, ein Autoschlüssel und sein Taserschwert.
Nicht Laserschwert, Taserschwert, ein Elektroschocker-Schwert!

Der Prinz macht sich weiter auf den Weg, denn er wird verfolgt vom „Dämon“, einem unaufhaltbaren Killer mit furchterregenden Kampffertigkeiten. In einem Burgstädtchen findet der Prinz mehr futuristische Ausrüstung und das Gefährt, auf das sein Schlüssel passt. Die „eherne Mähre“ entpuppt sich als ultraschickes Raketenauto.

Auf den nächsten Seiten tritt zum ersten Mal der „Dämon“ ins Bild. Es ist ein Kampfroboter mit tödlichem Strahlenauge. Seine Laserblitze schneiden wie Butter durch Mensch und Material.

Nanu?! Wir haben eine Rittergeschichte mit Elementen der Science Fiction? Die staunende Bevölkerung bezeichnet diese Artefakte als „Magie“, doch unser Prinz Gigahertz staunt nicht, sondern weiß damit umzugehen. Woher hat er dieses Wissen?

In weiteren Rückblenden erfahren wir vom Leben des Prinzen und der Prinzessin – und davon, dass der Prinz ein „Loch“ zwischen den Welten entdeckt hatte.

Doch kurz darauf dringt der Dämon ins Ritterland ein und stellt Forderungen. Es kommt zu einem Massaker und einem Krieg der Ritter gegen die Eindringlinge aus der Zukunft.

Quatsch mit Soße? Aber nicht doch!

 

Was zu einem peinlichen Exploitation-Stoff a la „Cowboys und Indianer gegen Aliens“ werden könnte, gerät in Kummers Händen zu einem intelligenten, staunenswerten, sogar spaßigen Comic.

Clever und gekonnt serviert uns PRINZ GIGAHERTZ eine saubere Dramaturgie, die uns bis zum Schluss rätseln lässt, was da eigentlich los ist und wie das alles zusammenpasst. Tut es aber, und zwar aufs Schönste.

Mich hat dieses Werk sehr amüsiert, es erlaubt die wildesten Assoziationen (Mad Max, James Bond, Terminator, Zombiefilme, Herr der Ringe, Blade Runner, die Comics von Moebius und ganz viel SF-Zeug, das ich nicht benennen kann).

Kummer macht sogar eine Anspielung auf den Comic HARD BOILED, was mich wirklich hat jubeln lassen. (Sie erkennen das, wenn Sie Kummers Comic lesen und dann auf meine Analyse zu Millers/Darrows Werk schauen.)

Auch die beiden folgenden Seiten präsentieren eine schmissige Szene: Der Dämon fordert den Prinzen auf, doch bitte aufzugeben. Und verleiht seinen Worten durch gezieltes (und fernrohrverstärktes) Feuer seines Laserstrahls Nachdruck.

Ich darf jetzt nicht mehr verraten, nur so viel: PRINZ GIGAHERTZ ist ein Highlight der High Fantasy (ha!) im Comic, eine Entdeckung, die problemlos auch ein internationaler Erfolg sein könnte.

Damit sind wir beim Stichwort: Entdeckung.
Schon vor Jahren hab ich mir die folgende, bereits 2015 erschienene Graphic Novel auf meine Wunschliste gesetzt.
Ich freue mich, sie jetzt gelesen zu haben und mit PRINZ GIGAHERTZ im Doppelpack empfehlen zu dürfen.

DIE VERWERFUNG

 

Die Apokalypse hat schon stattgefunden, sie liegt längst hinter uns. Genau gesagt, schon 400 Jahre. Ihr Name: der Dreißigjährige Krieg.

Eine Zeit der totalen moralischen Verwahrlosung, unsagbaren Leids und perverser Mordlust. Man darf sich wundern, dass die Menschheit sich davon wieder erholt hat.
Denn der Tod ist allgegenwärtig, selbst der Tod der Hoffnung.
Die Erkenntnis der Überlebenden (bzw. der noch per Zufall am Leben Befindlichen) lautet: Ein Weitermachen kommt der Vernichtung gleich.
In den Worten des hungerdelirierenden Jakob:

Lukas Kummer fängt in seiner Graphic Novel DIE VERWERFUNG die Gräuel des Krieges und die damit einhergehende Entmenschlichung  auf drastische Weise ein.

Die Handlung ist schnell erzählt: Jakob und seine große Schwester Johanna  (er um die 10, sie um die 15 Jahre) wandern durch ein winterliches Deutschland.
Sie haben ihre Eltern im Krieg verloren und schlagen sich querfeldein (die Straßen sind zu gefährlich) durch verwüstete Landstriche.
Johanna versucht, ihre Weiblichkeit zu verstecken und lässt sich „Harald“ nennen. Der kleine Junge ist dem Mädchen eine Last, doch sie zieht ihn mit.

Das Elend der Kinder ist im Grunde nicht auszuhalten. Sie frieren und hungern, sie haben Flöhe und starren vor Dreck, sie kotzen und kacken, sie husten und würgen, sie schleichen und kriechen, sie suchen und plündern, sie rauben und morden.
Das nennt man Überleben.

Die präsentische Erzählung wirft uns mitten ins Geschehen. Es ist, als liefen wir mit den Kindern mit. Das schafft natürlich eine Nähe und Unmittelbarkeit, die unter die Haut geht. Soll sie ja auch.

Wir erleben die Beschwerlichkeit des Fortkommens, die Schmerzen der Magenkrämpfe, die unbarmherzige Kälte und existenzielle Verzweiflung, die Willkür von Gewalt, den Blick in seelische Abgründe – das alles ausgebreitet vor einer höllischen Szenerie, gespickt mit verstümmelten Leichen und in den Bäumen hängenden Toten.

Gänsehaut-Horror pur!

 

Ja, ich gestehe, nichts gruselt mich so schön wie der Dreißigjährige Krieg.
Mein Lieblingskrieg!
Es ist so weit weg und doch real. Macht einen fassungslos.

Mir läuft es immer kalt den Rücken runter, wenn ich Gedichte aus der Zeit von Andreas Gryphius lese oder in einem Roman wie Daniel Kehlmanns „Tyll“ schmökere.
An das Zeitdokument schlechthin, den „Simplicissimus“ von Grimmelshausen, wage ich mich gar nicht heran. Ich würde innerlich erstarren!

Vielleicht war ich ja dabei, in einem früheren Leben. Vielleicht waren wir es alle.
(„If there’s a hell below, we’re ALL going to go!“ – Curtis Mayfield)

Verlagslink zu DIE VERWERFUNG hier. Der Verlag nennt den Comic „eine Spirale nihilistischer Brutalität.“ Kann man so sagen.

Ich zeige noch eine „Actionszene“: Johanna ist auf Nahrungssuche auf einem havarierten Boot. Am Ufer finden Hinrichtungen statt.

Warum will man so einen Comic lesen?

 

Das muss wohl jede und jeder für sich entscheiden. Für mich ist es dieser historische Schauder. Der animalische Horror hinter der menschlichen Fassade.
Und ehe jetzt Tierfreunde einwerfen: „Tiere tun so was nicht!“, sag ich: Genau!
Das kann nur der Mensch. Das macht mich stumm und starr vor Staunen.

Wenn Sie zart besaitet sind, schauen Sie sich die nächsten drei Beispielseiten (die letzten, die ich zeige) nicht an. Diese Bilder sind schwer erträglich, aber zeigen das ganze Ausmaß dieser menschlichen Katastrophe.

So unterschiedlich beide Werke sind, DIE VERWERFUNG wie PRINZ GIGAHERTZ, Lukas Kummer scheint einen ausgeprägten Hang zur Apokalypse zur Schau zu stellen … Zufall?!
(Der Mann ist Österreicher, wie man hört. Harr!)