Tillmann liest: SARVAN

„Ich habe die Geschichten geschrieben, also bin ich auch verantwortlich für die mehr oder wenigen nackten Frauen darin. Jedenfalls hat sich bislang niemand beschwert. Weder bei mir noch bei Bernet.“
(Comicautor Abulí über TORPEDO 1936)

Was das mit SARVAN zu tun hat? Nix! Und alles! Doch der Reihe nach.

In einer wilden und apokalyptischen Fantasywelt kämpft die Kriegerin Sarvan um den hübschen Raumfahrer Heloin. Dass in endzeitlichem Ambiente geschminkte und coiffierte Wunderweiber mit Modelfigur existieren, ist der größte Brocken Fantasy, den wir hier serviert bekommen. Und dass das Wetter immer töfte ist, laue Luft, kein Regen – und Frauen deshalb im Bikini oder oben ohne rumlaufen.

Fängt auch recht schmissig an: Sarvan erwehrt sich schlagkräftig den Avancen ihres Verehrers Kurdo (wobei ihr prompt der Fellbikini aufspringt, man sollte nicht das billige Zeug von Kik tragen).

Denn Sarvan hat nur Augen für Heloin, den ihr im Traum versprochenen Gott, der vom Himmel fällt. Der kracht auch auf der nächsten Seite im havarierten Raumschiff zur Erde.

Bei SARVAN prallt eine archaische Krieger-/ Urmenschen-Gesellschaft auf die Ankunft eines gottgleichen Astronauten einer Raumfahrerkaste.
Ein Großteil der Handlung des ersten Albums dreht sich um ein Balzritual, das die Amerikaner „play hard to get“ getauft haben (nur hier mit vertauschten Rollen): Normalerweise tut die Frau arrogant und so, als habe sie kein Interesse an den männlichen Bemühungen.

Hier jedoch weist Heloin, der übernatürlich ausgestattete Mann (Geisteskräfte, Herrschaften, Geisteskräfte!) Sarvan zurück, die sich ihm wortwörtlich (und paarungsbereit) an den Hals wirft (ist uns das nicht allen schon passiert?). Auf der zweiten Seite (s.u.) beleidigt und schlägt er Sarvan noch – leider kein Einzelfall in solchen Comics, wir kommen später darauf zu  sprechen.

Die Frauenfigur Sarvan investiert ihre komplette Energie nicht in die Dorfgemeinschaft, Freundschaften oder eine geregelte Arbeit (von all dem erfahren wir nichts), sondern offenbar in die EroberungsFantasie eines märchenhaften Mr. Right. Danach strebt sie, danach giert sie, das zu verteidigen ist sie mit Klauen bereit, wenn es sein muss. Was auch prompt passiert:

Catfight: So kämpfen Fantasyamazonen um ihren Mann. Ich moniere, dass Sarvans Gegnerin nicht auch der BH aufgeht!

 

Sie sehen, es geht um Beine, Brüste, Haare in diesem Comic, der zwar eskapistisch sein will, uns aber nicht mal aus der Welt der Werbung hinausbefördern kann. Diese Frauen sind die stromlinienförmigen Produkte der Schönheitsindustrie – und Sarvan kriegt zwar nicht sofort ihren Kerl, aber den Kosmetikvertrag hat sie garantiert in der nichtexistenten Handtasche.

Zeichner dieser chauvinistischen Chose ist der 1944 geborene Jordi Bernet, ein Katalane aus Barcelona, einer der produktivsten und prominentesten spanischen Comickünstler. Etwa zeitgleich mit seiner Arbeit am Opus magnum TORPEDO 1936 beginnt er 1982 die Episoden um seine Fantasyheldin SARVAN für das Magazin „Cimoc“ zu zeichnen.
Der Lauf wird ein kurzer sein, in Deutschland hat der Rainer Feest Verlag drei Alben draus gemacht. Bernet ist hiesigen Lesern auch von ANDRAX bekannt, der in gewisser Weise eine bekleidetere (männliche) Variante von SARVAN ist.

Auch hat der Künstler einen Hang zu erotischen Darstellungen: Seine püppchenhaften Frauen erscheinen auch in den Serien CLARA DE NOCHE (erschien im Satireblatt „El Jueves“, auf Deutsch BETTY), CICCA DUM-DUM für „Penthouse“, LIGHT AND BOLD (im Magazin „Zona 84“ abgedruckt), WAT 69 (gab es im deutschen „PIP International“) sowie SNAKE (einer Westernhommage, deutsche Edition bei Salleck).

Eine textlastige Passage wird vom Leser dankbarer aufgenommen, wenn man eine Nackte in lasziver Pose einarbeitet! Auch wir überbrücken damit bis zur nächsten Illustration …

 

Geständnis meinerseits: Ich liebe Bernets Stil!
Voll mein Ding, die ganz alte Schule, die mit nichts außer Bleistift und Tusche, die Kunst der Fünfzigerjahre. Der Zeichner selber beruft sich offenbar auf die Klassiker wie Milton Caniff, Noel Sickles und Alex Toth. Ich sehe ihn mehr bei Joe Kubert – und in SARVAN mit Anklängen an Moebius, Jean-Claude Mézières und Spurenelementen von Wally Wood. Also prima!

Doch zurück zur Handlung, wenn man es denn so nennen mag. Was schwerfällt, denn dieser Comic präsentiert sich in 14 Kapiteln, die teils sehr sprunghaft aufeinander Bezug nehmen. Die Storyline bricht und mäandert, Autor Antonio Segura schlägt erzählerische Haken, scheint phasenweise irre Meta-Ebenen anzusteuern, um dann doch ein rasches Ende zurechtzuwurschteln.
SARVAN ist auf den ersten und den letzten Seiten ein geradliniges Abenteuer, doch alles dazwischen gerät zu einer ruckeligen Achterbahnfahrt des Fantastischen, die seine Leser öfter aus der Kurve trägt.

Der völlig skurrile zweite Band

 

Eine literarische Verbrämung bzw. Veredelung erfährt die Handlung durch Einkleidung in einen theosophischen Rahmen: Zwei hexenhafte Schicksalsgöttinnen namens Liblack und Liwhitte spielen mit den Menschen wie mit Figuren auf einem kosmischen Schachbrett.
Das muss man wohl als Marotte des Autors verbuchen, denn ein dystopischer Fantasystoff kann bestens auf Unterfütterung oder Rechtfertigung verzichten.
Darum ist es ja Fantasy – jeder Quatsch ist erlaubt!

 

Diese Meta-Ebene ist konfus, kontraproduktiv und so konträr zur Haupthandlung (hier herrscht ja schon eine Dichotomie zwischen den Welten, die Sarvan und Heloin repräsentieren), dass sie zum Auftakt von Band zwei fallengelassen wird. Wir hören nie wieder von Liblack und Liwhitte, obwohl sie am Schluss von Kapitel 4 noch cliffhanger-artig ihre nächsten Züge kontemplieren.

Ihr Fluch scheint dennoch weiter zu wirken, denn Band zwei schafft es auf andere Weise, uns Leser in den Wahnsinn zu treiben. Ich konnte der Handlung nicht mehr recht folgen. Heloin hat einen Gedächtnisverlust erlitten, er ist runter von seinem treuen und  hohen Ross namens Kotzbrocken. Er hegt nun Zuneigung für Sarvan, ist aber leider völlig impotent. (Wieso das? Ist ein zärtlicher und weicher Mann kein Stecher mehr? „Hay no corrida“, wie der Spanier sagt? Ist der Stierkampf schon aus?)

Dann jedoch kommt es zu einer sehenswerten Orgie in den Eingeweiden eines riesenhaften Bergwurms, des fummelwütigen Tabokis, sehen Sie selbst (beachten Sie nicht den Jungen, der noch hier vorkommt, der wird nur in diesem Kapitel mitgeschleppt):

Lost in Vulva: Heloin und Sarvan erleben erste Orgasmen zwar gemeinsam, aber an verschiedenen Orten im Genitaltrakt einer sie stimulierenden Monsterdarmzotte.

 

Nach diesem mit Sicherheit entspannenden Abenteuer irren Sarvan und Heloin durch die Wüste, weiß nicht warum – und Heloin wird immer weibischer. Er redet jetzt sogar über seine Gefühle! (Ah, deshalb ist es ein Fantasycomic!)
Bernet inszeniert dazu eine angedeutete orale Befriedigung der Frau; Schluss dieser Szene, denn mit vollem Mund redet man nicht.

And the cunnilingus goes to … die Frau, die sich seufzend vor einem Doppelvollmond platzieren kann.

 

Gegen Ende von Band zwei trifft unser Pärchen auf einen irren Magier, der Heloin ersticht und ihn damit wiedergebären lässt. Sagt man wiedergebären? Ist auch egal, alles Unfug, Heloin steht wieder auf und ist der alte: Er erinnert sich an seine Mission und nimmt Sarvan als Gefährtin mit auf die Reise.

Das schildert uns Band drei, den der deutsche Verlag diesmal in Farbe spendiert hat. Zum Glück wird so kaschiert, dass diese letzten Kapitel hastiger exekutiert wurden als die vorigen. Segura und Bernet wollen den Sack jetzt zumachen. Die Story wird endlich zielführend und wartet noch mit zwei genüsslich surrealen Szenen auf.
Oh, Comickosmos der Psychopathia sexualis! Fun, fun, fun.

Kapitel 9: Die „Söhne der Bestie“, konkurrierende Aliens, die Feinde Heloins, haben Sarvans altes Dorf besetzt, die Männer getötet, die Frauen geschwängert. Und zwar nicht von irgendwem, nicht von Loddarmatthäus, sondern vom hypnotisch begabten „Befruchter“!

Auch Sarvan gerät in dessen Bann, reißt sich die Kleider, die sie nur für diesen Kapitelauftakt angelegt hatte, wieder vom Leib und tapst schicksalsergeben in die Höhle des Befruchters. Heloin verwandelt sich in eine blonde Frau und wird den von Sarvan abgelenkten Befruchter erstechen. (Ich glaube, ich muss den Begriff „Befruchter“ noch ein paar Mal hinschreiben, es ist zu schön!) Und schauen Sie ihn sich an: Der Befruchter ist ein knochiges Wesen, auf dessen imposant-erektilen Hammer sich die Frauen schwingen.

Ultimative Männerfantasie? Der „Befruchter“ sitzt passiv im Sessel – und heiße Keulen bocken bei ihm auf?! (Im Bildabseits läuft „Sportschau“!)

 

Dann geht der Befruchter aber sang- und klanglos tot, er erschlafft in seinem Sessel – und Sarvan und Heloin machen sich auf zur Eierfrau!
Thunka ist die „Mutter des heiligen Eis“, eine grotesk fette und entstellte Frau, die ein riesenhaftes Ei bebrütet! Wir erleben, wie eine drachenartige Echse dem Ei entschlüpft und seine Mutter in den Himmel trägt.
(Miterziehende Eltern wissen, dass einem der Boden unter den Füßen schwindet, sobald das Kind da ist. Alles wahr, von wegen Fantasy.)

Dieses Kapitel 11 präsentiert uns ein weiteres Zerrbild aus dem Quartettspiel „Geschlechterkampf“. Es ließen sich alle Figuren aus SARVAN auf einem Spektrum zwischen den beiden Extremen aufstellen. Echt oder real (d.h. mit unserer Alltagswirklichkeit vereinbar) ist dennoch keine davon.

Wiederholt: Der „Befruchter“ ist der immergeile Pascha, passives Anhängsel seines Phallus. Die „Mutter des Eis“ ist die aufopferungsvolle Glucke, die aufgehört hat Frau zu sein und vom eigenen Kinde in Beschlag genommen wird.
Das kann ich als böse Satire auf Rollenbilder von Mann und Frau interpretieren, auch wenn ich glaube, dass das nicht die Absicht von Segura und Bernet war. Diese Kreaturen könnten dem Unbewussten entsprungen sein. Was sie so viel wert- und liebevoller macht …

Sarvan und Heloin gelangen schließlich in den gesuchten Tempel und ans Ende ihrer Reise. Dummerweise werden sie umzingelt von den feindlichen Aliens, die sie belagern. Was machen unsere Protagonisten? Im Angesicht des Todes?
Endlich schnackseln! Happy end = happy ending.

Liebe ist … wenn er es ihr wie mit einem Bohrer besorgt!

 

Okay, subtil geht anders. Aber wie gestrig ist das (Anti-)Kreativteam drauf, wenn es sich in solch abgegriffene Bildmetaphern flüchtet? Soll wahrscheinlich lustig sein! Booooring!

(Das war sogar noch ein Wortwitz auf Englisch: „Boring“ bedeutet „langweilig“, zugleich aber auch einen Vorgang des Bohrens. Brillant, oder? Dankesbriefe gerne per Elektropost an info@tillmanncourth.de)

Nach diesem Höhepunkt (kicher) ziehen sich Sarvan und Heloin das bisschen, das sie aushatten, wieder an und gehen draußen vor dem Tempel ein paar Köpfe spalten!
Im Kampfgetümmel kommen endlich Heloins Kollegen zu Hilfe.
(Penner! Wo wart ihr drei Alben lang?)
Unser Pärchen wird zur Besiedelung eines neuen Garten Edens eingeteilt.
Na supi. Schade, dass wir die Fortführung vermissen müssen. Zu gerne hätte ich Heloin als Befruchter erlebt und Sarvan als Mutter des Eis … wieso enden Filme und Comics immer dann, wenn es ans Eingemachte geht?
(Eingemachtes = Kochen = Sex des Alters.)

Jetzt aber mal wieder Ernst hier.
Kommen wir zu einem gendersensiblen Fazit für SARVAN.

Die Frage sei gestellt, der Verdacht geäußert: Ist Bernet der Oberschweinepriester? Der Bossgegner des Feminismus? Aber hat sich „ja niemand beschwert“ – wahrscheinlich, weil Frauen diesen Mist erst gar nicht anrühren.

Schielen wir dazu noch seitwärts in andere Werke:
Im Erotikfunny CLARA DE NOCHE / BETTY stellt Bernet das horizontale Gewerbe als spaßig und selbstbestimmt dar.
In seinen Kurzgeschichten werden Frauen zum Blowjob gezwungen (SNAKE), von schwarzen Bediensteten vergewaltigt (doppelt verwerflich), entkleidet und abgestochen, sind prinzipiell Augenfutter und Spielzeug für die harten Kerle.
In TORPEDO 1936 werden alle weiblichen Figuren begrapscht, erniedrigt, geschlagen und/oder vergewaltigt. Die Höhe ist dabei noch, dass es ihnen nichts auszumachen scheint (also denen, die nicht auch noch ihr Leben verlieren). Die Frauen in dieser brutalen Crime-Welt sind dafür gemacht. Sie stecken das weg (böser Wortwitz beabsichtigt).

Dat glauben Sie mir jetzt mal ohne Bildbeispiele (die wären auch nicht schön).

Seine Serie CICCA DUM-DUM (auf Englisch und Französisch BANG BANG) legt noch einen drauf und bietet Pornografie in Kombination mit jener Form von Humor, die ich als verletzend und perfide bezeichnen möchte.
(Autor ist hier Carlos Trillo, der mit Enrique Sanchez Abulí und Antonio Segura unser Trio infernale der Bernet-Texter komplettiert.)

Die blonde Karen und ihre „Busenfreundin“ Cicca (eine Sarvan-Doppelgängerin) geraten über die Grenze ins revolutionäre Mexiko des frühen 20. Jahrhunderts. Beim heißen lesbischen Liebesspiel am Straßenrand werden beide von einer Bande schmieriger Soldaten gestört, aufgegriffen und in ein Gehöft verschleppt. Dort werden beide mehrfach vergewaltigt.

(Wir zeigen einen Zusammenschnitt der folgenden Seiten)

Zu aller Überraschung tritt in dieser Szenerie der schüchterne Sohn des Anführers vor: Emilio entblößt ein Monstergemächt, mittels dessen er Karen bald in eine ungesunde Ohnmacht vögelt (es ist Comedy, Leute!).

Ratlos lässt er ab, da wirft sich Cicca begeistert in die Bresche: Sie ist scharf auf das Riesenteil und lässt Emilio selig pimpern.

Zum Erstaunen aller Anwesenden überlebt sie diesen Koitus – um danach zu schwärmen: „Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich eine rundum beglückte Frau!“ („Je suis une femme comblée!“, auch „ausgefüllt“, das muss er sein, der espritgeladene französische Wortwitz.)

Selten hat man eine Frau so strahlen sehen! Szene aus einer Zeit, als noch die Horrorvokabel „Vergewohltätigung“ kursierte.

 

Ahaaa, den Sex ihres Lebens können Frauen auch unter widrigen Umständen erfahren! Wahrscheinlich muss ‚frau‘ sich bloß drauf einlassen …
Frauenfeindlicher geht es kaum.

(Nichts ist allerdings so schlimm wie die italienischen „Fumetti vietati“ der Achtzigerjahre, hier haben wir es mit veritablen Folterpornos in Comicform zu tun. Da kann einem wirklich übel werden. Ich habe ein paar zu Gesicht bekommen und mehr möchte ich auch nicht sehen.)

Aber kann man Bernet böse sein? Er zeichnet so schick und so niedlich!
Seine Frauen sind Siegerinnen gegen die Schwerkraft (obenrum) und rund um die Uhr geöffnet (untenrum).
Ist das nicht alles nur Satire? Ein Genrecomic, der den Hardboiled-Mythos auf die Spitze treibt?
Jaja, ist aber nicht lustig und mit ein wenig Reflexion als widerlich einzustufen.

Wie gesagt, ich liebe Bernets Stil, aber es fällt schwer, eine Geschichte zu finden, die auf seine glühende Misogynie verzichtet. Das vergällt mir sein Gesamtwerk doch einigermaßen – und darauf gehört hingewiesen.

 

Fußnote:
Mir ist sehr wohl klar, dass die obigen Bildbeispiele grafische Komik enthalten, und zwar meisterlich gehandhabte: Bildausschnitt, Schattenspiel, Mimik, Körperhaltung, Ellipse und Komposition lassen nichts zu wünschen übrig. Bernet ist ein Könner.
Die Frage ist nur, in wessen Dienst er seine Kunst stellt.

 


Anmerkung:
SARVAN ist Teil 3 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics.
Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic.

Teil 2 war Frank Thorne und GHITA.

Tillmann liest: GHITA