Der Künstler (kein Comiczeichner) Ryan Heshka liefert mit seinem auffälligen Comic die volle Packung Americana – dabei ist er Kanadier. Der Autodidakt aus Vancouver ist geprägt von alten Comics und Pulps, illustriert für große Magazine, hat in Europa ausgestellt und legt nun einen Comicband vor, der Beachtung verdient. Nicht für die eindimensionale Crime-Story, sondern für seine irre Hommage an Trashkultur, Film noir und Femmes fatales.
Sein MEAN GIRLS CLUB-Abenteuer namens „Pink Dawn“ (es gab drei Jahre zuvor schon ein Vorstellheft mit den wilden Weibern) fällt durch einen stabilen Hardcover-Umschlag auf und die schrille Zusatzfarbe Rosa! Dieser Comic ist schwarz, weiß, grau und rosa – aber kein vornehmes Sepia oder aufgepepptes Rot, sondern knalliges, ich-stech-dir-in-die-Augen-ROSA!
Heshkas MEAN GIRLS CLUB bietet 100 Seiten, die man immer wieder und wieder fassungslos durchblättert: So was hat man noch nicht gesehen! Allein diese Farbkombination wirkt hypnotisierend.
Die Handlung, ich deutete es schon an, ist simpel, aber herrlich überspitzt: Die sechs Flintenweiber Sweets, Wanda, Wendy, Pinky, Blackie und McQualude führen eine selbst bestimmte Existenz als drogensüchtige Kriminelle – was dem korrupten Bürgermeister ein Dorn im Auge ist. Mayor Schlomo möchte absolute Macht und Kontrolle über sein Städtchen und junge Frauen mit Kindern, Küche und Kirche beschäftigt sehen.
Als ein polizeiliches Killerkommando der Damen nicht habhaft werden kann, schleust das intrigante Stadtoberhaupt die Mechanikerin Roxy in die Bande ein. Die lässt sich auf den Deal ein, weil sie sich Geld und damit Heilung für ihren todkranken Vater erhofft (eine bodenlos kitschig inszenierte Nebenhandlung). Roxy liefert die Damen aus, wird von Schlomo um ihren Lohn geprellt und erkennt reumütig, auf wessen Seite sie sich besser geschlagen hätte.
(Schauen Sie sich in Ruhe ein paar Seiten im Fotokarussell an …)
Der Rest ist rasante Action mit einer Hinrichtung auf dem elektrischem Stuhl, einem mauerbrechenden Panzerwagen, einer Verfolgungsjagd durch den Zoo sowie einem Showdown mit gefräßigen Schweinen in der Villa des Bürgermeisters.
Das ist Trash-Comedy pur, die sich tüchtig an Formeln der Popkultur bedient und diese genüsslich verquirlt (Gewissenskonflikte um gut und böse, mangelnde Gesundheitsvorsorge, ‚bad cops‘, Todesstrafe, mafiöse Sterotypen – auch sektiererisches Christentum in Gestalt des Predigers Prophet Grandly und seiner verschrumpelten Nonne Eldress Krunt (sic!), zwei Figuren, die am Ende als sexuell pervers entlarvt werden).
Heshkas Art der Comicgestaltung ist so eigen wie seine Kunst: Er benutzt nirgendwo Panelgrenzen (‚gutters‘), sondern setzt seine Panels in angeschrägte Bildreihen. Das erzeugt einen leichten Manga-Effekt, der dem inhaltlichen Retrolook zuwiderläuft. Hätte er ein klassisches Layoutmuster zugrundegelegt, hätte der Comic erstarrt gewirkt.
So aber bricht die Moderne ein in seine Vision der starken Frauen. Denn das Buch endet auf einer quasi-emanzipatorischen Note: Die Radionachrichten der „Short Wave New Wave Crime Wave“ laufen um den Globus („Join our revolt!“) und werden von Frauen in Japan, Russland, Spanien und Nigeria diskutiert: „Let’s start a Mean Girls Club!“
Deswegen möchte ich MEAN GIRLS CLUB als modernen Underground bezeichnen.
Dieser Comic lässt sich auch als extremes Statement zur MeToo-Debatte lesen: Unterdrückte, ausgebeutete und indoktrinierte Frauen wehren sich mit Waffengewalt gegen ihre männlichen Peiniger und errichten ein Mafia-Matriarchat.
Natürlich nehmen und meinen wir das nicht ernst, aber mit gefällt die Idee. Gäbe ein tolles Haudrauf-Filmchen im Stil von „Sin City“. Eigentlich ein Stoff für Quentin Tarantino, aber der würd’s versauen mit zusätzlichen Dialogen.
Die schmierigen Männerfiguren, nächtlichen Stimmungen und die ärmlichen Landschaften erinnern an Kinoklassiker wie „Touch of Evil“ und „Night of the Hunter“. Die eng anliegenden Röcke und ziselierten Frisuren sind in vielen Filmen der 1940er-Jahre zu besichtigen und lassen uns heute staunen (trägt kein Mensch mehr).
Heshka lässt uns automatisch an Filme denken, dabei hat er garantiert alte Crime Comics im Blick. Die austauschbare Bande von Damen ist inspiriert von reißerischen Exploitation-Heftchen wie CRIMES BY WOMEN.
(Sehen Sie sich HIER eine Titelbild-Galerie auf der Grand Comics Database an.)
Hauptsächlich scheint mir der MEAN GIRLS CLUB allerdings auf Jack Coles berüchtigter Geschichte „Murder, Morphine and Me“ zu beruhen (veröffentlicht 1948 in TRUE CRIME COMICS Nr. 2). Erst einmal zeige ich die Splashplage dieses Klassikers und dahinter die Seiten 7-9 mit ihren Autorasereien, Schießereien und der allgegenwärtigen Gewalt.
(Müssen Sie nicht lesen, nur für den Bildeindruck.)
Das ist der Ton, den Heshka auch mit seinem MEAN GIRLS CLUB anschlägt. Doch er geht noch weiter. Auf Seite 2 des Cole-Originals findet sich diese Szene einer schrecklichen Bedrohung (der Frau soll das Auge ausgestochen werden, was jedoch nur ein Traum ist, wie das folgende Panel offenbart):
Dieses Bedrohungsszenario fand Eingang in Fredric Werthams berühmtes Anti-Comic-Sachbuch „The Seduction of the Innocent“ – und diente dort als Beispiel für die Verrohung, der Jugendliche im Comic ausgesetzt werden (allerdings präsentierte Wertham NUR das schlimme Panel, ohne den Traumkontext zu offenbaren).
(Bei Interesse am Thema lade ich Sie zur Lektüre meines Kurzessays zum Thema Wertham ein.)
Warum mache ich diesen Exkurs? Weil Heshka Bezug drauf nimmt – und diese Szene in seiner Fassung real werden lässt.
Wendy trägt eine Augenklappe und das ist ganz allein die Schuld von Dr. Wertham! :- )
Auf Seite 83 ist noch ein Bildwitz über „headlights“ versteckt, ein Terminus der Industrie für ausgestellte weibliche Brüste (den auch Wertham kopfschüttelnd zitiert).
Ich vermute, es stecken weitere Zitate aus Comic oder Film im MEAN GIRLS CLUB, ich konnte keine mehr ermitteln (und zwei befreundete Trashfilm-Experten ebenfalls nicht); der Künstler lässt es womöglich nur so aussehen, als kopiere er. Das mag auch der Kern von Heshkas Kunst sein, die uns Motive vorführt, die wir glauben, schon gesehen zu haben.
Hingewiesen sei hiermit auf die Homepage von Ryan Heshka, wo Sie (meiner Meinung nach) jede Menge wundervolle Illustrationsarbeiten studieren können. Ich finde seine naiv-eigentümlichen Fantasien (die fast immer mit Comic zu tun haben) absolut faszinierend.
Schlussbemerkung: Purer Zufall übrigens, dass ich an diesen Comic geraten bin. Ab and zu schaue ich im Kölner „Alias“-Shop vorbei (die Höhle in der Schillingstraße), und da lag der MEAN GIRLS CLUB herum. Einfach so. Manchmal finden Comics mich.
(Am selben Ort lauerte vor knapp zehn Jahren George Suarez‘ Precode-Horrormagazin TALES TOO TERRIBLE TO TELL Nr. 9 auf mich, das den Ausschlag gab, meine Webseite FIFTIES HORROR aufzubauen und mich ins Gleis des Comicjournalismus zu schieben!)
Wahre Geschichte!
Nachtrag:
Ohne eine Antwort zu erwarten, habe ich Mister Heshka mit Fragen nach seinen Quellen bemailt – woraus sich ein netter Mailkontakt entwickelte. Im Anhang spricht Ryan Heshka über seine Einflüsse und die Motivation zu MEAN GIRLS CLUB (im englischen Original belassen):
„Regarding comics, there are tributes to EC comics (“Choke! Good Lord!”), heavy influences from female comics pioneer Tarpe Mills (Miss Fury).
Specific movies: “Bride of Frankenstein” (Franken-Pinky) (one of my fav movies), Roger Corman movies such as “Swamp Women”.
Film noir: I didn’t have many specific film influences, but rather was influenced by certain director’s oeuvres, such as David Lynch, Ed Wood Jr. , Roger Corman, John Waters, Russ Meyer, Dwain Esper, etc. mostly B or underground films.
The two movies you mentioned are on target, though not specific influences (although great films).
I was actually very influenced by the political climate leading up to the election of Trump, so the villains in the book reflected that (crooked violent cops, a piggish politician, sick twisted religious leaders). They form a sort of unholy triumvirate.
My daughter was born as the book was being developed, so I wanted to create something that would be a message to her down the road … although maybe not a directly straight-and-narrow guide to live by – if you know what I mean …
Stylistically, I LOVE the work of Bill Everett from his 1939 to 1955 period.
So I adopted a slick juicy linework for the art. Also love Wolverton, Fletcher Hanks, Chester Gould (and his rogues gallery of villains).
There‘s a bit of 1950s fetish artists in there, too, like Eric Stanton as well as Bill Ward.“
Vielen Dank für die Auskunft, als Bonus noch zwei Fotos einer Ausstellung zum MEAN GIRLS CLUB, wo wir das nachgebaute Clubhaus der Band als Installation präsentiert bekommen.