REQUIEM – the Talking Dead

Das Schöne an REQUIEM ist, dass man diesen Comic in keine Schublade stecken kann. Sie können’s versuchen, aber was ist es denn, bitteschön?
Fantasy? Mystery? Horror? Abenteuer? Märchen? Literaturadaption? Heldenreise? Slice-of-Life? Coming-of-Age? Going-to-Hell?

Es ist von allem ein bisschen zu finden in diesem verrückten, auch zärtlichen Werk, in dem ein Knochenmann, ein Ziegendämon und ein Junge die Hauptrollen innehaben.

Der gefallene Krieger, er heißt Darin, erwacht auf dem Schlachtfeld wieder zum Leben. Offenbar ist viel Zeit vergangen, um ihn herum stehen nur noch Ruinen, nichts regt sich mehr – bis auf eine furchteinflößende, riesenhafte Bestie, die auf ihn zu warten scheint und sogleich einen skurrilen Dialog um ein verschwundenes Buch beginnt.
Dieses Monstrum, das vom Ritter später als „Herr Ziege“ tituliert wird, ist womöglich seine persönliche Nemesis, die ihn damals vernichtet hat und heute weiter verfolgt.

Aus nichtigen Gründen (dem Ritter ist das Buch schnurz, welches die Bestie verzweifelt sucht) kommt es zum Kampf, in dessen Verlauf unser Held entkommen kann. Er fasst den Plan, in seine Heimat zurückzukehren und folgt dem Flug einer Krähe, die dorthin, nach Norden zieht.

Auf dem Weg überwindet er Berge und Täler, duelliert sich mit einem Vogelmonster, wandert durch die Katakomben eines Berg (was mich sehr an eine Szene in der Verfilmung des „Herrn der Ringe“ denken ließ) und unterhält sich dort mit einem Totengräber, der ihn erkennt und Darin zu beerdigen anbietet.

Eine exemplarische Seite für den leisen Humor, den Zeichner/ Autor Albert Mitringer in sein Werk integriert. Die Umsetzung des Stoffs ist ihm heiter gelungen, obwohl wir vordergründig oft mit brutaler Gewalt konfrontiert werden.

 

Den Ritter aber zieht es weiter und in Rückblenden erfahren wir, dass Darin nur deshalb Soldat wurde, weil er seinem Vater Warmond nacheifern wollte und ein Ideal zu erfüllen suchte.
Im Tode ist er nun erfrischend planlos (bis auf die Suche nach der Krähe, die ihn heimleiten soll) und offen für neue Konzepte.
Dies ist der Heldenreise-Aspekt von REQUIEM, ein Abenteuer, das Darin erst antreten kann, als er nicht mehr von dieser Welt ist.

„Die Mühen der Ebene“: Darin quält sich durch ein Überflutungsgebiet, dabei nach der Krähe Ausschau haltend.

Slice-of-Death

 

Mitringers Saga führt uns als nächstes in die Burg eines Basilisken. Im „Herbst“ betitelten Kapitel treffen wir wieder auf den Dämon Herrn Ziege, der hartnäckig einen Platz in diesem Stück behauptet. Im gemeinsamen Kampf gegen den Basilisken „entsteinern“ Darin und sein unwahrscheinlicher Gefährte die früheren Opfer des Monsters – und Figur Nummer Drei gesellt sich zu uns.

Ein Junge namens Jonak heftet sich an Darins Fersen, da er offensichtlich niemanden mehr hat – und ganz ähnlich wie der Ritter nach einer undefinierten Zeitspanne wieder unter die Lebenden zurückgekehrt ist.

Wieder ein Beispiel für Mitringers Humor: Die entsteinerten Menschen flüchten panisch vor ihren Rettern, weil es natürlich „Monster“ sind! Sowohl Darin wie auch Herr Ziege sind im Kampf böse lädiert worden.

So wie ich in  REQUIEM kein Genre entdecke, auf das ich mich festlegen möchte, finde ich auch die Figurenführung unkonventionell. Zunächst bewegen wir uns mit Knochenmann Darin durch den nach Jahreszeiten sortierten Comic.
Der Sommer gehört ganz ihm, doch im Herbst gesellt sich Herr Ziege endgültig an seine Seite – plus Jonak, der fortan die Funktion eines Knappen übernimmt.

Im „Winter“-Kapitel erlaubt sich Mitringer einen Ausflug auf ein Gruselschloss, in dem die alte Vampirin Elizaveta Galeel residiert. Sie kümmert sich um den entkräfteten Jonak, während sich Darin einer weiteren Konfrontation mit Herrn Ziege stellt.

Am Ende serviert uns Mitringer eine verblüffende Volte, die die Kraft der Fantasie in Gestalt von Literatur zum Thema hat. Das Buch, nach dem der Dämon suchte, ist in Jonaks Händen.

Ich muss die Inhaltsbeschreibungen hier enden, weil ich nicht mehr verraten möchte. Außerdem sollen Sie die Poesie des Finales für sich entdecken!

Abenteuer Artwork

Es gibt Seiten in diesem Werk, die lassen einfach nur staunen:

Dieses kleine Schraffuren-Kunstwerk präsentiert uns Albert Mitringer aus dem Grunde, weil er es kann. Er könnte Darin einfach auf die Bergspitze stellen, aber nein, er hängt ihn malerisch in die steile Wand – für den puren Effekt!

Und welch ein herrlicher Effekt es ist. Diese Seite vermittelt uns Weite, Einsamkeit, mystische Natur. (Ein Narr zudem, wer dabei nicht an Casper David Friedrich dächte!)

Sie werden keinen Spaß an REQUIEM haben, wenn Sie nicht Mitringers Zeichnungen goutieren. Denn immer wieder, seitenlang, atmet dieser Comic Landschaften und Architekturen aller Couleur: Festungen, Brücken, Sümpfe, Berge, Höfe, Bäume, Burgen, Seen, Labyrinthe, Treppenfluchten, Galerien …

Man darf, man muss sich treiben lassen durch dieses Werk. Mitringers Artwork ist ein Abenteuer für sich. Siehe das erneute Auftauchen von Herrn Ziege, dessen linke Hand sich bereits in einen Baum krallt, den er sogleich auf Darin schleudern wird.

Einen Kritikpunk allerdings habe ich: Mitunter sind die „Action“-Szenen nicht leicht zu lesen. Die Choreografie der Kämpfe gerät zum Teil unübersichtlich. Oft scheint mir die Kamera zu nah am Geschehen dran zu sein.
Ich zeige drei Seiten der Attacke gegen den Basilisken. Hier wird gesprungen und geschmettert, wobei ich nur mutmaßen kann, wer sich gerade wo befindet und was tut …

Kämpfe (vor allem gegen Monster!) sind eine wilde Sache, aber daran kann Mitringer noch arbeiten.

Ansonsten aber gelingt dem jungen Wiener Künstler vieles ganz zauberhaft. Neben den erwähnten Ganzseitenbildern auch die stilistisch anders gestalteten Rückblenden in Darins Jugend. Bunter Bleistift sorgt für Kontrast und führt uns in eine versunkene Welt, die noch Sonnenschein kennt. Kein Wunder, dass der Knochenritter dorthin zurückfinden will.

Meinen Segen hat er

Ein „Requiem“ bezeichnet eine „Heilige Messe im Gedenken an Verstorbene“.

Albert Mitringer hat ein grafisches Requiem für seinen Knochenmann geschaffen. Opulent, mit feinem Humor, viel Herz – und voller Liebe für das Medium Comic.
Liest und schaut man genau hin, entpuppt sich das Werk nicht nur als Reise für den einen gefallenen Helden, sondern als Entwicklungsgeschichte auch der anderen Figuren. Herr Ziege findet seine Ruhe und auch Jonak wächst in eine ganz bestimmte Aufgabe hinein.

Zwerchfell übrigens rubriziert REQUIEM als „philosophische Fantasy“.

Das mag als Warnung für die gelten, die bei Fantasy Muskelmenschen, wilde Weiber, grause Tiere und Thronfolgeschlachten erwarten. Dieser Comic bietet zwar handfeste Keilereien, zielt jedoch auf Themen, die größer sind als Macht und Herrschaft.

Dieses Requiem feiert das Leben, auch wenn es für manche schon vorüber ist …