Voll reingefallen. Da hatte ich beim Verlag Schwarzer Turm eine Neuerscheinung von Katja Klengel entdeckt und dachte: Wow, eine neue Graphic Novel von ihr!
Stellt sich heraus, es ist eine alte Graphic Novel von ihr. Und zwar schon zehn Jahre alt, arrgghh. Macht aber nichts, ist trotzdem schön – und die Buchausgabe voll und ganz wert.
ALS ICH SO ALT WAR erschien 2012 in hundert Folgen in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. 2018, so informiert Andreas Platthaus im Vorwort, entstand bereits bei Casterman eine französische Veröffentlichung. Dazu hat Klengel ihr Werk in das Buchformat umgearbeitet, das nun auch für das deutsche Publikum vorliegt.
Erzählt wird die Geschichte zweier Frauen, einer Großmutter (Rosalie) und ihrer Enkelin (Lilli). Beide leben in Dresden, haben aber den Draht zueinander verloren.
Die Seniorin Rosalie begegnet ihrer Umwelt schroff und ablehnend, insgeheim hat sie den Tod ihres Mannes vor einigen Jahren noch nicht verkraftet.
Hier sehen wir erst mal die nörgelnde Rosalie am Silvesterabend bei ihren Kindern:
Im Anschluss erleidet die alte Dame einen Herzinfarkt, der die Familie wieder näher zusammenrücken lässt. Enkelin Lilli lässt sich im Krankenhaus blicken, fühlt sich jedoch nicht wohl in der Situation.
Lilli glaubt, ihre Oma möchte den Schmerz über den Verlust ihres Mannes nicht loslassen und sei im Grunde lebensmüde. Das stachelt Rosalie an, mit ihrer Enkelin in Kontakt zu kommen und ihr aus ihrem Leben zu berichten.
Klengel präsentiert uns in den folgenden Begegnungen und Rückblenden Szenen aus dem höchst kontrastreichen Leben der Frauen. 50 Jahre gesellschaftlicher Wandel hinterlassen Spuren. Und während Rosalie in ihrer Jugend keinen Gedanken an Selbstentfaltung verschwenden konnte, hadert Lilli mit der Freiheit, die jüngere Generationen sich nehmen können – oder eben nicht.
Sie sahen die Generationen im Gespräch. Eine Sequenz, die nicht frei von Banalitäten ist, aber ich mag, wie Klengel auf den Punkt kommt und Humor einfließen lässt.
Aufmerksamkeit verdient auch der in der letzten Bildreihe angesprochene Regen. Das meist schlechte Wetter in Dresden und die Stadt selber spielen eine Rolle in ALS ICH SO ALT WAR. Landschaft und Jahreszeiten benutzt Klengel als stimmungsvolle Folie, um das Verhältnis von Oma zu Enkelin über den Lauf mehrerer Monate zu entwickeln.
Die tatkräftige Lilli spielt und singt in einer Band, weiß aber nicht, in welche künstlerische Richtung sie gehen soll. Ihr größeres Problem ist die Beziehung zu ihrem Freund Johannes. Der ist eigentlich super und begehrt sie auch, aber womöglich noch andere Frauen.
Es kommt zu Eifersüchteleien und Lilli zweifelt an Johannes und an sich selber.
Was erwartet Lilli von einer Beziehung, ist sie in dieser Form reif dafür? Und während sie mit Johannes streitet, läuft ihr der hotte Barkeeper Lion über den Weg, zu dem sie sich hingezogen fühlt.
Wie Klengel die Situationen zwischen Lilli und Lion beschreibt und inszeniert, ist erfrischend fernab romantischer Klischees und wird (wie im folgenden Beispiel) mit viel alltagsrealem Witz erzählt:
Lions Sohn Levin ist ein tüchtiger Störfaktor und damit führt uns die Künstlerin auf die Parallele zu Rosalie, die immer für die eigenen Kinder da sein musste und sich mit den Gegebenheiten zu arrangieren hatte.
Rosalie übrigens erwehrt sich den netten Avancen ihres Nachbarn, Herrn Türnau. Der möchte seine grummelige Nachbarin mal ausführen und sie aus ihrer Fixierung auf die Vergangenheit lösen.
So wie Lilli mit Lion, hat Rosalie eine „romantische Option“ mit Herrn Türnau. Beide Frauen stehen somit im Spannungsfeld alter Gewohnheiten und dem Wagnis eines Aufbruchs in eine neue Lebensphase.
Kulminationspunkt der Handlung ist eine „Faschingsparty“ in der Blauen Villa, wo sich die zwischenmenschliche Mischpoke um Rosalie, Herrn Türnau, Lilli, Lion und Johannes eruptiv entlädt.
Was da geschieht, verrate ich nicht, aber zeige noch Oma und Enkelin beim Spaziergang an der Elbe:
Zum Schluss verrate ich noch, dass es zur Trennung von Lilli und Johannes kommt und zeige die Seite, weil ich beeindruckt bin, wie Klengel in sechs Bildern diesen Schlussstrich zieht. Von der heiteren Begegnung mit der Nachbarin im Treppenhaus über das Stichwort „Gepäck“ bis zur Trauer der Verlassenen.
Flotter Strich und flotte Handlung
Klengel hat ALS ICH SO ALT WAR im Eiltempo geschrieben und gezeichnet. Das merkt man dem Band nicht an, er ist im Gegenteil dramaturgisch rund und illustrativ überzeugend. Klengels Outlines sind aussagekräftig, ihr Weiß-Grau-Schwarz-Spektrum ist lebendig und ihre Bildregie ist souverän.
Ich gebe zu, dass mir die jungen Figuren wie Lilli, Luna, Lion etwas stereotyp ausschauen (bis auf Johannes, der trägt einen schäbigen Fusselbart, hähä) – daür sind ihr mit Rosalie und Herr Türnau („Wann nennst du mich endlich Bernd?“) auch grafisch eindringliche Charaktere gelungen.
ALS ICH SO ALT WAR darf sich einreihen in die Werksgalerie gelungener Graphic Novels aus dem deutschsprachigen Raum.
Ich bin ja totaler Fan von Klengels GIRLSPLAINING-Comics und deshalb neugierig auf ihre Arbeiten.
Und jetzt hätte ich gerne etwas Neues von Klengel. Die Homepage der Künstlerin verrät noch nichts in der Richtung. Katjaaaaaa!
Hörst du mein Flehen? Siehst du mein Blättern: