Der eindringlichste Moment ist der, in dem sich der junge Mann (Jaime Reyes, unsere Hauptfigur) in seiner Wohnung vor den Augen der entsetzten Familie in ein riesenhaftes Insekt verwandelt: Schwarzer, brodelnder Schaum bedeckt seinen Körper, seine Extremitäten verformen sich unter sichtbaren Qualen – dann schießt „The Blue Beetle“ durch die Zimmerdecke hinauf in die Stratosphäre, um als neuer Superheld die Welt von oben zu betrachten.
Wow, dachte ich, schmissige Interpretation von Kafkas „Die Verwandlung“!
Macht bitte so weiter: Junger Mann behauptet sich gegen den Vater, junger Mann setzt sich auf der Arbeit gegen fiese Kollegen durch, junger Mann gewinnt souverän seinen Prozess.
Von wegen „Und es war, es sollte die Scham ihn überleben“ …
Es war, als sollte ihm fortan die Welt gehören, hellyeah.
Aber leider ringt und hadert Jaime mit seinen Superkräften, bangt um seine Familie und setzt sich in den Kopf, gegen einen militaristischen Konzern anzukämpfen, der die Beetle-Superkraft für Killerdrohnen ausbeuten möchte.
Seufz. Auf einen kurzen Nennen gebracht:
Just another superhero movie
Dabei ist BLUE BEETLE durchaus sympathisch, wird von guten Darstellern getragen und bietet eine runde Handlung – aber er lässt jede Innovation vermissen. Zwar gibt es nette Nuancen, doch im Ganzen ist der Film nach Formel gestrickt.
Neu ist, dass wir die erste Latino-Besetzung eines Superhelden-Realfilms vor uns haben. Jaime Reyes, der Blue Beetle, wird gespielt von Xolo Maridueña und tritt auf als Mexikaner mit Collage-Abschluss in den USA. Ihm werden aber nur Servicekraftjobs angeboten, bis er auf die Konzernerbin Jenny Kord (Bruna Marquezine) trifft.
Der hilft er, das Beetle-Artefakt aus dem Labor ihrer bösen Stiefmutter zu stehlen, die damit Kampfroboter entwickeln will.
Susan Sarandon gibt die schurkische Victoria Kord und muss schlimme Floskelsätze aufsagen. Was sie teilweise mit amüsanter Performance aufwiegen kann. Zudem befehligt sie mit Leutnant Carapax (Raul Max Trujillo) einen grimmigen, verstümmelten Henchman, dem das Artefakt implantiert werden soll, um ihn zum Superkrieger zu machen.
Zwischen Reyes und Carapax, zwischen dem Beetle und dem Bösewicht, kommt es zu mehreren Schlagabtäuschen, die alle gut inszeniert sind und einfallsreiche Techniken auffahren – doch es ist das übliche Herumgehämmer und Bodengewische mit dem Gegner, das wir in jedem anderen Supermenschenfilm schon gesehen haben. Das erschöpft mich von Beginn an und ich bettele um einen kurzen Verlauf.
Ein Beetle-Battle-Gebettel sozusagen.
Schön ist, dass die Familie des Beetle, der kleine Reyes-Clan in der malerisch-verslumten Vorstadt, gleichberechtigt in den Film eingebunden ist. Vater Alberto (Damián Alcázar) vermittelt Lebensweisheiten, Mutter Rocio (Elpidia Carillo) macht Mut und Schwester Milagro (Belissa Escobedo) sorgt für komische Kommentare zum verwandelten Bruder. Zu erwähnen ist weiterhin Onkel Rudy (George Lopez), der den schrägen Kauz geben darf, der auch mal tatkräftig zur Hand geht und sich als technisches Genie entpuppt.
Dass ein Superheldenfilm ohne ‚human drama‘ und emotionalen Anker flach bleibt, ist jedoch seit Längerem bekannt und bewährtes Stilmittel. Nichts Neues also auch hier.
Die Crux an der Sache ist, dass die Familienchose gegen Ende des Films überhandnimmt. Wenn der Beetle mit Jenny die Festung von Victoria stürmt, sitzt Onkel Rudy am Steuerknüppel des Beetle-Plane und gibt den Bodentruppen Saures, dann schnappt sich Schwester Milagro ein Gadget, um den Angreifern eine Superfaust entgegenstrecken zu können, dann vertauscht plötzlich selbst die Oma (Ariana Barraza) die Nähmaschine mit der Railgun und lässt die Revoluzzerin ihrer Vergangenheit raus.
Das riecht jetzt deutlich nach Comedy und der offizielle Trailer um Film betont diese Note:
Aber auch das ist eben nichts Neues. Ich habe erst vor zwei Monaten hier den neuen FLASH vorgestellt. Der funktioniert über weite Strecken nach exakt derselben Formel, wirkt aber dafür frischer, flotter und fantasievoller.
Abgesehen von der hispanischen Besetzung und Produktionscrew (Regie: Angel Manuel Soto, Buch: Gareth Dunnet Alcocer) ist absolut nichts neu an BLUE BEETLE, und das ist im Endeffekt enttäuschend.
Die ausgestellte Folklore der mexikanischen Einwandererfamilie in der Vorstadt wird darüber hinaus arg klischiert präsentiert (ich hätte mich nicht gewundert, wenn ein Chilaquiles-Rezept der Oma eingeblendet worden wäre) und auch die Origin-Sob-Story des bösen Carapax (grausame Jugend als Kindersoldat) wird als beinahe unfreiwillig komischer Flashback-Holzhammer nachgereicht.
Wäre dieser Film zeitgleich mit Marvels IRON MAN von 2008 herausgekommen, er wäre eine Sensation und eine ebenbürtige Antwort (sowie ein spaßiges Doppelfeature) aus dem Hause DC gewesen.
So aber erscheint mir dieser Film aus der Zeit gefallen. Rein visuell und filmtechnisch konkurriert BLUE BEETLE nicht mit den modernsten Vertretern des Genres, sondern verströmt einen Retro-Vibe; der Vergleich mit dem ersten IRON MAN kommt nicht von ungefähr.
Auch die Merchandise-Optik ist eigenartig Eighties, siehe den Titelschriftzug sowie den Handlungsort Palmira City, der wie Miami aussieht (die Jungs vom „Vice“-Dezernat lassen grüßen).
Noch ein Wort zur Comichistorie
Der Superheld Blue Beetle ist ein steinalter Golden-Age-Superfritze, der 1939 bei Fox Comics entwickelt wurde. Irgendwo in den 1980-er Jahren hat sich DC auch diese Lizenz einverleibt. Tatsächlich hat man 2006 den Latino Jaime Reyes zum dritten Blue Beetle erklärt und ihn von den Teen Titans über „The New 52“ und die „DC Rebirth“ redaktionell durchgefüttert.
Kann gut sein, dass wir mit Jaime Reyes den ersten Latino-Superhelden erleben, denn Spider-Kollege Miles Morales betrat erst 2011 die Szene.
(Na gut, es soll 1974 schon einen „White Tiger“ alias Hector Ayala in Marvels DEADLY HANDS OF KUNG FU gegeben haben, aber wer erinnert sich denn daran?)
Ich habe vor einiger Zeit mal in Golden-Age-Comics gestöbert und nach Vorkommnissen von Adolf Hitler als Comicfigur gesucht. Dabei fand ich auch eine Blue-Beetle-Geschichte. Die stifte ich hier noch im Auszug.
Der Beetle sucht Adolf daheim in Berchtesgaden auf, liest im die Leviten …
… und reißt ihm sein Schnurrbärtchen ab!
Frech. So war der Zweite Weltkrieg wirklich.
Man muss dankbar sein, dass wir solche Schmarren-artigen Comics nicht mehr sehen, dann lieber einen netten Heldenfilm von der Stange, der auch mal ohne Nazis auskommt.