JEREMIAH: Post von der Apokalypse

Ich habe vor ca. zehn Jahren in meiner Kolumne „Der Comic-Snob“ auf dem Portal „Comicoskop“ mal ein böses Urteil über diese Serie gefällt, ich zitiere mich selbst:

„Mit JEREMIAH werde ich nicht so richtig warm. Das liegt natürlich am fehlenden Autor! ANDY MORGAN und COMANCHE entstammen dem Hirn des unvergleichlichen Greg, bei JEREMIAH wagte sich Hermann solo an die Ausfertigung einer Comicserie. Das ist fast immer ein Fehler.
Ich weiß nicht wirklich, worum es in dieser Apokalypse geht. Irgendwelche Leute reiten irgendwo hin, um anderen Leuten ihre kleine Agenda kaputt zu machen. Das ist vollkommen beliebig, bietet verblüffend wenig Spannung – und das Schlimmste: Es kratzt uns nicht.
JEREMIAH plätschert vorüber, ohne groß mein Interesse für irgendwas in diesem Comic (Charaktere, Handlung, Szenerien) wecken zu können.“

Dieses harsche Urteil möchte ich nach nochmaliger Lektüre dahingehend relativieren, dass dieses Sich-drehen-im-Leeren ja auch beinharter Realismus sein kann!
Hat Autor und Zeichner Hermann seinerzeit die damals gültigen Erwartungen in einer Weise unterlaufen, die wir heute (postapokalyptisch gestählt durch etliche Stoffe) anders und milder bewerten?!

Ich illustriere diesen Artikel mit Fotografien aus französischen Schwarzweiß-Ausgaben der Serie, die Hermanns Kunst besonders schön erstrahlen lassen:

Hier sehen wir die beiden Hauptfiguren (Jeremiah und Kurdy), die vor dem vorüberrollenden Warlord Birmingham in Deckung gegangen sind.

Wir schauen nach in den ersten sechs Alben

Als Jugendlicher war ich elektrisiert, als ich seinerzeit Band 1 („Die Nacht der Adler“) in die Finger bekam. Diese 46 Seiten stießen die Tore zu einer neuen Welt auf: Nach einem Atomkrieg ist die Welt verheert und in eine Agrargesellschaft mit Feuerwaffen zurückgefallen.
Der jugendliche Protagonist Jeremiah lebt mit seinem Onkel in einer Festungsfarm, wo die Bewohner wie im Wilden Westen leben. Von außen naht bald Bedrohung in Gestalt des Warlords Birmingham, genannt „Fat Eye“. Der ist ein skurriler Dandy mit Glasauge und Faible für Raubvögel, von denen er auf dem Dach seines gepanzerten Turms eine ganze Voliere unterhält.
Birminghams Männer plündern und zerstören die Siedlung, Jeremiah entkommt durch puren Zufall und macht Bekanntschaft mit dem gleichaltrigen Kurdy Malloy, die zweite (und markante) Hauptfigur des Comics. Kurdy ist kein rechtschaffener junger Mann wie Jeremiah, sondern ein listiges Schlitzohr, gekleidet in einen ärmellosen Schafffellmantel sowie einen Stahlhelm samt Vogelfeder auf dem Kopf.

Jeremiah sinnt auf Rache für seinen toten Onkel, Kurdy möchte sich zurückhalten und einfach weiter seines Weges ziehen. Das ist die Dynamik des Figurengespanns: ein bisschen „good cop, bad cop“.
Schließlich wagt Jeremiah einen Alleingang und Kurdy muss ihn aus dem Festungsturm erretten, wo Jeremiah den hungrigen Raubvögeln zum Fraß vorgeworfen werden soll.

Und wie ich es niederschreibe, überkommt mich eine Assoziation an Märchenprinzessinnen in Bedrängnis. Ich vermute, Hermann spielt mit solch unbewussten Erzählmustern und verwandelt sie in ein neues Narrativ.
Ich fühle mich auch erinnert an einen schmutzigen Film noir wie „Im Zeichen des Bösen“ von 1958, in dem Orson Welles ein korruptes Personal in verkommener Umgebung aufeinanderprallen lässt. 

Immer noch lesenswert ist dieses Auftakt-Album, auch weil uns das Setting heute vertraut ist (dazu später mehr). Die beiden Jungs in dieser kaputten Welt, das vorherrschende Faustrecht, der eigenartige Warlord mit dem Raubvogel-Tick, die Belagerung des Festungsturms und das sich Hinaufkämpfen zur Dachterrasse, der schaurige Showdown.

Jeremiah ist Gefangener von Birmingham auf der Dachterrasse; Kurdy sprengt mit Dynamitpfeilen eine Bresche in die Turmpanzerung.

Ab dem zweiten Band gestalten sich die einzelnen Alben wie die Episoden einer langen Serie: Jeremiah und Kurdy kommen an einen neuen Ort und müssen sich mit den speziellen Verhältnissen dort arrangieren.

In Band 2 („Die Wüstenpiraten“) ist ein Geldtransport überfallen worden und Jeremiah und Kurdy werden in die Sache hineingezogen: Jeremiah führt eine militärische Patrouille an den Ort des Geschehens, während Kurdy in einem Gangsternest mit dem überlebenden Sergeant des Transports um sein Überleben kämpft.
Zwischendrin droht Jeremiah erst in der Wüste zu verdursten, dann vor einem Hinrichtungskommando zu enden. Kurdy hingegen droht erst in einem Kerker zu verschimmeln, dann in einem tödlichen Showdown den Kürzeren zu ziehen.

Es geschieht nichts Ungewöhnliches oder Spektakuläres, aber Hermann inszeniert den Wechsel der Handlungsstränge, diese beklemmenden Vorkommnisse organisch und flüssig von Cliffhanger zu Cliffhanger wie eine Fernsehfolge.

In „Die Wüstenpiraten“ montiert Hermann übrigens eine hübsche (sogar handlungstreibende) Hommage an den Survivalfilm-Klassiker „Beim Sterben ist jeder der Erste“ von John Boorman.
Ikonische Szene dieses Films um vier Freunde, die in der Wildnis der Appalachen jagen gehen, ist der Auftritt des Banjo-spielenden Hinterwäldler-Jungen.
Oft in der Popkultur zitiert, so auch in JEREMIAH, wo dieselbe Figur unter den Gangstern lebt und Kurdy später zur Flucht verhilft.

Der übermütige Kurdy schnappt sich ein Fahrrad und (beobachtet von einer Wache) bruchlandet  damit vor dem Kerkerfenster, in dem der Sergeant gefangen gehalten wird.

Band 3 („Aufstand der Tagelöhner“) ist dann tatsächlich eine sperrige Angelegenheit, in der sich der Autor Hermann verzettelt.
Der Auftakt ist noch gelungen: Kurdy liegt auf der faulen Haut, während der strebsame Jeremiah durch die Gegend streift und Arbeit sucht. Beide kommen zu einer Farm, auf der sie unfreundlich empfangen werden, und geraten in den Clinch entrechteter Bauern mit einem Gutsherrn, der ihnen das Land abgekauft und sie dann zu Hungerlöhnen dort wieder angestellt hat.

Die besseren Sklaven lehnen sich gegen eine Clique von tyrannischen Taugenichtsen auf und Jeremiah, der sich als Leiharbeiter dort einstellen lässt, gerät mitten ins Geschehen und zündet die Revolte, indem er offenbart, dass der alte Gutsherr bereits verstorben ist und nur noch als mumifizierter Popanz vorgeführt wird.

Das sowieso schon mehr sozialkritisch als abenteuerliche Konstrukt dieser Geschichte leidet neben überflüssiger Textlastigkeit auch daran, dass auf der Gegenseite zu viel Personal herumsteht: Da gibt es gleich zwei Hitzköpfe (Briggs und Audie), die das Regime aufrechterhalten, da gibt es eine Anwaltsfigur, die es nicht braucht und auch (wie so oft bei Hermann) eine dekorative junge Frau, die sich als eiskalt berechnendes Luder geriert.

Das hätte man problemlos schlanker und wortkarger gestalten können – zum Beispiel mit einer grafisch erklärenden Rückblende. Doch Hermann, der belgische Meister, ist ein Vorwärts- und Echtzeit-Erzähler der alten Schule, der selbst auf simple Flashbacks verzichtet (mir fällt in seinem gesamten Werk gerade keiner ein).

Ein Moment der Ruhe: Während Jeremiah durch das karge Land zu Kurdy zurückreitet, hat der sich eine behelfsmäßige Dusche konstruiert. Jeremiah erzählt ihm, dass er am nächsten Morgen wieder zu den Arbeitern aufs Werksgelände will.


Ich habe vor sieben Jahren auf dieser Seite meiner Jugendliebe ANDY MORGAN gehuldigt, wo der Zeichner Hermann (noch unter den Skripten des Autoren Greg) diese Art der Abenteuerunterhaltung erlernt und perfektioniert hat.

Seine Art zu erzählen, hat Hermann sein Leben lang nicht verändert. Seine Art zu zeichnen, hingegen schon.

Die drei Stile des Hermann

Der Künstler arbeitet bei ANDY MORGAN noch ganz im Zeichen der Jijé-Schule. Der belgische Comicpionier Joseph Gillain alias Jijé hatte mit seinem Western JERRY SPRING (ab 1954) seine jungen Kollegen Hermann und Jean Giraud (BLUEBERRY) auf den klassischen Bleistift- und Tusche-Stil eingeschworen.

Doch um 1981 herum legt Hermann den Pinsel zur Seite und bedient sich mehr und mehr eines feinen Tuschestifts der Marke Rotring. Spannend ist JEREMIAH auch deswegen, weil wir hier (wie auch parallel bei COMANCHE) den Übergang in diese neue Phase verfolgen können.
(Ich nenne sie für mich die „pointillistische Phase“, weil er mit filigranen Strichen, Punkten und Schraffuren arbeitet, die zugleich detaillierte wie artifizielle Kompositionen ermöglichen.)

So arbeitet er einige Jahre lang (und mir gefallen diese Comics am besten), bis er schließlich Mitte der 1990er-Jahre der Einfachheit halber (und weil ein Hermann es kann!) ganz auf Konturen verzichtet und nur noch mit Farbe inszeniert – das nennt man „Couleur directe“ und wird nur von wenigen Comicschaffenden beherrscht (und überhaupt gewagt).

Doch schalten wir wieder zu JEREMIAH hinüber und schauen in Band 4 („Glutrote Augen“, bei Ehapa zuvor als „Die eiserne Grenze“ erschienen), der bietet wieder mehr Aktion und Schauwert – obwohl nicht wirklich viel mehr geschieht, als dass einige Leutchen von hier nach da und zurück laufen!

Jeremiah und Kurdy stoßen in die „Neue Rote Nation“ vor, eine karge Wüste mit Stachelbäumen, die diese Region auf natürliche Weise vom Rest der Welt abschirmen.
Sie suchen nach Spuren der in Band 1 aus Brends Hatch verschleppten Siedler und retten tatsächlich Jeremiahs Tante Martha, die der Serie als Mutterersatz eine Weile erhalten bleiben wird.

Lesenswert machen dieses Album drei Dinge: Hermanns originelle Landschaft, die als eigener Akteur gelten darf. Dann die Darstellung der indigenen Bewohner, die ihre kommunistische Kommune in Ledermonturen und mit Dampfwalzenfahrzeugen patrouillieren.
Sowie drittens der Gastauftritt eines skurrilen Söldners, der als Zirkus-Akt mit einem Riesenaffen mit „glutroten“ Laser-Augen unterwegs ist und unsere Freunde ausliefern möchte.

Hier sehen wir Pinkas, den Söldner im Musketier-Look, der seine Kreatur Idiamh ein Siedlerkind als Geisel über eine Schlucht halten lässt. (Achten Sie auch auf Hermanns eigenartige Inszenierung: wechselnde Kameraschüsse von oben und unten vor einem bleichen, zerfetzt wirkenden Himmel, hinter dessen geheimnisvollen Schlieren sich die Sonne versteckt.)


Apokalypse? Da simmer dabei!

Kurzer historischer Zwischenstopp: Was ist überhaupt zum Genre der Postapokalypse zu sagen? Wie ist es mit dem Comic verbunden?

Hermann begann nach der Kollaboration mit Greg, eigene Geschichten zu schreiben und realisierte so für das deutsche Magazin ZACK als Autor und Zeichner in Personalunion die Serie JEREMIAH (wobei die deutschen Herausgeber den Titel frecherweise zu DAVID WALKER veranglifizierten; unter diesem Namen liefen die zwei ersten Bände, dann schwenkte man auf die Originalbezeichnung um, als ab 1984 die Lizenz zu Egmont-Ehapa wechselte).

Die Serie startete 1978 im Heft und wurde auch im frankobelgischen Raum ein Hit: So wurde der erste Band 1980 mit dem renommierten belgischen Prix Saint-Michel ausgezeichnet.

JEREMIAH war ein erstaunlich erwachsenes Angebot. Wir befinden uns zwei Jahre vor der Comic-Offensive des Volksverlags, der mit dem Magazin SCHWERMETALL in deutscher Lizenz die nicht mehr jugendlichen Stoffe aus Frankreich präsentierte.

Mir scheint sogar, Hermann hat mit JEREMIAH das Genre der Postapokalypse-Comics erfunden – zumindest in Europa!

In den USA entwirft nämlich Jack Kirby schon 1972 auf Vorschlag des Verlags DC die Serie KAMANDI, THE LAST BOY ON EARTH. Dabei greift der Künstler auf ein älteres, unbenutztes Skript zurück.
KAMANDI spielt auf einer Erde der Zukunft, verheert durch ein nukleares Unglücks-Szenario (womöglich ein Dritter Weltkrieg, wird aber nicht ausdekliniert).
Der Junge Kamandi interagiert in diesem Comic mit intelligenten Tieren, die sich im Zuge der Katastrophe entwickelt haben.

Die Idee zu KAMANDI stammt vom populären Film „Planet der Affen“, der seit 1968 eine Fangemeinde sein Eigen nennt. Hier haben wir es jedoch eher mit fantastischer Science Fiction zu tun, die sich erst im Twist zum Finale als Postapokalypse entpuppt!
(Die Buchvorlage spielt auf einem anderen Planeten.)
Der Erfolg animierte die Konkurrenz bei Marvel, ab 1974 auch Comics zum PLANET DER AFFEN zu produzieren.

PLANET DER AFFEN kam zeitnah (1975) in deutscher Lizenz auf den Markt, KAMANDI ist meines Wissen hier niemals zu sehen gewesen. Ich bezweifle, dass es in Resteuropa anders gelaufen ist.

Der andere große Pionier der Postapokalypse ist Richard Mathesons Roman „I Am Legend“ von 1954: Hier haben wir es mit irdischer Zerstörung und dem Niedergang der Zivilisation zu tun – jedoch aufgrund einer Pandemie, die ihre Opfer zu mörderischen „Vampiren“ macht!
Das ist die Ausrichtung ins Genre Horror, der George Romero später zu „Night of the Living Dead“ inspirieren und die Zombiewelle auf die Popkultur loslassen wird.

Zurück zu unserer JEREMIAH-Lektüre.

Band 5 („Der Pakt“, bei Ehapa zuvor als „Gefangen für die Ewigkeit“ erschienen) zeigt uns Jeremiah und Kurdy, die bei Tante Martha logieren und deren kleine Farm am Laufen halten. Es naht Besuch in Gestalt von Mr. Stonebridge und seiner hübschen Gefährtin Cheryl.

Stonebridge kauft Kurdy für einen Job ein, dessen Inhalt aber im Dunkeln bleibt. Und während die beiden zu einer Fabrik reiten, wo Kurdy sein Geld bekommen soll, freunden sich Jeremiah und Cheryl an.

Was unsere Freunde nicht wissen: Stonebridge und Cheryl sind „Fänger“ für einen geschniegelten Professor, der eine perverse Schönheitsklinik betreibt.
Dort erhalten reiche Menschen ein Vitalitäts-Serum, das sie jung bleiben lässt – auf Kosten von armen Seelen wie Kurdy, der nun eingesperrt und gegen seinen Willen behandelt und seiner Lebenskraft beraubt wird.

Der gewissenlose Stonebridge kehrt zur Farm zurück und lockt nun Jeremiah in die Klinik, unter dem Vorwand, Kurdy sei krank und brauche seine Hilfe. Jeremiah ahnt jedoch, dass er in eine Falle geht und richtet ein Tohuwabohu an, in deren Verlauf die ganze Organisation zerstört wird.

In einen Showdown mit Stonebridge mischt sich Cheryl ein, die Gefühle für unsere Burschen bzw. ein Gewissen entwickelt hat.

Mal eine bukolische Szene, unterbrochen von nahender Gefahr, die Hermanns Meisterschaft der Atmosphäre zeigt: Cheryl und Jeremiah kümmern sich um ein lahmendes Pferd, als Martha auf dem Hügel einen Reiter erspäht.

Die Glaubwürdigkeit des Plots ist mehr als fraglich, vor allem, was die medizinische Prozedur angeht: Möglichst gesunden Menschen wird auf ungeklärte Weise ihr „Lebenssaft“ entzogen, damit reiche Senioren diesen wie einen Vitamindrink konsumieren und ihr Alterungsprozess aufgehalten wird?
Tschä. So einfach kann es nicht sein. Isses im Comic aber doch.

Aber das Thema ist natürlich durch die Menschheitsgeschichte virulent – von der „Blutgräfin“ Elisabeth Bátory und experimentelle Kryo-Therapien über Missbrauch in Sachen Organhandel bis zu jüngsten Diskussionen um genetische Zellmanipulationen.

So war der skurrilste Beitrag zur Europawahl 2024 eine „Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung“, die mit Slogans der Sorte „Altern ist heilbar“ Interessierte an die Wahlurne locken wollte.

Band 6 („Die Sekte“ bei Ehapa zuvor als „Sekte der Gesichtslosen“ erschienen) ist in meinen Augen einer der Höhepunkte der Serie, denn Hermann gelingt es hier, zwei Handlungsfäden organisch zu verflechten und in einem actiongeladenen Finale zusammenzuführen.

Da sind zum einen Jeremiah und Kurdy, die sich „on the road“ befinden – sie arbeiten mit den Ex-Militärs Grehan und Lessley als Geleitschutz-Truppe für den reichen Mister Graig, der per Wohnwagen-Kutsche samt Frau und Sohn durchs Land reist.
Parallel dazu erleben wir die Rekrutierungsversuche zweier junger Männer, die für die Sektengemeinschaft eines Oberpriesters namens Smith auf Missionsreise sind. Sie ernten bei den Bauern der Umgebung nichts als Spott und revanchieren sich für diese Schmähung ihres Gottes mit Gewalt.

Und während unsere Reisegesellschaft mit schlechten Straßen und Nahrungssuche kämpft (und dabei den bärbeißigen Sprengstoffexperten Peter kennenlernt), geht den Sektenbrüdern ein religiöses Artefakt verloren, das sie ihren Weg mit unseren Hauptfiguren kreuzen lässt.

Die Bekanntschaft mit Peter erweist sich als nützlich, denn er kann ihnen den Weg freisprengen, als die Kutsche auf ein Hindernis trifft.
(Ich zeige einen Bergsturz, den Hermann auf zwei Seiten auf seine majestätische Weise inszeniert):

Das besagte Amulett gelangt in die Hände von Straßenräubern, die den Reise-Konvoi überfallen und aufreiben – da naht Rettung in Gestalt der religiösen Fanatiker. Sie verjagen die Angreifer und eskortieren die teils verwundeten Reisenden in ihre Sektensiedlung.

Was anfänglich wie Gastfreundschaft aussieht, entpuppt sich rasch als Gefangennahme nach dem Motto „Schließt euch uns an oder sterbt“!
Und als sich des Nachts gespenstischer Nebel herabsenkt, schleichen maskierte Sektenanhänger mit Mordabsichten ums Haus.
Mit unerwarteter Hilfe von außerhalb können sich Jeremiah, Kurdy und die Graig-Familie aus dem Staub machen und diesen Alptraum abschütteln.  

Hier haben wir den „Nebel des Grauens“: Fackeln erleuchten eine skurrile Szenerie, in der Opfer der Sekte wie Mannequins zur Schau gestellt werden. Gutes Beispiel für die filigrane Arbeit Hermanns mit seinem Filzstift.


Hermann hat „Die Sekte“ fein getaktet und wechselt von umwerfend schönen Landschaften in Berg und Tal zum atmosphärischem Grusel einer hermetischen Kultgemeinschaft.

Ich beende hier meine Band-zu-Band-Besprechung und lade Sie ein, die Serie JEREMIAH selbst weiter zu entdecken.

Die späteren Bände sind nicht alle gut, vor allem die jüngeren nicht mehr (ab Nummer 20 entgleisen sie auch gerne mal bzw. drehen nun tatsächlich im Leeren), ich habe auch nicht alle gelesen.
Erinnere aber noch einige fantastische Einfälle und grandiose Settings, so in den Nummern 7 („Afromerica“), 11 („Explosive Beute“), 14 („Simons Rückkehr“) oder 18 („Ave Caesar“).

Erster in der Postapokalypse!

Ist Hermann dann leider doch nicht! Dennoch ist er in meinen Augen der Vater des realistischen Postapokalypse-Comics, denn seit1978 sind bis heute 40 (!) Bände der Serie JEREMIAH erschienen.

Er ist am Ball geblieben, doch das Genre-Pionierabzeichen gebührt seinem französischen Kollegen Claude Auclair, der schon 1973 seinen SIMON VOM FLUSS die Überlebensmühen der Postapokalypse schmecken ließ.

Ich muss gestehen, diese Serie von insgesamt zehn Alben (momentan bei CrossCult unter diesem neuen Titel wiederveröffentlicht) nie verfolgt zu haben. SIMON ist wahrscheinlich noch realistischer und stellt JEREMIAH in dieser Hinsicht glatt in den Schatten, womit dieser ganze Beitrag eigentlich hinfällig wird, aaargghh.

Wie gesagt: Ich mochte den Auclair damals nicht, weil er nicht die Schmissigkeit und die Schauwerte eines Hermann aufweisen konnte.

Ein Fakt aber bleibt gültig: SIMON und JEREMIAH haben damals was losgetreten.

Von zahllosen weiteren Apokalypse-Comics seien ein paar prominente Serien genannt:

GUNG HO, Y THE LAST MAN, AKIRA oder UNDISCOVERED COUNTRY.
(Achtung: Zombie- und Fantasy-Stoffe nicht mitgezählt!)

Wir sind mittlerweile vertraut mit dem Ende der Welt. Bewerte ich die Serie deswegen heute milder als bei der Erstlektüre?

Hermann mag mit seiner fatalistischen Haltung seiner Zeit voraus gewesen sein.

Oder ist uns inzwischen so viel Hoffnung flöten gegangen, dass wir den Nihilismus der Serie achselzuckend hinnehmen?

Und was ich erst heute bei den Recherchen erfahren habe: Es existiert eine US-amerikanische Fernsehserie (20 Jahre alt), die in zwei Staffeln und 34 Episoden auf dem Comic von Hermann fußt und „Jeremiah, Krieger des Donners“ heißt!

Die allerdings sieht absolut grässlich aus!

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