Heldinnenzeit: SUPERGIRL + CATWOMAN

Zwei DC-Superfrauen kreuzten meinen Schreibtisch. Wer mich kennt, mag sich wundern, denn Supermenschen sind nicht meine normale Lektüre. Aber wenn solche Comics kunstvoll gestaltet sind und frische Perspektiven bieten, bin ich ab und zu dabei (s. DOCTOR STRANGE, MS. MARVEL, BATMAN DAMNED).

Also studierte ich SUPERGIRL – WOMAN OF TOMORROW von Tom King (Text) und Bilquis Evely (Zeichnungen) sowie CATWOMAN – LONELY CITY von Cliff Chiang.

Beginnen wir bei dem Mann, der in jahrelanger Feinjustierung und Abstimmung mit seinem Redakteur auf 200 Seiten seine Vision von Catwoman erarbeitete: PAPER GIRLS-Zeichner Cliff Chiang.

Der hat mir mit seinem Artwork in dieser Zusammenarbeit mit Brian K. Vaughan schon imponiert und begeistert mich auch hier restlos: Chiang beherrscht einen klassisch fetten Tuschestrich, den er für plakative Outlines einsetzt und noch dazu mit klarem Lettering und mutigen Farben zu zaubern weiß. Ein Comic aus seiner Hand sieht automatisch attraktiv aus.

CATWOMAN – LONELY CITY beginnt mit Selina Kyles Entlassung aus dem Gefängnis. Gealtert, einsam, abgebrannt kehrt sie per Bus nach Gotham City zurück. Zehn Jahre war sie eingesperrt, was ist geschehen?
Batman ist tot, er starb in einer finalen Konfrontation mit dem Joker (die grauenvolle „Fools Night“ vor eben zehn Jahren), sie konnte ihn nicht retten, sondern wurde verhaftet – wie sämtliche Supermenschen verbannt wurden oder in den Untergrund gehen mussten.

Mit harter Hand regiert Harvey Dent/ Two-Face die Stadt als Bürgermeister, der die Ordnung mit Hilfe einer paramilitärischen Polizei in martialischen Outfits und Überwachungstechnik von Wayne Corp. unterdrückt. Er möchte in vier Wochen wiedergewählt werden und die Gentrifizierung von Gotham vorantreiben.

Seine Gegenkandidatin ist Barbara Gordon/ Nightwing, die sich seinen monetären Interessen entgegenstellt und die Bürgerschaft zum Widerstand aufruft. Selina lässt sich in den Konflikt hineinziehen, weil sie pleite ist und Freunde braucht (zugleich hofft Harvey Dent, ihr Comeback als Catwoman für Law-and-Order-Propagandazwecke ausschlachten zu können).

Das ist leider die einzige Szene mit dem altgewordenen Pinguin, der ein Offshore-Casino betreibt! Selina wird von ihm kaltgestellt (der freche Kerl macht ihr noch ein Angebot, als Servicekraft bei ihm anzufangen!).

Die Handlung an sich ist einfach gestrickt, aber Sie bemerken vielleicht schon, dass es Chiang um die Figuren geht und ihre aktualisierten Beziehungen zueinander. Die Charaktere sind lebendig und interessant, die Dialoge sind auf den Punkt, das Timing ist eine Freude: langsam genug, um zwischenmenschlichen Befindlichkeiten Raum zu geben; und knackig, dennoch übersichtlich dort, wo Aktion verlangt ist.

Selina/ Catwoman sucht nach alten Bekannten und Verbündeten – und wird fündig bei Edward Nygma/ Riddler, der mit seiner Tochter Edelia lebt (die gerne in die Fußstapfen bzw. Pfotenspuren Catwomans treten würde). Jason Blood/ Etrigan wird noch ins Boot geholt, um einen Einbruch in die seit Batmans Tod versiegelte Batcave zu stemmen.
Auch mit von der Partie ist Pamela Isley/ Poison Ivy, die imponierende Auftritte hinlegt sowie Waylon Jones/ Killer Croc. Letzterer ist ganz wild drauf, wieder auf den Putz zu hauen.

Doch zunächst müssen Ressourcen beschafft werden. Ein erster Raubzug geht in die Hose, doch beim zweiten Mal können sie eine Probe eines neuen Industrie-Düngers aus den Laboren von „Ace Chemicals“ entwenden („Is it true that the chemicals here made the Joker?“) und Poison Ivy aushändigen.
Die stellt anschließend ihr Know-how zur Verfügung, um die Batcave zu knacken.

Im Bild zeige ich noch das herrliche Entrée von Poison Ivy, die inkognito eine „Starbucks“-ähnliche Kaffehaus-Kette namens „Lady Green Beans“ betreibt:

Welches Poster hätten‘s denn gerne?

Chiang entwickelt nicht bloß intelligente Fortschreibungen der DC-History, er erlaubt sich auch erfrischend ironische Anspielungen auf die gesamte Vergangenheit der Figur Catwoman, nicht nur dieses Leben der Selina Kyle. Ein Hauch von Meta-Ebene also, wenn wir über die Kostüme der Figur durch die Jahrzehnte reden!

Der junge Helfer Winston gesteht Selina, er habe ihr Poster an der Wand gehabt. Die fragt nach: „Welches denn?“ und Winston stammelt „Das mit dem … ähm … Mond … und dem … äh … lila Kostüm“ – weil ihm in diesem Moment aufgeht, dass ihm die sexualisierte Darstellung von Catwoman gefallen hat. Schauen Sie, wie charmant Chiang diese Szene wiedergibt:

Die Frauen stehen lächlend drüber: Selina und Winstons Mutter Rowena.

An anderer Stelle erzählt Edelia, auch sie habe ein Poster von Catwoman besessen, allerdings das schwarze Kostüm mit der Nachtsichtbrille. Kommentiert Selina mit schelmischem Seitenblick auf Winston: „Gute Wahl.“

Mehr darf ich nicht verraten über CATWOMAN – LONELY CITY. Im letzten Teil fliegen die Fetzen: Erinnerungen an Batman werden rekapituliert, es gibt Opfer und einen zu Herzen gehenden Schluss.
Ich hatte fast keine Ahnung von der Figur Catwoman, habe auch sonst keine Serie gelesen (nicht mal die von Darwyn Cooke), doch die hier vorgestellte Version hab ich wirklich gern.
(Auf Deutsch bei Panini, allerdings in zwei Teilen.)

Supergirl fliegt wieder!

Die Comicfigur Supergirl ist höchst obskur. Die Publikationsgeschichte ist lang und wirr (nicht ungewöhnlich bei Supermenschen). Ich werde nicht darauf eingehen, möchte nur sagen, dass SUPERGIRL – WOMAN OF TOMORROW meine erste Begegnung mit diesem Charakter war.
Als TV-Serie scheint „Supergirl“ zu funktionieren (nicht gesehen), aber im Comic war Supergirl niemals relevant oder überhaupt sonderlich präsent.

Jetzt aber hat sich Tom King der Figur angenommen (vielleicht genau deswegen). King greift sich gerne Randerscheinungen wie THE VISION oder MISTER MIRACLE, um sich diesen Figuren einzuschreiben, ihnen seinen Deutungs-Stempel aufzudrücken.
Das gerät ihm mittlerweile schon zum Hobby: „Und was machen Sie so?“ – „Oh, ich möbele Superhelden auf.“ – „Wie bitte, Sie vermöbeln Superhelden?“ – „Nein, nein, ich verleihe ihnen neuen Glanz und Wertigkeit.“ – „Na, Sie sind mir ja einer.

Superschrauber schlägt wieder zu!

King greift für seine Version von Supergirl eine Prämisse aus dem WesternklassikerDer Marshal/ True Grit“ auf. Darin tötet der gewissenlose Outlaw Tom Chaney den Vater der jungen Mattie Ross; die nimmt daraufhin die Verfolgung des Mörders in die eigene Hand und engagiert als versierten Kopfgeldjäger das Rauhbein Rooster Cogburn; gemeinsam bestehen beide einige Abenteuer und bringen den Übeltäter zur Strecke.

(So sehr ich die Coen-Brüder und Jeff Bridges mag, schauen Sie sich bitte nicht das Remake an, sondern das Original von 1969 mit John Wayne und Kim Darby – eben weil dieser Film in seiner Machart und mit seinem Personal seiner Zeit voraus ist.)
SUPERGIRL – WOMAN OF TOMORROW eröffnet mit der Ermordung des Vaters der jungen Ruthye Knoll. Die zieht los und macht sich auf die Suche nach dem Mörder, dem gewissenlosen Krem of the Yellow Hills. In einer Taverne trifft sie per Zufall auf eine mutige, nahezu unverwundbare Frau: Supergirl.

Supergirl hatte sich inkognito auf Ruthyes Heimatplaneten geschlichen, um dort in Ruhe ihren 21. Geburtstag zu feiern. Das tut sie mit einem einsamen Besäufnis!
Nachdem sie Ruthye vor einem Schläger gerettet hat, hat sie einen Filmriss und erwacht am nächsten Morgen in Gesellschaft der seltsam ernsten jungen Frau, die sie als Kopfgeldjägerin anheuern möchte.

Da ist die erwähnte Prämisse und da ist auch schon eine Menge von Tom Kings Handwerk präsent: die Aufstellung der Figuren und die Etablierung des Tons der Geschichte. Supergirl ist keine unnahbare Heldin, sondern bloß ein Mensch, der die Erinnerung an sein Schicksal (Untergang Kryptons) auch mal mit Alkohol betäuben möchte.

Ruthye ist die junge Naive, die stur ihr gestecktes Ziel verfolgt und sich überdies einer herrlich geschwollenen Redeweise bedient. Supergirl dagegen flucht wie ein Trucker und hat schon alles Elend des Universums gesehen. Zudem begleitet uns Ruthye als Ich-Erzählerin in der Rückschau.

Das heißt, Ruthye präsentiert uns ihre Abenteuer mit Supergirl aus einer Sicht, die schon weiß, was noch kommt. Hier eine Beispielseite vom Beginn ihrer Reise: Krem der Killer nämlich hat Ruthye und Supergirl am nächsten Morgen überfallen, ihren Hund Krypto schwer verletzt und Supergirls schickes Raumschiff gestohlen.

Jetzt hat auch Supergirl ein Hühnchen mit Krem zu rupfen und akzeptiert Ruthyes Angebot. Beide verfolgen den Bösewicht monatelang durchs Weltall und lernen sich dabei gemeinsam kennen.
Autor King schmückt diese Odyssee mit viel Humor und Alltagsszenen aus, was so gar nicht nach „Superheldencomic“ ausschaut: Supergirl erklärt dem Farmersmädchen Ruthye die Dinge des Lebens (und wie man sich überhaupt die Hände wäscht!), gemeinsam gondeln sie mit überfüllten Weltraumbussen von Planet zu Planet – und stolpern in Abenteuer, die uns die Figur Supergirl nahebringen.

Krem ist den Frauen immer einen Schritt voraus und begeht mit einer Bande von Banditen kolossale Verbrechen und veritable Genozide, während Supergirl so anständig ist, hinter ihm aufzuräumen.
Hier eine bewegende Szene, in der sie einem Überlebeden hilft, Dutzende Leichen eines Krem-Massakers zu beerdigen.

Das beeindruckendste Kapitel ist Nummer 5 (von 8): Mithilfe einer magischen „Mordru-Kugel“ hat Krem seine Verfolgerinnen auf einen entfernten Planeten gebeamt. Tückisch daran ist, dass dort eine grüne Sonne scheint – und Supergirl ihre Kräfte verliert.

Beide durchleben (fast in Echtzeit) einen höllischen Tag, bis die Sonne nach neun Stunden untergeht und Supergirl wieder aktiv werden kann. Bis dahin liegt sie quasi gelähmt unter einem Felsen und Ruthye steht Wache. Urzeitliche Dinos trampeln durch die Gegend und Ruthye beweist Heldinnenhaftigkeit auch ohne ihre Beschützerin, denn sie kann eine Panzerechse erlegen.

Die Kunst von Autor King besteht darin, hier einen Rollentausch vorzunehmen und die beiden Frauen in einer aufopfernden Freundschaft zu porträtieren. Gemeinsam gehen sie durch dick und dünn und trotzen allen Widrigkeiten.
(Nebenher setzt es auch einen ironischen Seitenhieb auf den fabelhaften Vetter Superman, siehe folgende Seite):

Kapitel 6 nutzt King, um uns seine Backstory von Supergirl zu präsentieren. Während sie auf ihrem Pferd Comet durchs Weltall jagt, erinnert sie sich an Kryptons Untergang. Sie war ein Mädchen von 14 Jahren, als ihr Vater sie in einer Rakete fortschickte (ähnlich wie bei Superman).

Die Nuancen dieser Katastrophe (im Vergleich zu Supermans Schicksal) machen allerdings die Musik und liegen 1.) darin, dass ihr Vater kein großer Wissenschaftler war und keine Rakete bauen konnte, die gezielt zur Erde fliegen konnte, sondern bloß eine Rettungskapsel, die irgendwo im Universum herumdriften würde – und 2.) das Mädchen Supergirl zuvor monatelang den Zerfall und die Zerstörung Kryptons miterleben musste (sowie den Tod aller Menschen um sie herum) und sich im Versuch, das Unabwendbare hinauszuzögern, immer wieder bis zur Erschöpfung verausgabt hatte.
(Während der feiste Vetter als pralles Baby bequem in einer neuer Familie aufgenommen wurde.)

Das sind nette feministische Sticheleien auf die männliche Heldenfigur, die alle kennen und lieben. Aber wer macht die wirkliche Arbeit? Wer wird noch dazu dumm angemacht, weil er mit Superman verwandt ist?

Ruthye und Supergirl sind in ihrer Verlusterfahrung echte Schwestern und müssen in den beiden letzten Kapiteln die Schlacht gegen Krem und seine Banditen bestehen wie auch den Kampf gegen die inneren Dämonen – die ihnen einflüstern, doch alle diese Kerle ohne jede Gnade abzumurksen.
SUPERGIRL – WOMAN OF TOMORROW ist eine Freundinnen-Geschichte um Rache und Vergeltung sowie die traumatischen Prägungen, die Menschen in ihrer Jugend erfahren. Verpackt in einen Super-Fantasy-Roadmovie-Western.

Bleibt das Artwork von Bilquis Evely zu erwähnen, achwo zu preisen. Die Künstlerin ist seit über sechs Jahren für DC tätig und hatte ihre Finger schon an WONDER WOMAN und THE DREAMING. Ein Mega-Talent, wie ich finde, und eine wunderbare Ergänzung zu Kings nüchterner Schreibe.
Ihre Figuren wirken zwar stereotyp und idealisiert (und haben alle diese funkelnden „Diamanten-Augen“), aber was kann die Frau für Schauwerte entfachen! Ohne dabei in gängige und ausgelaugte Superhelden-Action zu verfallen. Im Gegenteil bedient sich Evely eines ornamental-altertümlichen Stils, den man in diesem Genre noch nicht gesehen hat.
(Und ab und zu verpasst sie mir mit ihren Kreationen einen klassischen FLASH-GORDON-Vibe.)

Krasse Kombi, wirkt bombastisch. Ich stifte noch eine Seite vom Anfang, wir haben ja Krem noch gar nicht gesehen. Den Bösewicht, den Evely wie einen Robin Hood mit Pfeil und Bogen gestaltet. Hier schaltet er erst Supergirls Hund Krypto aus, dann spickt er seine Gegnerin mit Geschossen!

Also: Supergirl ist supergut?

Vom gendersensibel-feministischem Standpunkt aus könnte man einwerfen: Muss denn die Frau als gütige, aufopferungsvolle Krankenschwester dargestellt werden?! Darf sie selbst mit diesem „Superanspruch“ keine Verzweiflung zeigen, keine dunkle Seite offenbaren?
Doch dann präsentiert King ganz zum Schluss noch einen irritablen Moment, den ich natürlich nicht verraten werde …
SUPERGIRL – DIE FRAU VON MORGEN ist unter diesem Titel auch auf Deutsch bei Panini erhältlich.

Heldinnenzeit plus One

Genau genommen sind mir in letzter Zeit nicht nur Catwoman und Supergirl begegnet, sondern auch noch Poison Ivy. Deren Neuinterpretation durch die Autorin G. Willow Wilson habe ich für die aktuelle Aufzeichnung des „Comictalks“ mit Hella von Sinnen gelesen.

POISON IVY – METAMORPHOSE heißt der Auftakt dieser neuen Serie und ich war skeptisch, ob er mit dem schönen Auftritt der Figur bei Cliff Chiang mithalten kann.
(Ich verrate in einem Satz schon mal: Nicht so ganz, aber das kann vielleicht noch werden.)

Das Besprechungsvideo mit Hella, mir, Andreas Eikenroth und Dirk Tillenburg ist inzwischen online und kann HIER angeschaut werden.

Bis dahin noch schnelle Blätter-Eindrücke der zwei anderen Werke: