DAMN THEM ALL ist verdammt interessant

Horrorcomics gibt es wie Sand am Meer, aber der hat mich nochmal beeindruckt.

Gut, Autor ist Simon („Si“) Spurrier, der hat ein Händchen für das Genre, siehe sein Fragment gebliebenes CRY HAVOC oder seinen gekonnten HELLBLAZER-Relaunch von 2019, hier auch besprochen.

Den hatte DC (aus mir unbekannten Gründen) abgesetzt – und Spurrier scheint sich im Anschluss mit DAMN THEM ALL beim Konkurrenzverlag Boom getröstet zu haben.

Und wenn wir ehrlich sind, ist der Comic nah, sehr nah am HELLBLAZER-Universum angesiedelt. Eigentlich ist Onkel Alfie John Constantine, der seine Nichte Ellie Hawthorne in die dunklen Künste der Magie einführt.

Ellie lernt, es gehen zwölf Jahre ins Land, Onkel Alfie stirbt und nun setzt die Handlung ein.

Auf der Trauerfeier nach seiner Beerdigung trifft sich die Londoner Unterwelt und Gangsterboss Frankie Wax wird von einem Dämon überfallen!

Ellie, die als magische Beraterin und Frau fürs Grobe in seinen Diensten steht, ist alarmiert. Sie weiß aus Erfahrung, dass die Anrufung eines Dämonen ein schwieriges Ritual ist, das Opfer verlangt und für den Ausführenden nicht ungefährlich ist.

Aber plötzlich tauchen überall Fürsten und Herzöge der Hölle auf, die im Dienste irgendwelcher Kriminellen zu stehen scheinen und fraglos Menschen umbringen.

Frankie und Ellie sondieren die neue Situation:

Ellie warnt ihren Boss davor, sich ebenfalls dieser Mittel zu bedienen. Doch natürlich will nun jeder Gangster in London seinen persönlichen Dämon, um seine Macht über die Konkurrenz zu zementieren.

Der oben im Bildbeispiel angesprochene „500 Club“ ist die Geheimgesellschaft britischer Okkultisten, die in Gestalt ihres Mitglied Theo Bolster dick mitmischt und so viele Dämonen sammelt, wie sie zu packen kriegt.

Das funktioniert mit Hilfe einer magischen Münze (einer pro Dämon), wie im nächsten Beispiel vorgeführt. Ein Konkurrent von Frankie hat eine solche – und als Frankies Jungs ihn abführen wollen, entfesselt er Andromalius. Dieser Höllengraf hat die Fähigkeit, „schlechte Menschen zu bestrafen“ und macht (übrigens widerwillig!) kurzen Prozess mit den Angreifern.

Ellie und die auf die Szene stürzende US-Polizistin Dora sind Augenzeugen:

Dora ist aus den Staaten herübergekommen, um auf eigene Faust den Tod von Onkel Alfie zu untersuchen. Sie war eine Zeit lang seine Geliebte und glaubt nicht an ein Herzversagen.

Auch Ellie kommt der Verdacht, dass der gute Alfie seine Hände im Spiel hatte. Womöglich hat er die Hölle von Dämonen entleert, damit er dort seine Ruhe hat!

Sammelt sie alle!

Tatsächlich listet DAMN THEM ALL im Lauf der Handlung mehrere Dämonen samt Steckbrief auf und stellt sie uns mit ihren Eigenschaften vor.

Ellie kann der Andromalius-Münze habhaft werden und kommuniziert mit dem Dämon. Sie erfährt, dass die Höllenwesen nicht freiwillig auf der Erde wandeln und auch nur unter dem Zwang der Münze ihre Taten ausführen.
Am liebsten möchten sie exorziert und in die Unterwelt zurück verbannt werden. Einen Gefallen, den Ellie einigen von ihnen tun wird…

Aber bis dahin herrscht Chaos auf den Straßen Londons und rivalisierende Banden hetzen ihre teuflischen Armeen aufeinander.

Im Hintergrund dreht das Rad der Anführer des „500 Club“, der bereits erwähne Theo Bolster. Ihm ist es gelungen, gleich mehrere Dämonen unter seine Kontrolle zu bringen:

In obiger Sequenz bekommt Ellies Helfer Carlin seinen eigenen Dämonen geschenkt – und Bolster offenbart, dass er eine ganze Gruppe von ihnen im Keller gefangen hält.
Ihre kombiniert eingesetzten, verschiedenen Fähigkeiten machen ihn damit zum  mächtigsten und gefährlichsten Mann der Welt!

Ellie und Dora finden nach und nach heraus, wie alles zusammenhängt und versuchen, den Schaden zu begrenzen. Wenn Onkel Alfie die Hölle geöffnet hat, muss es nicht auch einen Weg geben, sie wieder zu schließen?!

Ellie Hawthorne = John Constantine

Ich nehme es Spurrier nicht übel, dass er im Grunde eine HELLBLAZER-Geschichte erzählt. Seine Miss Hawthorne, 29 Jahre alt, ist ein kratziger und kaputter Charakter. Auch sie raucht und sie flucht und sie bewahrt kaltes Blut inmitten des Infernos.

Zur Unterscheidung von John Constantine hat er ihr ein weibliches Geschlecht zugeordnet und sie noch mit einem alten, rostigen Hammer ausgestattet. Das ist ihr Markenzeichen als Vollstreckerin von Frankies Syndikat.

Ellie ist frech, sie ist cool, sie kennt keine Skrupel und hat immer einen Plan B.

An dieser Stelle ein Lob für die Übersetzung von Frank Neubauer. Das muss ein Höllenjob gewesen sein, denn Spurrier ist ein textlastiger Schreiber, der seine Figuren gerne in Dialekten reden lässt.

Ellies Akzent und schnoddriger Tonfall kommen auf Deutsch in Übertragungen wie „Hamn wa ‘nen Deal?“ oder „Oh, ich pinkel mir grad‘ ins Höschen“ rüber.
(Bei „Hamn wa ‘nen Deal?schwingt Ellie übrigens einen Hammer, worauf mir Neubauer zusätzlich anzuspielen scheint …)

Noch ein kleines Beispiel:
Bei Alfies Beerdigung spekuliert Ellie, dass ihr Onkel in der Hölle sein könnte und ruft ihm ein „Mach se‘ fertig“ hinterher. Ich wette, dass im Original „Give‘ em hell“ gestanden hat.
Im Deutschen könnte man schön „Mach ihnen die Hölle heiß“ setzen, aber das klänge zu hochsprachlich und dafür wäre auch der Textkasten zu klein!

Das von Neubauer gewählte „Mach se‘ fertig“ ist hier die ideale Lösung. Die Übersetzung ins Deutsche kann „tricky“ sein und ist nie so einfach, wie man glauben mag …

Wie viele Kreise hat die Hölle?

Greise? Kreise, Entschuldigung. DAMN THEM ALL  ist keine leichte Lektüre, denn wir sehen uns bei der Lektüre mit verschiedenen Erzählstimmen konfrontiert.

Erst erzählt Ellie Hawthorne, dann erzählt die Polizistin Dora, wie sie Onkel Alfie kennenlernte und weshalb sie glaubt, das etwas faul an seinem Verschwinden ist. Dann spricht Pruflas zu uns, ein eher freundlicher Dämon in Gestalt eines bärtigen Stadtstreichers. Auch Bösewicht Bolster darf uns aus seiner Perspektive berichten.

Letztlich benutzt Ellie die Macht von Samigina, um den Geist von Onkel Alfie zu beschwören, der aus erster Hand von seinem Ableben Rapport erstattet …

Dieser Chor der Stimmen ergänzt sich zu einem differenzierten Gesamtbild, das auf keine „Heldenfigur“ ausgerichtet ist. Alle Charaktere sind gebrochen und haben ihre Defizite. Das ist stark, das ist gute Comicschreibe.

Und damit sind wir erst in der Hälfte dieses Werks angelangt. DAMN THEM ALL Teil 2 wird folgen.

(Aber da es auf Englisch schon vorliegt, hab ich es mir schnell bestellt. Ich wollte wirklich wissen, wie es weitergeht.)

Und ich darf verraten, dass es noch komplexer wird!

Im zweiten Teil lernen wir Cillian kennen, Ellies Sandkastenliebe und langjähriger Gefährte.
Der hat sich den mächtigsten Dämon namens Beleth gesichert, wozu er eine Gruppe von Engeln aus dem Himmel herabbeschworen hat.

Diese Engel sind aber alles andere als mildtätige Geschöpfe, sondern machen sich einen Spaß daraus, ihre dämonischen Gegner zu verputzen.

Cillian möchte Ellie auf seine Seite ziehen, denn er plant ein globales Menschheitskollektiv unter Beleths Aufsicht. Ein Traum von spiritistischer Kommune, in der niemand seinem Mitmenschen mehr Schaden zufügen soll.

Doch Ellie traut dem Satansbraten nicht und findet sich zwischen den Stühlen wieder.

Kampf der Systeme

Theo Bolster präsentiert ihr im Gegenzug seine Zukunftsvision von „Law and Order mit Dämonen“. Cillian will Ellie für sein Kollektiv gewinnen und infiltriert sie mit einem Aspekt von Beleth. Polizistin Dora ist mittlerweile von den Engeln gehirngewaschen worden und muss sich ihren Verstand zurückerkämpfen.

So in etwa geht die Handlung.
Es ist wild, es ist irre. Es kommt zur finalen Konfrontation aller gegen alle.

Ein Schuss Humor ist auch mit dabei: Hier nimmt Ellie einem alten Herrn seinen Dämonen ab; der will sie dafür anspucken, besabbert sich aber nur selbst …

Ich finde, DAMN THEM ALL ist einer der großen Horrorcomics aller Zeiten. Er ist saukompliziert, muss aber nicht in allen Details durchdrungen oder verstanden werden, um uns zu unterhalten.
Autor Spurrier und Zeichner Adlard schaukeln das Ding souverän nach Hause. Mich hat es elektrisiert.

Denn es geht nicht um Dämonen gegen Engel oder Magier gegen Gangster, es geht um Erkenntnis: Was will der Mensch? Was weiß der Mensch? Was kann er bewirken und welche Mittel setzt er ein, um zu bekommen, was er will?

In gewisser Weise gelingt es diesem Werk auf einer Meta-Ebene, sogar seinem eigenen Genre einen dicken Mittelfinger zu zeigen.

Am Ende ist es nämlich völlig wurscht, wer den Schrecken entfesselt und wie dieser aussehen mag. Sowohl Himmel als auch Hölle sind verderbliche Konzepte. Am Ende zählt nur, was wir von uns selber halten. Ob wir mit uns im Reinen sind und fähig zur Empathie für andere.

Ist jetzt vielleicht banal, aber verpacken Sie diese Aussage mal in zwölf Hefte (bzw. zwei Bände) mit absolut fantastischer Action!

Ich fand’s clever, originell, anregend und spannend von vorne bis hinten.

The Walking Damned

Das Artwork zu DAMN THEM ALL  kommt übrigens von Charlie Adlard, dem Zeichner von THE WALKING DEAD.

Ich bin kein Fan, aber er macht seine Sache solide und inszeniert die Dämonen mit einem hübschen Photoshop-Effekt: Sie sind nur verwaschen sichtbar und verbreiten um sich herum ein buntes Prisma, das die Realität zum Zittern bringt.

Schauen wir uns dazu beispielhalber Andras, den psychopathische 63. Dämon an, der von keiner Münze befehligt wird, sondern amoklaufend seine Kreise zieht!

Zum Schluss darf ich noch eine Ironie der Comicgeschichte notieren:
Nach DAMN THEM ALL ist Spurrier zu DC zurückgeholt worden, wo er derzeit einen neuen HELLBLAZER-Run („Dead in America“) schreibt!
Oder lässt man ihn nun dort weitermachen, wo er seinerzeit gebremst wurde? Wie auch immer, wir warten auf eine Paperbackveröffentlichung und werden berichten.

Doch bleiben wir bei DAMN THEM ALL: Sie erhalten Band 1 bei CrossCult, Band 2 ist für Mitte Oktober vorgesehen.

Und verdammt sollen Sie sein, wenn Sie nicht auf folgendes Blättervideo klicken, indem ich noch Einblick in Band 1 gewähre: