Alles, was fliegt: Superhelden-Parodien

Mit der Erfindung der Superhelden in den ausgehenden 1930-Jahren kamen sehr schnell auch Persiflagen auf diese kuriosen Charaktere auf. Die sind allerdings schwer zu finden, da sie nur als spaßige Einmal-Features erscheinen – noch dazu meist in obskuren Funny-Heften, die niemand auf dem Schirm hat.
Ich habe einen äußerst charmanten Fund HIER im Netz gepostet, fünf Seiten aus dem Kindercomic MONKEYSHINES (Ende 1945 erschienen): „Superham – Pig of Tomorrow“.

SUPERHAM – The Pig of Tomorrow

Die Serialisierung und Popularisierung von Parodien nimmt erst mit MAD Fahrt auf (1953 nimmt man dort Superman und Batman aufs Korn, 1954 Wonder Woman und Plastic Man), verlagert sich jedoch bald auf das abwechslungsreichere Film- und Fernsehbusiness. Die Verulkung von Superhelden muss man weiter mit der Lupe suchen.
(Per Zufall fielen mir letztes Jahr zwei Seiten aus einem vergessenen Magazin namens PANIC [nicht das von EC!] in die Hände, auf denen man 1958 die russische Gefahr zu „Superivan“ stilisierte.)

In den 1960er-Jahren kann man drüber streiten, ob das Superhelden-Genre aus sich selbst heraus parodistische Züge entwickelt – Stichwort: Fernseh-Batman, Inferior Five, Not Brand Echh, Herbie, Fatman …
Die Leichtigkeit, mit der in diesen Produkten Helden als verklemmte Clowns in Kostümen vorgeführt werden, ist entlarvend für die Eindimensionalität des Konzepts an sich (Lagerdenken, simplifizierte Moral).

Dank Alan Moore (WATCHMEN) und Frank Miller (DARK KNIGHT) beginnt in den 1980er-Jahre die vielbesungene Reflexion und Ausrichtung auf erwachsene Stoffe. Auch wenn dies in den kommenden Jahren in eine übers Ziel hinausschießende Krawalligkeit umschlägt (Stichwort: SPAWN, Image Comics, Bad-Girls-Phänomen, Marvel Zombies, MARSHAL LAW), ist doch nun fast alles gesagt und getan, was man mit Superhelden veranstalten kann. Alles?

Nicht doch, nie, niemals, nein, niemals nicht.

Drei bewährte Kreativköpfe der Comics schufen neuartige Parodien, die wenig bekannt sind und über die ich nun konkret reden möchte.
Jimmie Robinson kreierte 2006–2011 die Serie BOMB QUEEN; Garth Ennis landete um 2015 herum gleich einen Doppelschlag mit THE PRO und ALL STAR SECTION EIGHT und Rick Veitch nahm bereits 1990 in seinem BRAT PACK Superhelden und ihre Sidekicks aufs Korn.

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Wir beginnen mal mit THE PRO, ein dünnes Heftchen von nur 55 Seiten, das seit 2002 aber mehrere Auflagen erlebte. Begeisternd ist, was Autor Ennis alles auf dieser kurzen Strecke hineinpackt und verhandelt:

Wie geht man mit Superkräften um?
Welche Verantwortung erwächst daraus?
Wie steht man zu anderen Superpersönlichkeiten?
Was macht eine solche überhaupt aus? Welchen Verhaltensnormen unterliegen Superhelden?

Meta-theoretisch: Wieso laufen Superheldenstorys nach den immergleichen Mustern ab?
Ist das Genre verdammt zu buntem Eskapismus? Können diese Geschichten Relevanz für unsere Realität gewinnen?

Doch der Reihe nach: Zunächst erleben wir den deprimierenden Alltag einer (namenlos bleibenden) Straßenhure, die sich mit gefährlichen Freiern und einem schreienden Baby herumplagen muss.
Über Nacht verleiht ihr ein „Viewer“ bzw. „Voyeur“ (sic!) aus dem Weltall (The Watcher lässt grüßen!) Superkräfte wie Flugfähigkeit und übermenschliche Muskelkraft.

Daraufhin stellen sich bei ihr sechs bunte Superhelden vor, um sie in ihre „League of Honor“ aufzunehmen.
Sie zwängen die Frau, die ab jetzt als The Pro betitelt wird, in übriggebliebene Kostümteile und nehmen sie mit auf einen Einsatz.

Ich brauche nicht auszuführen, welche Helden hier persifliert werden, oder?

 

Das lose Mundwerk von The Pro und ihr undamenhaftes Auftreten führen zu Konflikten und Reibereien in der League, die sie wieder ausschließen will. Doch dann kommt es zu einem zweiten Einsatz, bei dem sich The Pro beweisen wird …

Die Pencils zu THE PRO stammen von der wundervollen Amanda Conner, die sich seither einen Ruf als Heldinnen-Zeichnerin gemacht hat (POWER GIRL, HARLEY QUINN, SILK SPECTRE); getuscht hat Jimmi Palmiotti.

Autor Ennis lässt nichts aus, aber auch gar nichts aus: Als im Empire State Building Geiseln genommen werden, werden Menschen mittendurch gerissen und es fliegen Körperteile (ein zynischer Gegenentwurf zu den oft erstaunlich gewaltfreien, echten Superheldencomics).

Natürlich versüßen die cartoonigen Zeichnungen die Bitterkeit des Themas. Beim Umgang mit dem Frauenschläger vom Anfang des Werks (ein fieser Typ, der Frauen nach oder schon beim Sex misshandelt) allerdings versauert die absurd-humoristische Bestrafungsszene (eine Schlange von Frauen bildet sich hinter ihm, um seinen Anus mit allem möglichem Gerät zu penetrieren) durch eine folgende, in welcher der schwer verwundete Mann das Baby unserer Heldin erschießen möchte.
Er führt verbal sehr drastisch aus, das all das zuvor gezeigte Gerät offenbar doch zum Einsatz kam: „Es wird 30 verfickte Operationen brauchen, um mein Arschloch neu zu modellieren!

The Pro zur Rettung kommt The Saint, der den Freier entwaffnet. The Pro schlägt dem Mann den Unterkiefer aus dem Gesicht (das sehen wir nicht direkt, das Körperteil liegt später auf einem Fenstersims, als man den Verletzten abführt).

Garth Ennis schreibt meistens wüste Comics, die bewusst Grenzen verletzen (PREACHER, PUNISHER MAX, CROSSED) – das sollten Leserinnen und Leser bedenken, wenn sie sich auf Ennis einlassen.

So geht es denn auch lustig weiter. Aus Dankbarkeit verabreicht The Pro dem Supermann einen Blowjob (eine Szene, die wahrscheinlich längst mal fällig war, ich bin mir comichistorisch nicht sicher, ob es sie in Undergroundcomix schon gegeben hat).
Als der Supermensch ejakuliert, schießt sein Sperma in den Himmel und reißt dort einem Passagierflugzeug einen Flügel ab.

The Saint kann den abstürzenden Jet auffangen, tut dies jedoch mit noch immer heruntergelassener Hose. Okay, das ist lustig!

Auch superamüsant ist eine vier-Panel-Sequenz, in der (im Hintergrund!) die Flash-Figur (Speedo) überschallschnell masturbiert!

THE PRO präsentiert eine Menge großartig frecher Gags ‚en passant‘, die das Superhelden-Genre schöner entlarven als ausgestellte Dialoge. So zupft und zerrt The Pro andauernd an ihrem knappen Kostümchen herum, weil ihr der Slip in die Kimme rutscht oder eine Brust aus dem Top fällt.

Die deutsche Ausgabe von Panini heißt ein wenig unglücklich THE PRO – DIE SUPERSCHLAMPE (und zielt damit in Richtung Frauenfeindlichkeit). Ist dieser Comic generell sexistisch, schon des Berufs der Hauptfigur oder der dargestellten Sexualität wegen?

Ja, aber das soll er auch sein.

Was wäre, wenn eine Prostituierte Superkräfte erlangte? Was macht das mit Superheldenfiguren, welche Thematiken zieht das nach sich?
Das ist kein purer Nonsens, was das Kreativteam hier treibt!

Exkulpierend lässt sich anführen, dass der Sex nicht ‚frontal‘ gezeigt wird (sondern meist im Off), sonst wäre es auch Superheldenporno. Und mit Amanda Conner verantwortet eine Frau die Grafik dieses Comics.

THE PRO ist eine sarkastische Meditation über das Superhelden-Genre und verlangt auch Leserinnen und Leser, die sich darauf einlassen mögen! Zudem ist das Werk wirklich vollgepackt mit herrlich undergroundigen und albernen Anspielungen auf Formeln und Personen aus den DC- und Marvel-Universen.

Ich verrate nicht, wie es ausgeht, aber wir erleben ein berührendes, trauriges und zugleich lakonisch-lustiges Finale, das diesen Comic perfekt abrundet.

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Widmen wir uns dem nächsten Garth-Ennis-Comic, ALL STAR SECTION EIGHT, dessen Humor einen anderen Ansatz verfolgt. 2015 setzt er seine Späße nun fort bei DC, der Heimat der zuvor in THE PRO parodierten Helden (das bereits besprochene Werk ist natürlich bei Image erschienen).

John McCrea ist der Zeichner, mit dem Ennis schon 1997 sein schräges SECTION EIGHT-Team in seinem HITMAN-Kosmos auftreten ließ.

(Studieren Sie unter dem orange unterlegten Wikipedia-Link gerne die Teammitglieder und ihre grotesken Charakterisierungen.)

Nun ist SECTION EIGHT zurück und erlebt in zwei Tradepaperbacks gesammelte Abenteuer, in denen Anführer Sixpack (so genannt nicht wegen seiner Abs, sondern seiner Versoffenheit) und seine monströsen Mannen auch Batman, Superman, Wonder Woman, Spectre, Green Lantern, Phantom Stranger und John Constantine begegnen!

Prämisse und Spaßfaktor an SECTION EIGHT ist die schiere Unmöglichkeit, wie das funktionieren soll. Denn SECTION EIGHT sind keine Superhelden, sie sind (von ihren ‚Fähigkeiten‘ her definiert) eher Superschurken mit kuriosen Marotten.

Leider begegnen wir NICHT den irren Typen, die uns Wikipedia erklärt: Flemgem rotzt seine Gegner mit ätzender Spucke an, der Defenestrator kloppt seinen Gegner gerahmte Scheiben über die Rübe, Jean de Baton nutzt ein hartes Baguette als Waffe und der Dogwelder schweißt seinen Opfern tote Hunde an den Körper!
(Ja, der Mann ist „Hunde-Schweißer“, wie das gehen soll, weißichnich, aber wie lautet mein Comicmantra Nummer Eins? „Nie die Logik von Comics hinterfragen!“).

Dieses ursprüngliche Team ist einem apokalyptischen Endkampf zum  Opfer gefallen!
SECTION EIGHT rekrutiert sich neu unter Führung von Sixpack, der immer noch zu betrunken ist, um Angst zu haben (seine hervorstechendste Superkraft).

Sehr blass und ohne jede Funktion bleiben die neuen Mitglieder The Grapplah und Powertool, auch der aus der Hölle entflohene Dämon Baytor (der jetzt als Barkeeper jobbt) wirkt wie ein Verlegenheitsangebot.
Ein Haufen menschlicher Organe namens Guts und der Superperverse Bueno Excelente sind nur im Spiel, um sexuelle Abartigkeiten anzudeuten. Alles nicht schön.

Also fokussiert sich die Handlung im Fortgang der Hefte auf einen neuen Dogwelder.

Band 1 der SECTION EIGHT dreht sich um die Rekrutierung eines fehlenden achten Mitglieds: Die ersten Hefte passiert rein gar nichts, außer dass Ennis/ McCrea diese Gelegenheit für mäßig lustige Zusammenstöße mit DC-Stars nutzen.

Green Lantern ist angewidert, der Martian Manhunter schockiert, Batman hört ihnen nicht zu (weil er mit einer Politesse um ein Knöllchen für das Batmobil streitet), Wonder Woman steigt tatsächlich ins Team ein (aber nur, weil sie einen Schlag auf den Kopf bekommen hat, was bald rückgängig gemacht wird) – Tiefgang entwickelt die Serie erst mit dem Auftritt des Phantom Stranger, der Sixpack sein nüchternes Alter Ego (den Kunstkritiker Sydney Speck) zeigt und ihn durch den Limbo führt, wo er sein altes Team trifft: die im Kampf gefallene alte SECTION EIGHT.


Niemand von denen
steigt jedoch ins Team ein; vielmehr gehen zwei der Neulinge wieder ab! Ein Mysterium baut sich auf um den Dogwelder, der damals umkam, dessen ‚magische Schweißerbrille‘ anscheinend einen neuen Träger gefunden hat!

Das zweite Tradepaperback dreht sich nämlich dann um den New Dogwelder! In Band 2 entwickelt sich endlich Handlung: John Constantine begleitet den Trupp auf eine weltenrettende Mission ins Weltall! Dabei bekommt der neue Dogwelder eine tragende Rolle und kann (unter Aufopferung seiner Selbst) sich als Superheld beweisen.

Das ist eigentümlich süßlich und bedient den gewöhnlichen Superhelden-Plot. Ennis hat im Verlauf von SECTION EIGHT die Parodie der Formel geopfert. Die Skurrilität der Aktion darf uns nicht davon ablenken, dass wir es hier längst mit einem ‚systemerhaltenden‘ DC-Comic zu tun haben.

Zu Ennis‘ Schande muss ich vermerken, dass seine SECTION EIGHT leider oft auf Pipi-, Kacka- und Kotzhumor aus ist. Sixpack erbricht sich andauernd und hat meist die Hosen voll (ich finde, hier vergreift sich der Autor sogar am Elend von Alkoholikern, nicht lustig!).
Normverletzender Ekel präsentiert sich auch im ‚Pärchen‘ Guts/ Bueno Excelente, das mittendrin eine Hochzeit feiert und sich für die Flitterwochen auf eine Toilette zurückzieht.

Wenn Garth Ennis keine Ideen hat, zündet er irrlichternde Nebelkerzen, die uns mit ‚shock value‘ blenden sollen, im Grunde jedoch nur plump und peinlich sind.

In der Galerie der „Hundeschweißer“ aus zwei Jahrtausenden: der neue Dogwelder im Gespräch mit seinem Vorgänger.

 

Also: Wem der Sinn nach den groteskesten Supercharakteren aller Zeiten steht, der sollte sich auf die Suche nach der ursprünglichen SECTION EIGHT in den HITMAN-Comics machen!
Die eigene Reihe SECTION EIGHT (die Wiederbelebung von 2015/16) kommt nicht recht zu Potte, mäandert thematisch unentschlossen durch zwölf Hefte, zieht sich dabei auch ganz schön und lässt den beißenden Witz von THE PRO leider sehr vermissen.

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Schrauben wir uns nun endgültig in die Depression hinunter: BRAT PACK.

In schmutzigem Schwarzweiß (oder besser: vielen Grautönen) eröffnet Autor und Zeichner Rick Veitch seinen tödlichen Reigen um die Sidekicks von vier abgebrühten, eiskalten und über Leichen gehenden Superhelden.

Diese Vier sind groteske Zerrbilder bekannter Superhelden:
Midnight Mink“ ist ein schwuler Batman, der seinen jugendlichen Gefährten Chippy sexuell missbraucht!
(Womit Veitch die düsteren Fantasien Fredric Werthams endgültig auslebt.)

Judge Jury“ ist ein faschistischer Rassist, ein Captain America im Klanskostüm, der seinen Adlatus Kid Vicious gerne foltert und mit Steroiden füttert.

Moon Mistress“ ist eine männerhassende Version von Wonder Woman, die an ihrem Gürtel die abgetrennten Hoden ihrer Opfer trägt. Sie zwängt sich gerne in ihr Fetisch-Outfit (perfider Seitenhieb auf den Sexismus bei Superheldinnen) und indoktriniert ihre jugendliche Helferin Luna mit ihrem Hass.

King Rad“ ist der Tony-Stark-Verschnitt, der wie Iron Man auf technische Gadgets setzt und schwer drogenabhängig ist. Seinen Sidekick Wild Boy macht er sich mit Drogen gefügig.

Die fiesen Vier haben auch nur Geldgeschäfte im Kopf und freuen sich, als nach dem Tod der Sidekicks deren Merchandising-Verkäufe durch die Decke gehen!

Sie merken schon: Veitch zieht hier alle Regler auf Anschlag und lässt keine Gnade walten. Seine Helden sind der Abschaum unserer Gesellschaft.

Ihr Gegner ist Superschurke „Dr. Blasphemy“, der zu Beginn die ersten vier Sidekicks mit einer Sprengfalle tötet, nachdem er eine Radioshow-Umfrage unternommen hat, ob Chippy sterben soll.
Das hat natürlich Bezüge zur BATMAN-Historie, wo auch mal ein Robin durch Abstimmung der Leser über die Wupper geschickt wurde. (1988, Jason Todd, „A Death in the Family“.)

Die Helden weinen den Jugendlichen keine Träne nach, sondern scouten unbekümmert nach vier neuen Kindern, die sie ausnutzen können. Dazu bringen sie die Eltern der Auserwählten kurzerhand um, damit die neuen Sidekicks durch keine familiären Bindungen mehr an ihr altes Leben erinnert werden.

Im Folgenden werden diese Heldenhelfer durch die Mühle gedreht, gebrochen und zu willenlosen Marionetten erzogen – wie schon die vier jungen Menschen vor ihnen. Es gibt kein Entrinnen aus diesem Kosmos, dieser Comic ist deprimierend.

Veitchs Superhelden führen ein Superleben, ja, aber ein superperverses Leben.

BRAT PACK ist wirklich finster, eine bitterböse Abrechnung mit dem Genre, die auch keinen Lesespaß bereitet. In diese Welt zieht nie wieder Farbe ein.

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Darum zum Schluss ‚ein Kessel Buntes‘, meine Lieblingsparodie:

BOMB QUEEN, die erklärte Persiflage auf die Bad-Girls-Comics der 1990er-Jahre.
(Bad-Girl-Charaktere sind Super-Pin-ups in spärlichsten Kostümen, verfügen über übernatürliche Kräfte, beziehen nicht moralisch Stellung, sondern haben sadistischen Spaß am Töten ihrer Gegner – z.B. WITCHBLADE, LADY DEATH, SHI; Wegbereiterinnen sind VAMPIRELLA und ELEKTRA).

Bomb Queen drehe sich oberflächlich um „Gewalt, Arsch und Titten“, dahinter aber stehe Gesellschaftskritik, so Autor Robinson im Interview.
Was als spaßige Fingerübung gedacht war, entwickelte sich zu einer langjährigen Reihe, von der heute sieben Sammelbände mit ironischen Titeln vorliegen: „Woman of Mass Destruction“, „Dirty Bomb“ oder „The Good, the Bad and the Lovely“.

Robinson wollte sich Superhelden zur Brust nehmen, fing jedoch auf der Schurkenseite zu planen an, weil ihm das einfacher vorkam. Bald hatte er eine Endzwanzigerin zwar ohne Superkräfte, aber mit Fitness und Expertise im Sprengstoffwesen erdacht: Bomb Queen.
Diese „villainess“ platziert und verschießt große und kleine Bomben mittels spezieller Unterarm-Rüstung und ist mit einem Visier vor den Augen mit einem Supercomputer verbunden, der ihr Direktiven und Taktiken übermittelt.

Bis auf dieses Visier und das Arsenal in den Armen ist die Figur beinahe nackt.
Ein enges Oberteil mit großzügigem Ausschnitt (in Form einer Bombe übrigens, drauf achten!) bedeckt kaum den Oberkörper mit seinen prallen Brüsten.
Hierzu ein schöner Dialog: Bomb Queen nähert sich einer Hotelrezeption, der Mann am Empfang sagt: „Gnädige Frau, Sie sind D.“ – „Sogar Doppel-D, Dankeschön,“ entfährt es der Queen, worauf sich der Empfangschef korrigiert: „Ich meinte ihr Treffen, es findet in Raum D statt.“ – „Na, so ein Zufall!“

Bomb Queen im kecken Einsatz gegen einen Macho-Helden.

 

Untenrum ist Bomb Queen ausstaffiert mit einer unrealistisch niedrig hängenden Spandexhose (eher Reiter-Chaps) und einem Stringtanga – das ist garantiert zugig. Diesen Look trägt sie in Silber, in romantischen Situationen auch in Knallrot!

Robinson macht sich einen wüsten Spaß mit allgegenwärtigen Sexismen. Seine Queen ist eine aktive, fordernde Frau (die auch diverse Pornoseiten im Web betreibt, um ihre Fans ‚bei der Stange zu halten‘, ha!). Sie nimmt sich Männer nach Lust und Laune – und wenn ihr deren Performance nicht beliebt, dann sprengt sie sie weg!

So radikal und zynisch ist Feminismus selten praktiziert worden …

Die männlichen Helden-Gegner haben Schwänze, die sich durchs enge Kostüm abzeichnen. Im Kampf verhöhnt Bomb Queen den Angreifer, seine Aggression vielleicht besser ins Sexuelle umzuleiten.

Dieser Gegener wird noch in seiner Potenz verhöhnt.

 

Dem politischen Konkurrenten quetscht sie die Eier, der von ihr installierte Bürgermeister war Andeutungen nach zu schlapp, um einen hochzukriegen und mit ihr zu schlafen.
Wenn er aber weiterhin tut, was sie befiehlt, holt sie ihm eventuell mal einen runter. Und im zweiten Buch bricht sie ihrer Nemesis das vereiste Glied einfach mal ab! Das liest sich in dieser kondensierten Form schrecklich gewollt, ist im Kontext jedoch dosiert und verträglich.

Außerdem ist Robinson nicht nur Autor, sondern auch Zeichner von BOMB QUEEN und liebt es, die manchmal nackten Brüste und den Hintern seiner Darstellerin mittels Computerlicht wie herrlichste Süßigkeiten erstrahlen zu lassen.
Das ist kein Busen, das ist glasierter Marzipan! Ich halte das für eine bewusste Überzeichnung.

Herrlichster Marzipan?

 

Zumal echte Sexszenen dagegen erstaunlich ‚brav‘ geraten und auf altbekannte Chiffren für Geschlechtsverkehr (natürlich in ironischer Tradition) ausweichen. Robinson ist nicht auf Porno aus, sondern bedient nur den Pin-up-Look von Comics, dabei aber fast „bis zum Erbrechen“, zu einem Punkt auf der Kippe, der Nacktheit etwas Aseptisches, ja Asexuelles verleiht. Das funktioniert auch nur in diesem cleanen Stil, den Robinson wählt.

Die Schurkenkollegin Drama Queen ist sogar splitternackt, weil sie im Supermodus riesenhaft wächst und keine passenden Kleider mehr tragen kann. Damit macht sich der Autor lustig über die „mitwachsenden“ Outfits formwandelnder Helden UND über das verschämte Bedecken von ‚nudity‘ durch strategisches Platzieren von Gegenständen oder Figuren vor den kritischen Stellen:

Ein riesenhafter Hintern kracht ins Büro – Drama Queen geht zu Boden.

 

Ich unterstelle dem Werk also ein gesundes Spiel mit Sexualität, das diese eben nicht sublimiert (wie die asexuellen HeldInnen aus den Mainstream-Comics), sondern auch auslebt.
Deutsche Rezensenten auf Amazon kommen ob dieser Offenheit gerne ins Hyperventilieren: Bomb Queen sei eine „Verbrecherschlampe, die ständig halbnackt agiert“, „politisch unkorrekt“, die Reihe sei „nur etwas für Fans halb- bis ganznackt gezeichneter Heroinnen“, ein „Softporno für Spätpubertierende“, ihre Gewalt „alles andere als Satire“.

Flashback: Bomb Queen und ihre Ex-Kolleginnen beim damals noch gemeinsamen Bekämpfen lästiger Superhelden.

 

Auf die Handlungen der Serie wollen wir aber auch noch zu sprechen kommen, denn BOMB QUEEN ist mitnichten nur Action, Arsch und Titten. Robinson strickt ein cleveres, erfrischend querdenkendes Konzept: New Port City hat keinen ‚local hero‘, sondern eine schurkische Diktatorin.
Diese Stadt steht hinter Bomb Queen, weil sie funktioniert und ihren Bewohnern alles bietet, was der moderne Mensch braucht.

Die Queen hat nämlich ‚crime zones‘ eingerichtet, in denen erlaubt ist, was gefällt – Pornografie, Glücksspiel, Drogen- sowie Menschenhandel. Jeder hat hier sein Auskommen, und Helden, die aufräumen wollen, sind der Fremdkörper, der sie in der Realität wohl auch wären.
Der erste Handlungsfaden spinnt sich um den ehrgeizigen Senator Woods, der die Stadt selber gerne kontrollieren möchte. Dazu engagiert er zunächst einen Superhelden, der die Queen aus dem Weg räumen soll. Als der krepiert, injiziert sich Woods sein Superserum und mutiert zum bläulichen Hulk.
Im Bosskampf zerstört er unbedacht ein ganzes Stadtviertel und wird von der Bevölkerung dafür gelyncht. Bomb Queen obsiegt dank Cleverness und ihrer bewährten Balance des Schreckens, die berechenbar bleibt (quasi ein „Sie kennen mich“, Garant der Wiederwahl).

Bomb Queen und ihr schwarzer Kater Ashe kehren nach getaner Arbeit nach Hause zurück.

 

Dass Robinson literarisch/grafisch über die Stränge schlägt und uns eine absolut zynische Welt und die dazu passende Protagonistin präsentiert, kann man unter ‚schwarzem Humor‘ verbuchen, der allerdings nichts für jeden ist.

Im zweiten Handlungsbogen sehen wir Bomb Queen am Boden (genau gesagt, nackt im Schnee und aus der Stadt vertrieben). Die Vergangenheit hat sie in Form einer alten Feindin eingeholt, die sich das Vertrauen der Queen erschleicht und sie sodann auf perfide Weise hereinlegt und demütigt.
Bomb Queen bekommt in gleicher Münze zurückgezahlt, darf nicht nur austeilen, sondern muss ebenso einstecken. Was sie auch klaglos tut.
Um schließlich mit Hilfe einer kollegialen Menschenhändlerin das Blatt noch drehen zu können.

Dass dieser schurkische Verführer sich übrigens noch als zum Mann geschlechtsumgewandelte Ex-Kollegin entpuppt (!), ist ein wunderbarer Twist (dem Doktorarbeiten über Genderbilder im Comic gewidmet gehörten).

BOMB QUEEN ist somit ein radikaler Abgesang auf Superhelden, der mich mit Logik, Humor und Ausgestaltung erfreut. Die auftauchenden Helden sind als Parodien anzusehen und beweisen, dass Schurken dank ihnen die größere Strahlkraft besitzen.
Thank you for playing!

Ein Superheld ist blass ohne seinen Gegenpart. Der Schurke aber braucht keinen Helden, um Spaß zu haben.

Man darf sich fragen, in wie weit sich dieser Comic bei einem älteren Vorbild aus England bedient: Die kurzlebige Serie MARSHAL LAW (ein Wortwitz mit „martial law“ = „Kriegsrecht“) präsentiert einen in Bondage-Outfit agierenden Anti-Helden, der absolut kalt und zynisch ist. Dieser Marshal Law hat ebenfalls größte Freude daran, Superhelden um die Ecke zu bringen.

BOMB-QUEEN-Paperbacks sind auch auf Deutsch bei Panini erschienen.

Zum Schluss noch ein Clip, immer gerne einen Clip. Meine Empfehlung für den Trickfilm MEAGAMIND von 2010, der seinerzeit komplett untergegangen ist, aber seinerseits eine großartige Superheldenparodie ist!

(Der ist absolut hinreißend, ich war völlig von den Socken, als Kollege Cordemann mir den letztes Jahr auslieh. Der Trailer zeigt nur Teile der Exposition, später geht es noch um den Tod alter Helden und die Schaffung einer neuen Generation – ich hätte nicht geglaubt, dass sich noch so viel frischer Witz aus dem Superheldenthema gewinnen ließe …)