Über das Titelbild musste ich lachen, weil es ausschaut wie ein alter NATASCHA-Comic von Walthery.
Womöglich hat Autor und Zeichner Bastien Vivès das sogar im Sinn gehabt, denn mit diesem Werk drängt er ins Genre der Abenteuer- und Thrillercomics und schlägt für sich selbst ein neues Kapitel auf.
Unsere Hauptfiguren heißen Sophie und Quentin, sind ein französisches Ehepaar und machen Urlaub auf einer Insel in Griechenland.
Wer die sind und was sie beruflich machen, wird nicht thematisiert – Vivés wirft uns (wie Hitchcock in seinen Filmen) gleich auf der zweiten Seite ins Geschehen, als Oliver auftaucht: Der ist ein flüchtiger Bekannter und lädt die beiden zum Dinner auf seine Yacht ein.

Aus Langeweile geht man hin und entdeckt auf dem Luxusboot eine exquisite Comicsammlung, darunter die Klassiker des Abenteuergenres („Corto, Comanche … du hast ja Benard Prince!“), des Weiteren teure Gemälde und exotische Antiquitäten.

Quentin könnte Journalist sein, Sophie Kunsthistorikerin. Beiden ist unwohl bei dem Gefühl, bei einem Verbrecher zu Gast zu sein.
Ihr Unbehagen steigert sich, als die nächsten Gäste eintreffen: Es handelt sich ausnahmslos um internationale Gangster!

Sophie schließt Bekanntschaft mit dem Escortgirl Ioana, als man sich um Essen niedersetzt und sich gegenseitig zuprostet.
Dann allerdings läuft die Chose rapide aus dem Ruder und vier Seiten später schwimmen Quentin, Oliver und Sophie um ihr Leben – bis sie in den Trümmern des Schiffs ein Rettungsboot finden und an Land gehen können.

Nur vier Panels, aber sie demonstrieren die Tatkraft von Quentin und Sophie – und etablieren Oliver endgültig als komische Figur.
Jetzt ist das Album auf der Hälfte angelangt. Was Vivès noch folgen lässt, ist ein Rettungsdrama um Ioana. Sophie bekommt eine SMS von ihr aus dem gekenterten Schiff. Und während die Männer noch zögern, appelliert sie an ihre Hilfsbereitschaft.
Das Ehepaar beweist Mut und Abenteuergeist, wirft sich in Tauchausrüstung und startet die Rettungsaktion gegen die Zeit.
Der Zeichner verzaubert uns mit Impressionen aus der Unterwasserwelt, deftig koloriert von Brigitte Findakly:

Haie im Mittelmeer?
Vivès platziert zwei Elemente in seinen Comic, die die gewohnten Thrillermuster unterwandern.
Zum einen macht er die Ägäis zum Tummelplatz von gefräßigen Riesenhaien und unheimlichen Krakenwesen. Das ist faktisch nicht falsch, aber ganz gewiss allein der Action geschuldet.
Beim Tauchgang in die versunkene Yacht wird HONEYMOON zum Monsterfilm, der den „Weißen Hai“ in den Schatten stellt. Das ist natürlich nur Budenzauber – und der Künstler hat seinen Spaß daran, uns zu erschrecken.

Zum anderen implementiert Vivès ein mythisches Element in sein Werk.
Seit dem Dinner an Bord flattert ein prächtiger Schmetterling durch den Salon, um die Köpfe der Gäste und auch durch die gefluteten Kabinen.
Dieses Insekt ist einem antiken Artefakt entwichen, es macht allen Beteiligten Angst und gilt als Todesbringer. Was zu der skurrilen Situation führt, dass die anwesende Unterwelt das Tier zu erschießen versucht.

HONEYMOON – DER KUSS DER SPHINX präsentiert uns die Hitchcock-Formel um unbescholtene Menschen, die in Gefahr geraten – noch dazu gewürzt mit Horror- und Mystery-Aspekten.
Das klingt so simpel, als wäre es leicht zu erfüllen. Bastien Vivès erstaunt mich jedoch erneut durch seine Lässigkeit der Inszenierung.
Der Plot beginnt bei „Ehepaar gerät in Gangstertreffen“, lässt dann die Gewalt eskalieren und schließt mit dem Auftritt der Polizei. Die Handlung wird angeschubst und rollt störungsfrei und temporeich vor uns ab.
Am Ende schlafen alle Gangster bei den Fischen und unser Paar hat die Schnauze derart voll von Abenteuer, dass es den Urlaub abbricht und zu den Kindern zurückreist.
Beeindruckend ist, wie Vivès seine Figuren aufstellt: Wenige Charaktere werden glaubwürdig und handlungstreibend eingeführt und interagieren plausibel miteinander. Da ist nichts, was mich stört; die Dialoge sind knapp und haben Esprit.
Außerdem finde ich das Artwork berauschend.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber Vivès hat seit ein paar Jahren diesen minimalistischen Strich drauf, der kein Realismus sein will und dennoch Realität transportiert.
Ich zeige die expositorische Sequenz, in der Sophie und Quentin die Yacht kennenlernen:


Schnell getaktet, sinnfällig und wie selbstverständlich laufen diese Begegnungen ab – das ist flüssiges Szenario, das auf jeden Schnörkel und jede Eitelkeit verzichtet.
Das Schiff von außen, das richtige Schiff von außen, das Paar frotzelt, Oliver begrüßt und warnt, die Ankündigung der Haie, die Demonstration durch Seemann Silvio, Quentins Kommentar zu Silvios Sixpack, Oliver führt sie in den Salon, das Schiff von innen.
Zack, zack, zack. So flott und kompakt kann man Comic erzählen.
Oder kurz darauf, die Ankunft von Drogenboss Giorgos, in Begleitung zweier Damen und zweier Leibwächter. Das jeweilige Gefälle zwischen den Figuren ist uns instinktiv klar und auch hier greift der Humor: Nun kommentiert Sophie die Blicke, die ihr Mann Ioana und der blonden Frau zuwirft.

Es scheint, als habe Vivès nach seiner Arbeit an CORTO MALTESE Gefallen an Abenteuerstoffen gefunden – ein zweiter Band von HONEYMOON ist bereits in Frankreich erschienen und schickt unser Ehepaar in Nöten diesmal nach Mittelamerika (im Herbst auch auf Deutsch).
Nun gibt es zwar Thrillercomics wie Sand am Meer, aber die Ausgestaltung durch Vivès verleiht dem Genre nochmal einen neuen Drive.
Ebenfalls empfehlen darf ich seine Comiczeichner-Selbstbespiegelung, die ich HIER besprochen habe.
Zum Schluss noch den Link zur Homepage beim Verlag schreiber&leser sowie ein Geblätter durch den Band auf Instagram.