SIEGFRIED ­– so warn’s die geilen Rittersleut

Wie wäre es mit einem Comic, der sich aus der deutschen Mythologie bedient?
Konkret: aus dem Nibelungenlied, aus der Figur des Siegfried – eine strahlende Erscheinung von großem Mut und Tapferkeit, ein waschechter Held sozusagen.

Sehr gut. Modernisieren wir ihn etwas, geben wir ihm ein Motorrad, sexuelle Potenz und lassen wir ihn freche Sprüche klopfen!

Ähhhh, wie bitte?!

© für alle Abbildungen: „Rinaldi / Kult Comics“


Tja, da schauen Sie. SIEGFRIED heißt der Comic, neun Folgen davon sind in den Jahren 1971–73 erschienen und veröffentlicht hat ihn Verleger Rolf Kauka in seinem Magazin „PIP International“, auf dessen fünfter Ausgabe das Prädikat „Comics für Erwachsene“ prangte.

Jawohl, Rolf Kauka, der „deutsche Disney“, der mit seinen Heftserien „Fix und Foxi“ sowie „Primo“ die Kinder und Jugendlichen an sich binden wollte und mit „PIP International“ eine erwachsene Leserschaft erreichen wollte.

Keine Ahnung, was „PIP International“ bedeuten soll, aber wenn Sie mehrfach schnell hintereinander „Fix und Foxi“ laut aufsagen, erschließt sich Ihnen eine Inhaltsangabe von SIEGFRIED.

Comics für Erwachsene

Wir lernen zwei Dinge: Erstens können wir Kauka eine Pionierleistung zuschreiben, an die noch niemand gedacht hat – er ist der Mensch in Deutschland, der als Erster erotische Comics veröffentlicht.

Im Sommer 1971 „Comics für Erwachsene“ zu propagieren, das nimmt diese Benennung der Produkte des Volksverlags unter Raymond Martin um gute zehn Jahre vorweg.

Der Begriff „Comics für Erwachsene“ (der oft sexistische Inhalte kaschierte) ist mittlerweile obsolet geworden, weil die Abgrenzung  zum Comic-Kinderkram nicht mehr nötig ist und wir das Label „Graphic Novel“ für nicht-jugendliche Stoffe übernommen haben.

Zweitens darf ich Sie hiermit herzlich begrüßen zu einer neuen Folge meiner Sammelrubrik „Quartett der Schweinepriester“. Zum achten Mal stelle ich auf meiner Webseite einen obskuren erotischen Comic vor – und mache mich drüber lustig (weitere Angaben am Ende des Beitrags).

Also: Die Sagen um Siegfried von den Nibelungen als Comic, ist doch der Knüller.
Als Autor dieser Kurzgeschichten vermutet man Verlagschef Kauka höchstpersönlich, was zutreffen kann, denn seine Texte triefen vor Plattitüden, wollen mit moderner „Jugendsprache“ punkten und ergehen sich immer wieder in Anspielungen auf die politische Situation im Nachkriegsdeutschland – so wie es Kauka schon in der Affäre um SIGGI UND BABARRAS getan hatte.

Aber hatte Kauka keinen guten Riecher in der Adaption des Siegfried-Mythos?
Der hat doch Schauwerte: Wilde Kämpfe, starke Frauen, Drachen!
Und böte Gelegenheit zu subversiver Satire und Kritik an Deutschtümelei.

Hätte, hätte, Motorradkette. Kaukas Hirn denkt leider nur in Kategorien des nächstliegenden Gags sowie der ausgestellten Schlüpfrigkeit.
Schauen Sie, was er aus dem Rendezvous von Siegfried mit der Lorelei herausholt: 

Gut, so platt und derb war er wirklich, der Humor der Siebzigerjahre. Subtil war das alles nicht (abgesehen von Loriot).

So hakt die Serie SIEGFRIED häppchenweise Schlagworte aus dem Nibelungen-Kreis ab. Der Drache (Lindwurm) in Folge 2 sieht immerhin skurril aus.

Hier kommt das Artwork von Zeichner Riccardo Rinaldi zum Tragen, der ein Könner des Semifunny war. Auch wenn dessen Kompositionen klumpig aussehen mögen, kann er durch teils detailreiche Bilder das Skript von Kauka vergessen machen.

Dieser Lindwurm wird ruckzuck erschlagen, doch nun umschwärmen die weiblichen Gefährtinnen des Drachens unseren Helden uns präsentieren ihm ihre Drachenkinder-„Brut“.

Folgende zwei Bildreihen machen mir sogar ein wenig Vergnügen. Denn diese Minidrachen sind Gremlin-groteske Kreaturen und werden mit zwei wüsten (äußerst dynamisch inszenierten) Schwerthieben beseitigt.

Ein Aufstoßen allerdings verursacht mir der Reim am Ende. Es handelt sich dabei um die Abwandlung zweier berühmter Zeilen aus einer Heldenballade von Ludwig Uhland, in der ein schwäbischer Ritter „halbe Türken heruntersinken“ lässt.

Wer das Original kennt, stiftet diese problematische Assoziation. Und dann bekommt es einen Nachgeschmack von Rassismus, den ich nicht unerwähnt lassen bleiben möchte.

(Ich hätte geschworen, dazu eine Illustration von Wilhelm Busch vor dem geistigen Auge zu habe, finde im Internet jedoch folgende Abbildung – offenbar ein Margarine-Sammelbild, wie es sie schon vor dem Krieg in Deutschland gab.)

Kauka soll ein revanchistisches Naturell gehabt haben, wer mag, steuert HIER einen kurzen Podcast des Deutschlandfunks an …

Kaukas Cum-Shots

Doch zurück zu SIEGFRIED, wo wir in Folge 5 einen Ausflug nach Island und die Begegnung mit der Walküre Brunhilde um die Ohren gehauen bekommen.
Erst trifft der Recke auf Eisbären und mongolisch aussehende Eskimos, deren Töchter er begattet, dann reist er durch eine Flammenwand in einen Garten Eden.
Dort gibt sich ihm Brunhilde auf zwei Seiten hin – und überfordert Siegfried!

Immerhin eine kleine Variante, aber das war’s.
Kaukas Drehbücher sind dramaturgische Bankrotterklärungen, im Grunde nur Anweisungen für Pornoszenen: Typ kommt wohin, macht einen Spruch, dann wird geknattert.

Halt, jetzt tu ich ihm unrecht. Das nächste, zweiteilige schottische Abenteuer bietet Handlung, erweist sich jedoch als verquaste Melange aus Siegfried, Macbeth und Dracula!  

Unser Held wird nach Schottland gerufen, um dort den McIntoshs seinen starken Arm zu leihen, die vom McBloody-Vampirclan angegriffen werden. Zugleich macht Siegfried Bekanntschaft mit der Geisterbraut Mary, die er vom Vampirfluch befreien soll, sowie mit Nessy, dem Ungeheuer von Loch Ness, mit der er spontan Freundschaft schließt.

In einer Feldschlacht unterliegen die McIntoshs – und Siegfried landet im Kerker des Vampirschlosses. Errettet wird er von Nessy, die ihm ihr Gebiss leiht, damit er sich als Vampir tarnen kann.

Auf einem Gala-Diner verführt er alsdann McDraculs schöne Tochter und erfährt von ihr das Versteck der Vampire bei Tag. Siegfried steigt in die Gruft, pfählt den Obervampir und verteilt mit Nessys Hilfe Knoblauch und Kreuze für den Rest der Bagage.

Die verfluchte Mary ist gerettet, doch beim Rendezvous offenbart sie sich als Vampirin, woraufhin Siegfried Reißaus nimmt und jetzt kommt (Achtung!) ein wirklich guter Schlussgag!

Nessy erhält zur Belohnung für ihre tatkräftige Hilfe die Tarnkappe von Alberich, das erklärt uns, weshalb das Ungeheuer von Loch Ness niemals aufzuspüren sein wird.

Nice, Rolleff! Deine Idee, wirklich?

Kommen wir zum Finale („Welcome to Worms“ und „Schachmatt“), zwei Kapitel, in denen wir in den Kern der Nibelungensage eintauchen dürfen.

Das gerät leider vollends wirr und kaum verstehbar. Ich wünschte, Autor Kauka wäre bei seinen Pornoskripten geblieben.

Am Wormser Hof sucht Siegfried nach der schönen Krimhild und schleicht sich in Frauenverkleidung in eine lesbische Orgie ein.

Die anwesende Krimhild aber legt ihn rein und lässt Siegfried im Dunkeln mit einer anderen Frau verkehren.
Der Entdeckung des Irrtums folgt ein klassisches Bodyshaming und Rinaldi illustriert in dieser Sequenz so bieder, dass ich fast mit einem Schwiegermutterwitz gerechnet hätte.

Die waren nämlich in Mode damals und gingen so:
„Angeklagter, wieso haben Sie 20 Mal auf Ihre Schwiegermutter geschossen?“ – „Mehr Patronen hatte ich nicht.“

Ich weiß, Sie haben gelacht, aber schäbig ist es und infam.

Krimhild verlangt, dass Siegfried offiziell um ihre Hand anhält. Doch ehe die Ehe tatsächlich vollzogen wird, brettert die Kriegerin Brundhilde nochmals auf die Szene.

Auf sechs Seiten installieren Kauka und Rinaldi die bekannte Geschichte um Gunthers Werben um Brunhild, im Netz nachzulesen HIER (dort finden Sie auch weitere Inhaltspunkte, die SIEGFRIED benutzt).

Allerdings wird die Kraftprobe zwischen Gunther und Brunhilde (und dem unsichtbaren Helfer Siegfried) im Comic zu einer Schachpartie mit lebendigen Monster-Figuren.
Keine Ahnung, warum.

Folgende Seite ist einfach nur kryptisch und beweist in meinen Augen, wie planlos diese Miniserie konzipiert ist (danach war Feierabend). Sie erkennen auch, dass Rinaldi das trockene Szenario erneut mit grotesken Kreaturen, mit einer schwungvollen Perspektive und mit Action zu beleben versucht.

Apropos Kreaturen:

„Schwiegermutter, wie lange bleibst du?“ – „Bis ich euch auf die Nerven falle.“ – „Was, nur so kurz?!“

Manche dieser Schwiegermütterwitze ließen sich heute problemlos wiederverwenden, umgemünzt zum Beispiel auf den AfD-Onkel oder Dr. Karl Lauterbach.
(Huch, jetzt hab ich mich bei Kaukas Polit-Geblödel infiziert.)

Aber einen guten Witz nie über den Haufen werfen, sag ich.

Poppen in Pop-Art

SIEGFRIED steht grafisch in der Tradition einer JODELLE von 1967 oder PRAVDA von 1968 – beide Werke gezeichnet von Guy Peellaert, Höhepunkte der Pop-Art im Comic.

Gut, da kommt Rinaldi nicht ganz dran, aber auf den Seiten, auf denen sich der Künstler nicht dem konventionellen Panelraster beugt, spürt man seinen Neid auf die freie Kunst und entdeckt mögliche Zitate:

Pop-Art oder Poppen-Art, das ist hier die Frage.


Zeichner Rinaldi ist altgewordenen Lesern bekannt als Künstler der „Primo“-Serie DIE PICHELSTEINER, einem Semifunny angesiedelt in der Steinzeit.
Diese ist vielen Männern dank der Figur der püppigen Petra immer noch präsent, der Rest ist vergessen. Aber Petra sieht exakt aus wie die Prinzessin aus der SIEGFRIED-Auftaktgeschichte mit dem Lindwurm.

Die Ausgabe von Kult Comics prunkt mit mehreren Seiten Bonusmaterial plus einigen Originalen aus dem Besitz von Carsten Laqua.


Cringe-Fried

In gewisser Weise ist mir Rinaldis überdrehter Sexismus der unmöglichen Körperformen lieber und sympathischer als der oft unterschwellige Normierungszwang, wie er weiterhin in unserer Gesellschaft herrscht.

Diese fadenscheinig an den Nibelungen orientierten Schnacksel-Abenteuer eines athletischen Recken mit immer gleich aussehenden Schablonenschönheiten kann man nicht anders als groben Unfug lesen!

Ist es peinlich? Natürlich – und zwar volle Pulle. Aber auch eine echte Comic-Kuriosität aus Deutschland. Da hab ich ja ein Herz für …

Seite aus PRAVDA.

Ich verlinke zum Schluss auf die Verlagsseite bei Kult Comics – dort ist auch eine Leseprobe einsehbar.

Sie können sich über „PIP International“ Ausgabe für Ausgabe auch auf der „Kaukapedia“ informieren (ich muss für den Aufruf dieser älteren Webseite, die allerdings exzellent gefüllt ist, dem nicht-sicheren Modus des Browsers zustimmen).

Antiquarisch ist an die insgesamt 24 Hefte schwer ranzukommen (nur ein Bruchteil enthält SIEGFRIED, dafür finden sich weitere Raritäten wie Jordi Bernets WAT 69; übrigens waren auch JODELLE und PRAVDA in Auszügen in „Pip“ enthalten sowie PAULETTE und EPOXY).
Das waren für seine Zeit durchaus spannende Lizenzen und nicht das übliche Billigmaterial, wie es Kauka ansonsten produzierte oder einkaufte.

Mich hat ein Comicfreund in die alten Ausgaben reinschauen lassen; einen kompletten Lauf gab es mal bei der „Sammlerecke Esslingen“ für 500 Euro zu erwerben, jetzt finde ich nur noch Exemplare des zweiten Jahrgangs.

Wie üblich poste ich auf Instagram ein Reel zum Comic … 

Wie eingangs erwähnt, ist SIEGFRIED Teil 8 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics. Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic. Teil 7 waren THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST.
Sammelt sie alle!

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