The Adventures of Phoebe Zeit-Geist

Will ich wirklich (wieder) schreiben über gewisse sexistische Comics?
Denn sexistisch sind sie alle! Da beißt die Maus keinen Faden ab.
Apropos Faden: Es sind ja per se wenig Textilien im Spiel – und auch Handlungsfäden sind kaum zu entdecken.

Aber es macht mir ab und an Spaß, vermeintliche Skandalwerke tatsächlich mal zu lesen und differenziert zu beleuchten.

THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST wurden 1965-1966 im US-amerikanischen Literaturmagazin „The Evergreen Review“ in 13 Episoden veröffentlicht und berichten von der 24-jährigen Society-Debütantin Phoebe Zeit-Geist (die Figur heißt wirklich so), die von ihrem Ball weg entführt und fortan regelrecht um die Welt gespült wird – ein serielles Kidnapping sozusagen, von einer grotesken Situation in die nächste.

(Die episodische Erzählweise IST hier beinahe mit der Handlung gleichzusetzten, meint: Diese Abenteuer sind mitzudenken mit einer persiflierenden Absicht auf der Meta-Ebene, erkläre ich später.)

Man ist (gerade als deutscher Leser) allerdings unweigerlich schockiert, wenn man einzelne Seiten von PHOEBE ZEIT-GEIST zu Gesicht bekommt – zumal im Netz und in der Fachliteratur (auch die populären Bücher von Fuchs und Reitberger) gerne die Sequenz gezeigt wird, in der ein Nazi-Offizier mit Peitsche die junge Frau zum Striptease zwingt und hernach noch auspeitscht!

(Ein schlimmes Panel daraus hat es auch auf den Titel der ersten Paperback-Ausgabe 1969 bei Grove Press gebracht, s. Beitragsabbildung oben. Das ist womöglich der reinen Exploitation geschuldet, denn das Frontispiz dieses Bandes zeigt ein alternatives Cover, das sehr viel mehr den Charakter des Comics widerspiegelt.)

Wilder Wahnsinn ist der eigentliche Inhalt dieses Comics, nicht schmuddelige Nazi-Exploitation.

 

Doch zurück zur „Nazi-Szene“: Es handelt sich hier weder zeitlich noch räumlich um Nazi-Deutschland, sondern um einen Kostümierten im kalifornischen Death Valley, der die entkleidete Phoebe unter einen Helikopter hängt und (nach der Folter) mit ihr losfliegt.

Liest man die nächste Episode, so wird schnell klar, dass wir es hier mit einer Groteske zu tun haben: Im Schlepptau des Hubschraubers passiert Phoebe ein Familien-Barbecue sowie ein Baseballspiel und rammt dann mit ihrem Hintern Werbetafeln, Ampeln, Neonleuchten.

Die letzten beiden Bilder zeigen einen Verletzungs-Slapstick: Erst kann sie der Ampel entgehen, knallt dann aber gegen ein Verkehrsschild. Autsch! Nicht lustig! Vielleicht lustig, wenn es einem Mann passieren würde (jedenfalls scheint ein Komödien-Subgenre auf solchen Gags zu basieren).

 

Wie aber kam die junge Frau überhaupt in diese missliche Lage?
Sie ist einfach entführt worden, Punkt. Vom Gala-Empfang weg in diese kalifornische Wüste. Wie hat man Phoebe denn dorthin geschafft? Wie lange hat das bitteschön gedauert? Wer waren die Menschen, die diesen Transport organisiert haben?
Wird nicht weiter erklärt. Es ist einfach so.

Diese ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST springen ohne Logik (und auch ohne Logistik, harhar) von „Abenteuer“ zu „Abenteuer“; das ist dramaturgisches Foulplay, aber wenn wir die Prämisse akzeptieren, muss das den Lesespaß nicht trüben.

Im Gegenteil entwickeln wir narrative Freiheiten. So lässt sich alles erzählen, an jedem Ort der Welt, in jedem Genre, das wir „besuchen“ möchten, mit jedem Charakter, den wir erwecken möchten. Genau das tun die ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST, leider gehen sie schludrig damit um und scheren sich nicht um ihre Figuren.

Am erstaunlichsten ist nämlich, dass die Hauptfigur Phoebe immer weniger eine Rolle spielt! Schon früh wird klar, dass O’Donoghue/ Springer überhaupt keine Frau erzählen können, nichts mit ihrer „Heldin“ anzufangen wissen (außer sie stumm leiden zu lassen). Schon auf Seite 17 wird sie mir nichts dir nichts von ihrem vermeintlichen Retter erschossen – und bleibt erst mal tot!

Kranke Nummer! Wird noch kränker
Dass die Kreativen ihrer Figur kaum Text geben (nun, gerade ist sie ja auch verstorben) mag am schlechten Skript von Michael O’Donoghue liegen, verrät aber auch, wo das Augenmerk des Autors liegt: im Ausloten von Tabus, im Präsentieren extremer Typen, im assoziativen Arrangement pop- und subkultureller Klischees.

Es folgt eine Verschleppung der Leiche in die Grüfte eines nekrophilen Kultes, Mafia-artig organisiert und sogar mit einem Mozart-„Requiem“-intonierenden Orgelspieler (nicht auf der folgenden Seite abgebildet).
Der irre Orgelspieler ist für mich ein Horrorklischee, das Vincent Price in seinem „Abominable Dr. Phibes“ in Stein meißelt – das aber erst 1971 (gab’s frühere?).

Der Text im letzten Bild ergeht sich in kryptischen Andeutungen. Was soll das mit dem Zahnarzt? Wieso sieht er aus wie Mussolini? Alles bloße Provokation!

 

Von dort wird Phoebe erneut entführt/gerettet, allerdings nur, um als Postpaket auf die Bahn gegeben zu werden. Die Szene am Schalter ist wahrscheinlich als Parodie auf Bahnbürokratie zu verstehen – und Sie erkennen, wie weit THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST von ihrem ursprünglichen Konzept (Frau in Nöten) zu streuen beginnt.

Immer passiver, unkenntlicher, wortwörtlich „unsichtbarer“ wird die Titelfigur; der Text schildert hernach Phoebes Ankunft in „Ceylon, Wochen später“.
Fahren Bahnen nach Sri Lanka (Ceylon)? Garantiert nicht. So abstrus (und längst nicht mehr ernst zu nehmen) ist der Comic mittlerweile.

Auf Sri Lanka residiert ein schräger Biologe, der (die immer noch leblose!) Phoebe von Pilzen überwuchern lässt. Dann verliert sich die Handlung in seitenlangen Erzählungen über den Hund des Wissenschaftlers: „Bruno“ wurde von „Eskimos“ großgezogen, dann ebenfalls entführt und um die Welt verkauft (eigenartige Parallele zu Phoebe), bis er auf Sri Lanka landete. Bruno kehrt mit Phoebe zurück an den Nordpol, wo sie endlich wiederbelebt wird!

Was ihr jedoch nicht viel nutzt, denn die „Eskimos“ setzen sie als Opfergabe für die Eisbären im Schnee aus. Das Entführungs-Errettungs-Spiel beginnt erneut! Schlechte Dramaturgie! Mies! Pfui! Uninteressant!

Phoebe wird von einem vorbeikommenden U-Boot aufgefischt, kurz darauf jedoch als dynamitbehangener Torpedo gegen einen Riesenrochen abgefeuert (weil der kunstsinnige Käpt’n keinen seiner reich verzierten Tattoo-Torpedos opfern will).
Es spült sie an den Strand von Rio de Janeiro, wo sie in eine Fallgrube stürzt und in die Hände eines Fußfetischisten.
Ha! Cooler Gag, oder? In die Hand eines Fußfetischisten? Egal.
Hab auch gelogen, es ist ein Schuhfetischist!
(Es sind sogar zwei: der Mann und seine einbeinige Komplizin!)

Wieso heißt der Mann „El Zapato“? Wir sind in Brasilien, wo man portugiesisch spricht, nicht in Mexiko, wohin ihn der Sombrero verortet und man spanisch spricht. Diese Seite darf uns allerdings spanisch vorkommen!

 

Das letzte Panel lasse ich als Gag durchgehen: Selbst die Schuhverpackung ist fetisch-würdig!

Etwas später wird Phoebe in den Müll geworfen und wieder einmal um die Welt verschickt. Im Arbeitslager einer kommunistischen Diktatur wird sie erst gequält und soll dann von einem Komodo-Waran vergewaltigt werden! Cliffhanger!
(Die letzten Kapitel legen in Sachen Sadismus noch eine Schippe drauf.)

Ohne jede Erklärung, was mit dem Waran wurde, wird Phoebe bei einem (seine Opfer tätowierenden) Serienmörder angeliefert, der sich sogleich ans Werk machen will, jedoch von seinem Vermieter gestört wird (der Phoebe erst rettet, dann nach Japan schickt, um sie dort von einem der berühmten Schnellzüge überrollen zu lassen).

Ihre Fesseln werden abermals von einem Pfeil durchtrennt – der Bogenschütze vom Anfang ist wieder da! Phoebe wird allerdings direkt wieder gekidnappt (und die letzten vier Seiten von Kapitel 11 gehören einem Bond-artigen Geheimagenten, der sich aber nie in die Handlung einschalten wird). Denn er wird auf der Straße hinterrücks von einem alten Mütterchen erschossen und stirbt im Gossendreck.

Typische Szene aus THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST: weder Adventures noch Phoebe in Sicht; die Handlung ist irgendwo ganz woanders, weil sie eine Spitze gegen Agentenfilme setzen möchte.

 

Wir halten fest: THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST pfeifen inzwischen auf jede Dramaturgie, sondern wollen uns unterhalten mit verrückten Zufällen, ins Genre passenden Exkursen und beklopptem Wahnsinn generell.
Das ist zwar konzeptionell erfrischend gedacht, von uns Rezipienten leider kaum nachzuhalten, wenig verstehbar und vor allem auch mühsam zu lesen.
Wenn ein Comic so willkürlich erzählt, wird er beliebig und nichtssagend.

Das vorletzte Kapitel 12 heißt „Lethal Women“ und zeigt Phoebe in Gesellschaft „böser Frauen“ (dazu noch „lesbische“, natürlich eine Anspielung auf Superschurkinnen und mythische Frauenfiguren), angeführt von einer „fetten Terrorfrau“. Die „Blob Princess“ erfüllt das Klischee der hässlichen Matrone (innen wie außen) und schlägt Phoebe grundlos zusammen.

Mir fehlt Wissen, wo in der Popkultur der Typus der grausamen Dickmadam verankert ist … womöglich Hillbilly-Darstellungen, Catfighting oder Film-noir-Randfiguren?

Auffällig scheint mir, dass die Gewalt auf der obigen Seite (bis auf den Faustschlag in Bild 6) nur indirekt dargestellt wird (in Bild 8 sogar durch Soundeffekte und „Aktionswolken“ verdeckt). Die Überzogenheit der Szene mit Geräuschen und Geschrei könnte auch ein Kommentar auf comictypische Konventionen sein (das „ZWIK! QUESH! BROMP!“ scheint die formelhafte Darstellung von Gewalt in Funny-Strips übertreffen zu wollen).

Die „Abenteuer“ kulminieren nun in einer Massenszene: Sämtliche Charaktere, die bislang im Comic vorgekommen sind, stürzen auf die Szene und beginnen ein Massaker. Wie kann das noch enden?
Ganz einfach: Phoebe wird magisch wegtransportiert und abgesetzt auf einer Gala-Gesellschaft (wo man sich wundert, wo sie denn die ganze Zeit geblieben sei).

 

Das große Balla-Balla

 

Letztlich lassen sich THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST als Comicfassung einer wüsten Collage aus beliebten Topoi der Unterhaltungsbranche lesen. Was Phoebe dabei zustößt, ist frauenfeindlich, keine Frage.
Andererseits habe ich Sympathien für den anarchisch-wilden Ansatz dieses für seine Zeit experimentell zu nennenden Comics. Wir befinden uns immerhin in der Prä-Underground-Ära, in der es für solche Comicwerke noch keine Verlage gibt.
Robert Crumb veröffentlicht zeitgleich sein FRITZ THE CAT in den Satire- und Herrenmagazinen „Help!“ und „Cavalier“.

Das Artwork von Frank Springer zeigt sauberes Sechzigerjahre-Handwerk, ähnelt in seinen Konventionen jedoch mehr den Zeitungsstrips als den Comicheften seiner Zeit. Im Anschluss an PHOEBE ZEIT-GEIST hat Springer auch fleißig diverse Serien geschrubbt.

Autor Michael O’Donoghue zog weiter zu „National Lampoon“ und verdiente sich Meriten als Schreiber für die „Saturday Night Live Show“.

Rezeption in Deutschland

 

Deutsche Ausgaben erschienen bereits 1970 im Konkret-Verlag sowie 1973 bei Melzer. „Der Spiegel“ urteilte seinerzeit, dieser Comic sei „pornographisch-sadistisch“. In meinen Augen eine grobe Verkennung und Blindheit gegenüber den satirischen Intentionen des Comics.

THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST beinhalten eine Menge Referenzen an US-amerikanische Subkultur (B-Movie-Phänomene, Fetischcomics, Exploitation), die wir aus dem Jahr 2020 heraus ungleich besser einordnen können.
Wir sind ja sowas von hip inzwischen, was jeden noch so obskuren Trend vergangener US-Kultur angeht (dank Herrn Tarantino und den Bloggern im Internet).

Exkurs zu einer Kollegin

 

Kontrastiert man PHOEBE ZEIT-GEIST mit der 1972 erschienenen Graphic Novel MISTY eines gewissen James McQuade, so fällt einem zweierlei auf:

Dass erstens MISTY inhaltlich Bezug auf das frühere Werk zu nehmen scheint und zweitens dieser Comic durch das Fehlen jeglicher Satire tatsächlich nur frauenfeindlich ist.

Die junge, blonde, schöne Misty spült es durch eine Fantasywelt, in der sie sexuelle Eskapaden erlebt.

Übrigens ein eklatanter Unterschied zu Phoebe, die zwar durchgehend nackt ist, aber niemals penetriert wird (ich sag es mal in aller Deutlichkeit).

Der Fall liegt anders bei MISTY:

Die „Liquidations-Maschinen“ des grausamen Herrschers „Godd“ verfolgen Misty, die sich in einem Club verstecken kann (übrigens im Outfit eines Playmate!).

Und an den Hintern grabscht er ihr auch noch! Scheusal!

 

Ein Playboy entdeckt sie dort, setzt sie unter Drogen, vergewaltigt sie und liefert sie aus; in einem Kerker hat sie Sex mit dem attraktiven Mitgefangenen Lance (ein „Poet“, übrigens!), anschließend muss sie gegen ihn um Leben und Tod in einer römischen Arena kämpfen.

Beide können entkommen, Misty landet im unterirdischen Verlies eines Wissenschaftlers, der ihr zu einer Verschnaufpause verhelfen kann. Verfolgt von Godds Häschern, angeführt von der hexenhaften Sadistin Mary (irgendwie enttäuschender Schurkenname), erlebt Misty ein Abenteuer unter Wasser, hat dabei lesbischen Sex mit Königin Poseida, gerät in eine Intrige sowie in erneute Lebensgefahr!

Aus heiterem Himmel rettet sie ein stattlicher Wikinger, der vorbeigeschippert kommt (und Misty in sturmdurchtoster Nacht hintern Schiffsruder nimmt). Ein fetter Pirat zerstört die Idylle, nimmt Misty gefangen und lässt sie auspeitschen. Mit Hilfe eines seiner „Zwillingszwerge“ kann sie flüchten, wird jedoch bald in ein Luftduell in Doppeldeckern mit ihrer Nemesis Mary verwickelt.

Weiterhin kommt es zu einer Feldschlacht von Godds Truppen mit Widerständlern, einem romantischen (knick-knack) Wiedersehen mit Knastbekanntschaft Lance und einem merkwürdigen Showdown mit Godd, den Misty von der Liebe überzeugen möchte.
Seine Weigerung hat eine magische Kompostierung des Tyrannen zur Folge (der im Sterben aber noch Misty erstechen kann).

In seiner Wirrheit steht MISTY den ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST in nichts nach. Ebenso wenig Spaß macht die Lektüre, sogar noch weniger – weil Autor/Zeichner McQuade oft gedrängte Seiten komponiert und dem soliden Handwerk von Springer nicht das Wasser reichen kann.

Getoppt wird MISTY noch mit frecher Klappentext– und Vorwortwerbung, es handle sich um eine tolles, künstlerisches Werk, das zudem „beißende Satire und Sozialkritik“ enthalte („scathing satire and social comment“). Na, das wüsst‘ ich aber!

Für mich präsentiert sich diese „adult fantasy in visuals“ (hui, fast wäre es eine Graphic Novel gewesen) als Parade schwiemeliger Softporno-Sequenzen (Sie haben die Bildbeispiele gesehen) und endet wie erwähnt noch mit dem gewaltsamen Tod der Protagonistin.

Besonders perfide, dass hierbei noch der sterbende Körper sexualisiert wird: „Ein Dolch stößt tief in ihre volle, bereitwillige Brust. […]  Verzweifelt ringt sie zwischen ihren bebenden Brüsten nach Atem. […] Das Leben ebbt aus ihrem üppigen Körper.“

 

Schlussbemerkungen:

„The Evergreen Review“ veröffentlichte im selben Jahr wie PHOEBE ZEIT-GEIST übrigens auch BARBARELLA zum ersten Mal auf Englisch.

Meine Abhandlung dazu finden Sie ebenfalls auf diesen Seiten.

Barbarella, Meisterwerk der Erotik?

THE ADVENTURES OF PHOEBE ZEIT-GEIST ist Teil 7 unseres „Schweinepriester-Quartetts“ obskurer erotischer Comics. Daran diskutieren wir frei assoziierend Aspekte des Sexismus im Comic. Teil 6 war die gerade erwähnte BARBARELLA.