Der Rest von ZYKLOTROP

Woher kann dieser José-Luis Munuera so gut erzählen? Der ist doch Zeichner!
Und hat als solcher unter mehreren Autoren gearbeitet, auch vier Alben SPIROU UND FANTASIO, geskriptet von Jean-David Morvan.
Hat er dabei, in den Jahren 2005–2008, die Kunst des Erzählens in sich aufgesogen?! Meine beste Vermutung.

Seitdem nämlich hat Munuera mehrere Semifunnys entworfen, eine eigene Serie um Piraten (DIE CAMPBELLS) gestemmt und glänzt inzwischen mit Literaturadaptionen von Melville (BARTLEBY, DER SCHREIBER), Dickens (EINE WEIHNACHTSGSCHICHTE) und aktuell J. M. Barrie (PETER PAN DE KENSINGTON, liegt meines Wissens noch nicht auf Deutsch vor).

Seine dreibändige Reihe ZYKLOTROP entstand bereits 2017–2019 und ist (wie weitere Werke) bei Carlsen Comics erhältlich.
Vor drei Jahren bekam ich ZYKLOTROP 1 („Die Tochter des Z“) in die Finger und verfasste folgende Verneigung.

Jetzt kann ich mich schon wieder in den Staub werfen, denn ich habe Band 2 und 3 nachgeholt.

Band 2: „Der Lehrling des Bösen“

Fängt schon schick an: Zyklotrop hockt, mit einem Sonnenschirm ausgestattet, in einer Wüstenlandschaft. Es nähert sich eine Gruppe von Beduinen, die mit ihm ein Geschäft machen möchten.

© für alle Abbildungen: „Munuera/Carlsen Comics“

Der witzige Dialog offenbart, dass es um einen Waffenhandel gehen soll. Zyklotrop verkauft seine neuen Wunderwaffen, die aber sind nicht tödlich, sondern dienen zur reinen Abschreckung und Täuschung.

Der irre Erfinder hat nämlich in Band 1 seiner Tochter versprechen müssen, nicht mehr böse zu sein. Herauskommen bei diesem Deal aufblasbare Panzer-Attrappen in Überraschungseiern!

Das Geschäft kommt jedoch nicht zustande, weil der zehnjährige Cedric auf die Szene platzt und Zyklotrop entführt.

Der Junge ist ein wissenschaftliches Wunderkind und möchte „Beherrscher der Welt“ werden. Denn er ist Zyklotrops größter Fan und schreibt sich nach dessen Vorbild „Zedrik“.

Er hat sich bereits ein Zyklokopter-Fluggerät gebaut, mit dem er sein Idol auf dessen Insel zurückbringt. Zedrik drängt sich als Praktikant auf (daher der Titel des Albums: „Der Lehrling des Bösen“) und macht zunächst Bekanntschaft mit den Zyklobots in Gestalt von Butler Fredong.

Der Schrei stammt in der Tat von Zyklotrops Tochter Zandra, die aber nicht in Not ist, sondern bloß feststellt, dass nur kaltes Wasser aus der Dusche kommt.

So geht es zu im Haushalt des genialen Wissenschaftlers. Zyklobots kann er konstruieren, aber nicht die Heizung reparieren. Dieser Umstand wird noch zum „running gag“ des Albums.

Wie überhaupt Munuera darin brilliert, Plotpoints anzulegen, denen im Verlauf des Comics noch Bedeutung zukommt.
Als nächstes nämlich die Idee, dass sich Zedrik in Zandra verliebt und davon aus der Bahn geworfen wird.

Zandra ist bekanntermaßen (siehe Band 1) eine Androidin, aber menschlicher als alle Figuren um sie herum.
Heimlich reißt sie mit Unterstützung von Zedrik auf eine Party aus, auf der sie ihren Freund Andre trifft – und zugleich die Herzen von Zedrik und ihrer (lesbischen) Freundin Shine bricht.

Nachdem Shine gegenüber Zedrik ihre Liebe zu Zandra gesteht (ein Geständnis, das dieser mitstenografiert), kulminiert die Szene in Zandras Bekenntnis zu Andre (übrigens dessen einziger Auftritt in diesem Band) und Zedriks Transformation in einen Rächer.

Grandios, wie Munuera in sieben Bildern die Verhältnisse klärt: Shine will Zandra ihre Liebe offenbaren, Zedrik trägt ihr gleichzeitig seinen falsch notierten Liebesschwur vor – und Zandra macht nonverbal alles mit Andre klar.

Und während Zyklotrop daheim nasse Füße bekommt, weil die Heizung explodiert, sprechen sich Zedrik und Zandra aus.
Das heißt, Zedrik macht ihr Vorhaltungen und Zandra lässt die kleine Nervensäge natürlich abblitzen.

Zedriks Hormone fahren Achterbahn, die Abweisung verbittert ihn und er schwört nun Rache. Er hat endgültig seinen Trigger gefunden, sein Superschurken-Origin-Trauma, um das „Genie des Bösen“ zu werden.

Wenig später taucht er wieder auf, hat einen teuflischen Plan ausgeheckt und auch gleich eine Superwaffe entwickelt. Die probiert er an Shine aus, die seine Geisel wird, um Zandra zu erpressen.

Und schauen Sie, wie effektiv Munuera auf diesen acht Bildern den neuen Zedrik in seinem neuen Outfit vorstellt (und sich dabei über Superschurken lustig macht).

Die Waffe übrigens ist eine Pheromon-Pistole, die ihre Opfer in dümmlich verliebte Zombies verwandelt.

Und während Zyklotrop und Zandra ihre Gefühle reflektieren, bahnt sich draußen Unheil an. Zedrik begeht eine irrlichternd quatschige Missetat: Ein mechanischer Riesenarm schleudert die immer noch weggetretene Shine kilometerweit über die Insel auf Vater und Tochter.

Zandra rennt los, um Zedrik zu konfrontieren. Zyklotrop bläst einen seiner Gummipanzer als Sprungtuch auf. Shine kann gerettet werden, aber Zedrik hat das Ganze nur als Ablenkungsmanöver inszeniert, um ungehindert in das Kontrollzentrum der Insel einzudringen!

Jetzt darf ich nicht noch mehr verraten, zeige dafür lieber die hübsche Vater-Tochter-Szene:

ZYKLOTROP 2 – DER LEHRLING DES BÖSEN ist ein Album, das man in einem Rutsch verschlingt. Feines Artwork, tolles Timing, coole Figuren, klasse Dialoge.

Außerdem erfrischend spinnerte und clevere Plot-Ideen, wie ich finde.
Der Gummipanzer in seiner Wiederverwertung als Sprungtuch ist genial gesetzt.
Zandra ist als Androidin zwar immun gegen Pheromone, kann aber von Zedrik gehackt werden.
Zyklotrop muss am Ende Zedrik doch Achtung zollen und kann sich mit ihm arrangieren.

Zudem versuchen die Zyklobots in der Nebenhandlung, die Heizung zu reparieren, scheitern aber an YouTube-Tutorials zum Thema.

Band 3: „Lady Z“

In seinem dritten Zyklostreich knöpft sich Munuera das Thema Klontechnik vor und eröffnet das Album mit einer actiongeladenen Vorsatzszene à la „Mission Impossible“:
Zyklotrop und Zandra kundschaften „Graceland“ aus, das Museum und die letzte Ruhestätte von Elvis Presley.

Des Nachts steigt Zyklotrop in das Anwesen ein, saust mit Raketen-Zyklostiefeln durch unterirdische Tunnel und dringt in die Grabkammer ein, wo er den Sarkophag mit den Überresten des „Kings of Rock’n’Roll“ aufbricht und die Leiche stiehlt!

(Übrigens nicht wahr, ich musste recherchieren: Elvis liegt in einem Grab außerhalb des Geländes. Aber dieser Comic übertreibt und haut auf die Pauke.)

Was die Aktion soll? Es handelt sich um eine Geldbeschaffungsmaßnahme, denn der stets klamme Zyklotrop verkauft dem russischen Oligarchen Chrustchow für viel Geld einen Elvis-Klon.

Zyklotrop ist ein genialer Wissenschaftler, bei dem leider immer Dinge schief gehen. In diesem Fall zerfällt der falsche Elvis nach wenigen Stunden zu einem grünen Matsch – womit er den Zorn Chrustchows auf sich zieht, der sich zu rächen sucht.

Tochter Zandra macht eine ähnliche Erfahrung, als sie von ihrem Vater für die Unordnung in ihrem Zimmer zur Rede gestellt wird.

Zyklotrop hat das Geld des Russen dafür verwendet, über ein Dutzend Selbstkopien herzustellen, die ihm bei der Arbeit helfen sollen.
Die werden mit Z 2 bis Z 20 durchnummeriert und haben jeweils verschiedene Eigenschaften ihres ursprünglichen Schöpfers ausgebildet.

Sowohl Zandra als auch der Robotgehilfe Fredong (ein Zyklobot, Sie erinnern sich) ahnen nichts Gutes …

Prompt geschieht das Unerwartete: Klon Nummer Z 21 ersteht als Frau – Lady Z ist geboren!

Diese Dame verkörpert die weibliche Komponente von Zyklotrop, der mehr als verblüfft ist.
Schnell packt ihn die Ahnung, dass sein neues Doppel mit allen Wassern gewaschen ist und ihm auf der Nase herumtanzen wird:

Doch zunächst versucht man sich,  bei einer romantischen Gondelfahrt in Venedig anzunähern. Gerade prahlt Zyklotrop mit der Erschaffung seiner Tochter Zandra, da taucht ein Scherge des Russen Chrustchow auf, der Zyklotrop umbringen möchte.

Hat er die Rechnung ohne Lady Z gemacht, die nicht nur intelligent, sondern auch kampftüchtig ist:

Nachdem sie ihren Gegner außer Gefecht gesetzt hat, verhört sie ihn – und fasst den Entschluss, hinter Zyklotrops Rücken für Chrustchow zu arbeiten und ihm ein Dutzend neuer Elivisse zu klonen, die haltbarer sind als das erste Modell.

Lady Z will sich mit diesen Aktionen von ihrem Schöpfer emanzipieren und nimmt in Kauf, dass Chrustchow mit seinen Elvis-Klonen die Insel des Zyklotrop angreift!

Jetzt kommt es zum Duell aller gegen aller und es muss dich erweisen, wer den Kopf oben behält.

Ich sage nichts weiter zum Finale des Albums, darf aber verraten, dass es natürlich gut ausgeht für alle Figuren, die uns sympathisch sind.

Munuera setzt das Hauptpersonal (Zyklotrop, Zandra, Lady Z und auch Fredong) gut balanciert in Szene; der Russe und sein Handlanger sind zwar nur Bösewichter von der Stange, das aber ist okay im Semifunny.

„Lady Z“ ist erneut eine flotte Lektüre mit viel Schauwerten und originellem Humor.
Dennoch finde ich dieses dritte Album nicht so berauschend wie die beiden Vorgänger.

Die Action-Sequenzen wirken ausgestellt und ausgebreitet, wiederholen sich in Missgeschicken mit der Klonmasse und den Raketenstiefeln.

Zandras Freunde Andre und Shine sind komplett verschwunden, wir haben jeden Bezug zur Außenwelt verloren.
Dass wir uns hier ausschließlich im Zyklotrop-Universum bewegen (die Insel, Zyklotrop, sein Android Zandra, seine Zyklobots, seine Klone), kommt mir wie ein Schmoren im eigenen Saft vor.

Auch ist Chrustchow ein schwacher Gegner, im Grund ist er nur ein durchgeknallter Musikfan. Die Bedrohungslage ist ungleich harmloser und muss mit dem Holzhammer präsentiert werden (Elvis-Klone mit Maschinenpistolen?).

Am Ende gibt es auch keine Verwendung mehr für die zahlreichen Zyklotrop-Kopien – gab es die überhaupt?!

Ich denke gerade, es wäre zielführender gewesen, hätte Munuera nur einen Klonversuch gemacht, der grandios „gescheitert“ und die Lady erzeugt hätte.
Das wäre spannender gewesen, denn zwanzigmal Zyklotrop hat diesen Charakter entwertet.

Und das ist nun wirklich jammerschade, begreife ich diese Figur doch als mein Alter Ego im SPIROU-Kosmos! :- )

Wir schließen den Kreis zum Anfang des Beitrags und konstatieren, dass Autor und Zeichner José-Luis Munuera den Semifunny-Comic hinter sich gelassen hat und sich seit sechs Jahren dem Bereich der Graphic Novels widmet.

Der Mann bespielt sämtliche Felder der Neunten Kunst.

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