Who the frag is … LOBO?

„Irgendwo da draußen“ liegt vielleicht nicht „die Wahrheit“, aber es lauert ein LOBO-Revival.

Die Wiederkehr des außerirdischen Kopfgeldjägers soll ja ein DC-Kinoprojekt werden, wozu es bereits einen Trailer im Netz zu sehen gibt.
Aber halt, schauen Sie sich den besser nicht an, der ist nämlich nichtssagende Grütze – noch dazu mit einem widerlich gephotoshoppten Jason Momoa in der Hauptrolle. Pfuispinne!

Widmen wir uns lieber dem Comic:
Die Amerikaner haben letzten Sommer einen fetten 1.300-Seiten-Omnibus mit dem schönen Titel „Big Fraggin Compendium“ veröffentlicht, der die ikonische Frühphase der Serie aus den 1990er-Jahren beinhaltet. 

LOBO liegt in der Luft

Die Figur des Lobo ist bekanntlich der Rocker im DC-Superheldenstall.
Rein äußerlich ist er eine Fusion aus Gene Simmons von „Kiss“ und Lemmy Kilmister von „Motörhead“.

Dieser Look war 1990, als LOBO sein eigenes Heft bekam, neu und gewagt. Also vertraute man den Job zwei Briten an, die ordentlich auf die Pauke hauten.

2000-AD-Veteran Alan Grant schrieb launige Skripte, die Simon Bisley in kongeniales Artwork überführte.

Bisley war seinerzeit ein Superstar und hatte mit JUDGE DREDD und SLAINE reüssiert. Ich halte Bisley für einen inzwischen vergessenen Meister des surrealen Comics – auch deshalb schreibe ich diesen Artikel, denn LOBO war und ist eine erfolgreiche und entdeckenswerte Comicsatire.

Erfinder der Figur LOBO ist jedoch der vor anderthalb Jahren verstorbene US-Amerikaner Keith Giffen, der erst mit Kollegen Grant kollaborierte, sich bald aber mit dem Verlag DC überwarf.

Ich möchte jedoch keine Knatschgeschichten aus der Industrie erzählen, sondern konkret hineinschauen in einen LOBO-Band, den ich mir damals auf Englisch besorgt habe.

LOBO – THE LAST CZARNIAN versammelt die ersten vier Solohefte mit Episodentiteln wie „Spell or Die“ oder „Portrait of a Psychopath“.

Hier trifft Lobo den halbrobotischen Direktor eines Gefängnisses, um einen Verbrecher zum Transport abzuholen.

Meet your Hero

Lobo ist ein hartgesottener Kopfgeldjäger, der letzte Überlebende des Planeten Czarnia. Der letzte übrigens, weil er alle anderen umgebracht hat. Und so porträtiert ihn Zeichner Bisley.

Als fratzenhaften Teufel, dem der Sabber von der Zunge tropft!
Auf diese Weise hat das MAD-Magazin immer Figuren dargestellt, wenn sie lächerlich gemacht werden sollten („Lechz, stöhn, hechel!“).

LOBO ist schon die eigene Parodie und damit die unwahrscheinlichste Gestalt im DC-Universum.

Denn der Spaß in der sich entfaltenden Geschichte besteht darin, dass unser „Held“ keinen Schwerverbrecher, sondern seine ehemalige Schulmeisterin Miss Tribb ins Hauptquartier der „L.E.G.I.O.N.“ (das zuständige Weltraumkommando) bringen soll!

Die alte Dame geht ihm furchtbar auf die Nerven – weil sie a) eine Pädagogin ist, b) das Massaker an allen Czarnianern überlebt hat und c) die Autorin einer Lobo-Biografie ist, die Lobo nicht autorisiert hat (und die ihn natürlich in schlechtem Licht erscheinen lässt).

Und schauen Sie, wie witzig Bisley diese Figur porträtiert, als Dame-Edna-artige Fregatte:

Schnell entwickelt sich eine galaktische Verfolgungsjagd, denn Lobo und Miss Tribb (unterwegs auf einem Weltraum-Feuerstuhl!) sind mehrere Fraktionen auf den Fersen:

Eine Horde erzürnter Space-Trucker, mit denen Lobo sich bei einem Zwischenstopp eine Keilerei geliefert hatte.
Die „Sons of Lobo“, eine Gruppe von Lobo-Fanboys, die sich an Miss Tribbs rächen wollen, weil diese ihr Idol in ihrem Buch runtergeputzt hat.
Ein SWAT-Team vom Gefängnis auf Oneida, wo Lobo den Direktor umgebracht hat.
Kämpferische alte Damen der intergalaktischen „Legion of Decency“ in einem Riesenraumschiff, die Miss Tribb retten wollen.

Mit Genugtuung beobachtet das Ganze Chief Vril Dox, der Kommandeur der „L.E.G.I.O.N.“, dem es gefiele, wenn der unberechenbare Lobo in dem sich anbahnenden Schlagabtausch ums Leben käme.

Pioniere des Gewalthumors

Ich sehe in LOBO auch das Aufkommen eines popkulturellen Phänomens, das ich „Gewalthumor“ nenne. Ob in Filmen, Serien oder Comics – seit den 1990er-Jahren etabliert sich eine ironische Spielart von Gewalt, die zum eigenen Genre geworden ist. (Denken Sie an „Breaking Bad“, „Deadpool“, „Fargo“ …)

Ich habe hier öfters darüber geschrieben (genannt sei PLASTIK, dort weitere Verweise) und finde es übrigens nicht schlimm, dass solche Comics existieren. Ich verstehe sie als postmoderne Ausprägung einer nerdigen Subkultur, wie sie auch in der Musik zu finden ist.

Die Musikrichtung Grunge war der Sound dieser Jahre (1991 erschien das Album „Nevermind“ von Nirvana) und diese kratzige, rohe Spielart des Rock passt hervorragend zu LOBO.

Um zum Comic zurückzukommen, hier einige Beispiele, wie Grant und Bisley die Gewalt inszenieren.
Im dritten Kapitel erlaubt sich der Comic einen quatschigen Diskurs: Lobo und Miss Tribb werden von Alien-Mönchen entführt und finden sich als Kandidaten in einem Buchstabierwettbewerb auf Leben und Tod wieder.

Die grimmigen Kleriker verfolgen das Dogma der Orthographie und metzeln augenblicklich jeden Mitspieler nieder, der einen Fehler begeht.

Lobo hat Glück und erwischt Begriffe wie „genocide“ und „mutilation“, mit denen er sich auskennt. Und während rechts und links Köpfe explodieren und verdampfen, hangeln sich Lobo und Miss Tribb von Runde zu Runde.

Die Lehrerin ist natürlich Favoritin, das sieht auch Lobo so. Also jagt er dem armen Tropf neben ihm, der wunderbar buchstabieren und ihm damit gefährlich sein kann, einen Schrecken ein – was dessen Hinrichtung zur Folge hat.

Das tut Lobo mit einem simplen „Buh!“, was schon ausreicht, um den Kollegen zu erschrecken. Die Mönche dulden keine Lautäußerung außer korrekten Buchstaben und desintegrieren dem Ärmsten.

Lobo steht aufrecht daneben und freut sich still, dann bekommt er mit, dass die Regeln verschärft werden.

Simon Bisley gestaltet die komplette Szene mit viel Ornamentik und offensichtlichem Vergnügen an den verrückten Weltraummönchen, die er mit klassischen Bildchiffren ausmalt: braune Roben, Klans-Hauben, Kreuze, Schädel, Knochen und mittelalterlicher Typografie.

Die letzten 30 Seiten präsentieren uns Lobos Flucht und eine Verschnaufpause auf dem Ferienplaneten Revel-7. Dort öden ihn rasch die ewigen Besäufnisse der Partymenschen an – und Lobo löst zu seiner Unterhaltung eine Massenpanik aus, die den halben Planeten entvölkert und ihn im Chaos entkommen lässt.

Denn alle seine Verfolger kollidieren mit den flüchtenden Raumschiffen und sind somit aus dem Spiel genommen!

LOBO – THE LAST CZARNIAN huscht somit zu einem schnellen Finale: Lobo liefert Miss Tribb (der er die Beine amputiert hatte, damit sie nicht weglaufen kann) bei Chief Dox ab – und bringt sie dann um (das zeige ich sofort).

Vorher möchte ich noch anmerken, dass der Brite Bisley in seinen Illustrationen offenbar vom Franzosen Philippe Druillet beeinflusst ist – und so gar nicht von den Apparaturen und Raumschiffen eines Wally Wood (wie Generationen US-amerikanischer Kollegen).

Wie klingt LOBO auf Deutsch?!

Tatsächlich ist einiges von LOBO in Deutschland erschienen, schon Norbert Hethke brachte 1991 (!) zwei erste Comics heraus („Der letzte Zarnianer“), 1997–2001 gab es eine Heftserie mit 39 Ausgaben bei Dino. Der deutsche Wikipedia-Eintrag listet weitere Veröffentlichungen; die Rechte liegen mittlerweile bei Panini, wo man noch vier Bände lieferbar hält, darunter ein Crossover mit Superman.

Aus Anlass dieses Artikels habe ich mir die ersten vier Ausgaben von Dino kommen lassen, in die wir noch hineinschauen wollen.
(Übrigens übernahm man dort den LOBO-Relaunch von 1993, der von vielen verschiedenen Zeichnern illustriert wurde, die ersten 15 Hefte von einem gewissen Val Semeiks, den sehen Sie auch im Folgenden.)

Der Lobo-Look von Semeiks 1993 feiert das Ultrabrutale.

Und obwohl Semeiks (im Unterschied zum bildparodistischen Bisley) nur Haudrauf-Mainstream abliefert, ist LOBO auf Deutsch eine hübsche Überraschung!
Denn die Redaktion geht kreativ mit Sprache um und hat sichtlich Spaß an der Sache.

Typische Szene mit typischem Artwort: Lobo duelliert sich im All mit einem Mörder namens „Bluthunt“ – beide preschen wie Ritter auf ihren Rössern aufeinander los; nur sind es hier mit Bordkanonen bestückte Space-Bikes!

Neben dem Comic gibt es auch Extraseiten, die mit Hörtipps für Rock-CDs und rüden Leserbriefen bespielt werden. Hier übertrumpfen sich Leser in Lobo-Beleidigungen, die dieser mit finsteren Drohungen kontert (alles natürlich in spaßiger Absicht).

Unter diesen Einsendern ein gewisser Gerhard Förster aus Österreich (prominenter Comicübersetzer und Letterer), der die Eindeutschung des Begriffs „frag“ zu „fräggen“ moniert und sich beschwert, das Wort werde multifunktional wie „schlumpfen“ eingesetzt.

Literarisches Markenzeichen des Originals ist in der Tat das Fluchwort „frag“, das ausgiebig verwendet wird und natürlich ein „fuck“ ersetzt, was im Printbereich nicht üblich/ gewünscht/ erlaubt war.

Im Dino-Verlag machen sie daraus ein ulkig klingendes „Frägg!“, das tatsächlich Adjektiv, Verb oder Ausruf in allen Verwendungen sein kann: Frägg, fräggen, gefräggt.
Das finde ich aber goldrichtig, es entbindet das „frag“ seinem eindimensionalen Gebrauch im Englischen.

Ebenso flexibel ist man mit einer zweiten Phrase, die bei LOBO durchgehend auftaucht, nämlich sein ironischer Kommentar „Izzatso?“.
Lobo ist kein guter Zuhörer, er hasst es vielmehr, sich Sachen erklären zu lassen. Darum reagiert er standardmäßig mit dem lakonischen „Izzatso?“ („Is that so?“).

Im Deutschen variiert Übersetzer Christian Heiß dies anfänglich mit „Isdasso?“, was noch zu wörtlich ist, geht dann in subtilere Ideen wie „Tatsache jetz‘?“ oder „Ach, is das wahr?“.
(Möglich wären auch ein „Echt jetzt?“ oder ein Loriot‘sches „Ach was“; für ein Rainer Brandt’sches „Isses denn die Possibility?“ wäre die Sprechblase zu klein, hihihi.)

„Nichts für zarte Gemüter“

Festzustellen ist natürlich generell, dass die Figur des Lobo kein gewöhnlicher Superheld ist, sondern eine Krawall-Type, wie sie zu Dutzenden den britischen Magazinen wie 2000 AD, WARRIOR oder TOXIC entsprungen ist.
(Sie dürfen MARSHAL LAW, JUGDE DREDD, D.R. AND QUINCH, STRONTIUM DOG, ROBO-HUNTER oder ZOMBO assoziieren …)

In einer Story konfrontiert Lobo auch den Tugendbold Goldstar, der bereits den Homelander aus THE BOYS vorwegzunehmen scheint.

In folgender Sequenz bekämpfen sich Lobo und Bluthunt  und werden vom harmoniebedürftigen Goldstar gebremst. Gleichzeitig macht man sich darüber lustig, dass Bluthunt und Goldstar erkennen, dass sie seit der Geburt getrennte Zwillinge sind.

Mir ist das Artwork von Semeiks zu konventionell-brachial und zu deutlich. In Bisleys Stil käme diese Handlung viel eleganter rüber, weil sie überhöht-abstrakter aussähe und der Fantasie Raum ließe.

Das tut mir leid für Autor Grant, der zwar am Fließband schreibt, aber immer wieder hübsche Ideen auswertet.
In den vier ersten Dino-Heften beispielsweise eine Origin-Story (die fast ausnahmslos im Hörensagen erzählt wird), die Jagd nach dem Buchhalter des intergalaktischen Mobs auf dem Mafia-Planeten Vurkan, Lobos Mutation zum Werwolf (obwohl ihn ein Vampir gebissen hatte), das Duell mit dem todkranken Amokläufer Bluthunt, ein Versicherungsschwindel im Weltraum-Trucker-Milieu – sowie den Space-Western „Die fräggreichen Sieben“ um eine Söldnertruppe unter Lobos Führung, die einen Befreiungsauftrag ausführt.

Im Weltraum hört dich keiner schreien – deshalb kann die Trucker-Gewerkschaft auf allen Flügen Country- und Westernmusik vorschreiben!


Ich sage: Wenn Sie daran Gefallen haben, schaunsedochmal zurück auf den klassischen LOBO der Neunzigerjahre. Die Figur erweist sich als vielseitig verwendbar, hartnäckig und langlebig. Irgendwo, irgendwann taucht sie immer wieder auf.

Und das übrigens war 1991 das Back-Cover des schmalen Tradepaperbacks von LOBO – THE LAST CZARNIAN. Man fühlte sich bemüßigt, eine Art Triggerwarnung aufzudrucken.

Als ob die je nötig gewesen wäre …

Diesmal gilt: zwei Sprachen, zwei Reels auf Instagram.

Einmal einen Blick in die deutschen Hefte, einmal einen Blick auf das erste Tradepaperback.

LOBO – THE LAST CZARNIAN (englisch).

LOBO – deutsche Heftserie.

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